Donnerstag, 18. April 2019

Buchbesprechung: "Erziehung prägt Gesinnung" von Herbert Renz-Polster


Das Familienklima von heute ist das politische Klima von morgen“, hat der Kösel-Verlag in großen roten Buchstaben auf die Rückseite des Buches „Erziehung prägt Gesinnung: Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte - und wie wir ihn aufhalten können“ (2019) von Herbert Renz-Polster geschrieben. Besser kann man den Inhalt und die Kernaussage des Buches im Grunde nicht beschreiben.

Es sind nicht die (ökonomisch) Abgehängten, die z.B. Trump oder die AFD wählten, analysiert der Autor. Es ist der Hang zum Autoritarismus, der diese Menschen antreibt. Und der Autoritarismus hat wiederum viel mit dem zu tun, wie Kindheit war.
Kinder, die ihre Kindheit innerlich unverletzt, mit Selbstvertrauen, wachen Augen, Einfühlungsvermögen und Mut unter dem Herzen verlassen, seien dagegen später als Erwachsene widerstandsfähig, gerade auch gegen die Verlockungen des Rechtspopulismus.

Je härter die Kindheit, desto härter die Politik. Landkarten der kindlichen Not", so lautet ein Kapiteltitel. Der Grundgedanke dabei ist, dass man aus Informationen über kindliche Not „politische Landkarten“ erstellen könne. Zustimmungsraten zu Körperstrafen gegen Kinder in den USA z.B. stehen in Zusammenhang zu konservativen Wahlverhalten. Ähnlich geht der Autor mit Blick auf Ostdeutschland vor und analysiert das (autoritäre) Erziehungssystem (inkl. langer Krippenbetreuung) in der ehemaligen DDR, um in der Tiefe zu erklären, warum im Osten deutlich rechtspopulistischer gewählt wird.

Mein Lieblingskapitel handelt vom Lachen oder besser gesagt dem Nicht-Lachen-Können von Rechtspopulisten und radikalen Politikern: „In der rechtsautoritären Bewegung scheint man schlichtweg kein echtes Lachen zu kennen! Man bringt es allenfalls zu einem frösteligen, selbstgefälligen Grinsen, aber eben nicht zu einem geselligen, freudvollen Lachen. (…) Wann lacht Erdogan? Wann ein Geert Wilders? Herr Kaczyński, Frau von Storch, was bringt Sie zum Lachen? Sie können das schlicht und einfach nicht. Denn Lachen, so berichtet die Psychologie, hat nicht nur etwas mit emotionalem Wohlbefinden zu tun. Vor allem braucht es zum echten, resonanten Lachen die entsprechende innere Software – nämlich die Fähigkeit, mit anderen mitzuschwingen, ihre Gefühlswelt zu erspüren – und für einen Moment angstfrei zu teilen. Diese Fähigkeit entwickelt sich in der Kindheit – oder eben nicht. Ja, vielleicht hat jemand, der sich in seinem Leben von Anfang an unterwerfen musste, nie einen wirklichen Grund gehabt, das Lachen zu erlernen.“ (S. 117)

Das Buch ist mit rund 270 Seiten reinem Inhalt (320 Seiten inkl. Quellenverzeichnis etc.) mit großzügiger Schrift und etlichen Zwischentiteln schnell und verständlich zu lesen. Für Menschen, die sich schon ausgiebig mit den möglichen politischen und gesellschaftlichen Folgen von belastenden Kindheitserfahrungen befasst haben, bietet es nicht zu viel Neues. Aber um diesen Personenkreis geht es auch gar nicht. Herbert Renz-Polster ist Kinderarzt und Bestsellerautor von mehreren Erziehungsratgebern. Er erreicht ein großes Publikum und hat sich jetzt auch in den politischen Raum gewagt. In den letzten zwei Wochen haben einige große Medien das Buch besprochen oder den Autor interviewt. Der große Verdienst des Autors ist, dass er das Thema „Kindheit und Politik“ in die Öffentlichkeit treibt. Das wurde auch so was von Zeit! Zu hoffen ist, dass andere Autoren aufspringen und eine wirkliche Debatte beginnt, die immer wieder den Satz vor sich hertragen sollte: „Das Familienklima von heute ist das politische Klima von morgen“. Oder wie ich es kurz zusammenfassen würde: „Die Kindheit ist politisch!“

Montag, 15. April 2019

Kindheit von Boris Johnson und die Irrationalitäten des Brexit-Lagers

Aktualisiert am 10.08.2019


Rachel Johnson, die Schwester des konservativen Politikers Boris Johnson, hat einen Einblick in das gegeben, was sie und ihr Bruder in der Kindheit zu Hause erlebt haben. (The Times, 15.10.2012, "Me, Boris Johnson and our brilliantly hands off parents")
Sie beschreibt, dass sie in ihrer Kindheit kaum eine Wahl hatte, außer was die Wahl von Büchern anging, die sie lesen wollte. Ihre Eltern scheinen alles bestimmt zu haben. Deutlich wird auch elterliche Vernachlässigung, was sich in folgendem Satz zuspitzt: „Our parents provided us with the essentials, then got on with their own lives.“ Sie hätten als Kinder niemals Freunde zum spielen zu Hause gehabt. Und sie fügt an: „Keeping children busy and happy was not a parental priority.
Sie beschreibt eine Szene, in der sie sich als Kind geweigert hatte, eine Straße zu überqueren. Ihre Mutter packte sie daraufhin an den Haaren und zog sie rüber. Überhaupt scheinen körperliche Übergriffe, auch schwerer Art, Routine gewesen zu sein: „(…) my father and mother both believed enthusiastically in corporal punishment. My mother once broke a large stick over my legs after Boris and I had spent a happy and, we felt, productive morning carefully filling every Wellington boot in the passage to the brim with water. I bear neither parent any ill feeling for beating me. I would have done the same.“ Klassisch ist an dieser Stelle, wie das einst misshandelte Kind seine Eltern in Schutz nimmt und anhängt: An ihrer Stelle hätte ich das Gleiche getan...

Zu dieser Gewaltbelastung kommt eine weitere, schwere Belastung hinzu: Die Mutter von Boris Johnson litt unter Depressionen und einer massiven Zwangsstörung. Dies ging zu weit, dass sie sich in wohl unterschiedliche Kliniken einweisen ließ und die Kinder von einer "Nanny" (die Kettenraucherin war) betreut wurden. Diese "Nanny" wurde zur Ersatzmutter für die Kinder.
(Mail Online (2019, 14. April):  Revealed: How a chain-smoking Norland nanny raised Boris Johnson and his siblings while their mother was in and out of hospital being treated for crippling mental health issues)

In der Familie Johnson sei alles auf Wettkampf eingestellt gewesen, berichtet der SPIEGEL. Der Druck kam dabei vor allem vom Vater. Boris` Halbschwester Julia sagte dazu: "Wenn ich im Lateintest nur Zweite wurde, fragte mein Vater sofort: Wer war Erster? Das war eine Standardfrage in unserem Haushalt und eine eindringliche Mahnung, nie woanders zu landen als ganz oben" (DER SPIEGEL, Nr, 30, 20.07.2019, "Der Fesselungskünstler", S. 12).
Und natürlich sollte Boris auch auf ein Eliteinternat kommen. Im Alter von 13 Jahren wurde er somit von seiner Familie getrennt und lebte die folgenden ca. fünf Jahre lang in Eton. Wichtige Teile des damaligen Erziehungssystems in solchen Internaten seien damals Angst und Erniedrigung gewesen (DER SPIEGEL, Nr. 32, 03.08.2019, "Kinder an der Macht", S. 80-84.)

Boris Johnson stand für einen harten Brexit ohne Diskussionen. Er fiel vor dem Referendum vor allem auch durch diverse irrationale Reden und Vergleiche auf. So z.B. als er die Einflussnahme der Europäischen Union mit Hitlers kontinentalen Machtansprüchen verglich. Es ist gut möglich, dass Johnson und sein Wirken die wesentlichen Prozentpunkte beim Wahlvolk für den Brexit erbrachten.

Was in Großbritannien seit dem Referendum (und auch schon davor) passiert, kann – und das wohl nicht nur in meinen Augen – nur noch als irrational und neurotisch bezeichnet werden.
Was ist eigentlich, wenn die EU und ihre Institutionen symbolisch für „Eltern“ stehen, für Vater und Mutter (siehe ausführlich zu solcher Symbolik den Beitrag hier)? Was, wenn die Ängste vor Einflussnahme, Ausbeutung, Abstrafung, Unterdrückung und Bevormundung durch EU-Institutionen eigentlich nur Projektionen aus eigenen Kindheitstagen sind? Wenn man sich unter dieser Prämisse die Reden und Verhaltensweisen in Großbritannien anschaut, dann wird einiges deutlicher.


Siehe ergänzend auch: Brexit - "Warum nicht auch mal im Kollektiv Amok laufen?" Oder: Die Identitätskrisen von Nationen

Montag, 8. April 2019

Rechte Politiker, rechte Wähler und Kindheit


Der australische, rechte Senator Fraser Anning hatte im März 2019 nach einer Ei-Attacke auf ihn durch einen 17-Jährigen diesen zweimal geohrfeigt (der Fall ging durch viele Medien) und wäre wahrscheinlich noch weiter auf ihn losgegangen, wenn er nicht von einigen Männern (wohl seine Mitarbeiter) gestoppt worden wäre. Das alleine spricht schon Bände, wenn ein gestandener, großer Mann derart auf einen "kleinen" 17Jährigen (dieser war eher schmächtig) losgeht.
Im Rückblick sagte Anning: "Der Typ kam von hinten. Das war dumm. Da hat er eben eine Ohrfeige bekommen. Die hätte ihm seine Mutter schon viel früher verpassen sollen." (ca. Minute 5:18, ARD-Weltspiegel vom 24.03.2019, "Neuseeland/Australien: Suche nach Wurzeln für den Rassismus?")

Wenn solche Menschen sich aufregen und sich im Recht fühlen, dann verraten sie manchmal mehr über sich, als ihnen wohl lieb sein dürfte. Anning wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit selbst als Kind durch Elternteile geschlagen worden sein und hat dies ganz offensichtlich als „positiv“ innerlich verdreht und sich mit dem Aggressor identifiziert. Gewalt gegen Kinder würde diese zu besseren Menschen machen, die sich dann später im Leben benehmen könnten und nicht einfach Eier auf Politiker werfen, so könnte man seine Aussage interpretieren. Wer solche Ansichten verinnerlicht hat, wird nicht automatisch zum rechten Politiker. Aber rechte Politiker als solche zeigen auffällig häufig durch Ihr Verhalten und ihr Reden (und auch ihre Ausstrahlung), wie sehr sie mit autoritärem Denken identifiziert sind. Je rechter oder besser gesagt je rechtsextremer Menschen sind, desto deutlicher können auch destruktive Kindheitserfahrungen in wissenschaftlichen Befragungen nachgewiesen werden (ich habe dazu mehrere Studien in meinem Buch besprochen und einige davon auch hier im Blog besprochen).

Es gibt noch mehr Fälle, die ähnlich gelagert sind:

Stephen Bannon, der extrem rechte, ehemalige Berater von Donald Trump, hat 2016 erklärt, dass psychische Gesundheitsprobleme durch ein Mehr an Schlägen gegenüber Kindern zu „heilen“ wären. “I’ve got a cure for mental health issue[s],”, sagte Bannon: “Spank your children more.” (huffpost.com, 15.11.2016, „Steve Bannon’s Cure For Mental Illness? 'Spank Your Children More'. Are we surprised?“ - von Lindsay Holmes und Daniel Marans) Überdeutlich zeigt sich hier, wie solche extrem destruktiven Akteure mit der Macht und dem Aggressor identifiziert sind und wie ihnen jegliches Mitgefühl fehlt.

Der ultrakonservative „Teaparty“-Anhänger Ted Cruz hat während des Wahlkampfes 2016 (er selbst trat als Präsidentschaftskandidat an) ohne Hemmungen öffentlichen erklärt, dass er seine 5jährige Tochter schlägt, wenn diese ihn z.B. anlügt. Mehr noch: Er hat diese „Straf-Erziehungsform“ auf die Politik übertragen und dazu aufgerufen, Hillary Clinton genauso abzustrafen:
„We do know Hillary told her daughter Chelsea, well gosh, I knew it was a terrorist attack, while we were out telling the American people it wasn't. You know I'll tell you, in my house, if my daughter Catherine, the five-year-old, says something she knows to be false, she gets a spanking." Und er fügte an: "Well, in America, the voters have a way of administering a spanking," (The Washington Post, 08.01.2016, „Cruz: I spank my daughter when she lies — voters can ‘administer…a spanking’ to Hillary Clinton“ - von Karen Tumulty)
Die Wähler sollten Hillary Clinton symbolisch körperlich dafür bestrafen (in diesem Fall durch Nicht-Wahl von ihr), dass sie in den Augen von Cruz gelogen (es ging dabei um den Bengasi-Anschlag 2012) habe. Man muss diesen Fall wohl nicht weiter kommentieren, er spricht für sich.

Grundsätzlich zeigen sich in den USA Zusammenhänge zwischen Zustimmungsraten zu Körperstrafen gegen Kinder und Mehrheiten für die Republikaner (klassisch in den südlichen Staaten) bzw. Trump Wählern (siehe dazu z.B. „Americans’ Opinions On Spanking Vary By Party, Race, Region And Religion“ oder „Millennials like to spank their kids just as much as their parents did“). Zufall?  Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster hat dazu viel in seinem aktuellen Buch „Erziehung prägt Gesinnung“ geschrieben, das ich demnächst besprechen werde. Politik und Kindheit, Kindheit und Politik, diese Dinge müssen in ihrer Verzahnung dringend weiter analysiert werden.