Dienstag, 25. August 2020

Wie Peter Lustig mit "Löwenzahn" Kinder und vor allem Jungs geprägt hat

Derzeit schaue ich mit meinen Kindern hin und wieder die Sendung „Löwenzahn“ (mit Peter Lustig). Die Sendung ist auch heute noch sehr sehenswert und hat mich (wie so viele Kinder meiner Generation, ich wurde 1977 geboren) in den 1980er Jahren sehr geprägt und begeistert. 

In meiner Arbeit habe ich mich immer wieder mit den Folgen von destruktiver Erziehung und Elternschaft befasst. Ich möchte heute einen Wink in eine weitere Richtung geben. Die Väter und älteren Männer, die meine Generation (also die „Sesamstraßen- und Löwenzahngeneration“, wie ich uns bezeichne) erlebt und zum Vorbild hatten, waren meist Kriegs- oder Nachkriegskinder. Sie waren es gewohnt, sich durchzukämpfen und Schwächen abzuwehren oder zu vergraben. Mit ihren eigenen Eltern hatten sie nie echten Austausch und Lockerheit erlebt. Und dies waren auch noch Männer, die noch nah an der traditionellen Männlichkeit sozialisiert wurden (auch wenn es schon damals Stück für Stück Entwicklung und Fortschritt bzgl. der Geschlechtsrollen gab). Geduld, Schwächen oder Fehler eingestehen, Reden auf Augenhöhe mit Kindern usw. waren nicht so ihr Ding. Das Lustige ist, dass der 1937 geborene Peter Lustig so gar nicht die Männlichkeitsbilder seiner Generation erfüllte! Vielfach ist berichtet worden, dass Peter Lustig privat genau so war, wie in seiner Sendung. Aber selbst wenn dies nicht so gewesen wäre: Für mich zählt in diesem Beitrag nur, was er in der Sendung „Löwenzahn“ darstellte und den Kindern mit auf den Weg gab. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Kinder meiner Generation Peter Lustig nicht nur wegen der Themen und der gut konzipierten Sendung (dessen Autor Peter Lustig auch häufig war) so geliebt haben. Wir staunten auch über die Männlichkeit (und auch Väterlichkeit), die er vorlebte! Er war immer ruhig und höflich, nie auf Kampf oder Feindschaft aus. Seinen Mitmenschen (vor allem sein Nachbar), die viele Fehler machten und sich destruktiv verhielten, begegnete er mit Toleranz und zeigte ihnen durch sein Verhalten, wie es auch gehen könnte. Er wehrte weder Ideen, noch Menschen ab. Er zeigte ständig offen seine Schwächen (z.B. schmeckte der selbst gemachte Kakao einfach furchtbar), aber auch seine Lernbereitschaft aus gemachten Fehlern während seiner Entdeckungsreisen. In der Sendung sprach er stets die Kinder vor dem Fernseher direkt an und das machte er auf eine sehr zugewandte, väterliche, ernstnehmende Weise und auf Augenhöhe. 

Menschen wie Peter Lustig verändern etwas in der Welt. Sie zeigen durch ihr Vorbild, wie es auch gehen kann. Sie wirken durch sich selbst. Es ist nicht zu unterschätzen, was solche Männer für Wirkungen erzielen. Ich bin sicher, dass vor allem viele Jungs aus meiner Generation ein Stück weit etwas mitgenommen haben von Peter Lustig. Etwas, das sie bestenfalls selbst in ihr eigenes Mann- und auch Vatersein einbauen konnten. 


Donnerstag, 20. August 2020

Kurze Info: Beiträge im Blog und auf Twitter

Liebe Leute,

obwohl ich soziale Medien immer gerne als "Zeiträuber" bezeichne, weil dort oft viel Zeit durch Nebensächlichkeiten verschwendet wird (und auch die Eitelkeit im Menschen stark angesprochen wird, weil mensch nach Followern giert) und mir auch nicht gefällt, dass zu viele Daten über mich gesammelt werden, muss ich doch zugeben, dass Twitter ein für mich nützliches Werkzeug darstellt. Seit Februar bin ich auf Twitter und habe mich dort langsam warm gelaufen. 

Mein Twitter-Account ergänzt meine Arbeit hier im Blog. Dort kann ich kurze Infos, die ich entdeckt habe, nicht nur verbreiten, sondern auch für mich selbst festhalten (und dann ggf. später wieder darauf zurückgreifen). Eine neu entdeckte Studie hier im Blog zu besprechen, kostet mehr Zeit, als wenn ich kurz auf Twitter darauf verweise. Allerdings bleibt Twitter oberflächlich, was ich an den Statistiken sehe. Selten werden dort Links von den Leuten angeklickt, nur die Kurznachricht wird gelesen. Typisch Social Media :-). 

Meinen Blog verstehe ich mittlerweile als Gesamtwerk, das sich im Inhaltsverzeichnis widerspiegelt. Ich bin weiterhin bemüht, Kindheitsbiografien, Studien und auch wesentliche Gedanken systematisch zu sammeln und im Inhaltsverzeichnis unterzubringen. Wer allerdings auf dem Laufenden bleiben möchte, was ich sonst noch so entdecke, der muss auf mein Twitter-Account schauen. Ich bin sehr bemüht, auch auf Twitter möglichst nur relevante Infos unterzubringen und die Zeit der Leserschaft nicht zu verschwenden. 

Herzliche Grüße

Sven Fuchs

Dienstag, 18. August 2020

Belarus. Was sagen uns Daten zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder über die aktuelle politische Situation und zukünftige Entwicklungen?


Belarus ist nach den Wahlen und Massendemonstrationen aktuell Thema in vielen Medien. Um die Lage und auch mögliche (zukünftige) Krisen (inkl. potentieller Bürgerkriegsgefahr) besser einschätzen zu können, habe ich mir Daten zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in dem Land angeschaut. Das mag für Außenstehende natürlich ein ungewöhnlicher Schritt sein (zumindest wenn man nicht mit der Psychohistorie vertraut ist). Ich bin allerdings überzeugt davon, dass solcher Art Daten Rückschlüsse auf gesellschaftliche Entwicklungen zulassen. Letztlich geht es darum, das „Traumapaket“ des Landes einzuschätzen. Traumatisierungen in der Kindheit sind eine gewichtige Ursache von späteren destruktiven Verhalten, aber auch von Ohnmachtsgefühlen, von dem Gefühl ja eh nichts in der Welt bewegen zu können. In der Folge steigt das Risiko, dass Menschen sich Machtmenschen ergeben, unterordnen oder sich sogar als deren Gehilfen anbieten (Ohnmachtsgefühle sind bei der Analyse von Diktaturen ebenso bedeutsam wie die Täterpotentiale). 

Oder einmal anders gesagt und auf den Punkt gebracht: Wenn ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung eines Landes in der Kindheit im Elternhaus „Demokratie“ erlebt hat (keine absolute Autorität der Eltern, keine Gewalt, kein Machtmissbrauch, sondern Kommunikation und Verhandlung + echte Beziehungen) dann werden solch geprägte Menschen eine tiefe Abneigung gegen gesellschaftlich autoritäre oder gar diktatorische Strukturen empfinden. Wenn sich diese Abneigung Bahn bricht, indem sich plötzlich tausende Menschen offen äußern und auf die Straße gehen, dann kommen Dynamiken in Gang, die nicht mit einem Bürgerkrieg enden werden. Die emotional/psychische Struktur dieser so geprägten Menschen verlangt nach Veränderungen und Demokratie (so wie es zu Hause erlebt wurde), ohne gleichzeitig von innerem Hass durchzogen zu sein, der zum chaotischen Umsturz der Gesellschaft führt. In vielen arabischen Ländern haben wir in den letzten Jahren gesehen, dass der Wunsch nach Veränderung in Krieg und Chaos mündete. Das „Traumapaket“ in diesen Ländern ist aber auch extrem hoch. Die Frage ist jetzt, wie es in Belarus aussieht. 

Glücklicherweise gibt es drei MICS-Studien (aus dem Jahr 2005, 2012 und 2019), die direkt miteinander vergleichbar sind. Ich beziehe mich nachfolgend nur auf den Bereich der Gewalt gegen Kinder. Die Daten zeigen einen überdeutlichen Fortschritt in dem Land und ein deutliches Weniger an Gewalt gegen Kinder. Schwere körperliche Gewalt kommt zudem verhältnismäßig selten vor (das sieht in arabischen und afrikanischen MICS-Studien ganz anders aus).  

Hier die Daten (diese zeigen das Gewaltverhalten von Eltern/Erziehungspersonen im Haushalt gegen Kinder - 2 bis 14 Jahre - innerhalb von 4 Wochen!): 

MICS-2019 (Belarus 2019. Child Discipline - Snapshot)
  • Körperliche und/oder psychische Gewalt: 57 %
  • Nur körperliche Gewalt: 26 %
  • Besonders schwere körperliche Gewalt: < 1 %
  • Nur psychische Gewalt/Aggression: 51 %
  • 9  % der Eltern/Erziehungsberechtigten glauben, dass Körperstrafen gegen Kinder notwendig sind

  • Körperliche und/oder psychische Gewalt: 64,5 %
  • Nur körperliche Gewalt: 34,2 %
  • Nur psychische Gewalt/Aggression: 58,7 %
  • 7,9 % der Eltern/Erziehungsberechtigten glauben, dass Körperstrafen gegen Kinder notwendig sind

MICS-2005 (Republic of Belarus. Multiple Indicator Cluster Survey 2005, veröffentlicht 2007, S. 41, 93)
  • Körperliche und/oder psychische Gewalt: 82,6 %
  • Nur körperliche Gewalt: 49,4 %
  • Besonders schwere körperliche Gewalt: 2,1 %
  • Nur psychische Gewalt/Aggression gegen Jungen: 80,5 %
  • Nur psychische Gewalt/Aggression gegen Mädchen: 73,6 % 
  • 15,2 % der Eltern/Erziehungsberechtigten glauben, dass Körperstrafen gegen Kinder notwendig sind
Der positive Trend bzgl. des Umgangs mit Kindern zeigt sich überdeutlich! Körperliche Gewalt gegen Kinder hat sich zwischen 2005 und 2019 fast halbiert. Psychische Gewalt/Aggression sank im gleichen Zeitraum von 80,5 bzw. 73,6 % auf 51 %. Dabei darf nicht vergessen werden, dass dies auch etwas über die aktuelle Erwachsenengeneration aussagt. Denn diese verhält sich gegenüber dem Nachwuchs immer gewaltfreier, was auch etwas über die emotionale Reife der Erwachsenen aussagt. 

Das Land ist also auf dem Weg, die Kindheit immer mehr zu demokratisieren. Dass daraus auch politische Veränderungen folgen, ist für mich keine Überraschung. Beides ist miteinander verzahnt. 

Schaut man sich abschließend die UNICEF Studie "Hidden in Plain Sight" (2014, S. 96f.) an (für die MICS-Daten ausgewertet wurde), dann zeigt sich, dass Belarus damals bzgl. dem Gewaltverhalten gegen Kinder ca. auf dem Niveau der Ukraine lag. In der Ukraine gab und gibt es bekanntlich in Teilen des Landes bürgerkriegsähnliche Zustände (wenn auch mit Opferzahlen, die bei weitem nicht an die welchen z.B. in Syrien oder einigen afrikanischen Ländern heranreichen, in denen Bürgerkrieg herrschte bzw. herrscht). Nun wird ein Bürgerkrieg nicht nur durch die Kindheitserfahrungen der Bevölkerung befeuert, sondern auch durch andere Entwicklungen und Einflüsse. In Belarus will die Bevölkerung bzw. ein erheblicher Teil davon den Diktator weg haben. In der Ukraine gab es ganz andere Hintergründe. Vom "Traumapaket" her ist Belarus mehr belastet als z.B. Deutschland. Allerdings sehe ich auch die Chancen, die sich aus der oben gezeigten Demokratisierung von Kindheit in dem Land ergeben. Vor allem langfristig wird sich dadurch in dem Land viel zum Positiven verändern. Vom Gefühl her gepaart mit den o.g. Daten würde ich also sagen, dass Belarus vermutlich nicht in Chaos und Gewalt versinken wird. Trotzdem wird es vermutlich Opfer geben und auch Krisen. Wir werden aber keine Situation wie z.B. in Syrien erleben.  

Ein Diktator hat langfristig keine Chance, wenn die Mehrheit der Bevölkerung in ihren Familien demokratisch erzogen wurde! 

Über die Kindheit des Diktators Alexander Lukaschenko habe ich übrigens nicht viel gefunden. Allerdings deuten sich schwere Problemlagen und auch Verletzungen an: "In gewisser Hinsicht gleicht sein Leben dem Märchen von Aschenputtel. 1954 als unehelicher Sohn einer Melkerin geboren, erlebte er in der Kindheit nicht nur Armut, er musste auch schiefe Blicke ertragen. Später wird er behaupten, sein Vater sei als Soldat im Krieg gefallen" (TagesWoche, 09.10.2015: Der stolze Diktator Lukaschenko strebt einen überwältigenden Wahlsieg an). Und: "Born in the village of Kopys in 1954, Mr Lukashenko had an unhappy childhood, taunted by his peers for having an unmarried mother"  (Telegraph, 25.09.2008: Alexander Lukashenko: Dictator with a difference). Ich fand allerdings keine Informationen darüber, wie seine alleinerziehende Mutter mit ihm umging. 

Freitag, 14. August 2020

Fünfachmord in Kitzbühel: Wirklich alles "normal" in der Kindheit des Täters?

Andreas E. hat seine Ex-Freundin, deren Freund und die Familie (Vater, Mutter, Bruder) der Ex-Freundin eiskalt getötet. Auslöser war wohl die Trennung, erneute Zurückweisungen durch seine Ex-Freundin und ihr neuer Freund. 

Der Täter habe eine behütete und schöne Kindheit gehabt, heißt es in vielen Medien. Der SPIEGEL schreibt aktuell: „E. ist kein Einzelgänger und kein Psychopath. Er wurde nicht gemobbt oder misshandelt. Er nimmt keine Drogen (…). Seine Eltern sind seit 37 Jahren verheiratet, er wurde als Kind nicht traumatisiert“ (Der Spiegel, Nr. 33, 08.08.2020: „Nicht ohne dich“, S. 51; online siehe den entsprechenden Artikel hier). Außerdem sei er finanziell abgesichert und hatte Pläne für sein Leben. Die Gutachterin Adelheid Kastner hat Andreas ausgiebig befragt und sie hat auch Tests durchführen lassen, um neurologische Schäden auszuschließen. Fazit: Bei Andreas ist alles normal und wunderbar. Im Untertitel des SPIEGEL-Artikels heißt es dann auch: „Eine Tat, die umso rätselhafter wird, je mehr man über sie weiß“ (S. 50). 

Für den SPIEGEL war der Fall offenkundig nicht nur auf Grund der Brutalität und des Fünfachmordes von Interesse. Die Story wurde besonders gerade dadurch, dass Andreas so normal und gesund dargestellt wurde. Keine Erklärung für eine solche Tat zu finden, gruselt uns Menschen zutiefst. Und ja, so etwas wird auch gerne gelesen. 

Dabei gibt es im SPIEGEL-Artikel auch leichte Hinweise in eine andere Richtung, die aber nicht weiter mit Fragezeichen versehen wurden. „Seine Mutter habe es jedem recht machen wollen, sein Vater habe ihm vor Urlauben ab und zu eine Watschn gegeben, weil er, der Vater, vor lagen Autofahrten so nervös gewesen sei. Ansonsten sei seine Kindheit problemlos verlaufen“ (Der Spiegel, wie oben, S. 52). Nun lese ich aus dieser Schilderung keine Misshandlung sondern leichtere Gewaltformen heraus. Allerdings wird von „Urlauben“ gesprochen und Andreas wird entsprechend nicht nur einmal geschlagen worden sein. Für mich ergibt sich daraus die Frage, ob auch in anderen Situationen Gewalt angedroht oder angewendet wurde? Das gilt besonders auch für die Kleinkindzeit (an die Andreas keine Erinnerungen haben kann), die Eltern nervlich vor manche Herausforderungen stellt. Wenn einem Vater eine anstehende Urlaubsreise derart belastet, dass er seinen Sohn ohrfeigt, wie ging er dann mit einem schreienden und trotzigen Kleinkind um? Eine Mutter, die es „allen recht machen“ will, macht mich ebenfalls hellhörig. Ergänzend hellhörig machte mich die Schilderung (ebenfalls im SPIEGEL berichtet), dass Andreas nach seinem Schulabschluss zunächst herumdriftete, u.a. eine Henne stahl und ihr mit einer Machete den Kopf abschlug. Junge Männer machen viel Mist, wenn sie Langeweile haben. Aber ein Tier aus Langeweile töten?

Ich kann die Aussagen im SPIEGEL-Bericht und auch in anderen Medienberichten zu dem Fall so nicht stehen lassen! Es gibt viele Möglichkeiten, um Kinder derart zu belasten, dass sie emotional abstumpfen oder sich spalten müssen. Dafür braucht es nicht unbedingt körperliche Misshandlungen oder auffällige Traumatisierungen.  "Wer mit viel Liebe und gewaltfrei erzogen wird, kommt mit solchen Schicksalsschlägen klar. Der leidet auch, aber bringt niemanden um“, sagte der Kriminologe Christian Pfeiffer mit Blick auf den Fünffachmord in Kitzbühl und den Täter Andreas A. (Rtl.de, 12.08.2020, Kriminologe Christian Pfeiffer: „Es muss etwas im Dunkeln liegen“) Und Pfeiffer mahnt mit Blick auf die Kindheit von Andreas: „Es muss etwas im Dunkeln liegen.“ So sehe ich das auch!

Was übrigens bisher gar nicht zur Sprache kam ist, wie Männlichkeit in der Familie und in dem Umfeld von Andreas definiert wurde. Welche Männlichkeitsnormen herrschten dort? Andreas arbeitete auf dem Bau als Maurer und kam in Kontakt mit einem sehr rauen Jargon (siehe ebenfalls den o.g. SPIEGEL-Bericht). Aber das alleine reicht nicht aus. Eine männliche Sozialisation ist, wenn sie traditionell daherkommt (also Weichheit und Emotionen ablehnt und für Härte und starke Männlichkeit wirbt), an sich eine Verletzung des männlichen Kindes und prägt dessen emotionale Entwicklung. Und sie entwertet gleichzeitig Frauen. Nun: Der Fall wirft in der Tat sehr viele Fragen auf. Was mir nicht reicht ist das Fazit: „Kindheit und Umfeld gut = Tat unerklärlich“ 

Donnerstag, 13. August 2020

4 Rechtsextremisten und ein 1 Islamist = 5 "Einzelfälle", die bzgl. Kindheitshintergründen typisch sind.


Ich habe 4 rechtsextremistische Einzelfälle und einen Fall eines Islamisten recherchiert. Die gezeigten Kindheitshintergründe findet man so oder so ähnlich immer wieder bei der Betrachtung von weiteren "Einzelfällen" sowie auch in etlichen Extremismusstudien mit höheren Fallzahlen, die ich hier im Blog oder in meinem Buch besprochen habe. Für mich besonders interessant sind hier auch die Quellen für die Rechtsextremisten. Denn die AutorInnen haben einen psychologischen bzw. psychoanalytischen Hintergrund und nutzen die Einzelfälle teils für umfassende (psychiatrische oder psychoanalytische) Analysen und Anmerkungen, die ich hier nicht wiedergeben kann. Ich empfehle Interessierten eine vertiefende Lektüre. 

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Verwendete Quelle: Bielicki, J. S. (1993): Der rechtsextreme Gewalttäter. Eine Psycho-Analyse. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg.

Fallbeispiel Hans-Jürgen M., rechtsextremer junger Mann aus der psychoanalytischen Praxis (Bielicki 1993, S. 111-118):

Hans-Jürgen M. beschreibt seinen Vater als schwachen Menschen und Waschlappen, der es in seinem Leben nie zu etwas gebracht habe. Zudem sei der Vater häufig abwesend gewesen und er hätte nicht viel von ihm gehabt. Der Vater habe auch öfter Alkohol getrunken und seinen Sohn dann manchmal verprügelt. Auch der Großvater väterlicherseits sei ein brutaler Mensch gewesen, der Frau und Kinder (also auch den Vater von Hans-Jürgen) geschlagen habe. 

Seine Mutter beschreibt Hans-Jürgen als kaltherzig und egoistisch. Sie sei in der Familie die dominierende Figur gewesen. Auch sie habe ihn geschlagen (auch manchmal einfach so, weil sie schlecht drauf war) oder sie habe ihn stundenlang, auch im Winter, im Kohlenkeller eingesperrt. Trotz all dieser Schilderungen meint Hans-Jürgen, dass seine Eltern weder besonders streng, noch besonders konsequent gewesen wären.

Als Hans-Jürgen ca. 1 Jahr alt war, zog sich die Mutter einen komplizierten Bruch zu und musste ein dreiviertel Jahr ins Krankenhaus. Während dieser Zeit hätten sich abwechselnd die Großmutter und zwei verschiedene Tanten um ihn gekümmert. Er selbst habe keine Erinnerungen an diese Zeit. Die Familienatmosphäre sei angespannt gewesen und die Eltern hatten oft Streit und hätten sich dann angeschrien. Als Kind sei er eher schüchtern gewesen und sei oft von anderen Kindern verprügelt worden. Der weitere Lebensweg von Hans-Jürgen ist von Destruktivität gekennzeichnet: Arbeitslosigkeit, Angststörungen, Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken, Gewalt gegen die Lebensgefährtin, rechtsextreme Gesinnung, Straftaten und Gefängnisaufenthalt. 

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Verwendete Quelle: Streeck-Fischer, A. (1999): Über die Mimikryentwicklung am Beispiel eines jugendlichen Skinheads mit frühen Erfahrungen von Vernachlässigung und Misshandlung. In: Streeck-Fischer (Hrsg.): Adoleszenz und Trauma. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen. S. 161-173. 

Fallbeispiel „Bernd“ (rechter Skinhead) aus der stationären Behandlung (Streeck-Fischer 1999, S. 167-171): 

Bernd war bis zu seinem 6. Lebensjahre diversen Traumatisierungen ausgesetzt. Die ersten 3 Lebensjahre verbrachte er bei seiner Herkunftsfamilie. Die Mutter war unzuverlässig und lebensunfähig. Der Vater neigte sehr dem Alkohol zu und war gewalttätig. Das Jugendamt veranlasste eine Heimunterbringung. Dieses Heim wurde allerdings wegen verwahrloster und pädagogisch fragwürdiger Bedingungen geschlossen, als Bernd 6 Jahre alt war. Was er in diesem Heim alles erlitten hat, wird nicht deutlich. Er kam dann zu Adoptiveltern. Ab dem 13. Lebensjahr kam er durch einen Freund immer mehr in Kontakt mit Gewaltfantasien und rechtsextremen Einstellungen. Seine oberflächlich gute Anpassung an die Lebensbedingungen brach in der Folge zusammen. 

Bezugnehmend auf Winnicott spricht Streeck-Fischer von einem „falschen Selbst“, das Bernd bedingt durch die Traumatisierungen entwickelt hätte. Bernd reinszenierte ein frühes Beziehungsmuster bzw. seine abgespalteten Selbstanteile kamen als Jugendlicher zum Vorschein. Die Analyse von Streeck-Fischer ist komplex (und sehr interessant) und kann hier nicht gänzlich besprochen werden. Nur ein Zitat: „Mit seinem Angleichungsselbst entwickelte er zwei Leben. Er lebte mit seinem Angleichungsselbst in der Erwachsenenwelt und in der Rechtsextremenszene. Die Anziehungskraft, die für Bernd von der rechtsextremen Gruppierung ausging, die von Gewalt und antisozialen Einstellungen geprägt waren, hatte einerseits mit der inneren Vertrautheit dieses Gewalt- und Demütigungsmilieus durch frühe Kindheitserfahrungen zu tun, zum anderen fand er hier eine äußere Lösung für seinen inneren Notstand. Er begegnete dort der Doppelgesichtigkeit seines bedrohlichen inneren Objekts, das bedingungslose Unterwerfung und Angleichung fordert und ihn zugleich einen Austragungsort für seine abgespaltenen fremden Selbst-Objektanteile ermöglichte, die er im Hass gegen Ausländer kanalisierten und kontrollieren konnte“ (Streeck-Fischer 1999, S. 171). 

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Verwendete Quelle: Schmidt, B. (1996): Psychoanalytische Überlegungen zur rechtsextremistischen Orientierung männlicher Jugendlicher. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 45 (1996) 10, S. 370-374. 

Der Fall A. (rechtsextremer, gewaltbereiter Jugendlicher mit schwerer Persönlichkeitsstörung, der psychotherapeutisch behandelt wurde):

Der Vater war bis zum 9. Lebensjahr von A. überwiegend abwesend und auf Montage. Danach arbeitete der Vater als LKW-Fahrer. Der Vater hatte Alkoholprobleme. Im Alter von 2 oder 3 Jahren drohte deswegen die Ehe der Eltern von A. zu zerbrechen. Der Vater „ist konfliktscheu und bezieht bei Problemen keine Stellung, unter Alkoholeinfluss wird er jedoch schnell jähzornig und aggressiv. Statt zu reden schlägt er dann auch gelegentlich zu. Er entzieht sich bei wichtigen familiären Entscheidungen und überlässt diese der Mutter. (…) Frauen sind für den Vater Zweite-Klasse Menschen. Er hat auch etwas gegen Ausländer, die er für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich macht“ (Schmidt 1996, S. 371). 

Der Großvater väterlicherseits wird von A. stark idealisiert und als Held verehrt. Der Großvater sei rechts eingestellt und auch gegen Ausländer gewesen. Besonders schockierend, aber für die den Umgang in dieser Familie wohl bezeichnend, ist die erste Kindheitserinnerung von A. (er war damals ca. 7 Jahre alt): Sein Vater hatte zusammen mit einem Freund einen Ziegenbock geschlachtet und den Kopf des Tieres auf einen Ameisenhaufen gelegt. „Der abgefressene Kopf wurde ihm dann lächelnd vom Vater vor das Gesicht gehalten“ (Schmidt 1996, S. 371). Die Mutter wird als sehr dominant in der Familie beschrieben. Die Beziehung zwischen ihr und ihrem Sohn sei durch einen frühen Mangel an emotionaler Versorgung bei gleichzeitiger Verwöhnung gekennzeichnet. Die Eltern hätten sich beide bekämpft, die Familienatmosphäre sei aggressiv gewesen. 

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Verwendete Quelle: Kahl-Popp, J. (1994): ,Ich bin Dr. Deutschland." - Rechtsradikale Phantasien als verschlüsselte Kommunikation in der analytischen Psychotherapie eines Jugendlichen. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 43 (1994) 7, S. 266-272.

Der Fall „Paul“ (rechtsextremer Jugendlicher in psychoanalytischer Behandlung): 

Seit der Geburt von Paul war der Vater ständig untreu, was die Ehe der Eltern erheblich belastete. Die Vater-Sohn Beziehung war durch Ambivalenz geprägt. „Paul charakterisiert die Beziehung des Vaters zu ihm als ständiges Wechselbad zwischen Idealisierung, Verwöhnung, Entwertung, und der Drohung, ihn und die Familie zu verlassen. Der Vater reagiere selbst mit Wut und Gewalt, um Pauls Anpassung zu erzwingen, wenn er sich z B durch die rechten Parolen und Attribute Pauls provoziert fühle (…)“ (Kahl-Popp 1994, S. 267). 

Die Mutter war latent depressiv und ließ sich vom Vater ausbeuten und abwerten. Sie konnte schlecht Grenzen setzen und verwöhnte ihren Sohn. Paul fühlte sich oft von ihr gefangen. Die Autorin meint, dass beide Eltern ihren Sohn narzisstisch missbraucht hätten. Pauls Eltern sind beide Akademiker, geben sich linksliberal, weltoffen und ausländerfreundlich. Nach außen hin also eine „perfekte“ Familie, was dem realen Inneren nicht entsprach. 

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Verwendete Quellen: 

Behr, S. (2018, 02. Nov.): Islamist vor Gericht. "Wir leben hier ja nicht in einem Kalifat". Frankfurter Rundschau online. 

Dantschke, C.; Mansour, A., Müller, J. & Serbest, Y. (2011): "Ich lebe nur für Allah". Argumente und Anziehungskraft des Salafismus. Eine Handreichung für Pädagogik, Jugend- und Sozialarbeit, Familien und Politik. ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, Berlin.

Der Fall Harry M.; Gründer einer islamistischen Internetseite, auf der er Propaganda u.a. für den IS oder Anleitungen zum Bombenbau verbreitete (siehe näheres über ihn in einem SPIEGEL TV Porträt).

Der Fall Harry M. ist laut dem Autorenteam Dantschke et al. (2011) ein "typischer Fall" für eine Radikalisierung. Dazu gehört auch eine sehr destruktive Kindheit. Seinen Vater kenne er nicht, dieser habe die Familie verlassen, als Harry 2 Jahre alt war. Mit der Mutter (diese ist im o.g. SPIEGEL Porträt auch kurz zu hören und zu sehen) gab es offenbar ständig Probleme; als Harry 13 Jahre alt war, schmiss sie ihn raus. "Harry übernachtete mal hier, mal dort, schlug sich irgendwie durch" (Dantschke et al. 2011, S. 74). Er nahm Dorgen und Alkohol zu sich, um sich zu beruhigen. Mit 16 Jahren schmiss er die Schule und kam dann durch einen Schwager mit dem Islam in Verbindung. Verschiedene islamistische Prediger prägten in der Folge den jungen Mann für seinen weiteren Weg in die Radikalität. 

Behr (2018) spricht ebenfalls die destruktive Kindheit von Harry an und schließt mit: "Sein Werdegang im Schnelldurchlauf: Heimaufenthalte, Drogenexzesse, Blitzradikalisierung. Harry M. machte sich in der Salafistenszene schnell einen Namen".  



Donnerstag, 6. August 2020

Der Fall Stephan Ernst entwickelt sich zu einem Paradebeispiel


Der Fall Stephan Ernst entwickelt sich langsam zu einem Paradebeispiel in vielerlei Hinsicht! 

Der Fall ist für mich „klassisch“  in dem Sinne, dass durch den aktuellen Prozess weitere Details über seine Kindheit an die Öffentlichkeit kommen. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass ich bzgl. solcher Art Täter Details zu destruktiven Kindheitserfahrungen fand, die sich im Laufe der Zeit - durch neue Berichte oder weitere vertiefende Recherche durch mich - immer schlimmer darstellten. Die destruktive Kindheit von Stephan Ernst hatte ich hier im Blog bereits am 24.06.2019 besprochen. Am Ende schrieb ich: „Wie so oft bei solchen Fällen gehe ich davon aus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Wer aus Angst vor dem eigenen Vater mit einem Messer im Bett schläft, der wird vorher Etliches erlebt und erlitten haben. Sollte Stephan Ernst erneut begutachtet werden, werden wir evtl. noch ein erweitertes Bild über seine Kindheit erhalten.“

Und so kam es jetzt auch: Stephan Ernst hat aktuell (siehe dazu SPIEGEL-Online, 05.08.2020: Prozess nach Lübcke-Mord. Das neue Geständnis des Stephan Ernst von Julia Jüttner) im Prozess eine Kindheit voller Angst vor dem Vater beschrieben. Der Vater prügelte ihn und auch die Mutter wegen Nichtigkeiten und willkürlich. Nach der Prügel musste Stephan oft drei oder vier Stunden still auf einem Stuhl verharren, bis der Vater ihn zum Alkoholholen schickte. Die Infos über diese körperliche und auch psychische Gewalt sind neu, aber leider wenig überraschend. Seine Kindheit sei eine „Hölle aus Gewalt, Jähzorn und Einsamkeit“ gewesen. Seinen Vater habe er gehasst und gleichzeitig um dessen Liebe gebuhlt. 

Diese Kindheitshintergründe müssen sehr ernst genommen und auch sehr betont werden, gerade weil dies kein Einzelfall ist. Vielmehr zeigt die Studienlage, dass Rechtsextremisten i.d.R. stark als Kind belastet wurden, oft auch in der Art und Weise, die Ernst beschreibt.  

Dieser Fall ist aber auch ein Paradebeispiel in einer anderen Hinsicht. Denn Ernst und sein Verteidiger waren offensichtlich bemüht, die Radikalisierung dieses Menschen, die bis zum Mord von Walter Lübcke führte, zu erklären. Für die Familie von Walter Lübcke war dies unerträglich. Laut deren Anwalt würde es die Familie Lübcke zerreißen, dass der Hauptangeklagte sich als Opfer einer schwierigen Kindheit und als Opfer einer Radikalisierung darstellt und dann „mehr oder weniger der Eindruck entsteht, als ob so etwas in einer so furchtbaren Tat enden muss. Das ist für die Familie ganz ganz schrecklich, das hier heute miterleben zu müssen (…)“. 

Das ist genau die Gratwanderung, die mir persönlich auch immer wieder Bauchschmerzen bei diesem Thema macht. Ich sehe aber auch die Lösung: Wir dürfen Kindheitshintergründe nicht als Rechtfertigung oder Entschuldigung für Täterverhalten akzeptieren! Die Familie von Walter Lübcke muss überhaupt nichts verstehen, entschuldigen und einen Radikalisierungsprozess nachvollziehen. Sie hat ihr volles Recht auf Wut, auf Anklage und Ausdruck ihrer Verzweiflung. 

Aber: Wir müssen gesamtgesellschaftlich solche Kindheitshintergründe immer in die Ursachenanalyse mit einbeziehen, sogar als einen sehr gewichtige Punkt. Denn letztlich wollen wir solche Taten zukünftig verhindern. Die Prävention beginnt in der Kindheit! Dies als Gesellschaft zu ignorieren oder nicht zu thematisieren, wäre fahrlässig. Beide Seiten (Präventionsziele der Gesellschaft und Wut der Angehörigen und Opfer) sind beim Blick auf die Kindheiten der Täter nicht miteinander vereinbar und werden es auch niemals sein. Dies gilt noch einmal mehr mit Blick auf Massenmord, Krieg oder Genozid. 

Als Gewaltforscher finde ich es wichtig und wertvoll, neue Erkenntnisse über die Kindheit von Stephan Ernst bekommen zu haben. Als Mensch kann ich gar nicht so viel essen, wie ich brechen möchte, wenn ich seine Einlassungen vor Gericht höre. Es ist in seinem Fall auch nicht das erste Mal, dass er vor Gericht seine destruktive Kindheit erwähnt. Im Sommer 1995 stand Ernst wegen gefährlicher Körperverletzung, Brandstiftung und versuchten Mordes vor dem Landgericht Wiesbaden. Auf seine unglückliche Kindheit und den Alkoholismus des Vaters kam er schon damals zu sprechen (stern.de, 20.06.2019: "Hass auf alles und jeden": Auf den Spuren des Mannes, der Walter Lübcke ermordet haben soll) Verantwortungsvoll wäre es spätestens dann gewesen, in der Folge alle Hilfen und Therapien in Anspruch zu nehmen, die es gibt, um aus diesem Kreislauf der Gewalt auszutreten. Und nicht nur das: Hilfen sind nur Angebote, der Wille, sich zu verändern, muss von jedem Menschen in Eigenverantwortung kommen, sonst bringen alle Hilfsangebote gar nichts. Er hat sich aber für einen weiteren Weg der Gewalt entschieden und dafür muss er jetzt Verantwortung tragen. Zu diesem ganzen Thema habe ich auch bereits etwas in dem Beitrag „Fallbeispiel Beate Zschäpe: Opfer vom Opfer = kein Täter?“ geschrieben. Dies gilt auch hier: Stephan Ernst ist vor Gericht ein Täter, Punkt!

In einem ZEIT-Artikel zum aktuellen Fall Stephan Ernst wurde auch dessen Kindheit besprochen. Ein Leser schrieb im Kommentarbereich (Nr. 26): „Ich kann diese ewig gleiche Leier von der schweren Kindheit nicht mehr hören. Es gibt genügend Menschen, die ebenfalls eine schwere Kindheit hatten und trotzdem keine Menschen verletzen oder töten.“

Hier sind gleich zwei klassische Punkte erwähnt: 

1. Die „ewige Leier von der schweren Kindheit“. Ja, so ist das. Diese Geschichten kommen uns als „ewige Leier“ vor, weil diese Leier nun einmal real ist. Täter, Extremisten, Massenmörder usw. sind das Produkt einer schweren Kindheit. Weil dies so ist, tauchen entsprechende Berichte auch immer wieder auf. Das mag nichts Neues sein und irgendwann gar nerven, aber es bleibt real und relevant. Wir dürfen uns an diese Geschichten nicht gewöhnen, sie als Leier abtun und wegschließen. Wir müssen hinsehen und in der Folge im Hier und Jetzt bei der heutigen Kindergeneration mit Prävention anfangen. 

2. „Nicht alle einst gedemütigten und misshandelten Kinder werden zu Gewalttätern“, dazu habe ich in meinem Buch ein ganzes Kapitel verfasst (S. 341ff) und gleich angemerkt: „Und warum diese Feststellungen keine Gründe dafür sind, Kindheitseinflüsse gering zu reden!“ Meine Argumentation werde ich hier jetzt nicht erneut ausbreiten. Fest steht für mich, dass es darum geht, die Wahrscheinlichkeit für Täterverhalten zu reduzieren. Die Wahrscheinlichkeit für Täterverhalten wird durch massive Verletzungen in der Kindheit nachweisbar stark erhöht. Die vielen Menschen dazwischen, die trotz gleicher Kindheits-Hintergründe keine Täter und Extremisten werden, sind dabei im Grunde fast irrelevant (wobei es über sie auch einiges zu sagen gibt, was ich in dem genannten Kapitel in diesem Kontext auch getan habe). Wir machen aktuell ja auch die ganzen Coronamaßnahmen, obwohl die Mehrheit der Infizierten keine schweren Krankheitsverläufe zeigt.