Samstag, 30. Juli 2011

Die Lust am Bösen

Eugen Sorgs Buch: "Die Lust am Bösen. Warum Gewalt nicht heilbar ist" zieht derzeit Kreise in Buchbesprechungen. Der Autor – selbst Psychotherapeut und früher für das Rote Kreuz in diversen Krisen- und Kriegsgebieten im Einsatz - meint, dass gängige Analyse- und Erklärungsmodelle für Gewalt offensichtlich an der Realität scheitern. Was er entdeckt, sind emotionale Hochgefühle der Täter und Täterinnen, eben die „Lust am Bösen“. Das drum herum, Ideologie und alles andere wird zur Nebensache erklärt. Eugen Sorg schrieb kürzlich für derstandard.at über „die Lust am Bösen“: „Die meisten Menschen berauschen sich nicht an Ideen, sondern sie benutzen Ideen, um ihren Rausch zu legitimieren.“ Ein Satz, den ich nur unterschreiben kann. Aber dann kommt der nächste Satz des Autors: „Wir tragen in uns ein mächtiges Reservoir an aggressiven Impulsen, ein evolutionsgeschichtliches Erbe animalischer Reflexe.“ und am Ende des Textes „Das Böse begleitet die Humangeschichte. Es ist nicht heilbar, nicht umerziehbar, nicht wegfinanzierbar. Es ist die tragische Bedingung der menschlichen Freiheit, man kann es nur abschaffen, wenn man den Menschen abschafft.“ Und das sehe ich nun wieder ganz anders.

Im aktuellen Amnesty Journal 08/09 2011 wird sein Buch kurz besprochen. Der Kritiker beginnt seine Besprechung so: „Was wär, wenn alle Erklärungen, nach denen wir suchen, wenn wir über individuelle und kollektive Gewalt sprechen, die Menschen Menschen antun, gar keine Erklärungen wären? Wenn also Armut, Verzweiflung, Fanatismus, traditionelle Rollenbilder, politische und religiöse Verblendung usw. nur „äußere Umstände“ wären, die zwar einen Rahmen bilden, „der dem Einzelnen den Reaktionsspielraum offen lässt“, aber eben nicht die Ursache der gewaltsamen Handlungen?
Ein Satz, den ich auch so oder so ähnlich hätte schreiben können. Welche Antworten Eugen Sorgs allerdings darauf hat, wurde oben kurz beschrieben. Er scheint sich dabei nicht die Frage zu stellen, WARUM Menschen diesen Rausch, dieses Hochgefühl durch das Quälen und Töten anderer Menschen suchen, ja geradezu brauchen. Ich teile seine Beobachtungen und finde sie sehr interessant bzw. mich bestätigend. TäterInnen empfinden oftmals Freude und Lust an ihren Taten. Dies lässt allerdings nicht auf eine „menschliche Natur zum Bösen“ schließen, sondern darauf, dass emotional eine Menge schief gelaufen sein muss bei diesen Leuten. Eigentlich sollte gerade ein Psychotherapeut darum wissen. Mich erinnert diese Sichtweise an Goldhagens Analyse "Schlimmer als Krieg", die ich hier kommentiert habe. Auch er stellte eine Leidenschaft und Freude bei den TäterInnen fest, zog aber – meiner Meinung nach – falsche Rückschlüsse.

Menschen holen das Opfer in sich hervor, wenn sie zu TäterInnen werden. Sie opfern andere Menschen und fühlen sich dadurch innerlich „befreit“, „geläutert“, „entgiftet“, „gereinigt“, „glücklich“, „mächtig“. Sie verschaffen sich Erleichterung von dem unerträglichen Druck, Schmerz und dem unsäglichen Rachebedürfnis, den das Opfer, das sie einst als Kind waren, in ihnen erzeugt. Wer Kinder schützt, wer Kindern hilft, wer Kindern psychosoziale Betreuung und jegliche Hilfe zukommen lässt, die sie brauchen, der kann etwas gegen „das Böse“ tun. „Das Böse“ wird die Humangeschichte nicht weiter begleiten, wenn Kinder Liebe und Geborgenheit, statt Schläge, Missbrauch und Demütigungen erfahren.

Ergänzung: Kindheit von Ludwig XIII.

Das aktuelle Massaker in Norwegen (siehe vorherigen Beitrag) hat mich noch einmal dazu bewegt, die Kindheit von Ludwig XIII. um einen ausführlicheren Bericht über die von ihm erlittenen sexuellen Übergriffe zu ergänzen (was ich schon länger vorhatte).
König Ludwig war eindeutig ein Massenmörder. Ich finde es besonders wichtig, ausführlich auf Gewalterfahrungen von solchen Menschen einzugehen. Denn Gewalt erleben viele Menschen, aber nicht alle werden zu Massenmördern. Ich möchte deutlich machen, dass es einen Unterschied macht, ob jemand manchmal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ob jemand tagtäglich misshandelt und missbraucht wird. Letzteres trifft auf Ludwig zu.

Mein ergänzter Text unter "3.1. Ein kurzer Abriss über Diktatoren und destruktive Politiker":

----------------------------------------------

Die ersten Lebensjahre von Ludwig XIII. waren zusätzlich von einer Fülle sexueller Übergriffe und Grenzüberschreitungen begleitet. Er ist noch kein Jahr alt, dokumentiert Philippe Aries, als seine Kinderfrau ihn masturbiert. (vgl. Aries, 1975, S.175) Als er ein Jahr alt ist, wird sein Penis von allen möglichen Leuten „geküsst“. „Während der ersten drei Jahre seine Lebens findet niemand etwas dabei, zum Scherz das Geschlechtsteil dieses Kindes zu berühren.“ (ebd., S. 176) Seine Amme fasst ihn – so Aries - ebenso an, wie die Dienerschaft, „einfältige Jugendliche“, „leichtlebige Frauen“, die eigene Mutter und auch der Vater. Dazu kommen perverse Drohungen (zum „Scherz“). „Seine Amme hatte ihm eingeschärft: Monsieur, lassen Sie nur niemanden Ihre Hoden anrühren, auch ihren Piephahn nicht, sonst wird er Ihnen abgeschnitten.“ (ebd.) Der kleine Ludwig wurde auch zusammen mit seiner Schwester nackt zum König – seinem Vater – ins Bett gelegt, „wo sie sich küssen, miteinander flüstern und dem König großes Vergnügen bereiten.“ Als er vier Jahre alt ist, ist – in Worten von Aries - „seine sexuelle Aufklärung so gut wie abgeschlossen.“ Ab dem Alter von fünf oder sechs Jahren nahmen diese Übergriffe dann ab. Seine eigentliche Erziehung begann kaum vor dem siebten Lebensjahr. Davor – so scheint es – war er freigegeben für alle erdenklichen „sexuellen Scherze“ und Übergriffe, jeder konnte mit ihm tun, was er oder sie wollte. Ab dem Alter von sieben Jahren galt er als kleiner Mann und man ließ von ihm ab. Ludwig selbst entwickelte in dieser Zeit bereits sadistische Züge. So z.B. bzgl. dem Umgang mit seiner Amme. „Er treibt seine Späße mit ihr, lässt sie die Zehen bewegen, die Beine hochheben, sagt seiner Amme, sie solle Ruten holen, um sie durchzuhauen, lässt diesen Auftrag ausführen (…)“ (ebd., S. 177) Ludwig ist etwas über vierzehn Jahre alt, da drängte man ihn nahezu gewaltsam ins Bett seiner ihm versprochenen Frau. Nach der Trauungzeremonie musste er in Gegenwart der eigenen Mutter mit seiner Frau schlafen. Ludwig XIII. wurde als Kind ganz eindeutig schwer sexuell missbraucht und traumatisiert.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Attentäter Breivik: Natural born Killer?

I haven´t really had any negative experiences in my childhood in any way.”, schrieb der norwegische Attentäter Anders in einem mit sich selbst geführten Interview (innerhalb seines kranken „Manifestes“ auf Seite ca. 1387, dass ich glücklicherweise dank Suchfunktion nur sehr kurz lesen musste… ) im vollen Bewusstsein dessen, dass diese Zeilen nach seiner Tat gelesen würden, um nach den Ursachen zu suchen. (Nachtrag vom 20.04.2012: Und er blieb auch später diesem Satz treu. Bei einer Befragung durch die Staatsanwältin sagte er wörtlich: "Ich hatte eine gute Kindheit. Sie ist nicht der Grund dafür, dass ich ein militanter Nationalist bin."; vgl. SPIEGEL-Online, 17.04.2012)

Kann das stimmen? Kann ein Mensch, der zu solch brutalem, kaltblütigem Massenmord und Terror fähig ist, „keine negativen Erfahrungen“ in seiner Kindheit bzw. demnach also positive, liebevolle Erfahrungen gemacht haben? Dann wäre der Massenmörder Anders Behring Breivik sozusagen ein „natural born Killer“, einer, der „einfach so“ zum Killer wurde, quasi biologisch determiniert wohl auf Grund eines angeborenen kranken Geistes, dem später womöglich die falschen Bücher in die Hände fielen...

Wichtiger Nachtrag/Hinweis:  An dieser Stelle sei auf meinen späteren Beitrag Aage Borchgrevink: "A Norwegian Tragedy". Ein Lehrstück über die tieferen Ursachen von Terror. verwiesen, in dem viele Details von Breiviks traumatischer Kindheit ausgeführt sind. Ich lasse diesen älteren Beitrag hier trotzdem bestehen, weil er meine gedankliche Entwicklung in diesem Fall deutlich macht!

Der Psychologe Christian Lüdke sagte in einem aktuellen Interview mit WELT-Online zu diesem Terrorakt u.a.:
Die Ursachen gehen oft weit bis in die die frühe Jugend und Kindheit zurück“ um dann mit einem Komma anzuhängen „,etwa die Unfähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen.“ Mit einem solchen Nebensatz nimmt der Psychologe gleich wieder die Luft raus. Kein Wort von möglichem elterlichen Terror, Missbrauch, Demütigungen und Gewalt. Breivik lernte also womöglich als Kind nicht, mit Enttäuschungen umzugehen. Und das macht einen Menschen dann zum potentiellen Killer? Ich habe schon so oft Interviews von Psychologen zu Amokläufern und Kriegsverbrechern gelesen. Wenn überhaupt Andeutungen bzgl. der Kindheit auftauchen, dann bleibt es bei diesen leichten Andeutungen oder es folgen Ablenkungen, die das ganze wieder in eine ganz andere Richtung drehen, wie oben aufgeführt. Dabei sagt Lüdke auch: „Der Attentäter muss voller Wut und Hass sein.“ Wo aber kommt dieser abgrundtiefe Hass her? Keine Antwort vom Psychologen.

Ein anderer Psychologe wird von SPIEGEL-Online zitiert. Das ganze sei „ein biologisches Programm“, Experten nennen es kalte Aggression. "Der Täter befindet sich in einem Jagdmodus", erklärt Psychologe und Forscher Jens Hoffmann. „Er handelt kalkulierend und planend, die Emotionen sind komplett ausgeschaltet." Prinzipiell sei dieser Jagdmodus in jedem Menschen biologisch verankert, erklärt der Psychologe. „Einst benötigten ihn die Menschen für die Jagd nach Fleisch. Breivik aktivierte ihn, um Menschen zu jagen.“, schreibt SPIEGEL-Online. Auch hier wird wieder das Bild vom „Natural born Killer“ aufgemacht.

Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller geht in seinem Interview erst gar nicht auf Ursachen ein, sondern beschreibt rein die gestörte Persönlichkeit.

Auf WELT-Online schreibt der Autor Henryk M. Broder: „Wer Lebensmittel im Supermarkt klaut, der hat Hunger, wer nachts Autos abfackelt, der hat was gegen Reiche, wer ein Kind missbraucht, der hatte selbst eine schwere Kindheit. Was aber hat einer, der als Polizist verkleidet Kinder und Jugendliche wie herumfliegende Tonscheiben abknallt? Wie wäre es damit: Spaß am Töten?“ Warum wird auch hier nicht ein Schritt zurückgedacht, wo doch das Thema Kindheit schon im Raum war?

(Nachtrag 23.08.11) „Wie ist es möglich, so ganz ohne Mitleid zu sein?“, fragt sich für Die Presse.com Thomas Kramar, um am Schluss zu schreiben: "Dass Grausamkeit nicht, wie noch vor 20Jahren viele glaubten – allen voran die Psychologin Alice Miller („Im Anfang war Erziehung“) –, nur eine (durch Erziehung und Kultur) erworbene Eigenschaft ist, darauf können sich heute die meisten einigen. Auf viel mehr nicht. Die Psychologie steht, so scheint es, weiterhin hilflos vor dem grausamen Bruder."

Nun, die Beispiele ließen sich sicher noch fortführen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, warum sich die Gesellschaft so sehr davor sträubt, einfachste psychische Wahrheiten direkt auszusprechen und zu akzeptieren.

Ein oder zwei Tage vor dem Attentat in Norwegen fügte ich meiner Blogleiste folgendes Zitat von Prof. Dr. med. Peter Riedesser (der verstorbene ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) hinzu:
Die Biographie von Selbstmordattentätern "(...) muss geprägt sein von hohem destruktivem Potential, sonst wäre eine so rücksichtslose, zielgerichtete mörderische Planung nicht möglich. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist immun gegen die Verführung zum ideologisch motivierten Selbstmordattentat."

Das ist die simple Wahrheit. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist zu solchen und ähnlichen Taten nicht in der Lage. UND: Es gehört ein „hohem destruktivem Potential“ vor allem innerhalb der frühen Erfahrungen dazu, damit ein Mensch zu solchen Taten fähig wird. Ich habe in diesem Blog etliche Diktatoren und ähnliche Personen bzgl. ihrer Kindheit analysiert. (siehe hier) Ich bin von Anfang an davon ausgegangen, dass ich Gewalterfahrungen finden würde. Was ich fand übertraf all meine Vorstellungen, es waren nicht nur einfach Gewalterfahrungen. Es waren häufige, manchmal tägliche Bedrohungen und Demütigungen, Hohn, Missbrauch, schwere Vernachlässigung, schwere Schläge, überall Ausgrenzung, sich schlagend, streitende Eltern, tote Geschwister usw. usf.
Man wird nicht zum Massenmörder, wenn man ein paar mal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ein Trennungskind ist. Die Menschen, die zu Massenmördern wurden und werden, erlebten schweren Terror, Hass und die reine Hölle bereits in ihrer Kindheit. Diese Geschichte führen sie auf die eine oder andere Art wieder auf. Hass und Gewalt ist die einzige Sprache, die sie von Geburt an lernten.

Diktatoren wurden aber auch über Jahre und Jahrzehnte analysiert und von Biografen skizziert. Entsprechend ließen sich hier einige nützliche Infoformationen finden. Bzgl. Anders Behring Breivik wird das schon schwieriger.

Seine Eltern trennten sich in England als er 1 Jahr alt war, schrieb er in sein "Manifest". Seine Mutter zog darauf mit ihren Kindern zurück nach Norwegen und leierte sich bald mit einem neuen Mann, einem Major in der norwegischen Armee. Anders beschreibt diesen Mann – seinen Stiefvater - als „primitives sexuelles Biest“, der viel Zeit „mit Prostituierten in Thailand“ verbracht hätte. Sein Stiefvater hätte mehr als 500 Sexualpartnerinnen gehabt, seine Mutter wusste darum und litt darunter, so Breivik. Sie fing sich dadurch auch eine folgenreiche Geschlechtskrankheit ein, aus der eine fatale Gehirnentzündung wurde, die den Verstand der Mutter auf das Niveau „einer Zehnjährigen“ reduzierte. („Auch eine seiner Halbschwestern habe sich mit einer solchen Krankheit angesteckt“, schreibt Caroline Fetscher, die für den Tagesspiegel das „Manifest“ durchgearbeitet hat. )
Zu seinem biologischen Vater hielt er losen Kontakt mit ca. einmal jährlichen Besuchen, so weit ich es verstanden habe. Ab seinem 15. Lebensjahr hätte er den Vater dann nicht mehr gesprochen und getroffen.

(Nachtrag:) Die Welt berichtet über die wohl bedeutsamsten Details aus Breiviks Kindheit:
Als Anders Behring Breivik vier Jahre alt ist, soll die Mutter die Kinderschutzbehörde um Entlastung gebeten haben, und ein Psychologe wurde benannt, um den Bedarf zu beurteilen. Aber Entlastung war dem Psychologen zufolge nicht genug. Er beurteilte die Situation als so ernst, dass er empfahl, den Jungen unverzüglich und dauerhaft in ein Kinderheim zu bringen. Der Psychologe war der Auffassung, dass die Mutter ein gefühlsmäßig instabiles Verhältnis zum Sohn hatte. Er fürchtete, dass das Kind psychischen Schaden nehmen könnte. Der Junge kam nicht ins Kinderheim. Aber der Vierjährige wohnte eine Zeit lang bei einer Pflegefamilie. Auch die Pflegeeltern sollen besorgte Meldungen abgegeben haben.“
Ich denke, dass hier der Schlüssel liegt. Leider sind bisher keine konkreteren Details bzgl. der Mutter-Sohn-Beziehung öffentlich geworden, was sich zukünftig vielleicht noch ändert. Ein abwesender, desinteressierter Vater, ein destruktiver Stiefvater und ein derart destruktive Mutter, dass ursprünglich sogleich eine Heimunterbringung im Raum stand. Bis heute (Stand 20.04.2012) ist vor allem letzteres Detail von den deutschen Medien – außer von der „Welt“ – ignoriert worden. Breivik titelte in seinem Manifest zu Beginn des Abschnittes „Planning the operation" - in dem er ausführte, wie einzelne Menschen Attentate vorbereiten sollen - mit den Worten „Violence is the mother of change“. Ein Satz, der in die Tiefe blicken lässt. (Nachtrag Ende 2012): Mittlerweile gibt es wieder neue Details. Belegt ist, dass Breivik als Kleinkind von seiner Mutter geschlagen wurde und sie vielfach ihm gegenüber geäußert hat, dass sie seinen Tod wünsche. Siehe mehr dazu hier.

Aufschlussreich fand ich auch folgenden Satz von ihm: „The Illusion about love in a relationship between a man and a woman is the sum of irrational feelings based on desire.“ Für Breivik gibt es keine Liebe, Mann und Frau kommen einzig dazu zusammen, Kinder zu bekommen, schreibt er an anderer Stelle. Diese Passagen erzählen uns etwas über die Atmosphäre in der Familie. Für Liebe war hier wohl kein Platz.

Sehr wichtig finde ich weitere Informationen, die Caroline Fetscher im Tagesspiegel (siehe Link oben) herausgearbeitet hat: Breivik gibt an, noch nie eine feste Beziehung zu einem weiblichen Wesen gehabt zu haben(, was psychologisch aufschlussreich ist und auf eine tiefe Bindungsstörung hinweist). Am wichtigsten finde ich allerdings die Info, dass der Attentäter schreibt, die körperliche Züchtigung von Kindern – in allen skandinavischen Ländern gesetzlich verboten – müsse wieder rechtens werden, damit die „traditionelle Familie“ sich neu etabliert. Hier findet sich DIE Andeutung dafür, dass er selbst körperliche Gewalt erlebt hat. Ein nicht geschlagenes Kind kommt später nicht auf Idee zu sagen: "Mir und anderen Kindern fehlten Schläge." Nur einst geschlagene Kinder idealisieren später die schwarze Pädagogik. Fetscher schreibt: „Von Adornos analytischen Studien zur autoritären Persönlichkeit, deren Erträge sich inzwischen im „Erziehungskartell“ ausgebreitet hätten, fühlt sich Behring Breivik merklich narzisstisch gekränkt, angegriffen, beleidigt und bedroht. Auf „servile“, beflissene Weise würden wegen solcher Thesen „Sensibilisierungstraining“ und „Sprachcodes“ in der Erziehung verwendet, die auf „Massenpsychologie“ basieren. Kinder würden daher nicht mehr „gemäß ihrer Geschlechterrollen und biologischen Unterschiede“ erzogen. Ja, ganz Europa sei auf dem Weg der „Feminisierung“.

Kinder, vor allem Jungen, müssen wieder härter in der Erziehung angepackt werden, könnte man hier auch zusammenfassen. Diese Sicht auf Erziehung verrät viel über das, was Breivik wohl selbst als Kind erlebt haben dürfte. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der 32jährige immer noch bei seiner Mutter lebte und seinen Stiefvater, nachdem er ihn als "sexuelles Biest" bezeichnet und ihm Vorwürfe gemacht hat, gleichzeitig einen "guten, liebenswerten Menschen" nennt. Wenn Anders Breivik von beiden Gewalt auf die ein oder andere Art erfuhr, was ich für sehr sehr wahrscheinlich halte, dann hat er seinen Schmerz und seinen Hass ihnen gegenüber oder kurz gesagt das Opfer in sich abgespalten.

Wenn die Gesellschaft wirklich wissen wollte, was in der Familie des Attentäters alles vor sich ging, könnte sie es erfahren. Dafür müsste die Gesellschaft aber auch hinsehen wollen, sie müsste die richtigen Fragen stellen und umfassende Nachforschungen betreiben. Die obigen zitierten Medienberichte zeigen leider, dass dieses Hinsehen nicht immer gewollt ist.

Allerdings spricht bereits die grauenvolle, kaltblütige Tat als solche eine deutliche Sprache. Hervorheben möchte ich dabei, dass Breivik die eigentlichen erklärten politischen Feinde und Symbole „nur“ mit einer anonymen Bombe treffen wollte, während er den Kindern und Jugendlichen Auge in Auge gegenüber stand, während er sie tötete. Mehr noch, der Attentäter hatte sich als Polizist verkleidet und nach Augenzeugenaussagen Hilfe und Schutz angeboten, um die zu ihm kommenden jungen Menschen dann zu erschießen. Ein Polizist, der Freund und Helfer in Uniform, jemand, dem man sonst vertraut, er ist der Mörder. Ähnlich erleben es schwer misshandelte und missbrauchte Kinder. Ihre Eltern stehen für und sprechen von Liebe und Schutz, dann schlagen sie zu, missbrauchen, demütigen, im Namen der Liebe. Breivik hat seinem Manifest übrigens einige Fotos von sich angehängt. Mal sich mit Waffe, mal er in Uniform usw. Das letzte Bild zeigt ihn, wohl eine seiner Schwestern und seine Mutter in trauter Dreisamkeit. Für mich ist das sehr symbolisch, dass er ein Familienfoto an letzte Stelle stellt und dadurch besonders hervorhebt.

Mir fiel nach dieser Tat der Film „Natural born Killers“ von Oliver Stone ein, den ich als Jugendlicher einmal gesehen habe. Ich fand den Film damals ziemlich irritierend, schwer auszuhalten und merkwürdig. Ein junges Paar entdeckt den Spaß am Töten und zieht mordend – und von den Medien teils gefeiert - durch die USA. In Zwischenszenen, Flashbacks und Zeitsprüngen tauchen Erinnerungsblitze an die Kindheit der Akteure auf. Mallory wurde häufig von ihrem Vater sexuell missbraucht, ihre Mutter unternahm nichts dagegen. Gemeinsam mit ihrem Freund Mickey tötete sie ihre Eltern. Im Rausch erschießt Mickey in einer Wüste einen Indianer und erinnert sich dann an Misshandlungen durch seine Eltern und den Selbstmord seines Vaters. Der Film bekam damals viel Kritik. Dabei hatte er eine deutliche Message. Beide Massenmörder waren keine „Natural born Killers“, nicht von Natur aus böse. Der Titel legte dies nahe, im Film erfuhr man allerdings die wirklichen, tieferen Hintergründe. Die lustvollen Mörder wurden einst dazu geformt, durch Gewalt, Missbrauch und Terror in ihrer Kindheit. Der Film und sein Titel zeigten der Gesellschaft, was die tieferen Ursachen der Gewalt sind. Auch damals wurde das nicht richtig verstanden.

Eine interessante Studie, zitiert am 23.07.11 vom Tagesspiegel möchte hier noch erwähnen: „In einer Studie des Bundeskriminalamts und der Universität Duisburg/Essen – „Die Sicht der Anderen“ – wurden 24 Rechtsextremisten, neun Linksextremisten und sechs Islamisten, alle mit Gewalterfahrungen, eingehend befragt. Ihnen allen war gemeinsam, dass die Wurzel ihres Hasses in der Kindheit und der gestörten Beziehung zu den Eltern liegt. Gewalt gehörte schon früh zum Alltag. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es bei den meisten Befragten Zufall war, welcher Ideologie sie sich anschlossen. Es hing davon ab, welche extremistische Gruppe ein soziales Kontaktangebot schuf.

Das ist genau das, was ich schon oft geschrieben habe, Zufälle, äußere Rahmenbedingungen und Möglichkeiten entscheiden über die Farbe der Gewalt, die Ursachen liegen immer in der Kindheit.

Donnerstag, 14. Juli 2011

Zwischenmeldung: Die Angst vor "Vergiftung" kommt wieder zurück

Nach einer kurzen Angst und „Virus“-Pause (seit meinem Beitrag „Von EHEC zu Griechenland. Von Angstherd zu Angstherd„) mehren sich jetzt wieder die Ängste in den Medien. Stark emotionale Titel durchziehen aktuelle Berichte, Untergangsfantasien und Ängste vor Vergiftung drängen wieder nach oben.

Einige Beispiele:

Schuldenkrise: "Die Unsicherheit ist Gift"
(ZEIT-Online)

Schuldenkrisen in Europa und den USA: Die Welt geht unter - aber nur bei euch
(sueddeutsche-online)

Wie die Eurogruppe gegen den Pleitevirus kämpfen will
(sueddeutsche-online)

Italien wappnet sich gegen das Griechen-Virus
(SPIEGEL-Online)

Europa fürchtet sich vor dem griechischen Virus
(Welt-Online)

"Währungsabwertung ist ein süßes Gift"
(wiwo.de)

Sonntag, 10. Juli 2011

Kindheit auf Korsika und Evolution

Mein „Grundwissen“ über Korsika lernte ich als Kind durch den Comic „Asterix auf Korsika“. Ich erinnere mich noch, dass mich die düstere Atmosphäre, die in diesem Comic bzgl. der Sitten und Charakterstruktur „der Korsen“ aufgebaut wurde, als Kind etwas befremdete und ich Angst hatte. Ich habe als Kind alle Asterix Bände gelesen. „Asterix auf Korsika“ war der einzige Band, bei dem ich Angst hatte und den ich etwas unheimlich fand. Bei Asterix wird ja allgemein viel gerauft und geschlagen. Der Humor bleibt dabei aber meist im Vordergrund. Wenn die Korsen im entsprechenden Asterix Heft ihre Messer rausholten, fand ich das als Kind nicht witzig, sondern bedrohlich.

Meine nächste Begegnung mit Korsika hatte ich, als ich mich mit der Kindheit von Napoleon Bonaparte befasste. Demnach war traditionell auf Korsika die Kindererziehung rein Sache der Mütter. Im Falle von Napoleon war die Erziehung von schwerer Gewalt durch seine Mutter und Abwesenheit des Vaters geprägt.

Mein Wissen beschränkt sich hier im Grunde auf diese zwei Infos: Das Bild bzw. Vorurteile über „die Korsen“ und eine Kindheit als Fallbeispiel.

Mein Bild über Korsika konnte ich noch etwas erweitern. Die Geschichte Korsikas ist von Gewalt geprägt. Innerhalb von 25 Jahren vor dem Jahr 2000 kam es auf Korsika laut SPIEGEL zu ca. 10.000 Sprengstoffattentaten und ungefähr 220 Morden. "Auf Korsika", meldete ein Präfekt schon 1874, "stößt der Mörder auf der Flucht nicht auf die gleiche Ablehnung wie in Frankreich. Man hilft ihm." Das gilt noch heute, schreibt der SPIEGEL weiter. Ein Lokalpolitiker wird wie folgt zitiert: "Auf Korsika weiß immer jeder, wer die Mörder und die Attentäter sind. Aber Korsika schweigt." (vgl. DER SPIEGEL, 04.09.2000, „Das Gesetz des Schweigens“)

Auf einer privaten Seite, die sich intensiv mit Korsika befasst, fand ich folgendes: „Der amüsante Comic »Asterix auf Korsika« zeigt die Korsen als ehrbesessene Sturköpfe, denen das Messer locker sitzt. Stolz und Ehrgefühl sind Wesenszüge vieler Korsen, deren Entstehung hier nicht rückverfolgt werden kann.“ und „Die Korsen lebten jenseits von Recht und Gesetz und regelten ihre Angelegenheiten untereinander - oftmals mit dem Gewehr.“ Die Betreiber der Seite schreiben, dass im 18. Jh. Blutracheexzesse 30.000 Opfer gekostet hätten (was ich nicht weiter nachprüfen konnte). Unter dem Stichwort Vendetta (korsische Blutrache) fand ich im Marcopolo Reisführer folgendes: „Die Wahrung von Ehre und Recht nahmen die Korsen früher nach Kräften selbst in die Hand. Nach ihrem Ehrenkodex war ein Mann verpflichtet, schwere Kränkungen durch Mord zu rächen. Dieses Vendetta genannte Vergeltungsrecht erlebte seinen Höhepunkt in der ersten Hälfte des 19. Jhs., als die Zahl der durch Blutrache Ermordeten auf über tausend im Jahr anstieg und unzählige „Ehrenbanditen“ sich in der Macchia versteckt hielten.
Über die korsische Blutrache fand ich hier und da auszugsweise weitere Artikel, die mich aber nicht wirklich weiter brachten. Fest steht wohl, dass noch im 18. und 19. Jahrhundert die Blutrache auf Korsika relativ weit verbreitet war.

In einem Online-Forum fand ich einen Bericht aus dem Jahr 2009:
Ich bin auf Korsika in Urlaub und erlebe die aggressive Bevölkerung dort. Mit Überraschung. Frauen schreien unbeherrscht fremde Touristen an. Wegen Falschparkens. Die Leute streiten sich offen auf der Straße, ich verstehe kein Wort, aber ich spüre die heftige Aggression. Die fast zu allem bereite Aggression. Ein Rätsel für mich. Ich lese im Geschichtsführer über Korsika. Die aggressive Geschichte dieses Volkes.

Interessant fand ich auch den SPIEGEL Bericht „Korsika geht unter“ von Lutz Krusche „über Terror, Blutrache und Nationalstolz auf der "Insel der Schönheit". „ Hier wird die Gewalt vor Ort noch mal etwas weiter beleuchtet.

Die Vorurteile im Asterix Band fand ich also bestätigt. Die Korsen regelten ihre Angelegenheiten oftmals mit Gewalt, was sich wohl auch heute noch auf die korsische Gesellschaft auswirkt. Keine Zahlen fand ich über die Verbreitung von Kindesmisshandlung und die Kindererziehungspraxis auf Korsika. (Leider kann ich kein Französisch. Sicherlich ließen sich hier Infos auch online finden.) Insofern bleibt mein einziger Anhaltspunkt die gewaltvolle Kindheit von Napoleon Bonaparte.

Allerdings: Auf Grund der belegten korsischen Gesellschaftstruktur, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass sich auf Korsika die Kindererziehung nicht so weiterentwickelt hat, wie z.B. auf dem französischen Festland. Ich gehe stark davon aus, dass Napoleons Kindheit kein Einzelfall auf Korsika war (und ist?).
Korsika wäre insofern ein extrem interessantes Forschungsgegenstand, da es sich hier um eine Insel handelt, die relativ abgeschottet gegen Einflüsse von Außen war. Wenn sich hier und da Eltern fanden, die andere Erziehungspraktiken ausprobieren wollten, werden sie es auf einer Inseln mit ihren dörflichen Strukturen besonders schwer gehabt haben. Man stelle sich z.B. einen korsischen Vater zur Zeit Napoleons vor, der sich für seine Kinder interessiert und für sie da sein will. Die Gemeinschaft um ihn herum hätte ihn sicher schnell an die „Regeln“ und die Tradition „erinnert“.

Korsika ist vielleicht ein gutes Beispiel dafür, wie auch geographische Bedingungen und sozial enge Strukturen eine schnelle Evolution der Kindererziehungspraxis erschweren können. Um die Evolution von Kindheit und Psyche besser erforschen zu können, halte ich eine Erhellung der Geschichte von Kindheit auf Korsika für ganz besonders wichtig! Mir persönlich fehlen die Mittel und die Zeit dafür. Vielleicht kann ich ja andere dazu anregen, hier weiter nach Infos zu suchen.