Mittwoch, 7. Februar 2024

Erstarken der AfD: 2024 ist nicht 1933! Kindheit bleibt politisch.

Armin Laschet hat kürzlich sehr ausführlich und deutlich vor dem Erstarken der AfD gewarnt:

Er sagte u.a.: „Man kann sagen: Naja, so schlimm wird das schon nicht werden. So haben die Leute 1933 auch gedacht“. Hitler habe nach seiner Wahl nur zwei Monate gebraucht, warnt er.

Auf den aktuellen Demos in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD hört man routinemäßig: „Nie wieder ist jetzt!

Ich finde dies alles gut und unterstützenswert! Die deutsche Gesellschaft ist aufgewacht und stellt sich gegen den Extremismus auf. 

Ich möchte dazu aber etwas anmerken:

Wenn man wie ich davon ausgeht, dass belastende Kindheitserfahrungen (inkl. autoritärer Erziehung in der Familie und der Schule) zentrale Ursachen dafür sind, dass sich Menschen radikalisieren und in Hass und "Schwarz-Weiß-Denken" abdriften können oder auch – die andere wichtige Seite der politischen Folgen von Kindheit – sich in Ohnmacht ergeben, erstarren, handlungsunfähig werden, ihrer eigenen Wahrnehmung nicht trauen und somit potentiell Machtmenschen das Feld überlassen, dann möchte ich folgende traumainformierte Stellungnahme zur Lage in Deutschland abgeben:

Es gibt aus psychohistorischer, traumainformierter und bzgl. Ausmaß von Gewalt gegen Kinder bzw. bzgl. Daten zum Wohlergehen von Kindern in Deutschland informierter Perspektive zentrale Unterschiede zwischen der psychoemotionalen Gesellschaftslage von 1933 und 2024!

Die deutsche Gesellschaft heute ist nicht nur „bunt“ im Sinne von unzähligen verschiedenen Lebensmodellen, Hautfarben, Migrationshintergründen, sexuellen Orientierungen usw., sondern sie ist vor allem auch psychisch/emotional bunt!

Die Bandbreite zwischen den erlebten Kindheitserfahrungen der heute Erwachsenen liegt zwischen Folter/Albtraum und sehr liebevoll, frei und absolut gewaltfrei Aufgewachsenen, mit allen erdenklichen Graustufen dazwischen. 

1933 gab es da viel mehr Extreme und zwar in Richtung „Folter/Albtraum-Kindheitshintergründen“. Die Graustufen waren weniger und die sehr liebevoll und gewaltfrei Aufgewachsenen (wie z.B. die Geschwister-Scholl) waren eine sehr kleine Minderheit. Entsprechend schwebten im gesellschaftlichen Raum auch massive, kollektive, unterdrückte Rachefantasien und (Selbst-)Hassgefühle herum, der von Hitler (der selbst als Kind unfassbar traumatisiert wurde) eingefangen werden konnten. 

Hinzu kommt das seit den 1980er Jahren in Deutschland sehr stark ausgeweitete Feld an psychologischen und psychotherapeutischen Hilfen für Menschen mit Traumaerfahrungen. Auch dieses Feld ist eine (unterschätzte!) Säule für gesellschaftlichen Frieden. 

In der Psychohistorie sprach Lloyd DeMause von unterschiedlichen "Psychoklassen", je nach Traumagrad der Kindheiten. Diese haben sich massiv verschoben und sind in Deutschland heute ganz andere als 1933. 

Teile (ich betone Teile!!) der noch stark als Kind belasteten und ungeliebten Menschen (die zudem zum Autoritarismus neigen) fühlen sich durch starke Dauerveränderungen und Fortschritte in der Gesellschaft (Minderheitenrechte, technische Veränderungen, höhere Anforderungen bzgl. Flexibilität usw.) getriggert. Der feste Rahmen, der sie innerlich und psychisch stabilisierte, droht in der neuen bunten Welt zu zerbrechen. Die Wunschlösung: Zurück in das Gestern, "wo Mann und Frau noch ihre festen Plätze hatten", wo mehr Homogenität herrschte und mit vorgefertigten, Sicherheit gebenden Lebenswegen. 

Das Aufbäumen der AfD ist in meinen Augen der letzte große Atemzug des Autoritarismus und von  getriggerten Kindheitsbelastungen in der deutschen Gesellschaft (dies wird noch einige Zeit anhalten, aber auf Grund der Veränderungen der „psychischen Landschaft“ mit der Zeit abnehmen). Der Fortschritt von Kindheit ist in Deutschland schon länger im vollen Lauf und nicht mehr rückgängig zu machen. 

Die Mahnungen in Richtung 1933 sind ehrenwert, aber meine Einschätzung ist, dass Deutschland diese Zeit nie wieder wiederholen wird. Die Kindheit ist extrem politisch und das bekommt Deutschland – diesmal im positiven Sinne – zu spüren.