Donnerstag, 29. August 2013

Deutscher Bundestag nimmt meinen Text in seine Bibliothek auf

Wie ich gerade durch Zufall beim googeln entdeckt habe, hat der Deutsche Bundestag mein Arbeitspapier "Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an" im Juli diesen Jahres in seine Bibliothek (Neuerwerb, unter "Gesellschaft - Bevölkerung" Seite 26) aufgenommen. Das freut mich natürlich sehr! Ob der Text denn auch teilweise gelesen wird, steht auf einem anderen Blatt; aber zumindest besteht eine Wahrscheinlichkeit dafür (oder die Abgeordneten geben u.a. einfach mal das Wort "kriegsursachen" bei googel ein und sehen sich den ersten Treffer an).

Dienstag, 27. August 2013

Geplanter Angriff auf Syrien scheint wenig rational.

Merkwürdiges geht derzeit vor. Seit Wochen werden die USA medial an die Wand gedrückt, da ihre Spähprogramme öffentlich wurden. Am 21.08. gab es einen Giftgasangriff in Syrien, für den Assad verantwortlich gemacht wird (und es kursieren Bilder von getöteten Kindern) . Zwei Tage später veröffentlicht die UN Zahlen bzgl. syrischer Kinder, die auf der Flucht sind und zwar ganze 3 Millionen. Am 26.08. wurde nun bekannt, dass Obama einen Militärschlag gegen Syrien erwägt. Mittlerweile berichten Medien, dass nur kurze Militärschläge im Rahmen von ca. zwei Tagen geplant sind.

Erstaunlich finde ich, dass das Zögern Obamas bzgl. Syrien als Schwäche ausgelegt wird.
Seit Wochen wird Barack Obama in Washington verhöhnt. Während die einen Obama als "lahme Ente" bezeichnen, verunglimpfen ihn die anderen als neuen "Oblomow", als einen Berufszauderer, der "rote Linien" zieht, um sie – wenn sie überschritten sind – wegzuradieren und einige Hundert Meter weiter erneut einzuzeichnen.“ schreibt Jacques Schuster aktuell für die Welt in einem Artikel, auf den ich gleich noch zurückkommen werde. Im Internet findet man unzählige Kommentare die Obama als „Wimp“ (Weichei/Warmduscher) bezeichnen, weil er Assad keine militärische Lektion erteilt. Zudem finden sich unzählige Karikaturen, die sich mit Obamas „roter Linie“ befassen. (Z.B. hier, hier oder hier)

Die aktuellen militärischen Überlegungen erfüllen im Grunde hauptsächlich emotionale Zwecke: Es geht um die Abwendung von Gesichtsverlust; der Angst davor, als schwach dazustehen, weil man nicht militärisch reagiert und um das Bedürfnis, Assad zu bestrafen. Real werden Angriffe auf irgendwelche militärischen Ziele in Syrien (und wer entscheidet überhaupt, dass dort "die Richtigen" getroffen werden?) keine positiven Wendungen bewirken, schon gar nicht für die Zivilbevölkerung.

In dem o.g. Welt Artikel stellt der Autor als erste von vielen Fragen folgende auf:
Aus welchem Grund sollte Syriens Präsident Baschar al-Assad gerade in diesen Tagen Chemiewaffen einsetzen? Die meisten Sicherheitsexperten gehen seit Wochen davon aus, dass der Diktator von Damaskus im Begriff ist, den Bürgerkrieg zu gewinnen.“ Assad selbst kommentierte die Vermutung, er hätte chemische Waffen eingesetzt, damit, dass solche Äußerungen "eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes" und "Unsinn" seien. (welt, 26.08.2013 )
Neues Deutschland“ (die ich bisher noch nie zitiert habe) berichtete bereits am 23.08., dass nach russischen Erkenntnissen eine Giftgasrakete von syrischen Rebellen abgefeuert worden sei (selbige wären im Falle eines US-Angriffes als Strafaktion auch die Nutznießer einer solchen Aktion). Fakt scheint: Wir wissen bis heute nicht eindeutig, wer für den Giftgasanschlag verantwortlich ist.

Ich glaube, dass die Rationalität von Politik überschätzt wird. Derzeitige Militärplanungen seitens der USA. Frankreichs und Englands ( übrigens alles Ländern, in denen es kein elterliches Gewaltverbotgesetz gibt und wo hohe Gewaltraten gegen Kinder festzustellen sind.) können auch als „aus dem Bauch heraus“ gedeutet werden. Böses Verhalten gehört abgestraft, so lernten es viele bereits als Kind. In Konfliktsituationen wird auf diese einfache und wenig rationale Sicht auf die Dinge zurückgegriffen, auch in der Politik. Mir scheint, dass diese emotionalen Prozesse derzeit - vor allem in den USA - die politischen Diskussionen lenken. Deutschland erweist sich dagegen seitens der Politik als realistisch und sachlich. Man hat hierzulande erkannt, dass eine solche Militärakton in Syrien keinen Sinn macht (obwohl es auch hierzulande so einige Medienbeiträge gibt, die dies der deutschen Politik als Schwäche auslegen.)

Donnerstag, 22. August 2013

Ägypten. Weitere Zahlen zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder

Ägypten läßt mich derzeit nicht los. Ich habe weitere Zahlen zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder gefunden und zwar hier: National Council for Childhood and Motherhood & UNICEF Egypt Country Office & Social Research Center, American University in Cairo (2006): Towards Policies for Child Protection. A Field Study to Assess Child Abuse in Deprived Communities in Cairo and Alexandria.

Die Studie wurde mit Kindern und deren Eltern, Lehrern, Sozialarbeitern etc.  in Kairo und Alexandria durchgeführt und ist explizit nicht repräsentativ für das ganze Land. Kinder in 1.200 Haushalten wurden erfasst, ebenso 1.200 Schulkinder.Die Studie ist also nicht gerade klein und hat sicherlich eine deutliche Aussagekraft bzgl. den Kindheiten in ägyptischen Großstädten (wobei allgemein viele Studien zeigen, dass im ländlichen Raum i.d.R. höhere Werte an Kindesmisshandlung zu finden sind, wodurch diese Studie wiederum auch nahelegt, dass es im ägyptischen ländlichen Raum zumindest ähnlich aussehen wird, wie hier unten im Text gezeigt).

Ergebnisse: Ca. 81 % der Kinder wurden zu Hause und 91 % in der Schule geschlagen. 27 % der Kinder, die arbeiten mussten, berichteten auch dort geschlagen worden zu sein. 90 % der Kinder erlebten emotionale Bestrafungen/Gewalt zu Hause und 70 % in der Schule, ebenso 50 % der arbeitenden Kinder an ihrem Arbeitsplatz. 40 % der Schulkinder zeigten Anzeichen für eine Entfremdung von ihren Familien. (S. 5-6)

Details:
51 % der Pflegepersonen (Haushaltsbefragung) berichteten, dass die Kinder in der Woche vor der Befragung geschlagen worden sind, 76 % berichteten von Schlägen innerhalb eines Monats vor der Befragung und 81 % von Schlägen innerhalb eines Jahres. (Dies bestätigt die Ergebnisse aus einer Befragung von ägyptischen Müttern, wo ebenfalls fast die Hälfte der Kinder mind. wöchentlich geschlagen wurden.) 16,5 % der Kinder wurden innerhalb eines Monats vor der Befragung mit zwei verschiedene Arten körperlicher Gewalt bestraft, 12 % mit drei und 19 % mit mindestens vier Arten.
Schaut man gesondert auf die Altersstufe der 5-8Jährigen, dann werden ganze 94,7 % in irgendeiner Form körperlich bestraft/geschlagen (also deutlich mehr als der Durchschnittswert von 81 %).
51 % dieser Altersgruppe wird mit einem harten Gegenstand wie Gürtel oder Stock geschlagen. 46,5 % wird ins Gesicht geschlagen, 21,3 % werden niedergeschlagen. 7,2 % mit einem Messer verletzt, 5,9 % verbrannt u.a. (S. 24-27)

Die Schulkinder berichteten über etwas weniger Gewalt in ihren Familien (was zeigt, dass kleinere Kinder mehr Gewalt erleben). 90,1 % der Jungen und 73,6 % der Mädchen berichteten über irgendeine Form körperlicher Elterngewalt. Und 82,4 % der Jungen und 81 % der Mädchen aus weiterführenden Schulen berichteten über  irgendeine Form von körperlicher Elterngewalt.

Entsprechend der real ausgeführten Gewalt wurden sehr vielen Kindern auch Gewalt angedroht (z.B. 93,4 % der 5-8Jährigen) Aber auch andere Formen der emotionalen Gewalt wie Verfluchen/Fluchen (78,5 % der o.g. Altersgruppe), Anschreien (93,1 % der o.g. Altersgruppe) oder Beleidigen/kränkende Worte benutzen (72,4 % der o.g. Altersgruppe) sind laut den Haushaltsbefragungen weit verbreitet. (S. 29)

Mütter sind die Hauptstrafenden  (nämlich zu 76 % bei den Mädchen und zu 68 % bei den Jungen). Erst bei den über 13 Jahre alten Kindern tauchen Väter als Strafende etwas gewichtiger auf (34 %).

 Ergänzend: Ägypten. Die Ursachen der gescheiterten Revolution liegen im Verborgenen


Samstag, 17. August 2013

Ägypten. "Wir sind alle wie gehirngewaschen"

"Wir sind alle wie gehirngewaschen, ich erkenne mein Land nicht wieder", sagte laut ZEIT eine junge ägyptische Frau zu den aktuellen Ereignissen, "eine seltene Stimme dieser Tage, die ihren Namen dann auch nicht nennen will." schreibt die ZEIT weiter.

Deutlicher kann frau die Dinge nicht auf den Punkt bringen. Ägypten hat derzeit vor allem ein psychisches Problem...

Ergänzend: Ägypten. Die Ursachen der gescheiterten Revolution liegen im Verborgenen

Freitag, 16. August 2013

Diagramme der menschlichen Destruktivität

Die amerikanische Kaiser Permanente Krankenversicherung hat zwischen 1995 und 1997 eine einzigartige Studie mit Daten von 17.421 Versicherten bzgl. dem Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, kurz ACEs) und dem Gesundheitszustand durchgeführt. Die Ergebnisse wurden z.T. online hier  und hier  vorgestellt.

 Unter belastenden Kindheitserfahrungen (ACEs) wurde verstanden:
Emotionale Misshandlung, Körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung, körperliche Vernachlässigung, Zeuge von Gewalt gegen die Mutter, Alkohol und Drogenmissbrauch in der Familie, Aufwachsen in einer Familie mit einem psychisch kranken oder chronisch depressiven oder suizidgefährdeten Familienmitglied, Verlust eines Elternteils durch Trennung oder Scheidung, Aufwachsen in einer Familie, in der eine Person im Gefängnis sitzt.

Je mehr belastende Kindheitserfahrungen erlebt wurden, desto deutlicher wurden die Zusammenhänge zu diversen Gesundheitsproblemen wie Alkoholismus, Drogenkonsum, Depressionen, Herzkrankheiten, Rauchen, Übergewicht, Selbstmordversuchen, Lungenerkrankungen (COPD), Fehlgeburten/ Tod des Fötus usw. aber auch bzgl. dem Erleben von Partnergewalt oder Promiskuität.

Unten habe ich drei Diagramme aus dem Text The Relationship of Adverse Childhood Experiences to Adult Health:  Turning gold into lead von Vincent J. Felitti aus dem Jahr 2002 entnommen, die bildlich sehr gut darstellen, wie mit jeder weiteren Belastungsart (ACE) die Wahrscheinlichkeiten für diverse (sowohl individuell als auch gesellschaftlich bedeutsame) Probleme (in diesem Beitrag ausgewählt: Selbstmordversuche, Drogenkonsum und Rauchen) ansteigen.

 




Diese wirklich eindrucksvollen Diagramme möchte ich um ein weiteres ergänzen, dass ich der Studie “BAIER, D., PFEIFFER, C., SIMONSON, J. & RABOLD, S. (2009): Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt .Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 107). Hannover: KFN." auf Seite 80 entnommen habe. Für die Studie wurden 44.610 SchülerInnen in Deutschland befragt. Da die Grafik hier nicht ganz deutlich zu lesen ist siehe einige Anmerkungen unter dem Bild oder Originalquelle! Die Balken ganz links mit den niedrigsten Täterwerten  treffen auf die Gruppe zu, die keine körperliche Elterngewalt erlebt hat. Die weiteren Balken zeigen eindrucksvoll auf, dass mit jedem Anstieg bzgl. Häufigkeit und Schwere der Gewalt auch die Täterwerte ansteigen. Die höchsten Täterwerte finden sich somit ganz rechts bei der Gruppe derer, die schwere oder häufig leichte Gewalt in Kindheit UND Jugend erlebt haben. 


KFN-Diagramm: Gewalttäterraten nach erlebter körperlichen Elterngewalt in Kindheit und Jugend
Erläuterungen da Grafik undeutlich:
Leicht graue Balken zeigen an, ob innerhalb von 12 Monaten ein Gewaltdelikt begangen wurde
Die dunkelgrauen Balken
zeigen die Mehrfachtäterschaft (mind. 5 Taten) an.
Balkengruppierung von links nach rechts: "keine Gewalt in der Kindheit"; "selten leichte Gewalt nur in Kindheit"; "selten leichte Gewalt in Kindheit und Jugend"; "schwere oder häufig leichte Gewalt nur in Kindheit"; "schwere oder häufig leichte Gewalt in Kindheit und Jugend"




Ich fasse zusammen:

Beide Studien und die ausgewählten Diagramme machen deutlich, dass destruktive Kindheitserfahrungen große destruktive Auswirkungen auf  Menschen haben können. Die ACE Studie hat besonders herausgestellt, dass eine Kombination verschiedener Belastungserfahrungen auch die schwersten Folgen hat. Die größten Gesundheitsprobleme hatten diejenigen, die von fast allen Belastungsfaktoren betroffen waren. Die KFN Studie und das gezeigte Diagramm machen deutlich, dass auch innerhalb eines Belastungsfaktors (in diesem Fall körperliche Elterngewalt) die verschiedenen Abstufungen Folgen haben. Je schwerer und je häufiger Elterngewalt erlebt wurde, desto höher war die Wahrscheinlichkeit für eine eigene Täterschaft.  Letztlich bin ich sicher, dass eine große Studie, die alle ACE Werte erfassen und in Zusammenhang mit eigenem Gewaltverhalten bringen würde, ein ähnliches Diagramm hervorbringen würde, wie oben gesehen. Zusätzlich könnte man dann noch innerhalb der einzelnen Belastungsfaktoren Abstufungen vornehmen (so wie beim KFN) und entsprechend ins Verhältnis zum eigenen Gewaltverhalten setzen. Kleinere Studien wie die von Pincus und Gilligan haben bereits gezeigt, dass grausame Mörder die denkbar schlimmsten Kindheiten hatten, die man sich vorstellen kann. Sie haben – um hier im Kontext dieses Beitrages zu bleiben – ACE Werte von wohl mindesten 5 und auch innerhalb der Belastungsfaktoren wie z.B. bei der körperlichen und emotionalen Misshandlung die denkbar schwersten Formen erlebt.
Im historischen Rückblick lassen sich schließlich und gedanklich ähnliche Diagramme zeichnen, wenn man sich Arbeiten von Lloyd deMause (zur Evolution der Kindheit u.a. hier und zum Rückgang menschlicher Gewalt hier ganz unten im Text) und auch von Steven Pinker anschaut. Beide stellen historisch einen stetigen Rückgang der Gewalt gegen Kinder (mit besonders rasanten Entwicklungen im 20. Jahrhundert) fest. Parallel dazu nahm menschliche Gewalt ab.

Montag, 5. August 2013

Aktualisierung des Beitrages "Kindheit in den USA"

Ich habe kürzlich den Beitrag „Kindheit in den USA“ etwas ergänzt.  Und zwar um Daten aus der sogenannten ACE-Studie, Zahlen aus Befragungen - surveyusa - zur Akzeptanz von Gewalt gegen Kinder und um Zahlen aus der Studie „International Variations in Harsh Child Discipline“.

Besonders erwähnen möchte ich die Zahlen zur Akzeptanz der Gewalt (siehe Quelle hier):
Im Jahr 2005 wurden in allen 50 US-Bundesstaaten jeweils 600 Erwachsene befragt (surveyusa, Disciplining a Child). Im Schnitt sagten 72 % aller Befragten, dass es in Ordnung sei, ein Kind zu schlagen (um es zu disziplinieren). (In Alabama gab es dabei die höchste Zustimmung mit 87 %, die niedrigste mit 55 % in Vermont)
31 % meinten, dass es in Ordnung sei, den Mund eines Kindes mit Seife "auszuwaschen". (Etwas, dass in den USA als Bestrafungsform für z.B. das Benutzen von Schimpfwörtern benutzt wird. Auf Wikipedia gibt es sogar einen eigenen Artikel dazu.) Und 23 % meinten, dass es in Ordnung für einen Lehrer sei, Schüler körperlich zu bestrafen. Schaut man sich die Ergebnisse für alle Bundesstaten einzelnd an, stellt man ein starkes Gefälle fest. Die Gewaltbereitschaft gegen Kinder ist offensichtlich am höchsten in den südlichen Staaten. (dies zeigt auch eine Grafik auf Wikipedia; die rot gekennzeichneten Staaten sind die, in denen neben dem elterlichen Züchtigungsrecht auch noch Gewalt gegen Schüler erlaubt ist.) Interessant an den Ergebnissen der Umfrage ist u.a. auch, dass auch noch mal kenntlich gemacht wurde, in welchen Staaten 2004 für Bush oder für Kerry gestimmt wurden. Auf Grund der vorliegenden Zahlen könnte man auch formulieren, dass in den Staaten, in denen für Bush und damit seine kriegerische Politik gestimmt wurde, auch die höchste Akzeptanz von Gewalt gegen Kinder zu finden ist. Ich denke, dass diese oberflächlichen Daten ein Wink dahingehend sind, dass Erziehungsverhalten sich auch in politischen Neigungen wiederfindet.

Um so manche destruktive Entwicklungen in den USA von Grund auf verstehen zu können, muss mensch um die Kindheiten vor Ort wissen. Die irrationale Angst, die Amerika lähmt und u.a. dazu gebracht hat, die ganze Welt auszuspähen, könnte hier ihren Ursprung haben.

Freitag, 2. August 2013

Eine kritische Betrachtung der aktuellen UNICEF Initiative "End Violence"

UNICEF startet aktuell gemeinsam mit dem Schauspieler Liam Neeson eine weltweite Initiative gegen Gewalt gegen Kinder (Initiative „End Violence“).

Ich persönlich habe die Initiative mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Grundsätzlich finde ich natürlich alles gut, was sich öffentlichkeitswirksam gegen die Gewalt gegen Kinder richtet. Nach meinem Empfinden trifft das, was ich bisher gesehen und gelesen habe, allerdings nicht wirklich den Nerv.

UNICEF appelliert an die Menschen, hinzusehen und sich gegen Gewalt einzusetzen.
Das Problem dabei ist, dass in den meisten Ländern dieser Welt die Mehrheit der Erziehungspersonen Gewalt gegen Kinder anwendet und dies auch nicht als Problem ansieht (auch in westlichen Ländern wie den USA oder in Frankreich). Das bedeutet, dass sich der UNICEF Appell (speziell bzgl. der Gewalt in Familien) letztlich nur an eine Minderheit wendet, die überhaupt potentiell gegen Gewalt an Kindern ist. Diese Minderheit ist, sofern sie emotional und auch im Handeln Gewalt gegen Kinder ablehnt, eh schon gegen diese Gewalt.  Insofern sehe ich hier nicht wirklich mögliche Effekte. Es sei denn, es würde gelingen, diese Minderheit zu vernetzen und gezielt zu Bündnissen und Aktionen zu gewinnen.

Das zweite Problem der Initiative sind die fehlenden Zahlen. UNICEF Deutschland schreibt z.B. aktuell zum Anlass der Initiative: „Gerade weil Gewalt gegen Kinder häufig nicht gesehen und nicht angezeigt wird, gibt es keine Zahlen über das genaue Ausmaß des Problems. Trotzdem geben vorsichtige Schätzungen von UNICEF und anderen Organisationen großen Anlass zur Sorge:  Laut UNICEF-Haushaltsbefragungen erleben in Jemen oder Togo mehr als 90 Prozent der Kinder körperliche oder seelische Gewalt, in Weißrussland sind es 84 Prozent und in Vietnam 74 Prozent.“
Dass es keine klaren Zahlen zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Familien und Schule gibt, ist einfach nicht wahr. (UNICEF selbst hat u.a. 2009 im „Progress for Children. A Report Card on Child Protection“ auf Seite 8 etliche Daten vorgelegt, die aus Befragungen von Erziehungspersonen stammen.) Es gibt viele Zahlen (vor allem aus Studien der letzten 10 Jahre), so viele, dass ich mich hier seit Jahren schwer damit tue, sie auszugsweise zusammenzustellen. Die Initiative endallcorporalpunishment hat etliche Zahlen unter „research“ aufgeführt und dabei längst nicht alle erfasst. (Hier fehlt letztlich eine gut ausgestattete Initiative, die mal wirklich ALLES systematisch zusammenfasst und die weltweit auch nur die kleinsten Studien auswertet.)  Natürlich sind nicht alle Studien gleich aufgebaut, aber man sollte als Kinderhilfsorganisation schon mal den Mut fassen und klar sagen, was die aller meisten vorliegenden Studien zeigen: Gewalt in der Familie ist das, was die Mehrheit aller Kinder in den meisten Ländern auf der Welt erlebt haben und weiterhin  erleben.  Dieser Satz ist es letztendlich, der ins öffentliche Bewusstsein gehört! Die aktuelle Initiative ist da nicht gerade auf dem Weg, für mehr Bewusstsein zu sorgen. Ihr Kernslogan "Mach das Unsichtbare sichtbar!" verläuft im Sand, weil der Initiative keine weitreichenden Daten und Zahlen angehängt wurden, die von den Medien hätten aufgegriffen werden können.

Auf den englischsprachigen Hauptseiten (siehe Link ganz am Anfang) fehlt unter „Facts“ gar komplett das Hauptthema der meisten Kinder: Gewalt in den Familien. Es werden Zahlen zum sexuellen Missbrauch genannt, kurz einige Formen der Gewalt vorgestellt, es wird auf Sklaverei, Kinderprostitution, Gewalt gegen SchülerInnen und Mord hingewiesen ebenso wie auf die Akzeptanz von Gewalt zwischen Partner bzw. auf häusliche Gewalt. Zum Thema Kindesmisshandlung in Familien? Keine einzige Zahl!! UNICEF Deutschland hat ja auch beschrieben warum, weil es angeblich keine genauen Zahlen gibt.

Als jemand, der sich viel mit den Zahlen befasst, kann ich sagen, dass es natürlich keine ganz genauen Zahlen für alle Länder geben wird. Dies wäre nur möglich, wenn in jedem Land gleichzeitig mit der gleichen "Schablone" Befragungen durchgeführt werden. Aber: Es gibt ganz viele Einzelstudien. in diesen werden teils unterschiedliche Bewertungen bzgl. dem, was als Misshandlung/schwere Gewalt angesehen wird, vorgenommen. Bei macnhen werden Eltern befragt, bei manchen Kinder, bei manchen Erwachsene bzgl. ihrer Kindheitserinerungen. Aber alle Gewaltstudien haben doch gemein, dass sie Gewalthandeln abfragen. Körperliche Schläge sind einfach zu definieren und die Ergebnisse zeigen alle in die Richtung, dass Mehrheiten von körperlicher Gewalt betroffen sind. Ähnliche Problemlagen bzgl. Studien wird UNICEF übrigens auch bei anderer Gewaltformen haben, vor allem dem sexuellem Missbrauch. Aber bzgl. dieser Gewaltform hat man sich auf der englischsprachigen Hauptseite getraut, Zahlen zu nennen. Schade, dass dies nicht für elterliche Gewaltformen gegen Kinder galt.



- Ergänzend:  Neue UNICEF Vergleichsstudie - Gewalt gegen Kinder wurde ausgeblendet