Entsprechend verwundert hat mich ein SPIEGEL-Interview mit der Soziologin Christine Bergmann (vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen - kurz: KFN), die sagte:
„Tatsächlich berichten auch mehr Schüler als früher über Prügel daheim“ (DER SPIEGEL, Nr. 21 vom 18.05.2019, „Gefühlte Unsicherheit“, S. 13). Ich habe mir die entsprechende Studie angesehen, auf die sich Frau Bergmann ganz offensichtlich bezogen hat: Bergmann, M. C., Kliem, S., Krieg, Y. & Beckmann, L. (2019): Jugendliche in Niedersachsen. Ergebnisse des Niedersachsensurveys 2017. (KFN-Forschungsberichte No. 144). Hannover, KFN.
Tatsächlich wurde in dieser o.g. Befragung von fast 9.000 niedersächsischen Schülern und Schülerinnen im Jahr 2017 festgestellt, dass es eine signifikante Zunahme körperlicher (sowohl schwerer als auch leichter) Elterngewalt gab (im Vergleich zu den Voruntersuchungen aus den Jahren 2013 und 2015). Zwischen 2013 und 2015 wurde dagegen noch eine leichte Abnahme der Gewalt festgestellt (was dem allgemeinen Trend entsprach).
Mindestens einmal erlebte, schwere körperliche Elterngewalt vor dem 12. Lebensjahr stieg z.B. von 11,8 % (Befragung 2015) auf 14,8 % (Befragung 2017) (Bergmann et al. 2019, S. 126). Ebenfalls stieg der Anteil der Schüler, die berichteten, innerhalb der letzten 12 Monate mind. einmal schwere Elterngewalt erlitten zu haben von 4,4 % im Jahr 2015 auf 5,9% im Jahr 2017. Gewisse Schwankungen sind in Befragungen normal und zufällig, aber hier wurde ja eine signifikante Zunahme festgestellt. (Nebenbei bemerkt zeigen diese Zahlen, dass in Niedersachsen mehr schwere Gewalt ausgeübt wird, als im Bundesdurchschnitt, zumindest zeigt dies ein Datenvergleich bezogen auf die Studie von Hellmann (2014) und dabei der Blick auf die jüngste Altersgruppe)
Wie lässt sich dieser Anstieg innerhalb von zwei Jahren erklären? Dieser Frage wurde in der Studie nicht direkt nachgegangen, aber die Antwort darauf erschließt sich letztlich zu einem nicht unwesentlichen Teil aus den Daten selbst.
Kinder mit Migrationshintergrund erleben deutlich häufiger körperliche Elterngewalt, als deutsche Kinder. Dies wurde in KFN-Studien immer wieder ermittelt, so auch in der Befragung aus dem Jahr 2017. So erlebten 9,9 % der deutschen Schüler in Niedersachsen mindestens einmal schwere körperliche Elterngewalt, Kinder mit Migrationshintergrund dagegen im Schnitt zu 25,9 % (Bergmann et al. 2019, S. 127).
In der Befragung 2017 gibt es einen deutlichen Unterschied bei der Stichprobe gegenüber der Befragung aus dem Jahr 2015: „Etwas mehr als ein Viertel der Neuntklässler/innen Niedersachsens (2017: 27.7 %) weist einen Migrationshintergrund auf; dieser Anteil ist statistisch signifikant höher als noch 2015 (24.0 %)" (Bergmann et al. 2019, S. 24). Im Detail fällt auf, dass vor allem der Anteil an Schülern zugenommen hat, die (oder deren Familie) aus der ehemaligen Sowjetunion (SU) stammen, von 6,6 % (2015) auf 8,6 % (2017). Die nächst größere Steigerung gab es bei Schülern aus islamischen Ländern, von 1,9 % auf 2,5 % (Bergmann et al. 2019, S. 26).
Gerade für die Schüler, die (oder deren Familie) aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, findet sich im Verhältnis zu der durchschnittlichen Gewaltrate von 25,9 % für Schüler mit Migrationshintergrund (wie oben gezeigt) eine überdurchschnittlich hohe Rate von 35,3 % von erlittener schwerer körperlichen Elterngewalt (Bergmann et al. 2017, S. 126). In der KFN-Studie aus dem Jahr 2015 lag die entsprechende Gewaltrate für Schüler aus der ehemaligen SU noch bei 26,8 % (Bergmann et al. 2017, S. 117), so dass hier nicht nur der Effekt bzgl. der anteilsmäßigen Zunahme an Schülern aus der SU eine Rolle spielt, sondern auch eine deutlich erhöhte Gewaltrate, die 2017 erfasst wurde. Für Schüler aus islamischen Ländern wurde die entsprechende Gewaltrate 2017 nicht ausgewiesen, 2015 lag sie noch bzgl. der schweren körperliche Elterngewalt bei 33 %.
Wenn der Anteil der Befragten aus diesen Regionen deutlich steigt, steigt logischerweise auch die Durchschnittsrate für Gewalt, die erfasst wird.
Allerdings: Auch bei den deutschen Schülern wurde eine erhöhte Gewaltrate festgestellt, sie stieg von 8 % (2015) auf 9,9 % (2017). Diese Steigerung ist erklärungsbedürftig, da sie dem Trend entgegenläuft. Da in Niedersachsen jedes Jahr diese Befragungen durchgeführt werden, wird sich bei der Befragung aus dem Jahr 2018 zeigen (die vermutlich 2020 veröffentlicht wird), ob 2017 nur ein „Ausreißer“ war und sich der Trend des Gewaltrückgangs fortsetzt.
Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass sich auch beim Thema Häusliche Gewalt zwischen Elternteilen ähnliche Daten finden lassen. Zwischen 2015 und 2017 gab es eine leichte Steigerung der beobachteten Gewalt zwischen Elternteilen von im Schnitt 4,6 % auf 5 %. Die deutschen Schüler beobachteten unterdurchschnittlich Gewalt zwischen Elternteilen (3,3 %), die Schüler mit Migrationshintergrund deutlich überdurchschnittlich (9,1 %) (Bergmann et al. 2019, S. 130). Auch bei diesem Gewaltfeld dürfte also eine Zunahme von Menschen mit Migrationshintergrund eine Steigerung der durchschnittlichen Gewaltrate verursachen.
Schlussfolgerung und Kommentar
Ursprünglich wollte ich für mich klären, wie Frau Bergmann zu der Aussage kommt, dass jüngst Gewalt gegen Kinder zugenommen hat. Dabei landete ich jetzt zwangsläufig beim Thema Migration.
Ein erhöhter Zuzug von Menschen mit Migrationshintergrund und/oder eine höhere Geburtenrate von Menschen mit Migrationshintergrund bedeutet, dass sich in Deutschland statistisch die durchschnittliche Gewaltrate gegen Kinder erhöht, schlicht und einfach aus dem Grund, weil in Migrantenfamilien (vor allem aus Afrika, Asien, der ehemaligen SU und islamischen Ländern) deutlich mehr körperliche Übergriffe auf Kinder stattfinden und auch mehr häusliche Gewalt zwischen den Eltern passiert, als in deutschen Familien.
Mir ist bewusst, dass meine obigen Schlussfolgerungen Wind auf die Mühlen der Rechtspopulisten sind. Zudem habe ich leider in der Vergangenheit feststellen müssen, dass meine Besprechungen von Studien zum Ausmaß von Kindesmisshandlung in der Welt in rechten Kreisen und Internetangeboten besprochen und kommentiert wurde, mit dem Ziel, um pauschal gegen Geflüchtete zu hetzen. Dazu habe ich bereits einen Kommentar veröffentlicht, sowie in meinem Impressum eine Distanzierung vom Missbrauch der von mir gesammelten Daten für politische Zwecke beigefügt.
Ich habe entsprechend lange überlegt wie und ob ich diesen Beitrag schreiben soll. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich ihn unbedingt schreiben und veröffentlichen muss, weil die Fakten stimmen und einfach auf den Tisch gehören. Den Rechtspopulisten und ihren Anhängern möchte ich sogleich entgegnen, dass es mir um die Sorge aller Kinder, aber eben auch speziell der Migranten-Kinder geht, die im Hier und Jetzt in unserem Land leben. Sie gehören bereits dazu und gehen hier zur Schule. Mir geht es nicht darum, dass diese Kinder (und ihre Familien) wieder gehen sollen und dies dann sogar noch mit der häuslichen Gewalt zu begründen. Wenn diese Kinder hier sind, dann müssen sie integriert werden. Zu dieser Integration gehört dazu, dass sie selbstverständlich ein Recht auf gewaltfreie Erziehung in Deutschland haben! Dass fast jedes vierte Schulkind mit Migrationshintergrund (mindestens einmal) von schwerer körperlichen Elterngewalt betroffen ist (und wie wir oben gesehen haben bei manchen Gruppen sogar jedes dritte Kind betroffen ist), stimmt mich sehr sorgenvoll. Diese Informationen lösen bei mir keinen Hass auf Fremde oder Abwehrhaltungen aus, sondern das unbedingte Bedürfnis, hier zu helfen. Da die Aufgabe allerdings viel zu groß ist, muss hier die Politik etwas tun (natürlich parallel auch für die deutschen Schüler).
Ich selbst hatte bereits am 19.10.2015 an die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig geschrieben. In meinem Schreiben habe ich auf die Zahlen aus der UNICEF-Studie aus dem Jahr 2014 hingewiesen und die Länder in den Fokus gestellt, aus denen 2015 besonders viele Menschen zu uns geflüchtet sind.
Ich kommentierte die Zahlen in meinem Schreiben u.a. so:
„Sofern Familien mit Kindern aus diesen Regionen zu uns kommen, ist damit zu rechnen, dass die Erziehungspraxis entsprechend dieser Zahlen gewaltbelastet ist. Ich möchte an Sie und Ihr Ministerium appellieren, sich diese Daten vor Augen zu führen und demokratische Wege zu finden, wie man mit diesem Problem zukünftig umgeht. Die möglichen Folgen von Kindesmisshandlung dürften Ihnen bekannt sein. Gerade diese Folgen dürften eine nachhaltige Integration hierzulande besonders erschweren. (...) Hier muss die Politik präventiv ansetzen und den Schutz der Kinder vor Augen haben.“
Von einer Sprecherin aus dem SPD-Parteivorstand bekam ich auch eine stellvertretende Antwort, aus der ich einen Teil zitiere: „Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen, die wir mit Interesse gelesen und zur Kenntnis genommen haben. Ihre Rückmeldung ist uns wichtig, wir werden Ihre Anregungen daher in zukünftige Diskussionen einbeziehen.“ Ob dies nur eine Standardantwort war oder ob dieser Punkt wirklich diskutiert wurde, ist mir natürlich nicht bekannt.