Mittwoch, 30. Juli 2025

Kindheit in Haiti und der Staat als "Familie"

Für ihn gibt es keine Regierung in Haiti, sagt ein Haitianer, der in der Dominikanischen Republik lebt. "Ich sage immer: In meinem Haus bin ich der Chef. Meinem Kind sage ich z.B. auch was es zu tun hat. Und es hat mir zu gehorchen. Und eine Regierung muss das genauso machen. Wenn eine Regierung das nicht hinkriegt, gibt es auch keine.

Und bezogen auf das Verhalten vieler Haitianer in seiner Heimat (und indirekt auch wieder bezogen auf den Staat) sagt er: 

"Man braucht einen Plan. (...) Wenn Du Deinem Kind Zuhause immer alles erlaubst, dann tanzt es Dir auf der Nase herum, weil es einfach macht, was es will. Das passiert hier auch." (SWR, Weltspiegel Doku, 25.07.2025, Karibikurlaub neben Haitis Hölle)

Menschen denken Staat in Familienbildern. Hier zeigt sich das verbal direkt, aber es wirkt auch oft dort, wo es nicht so direkt empfunden und verbunden wird. Wir sprechen auf Staatsebene von "Mutti Merkel", "Vater-Staat", "Bruder Staaten", "Mütterchen Russland", einem "Haushalt" usw. Den früheren Diktator von Haiti François Duvalier nannte man übrigens auch "Papa Doc". 

Weitergedacht übertragen die Menschen aber auch ihre eigenen Kindheitserfahrungen auf diese "Staatsebene". Wer autoritär erzogen wurde, hat ein anderes Bild von Familie und dadurch auch vom Staat.

Wer Kindheit verändert, gewaltfreier und demokratischer macht, bekommt auch einen Wandel der Gesellschaftsbilder vom Staat. Haiti ist leider ein Land, in dem Gewalt gegen Kinder sehr verbreitet ist. 

Die besonders sensible Gruppe der zwei bis vierjährigen Kinder erlebt in Haiti innerhalb von vier Wochen zu 86 % eine Form von Gewalt  (körperlich oder psychisch) durch Erziehungspersonen im Haushalt (United Nations Children’s Fund (2014). Hidden in Plain Sight: A statistical analysis of violence against children. New York, S. 103).

Bezogen auf alle Kinder (2 bis 14) sieht die Verteilung in dem Land wie folgt aus (ebd., S. 197:

Psychische Gewalt: 64%

Körperliche Gewalt: 79%

Irgendeine Form von Gewalt: 85%

UNICEF stellt in der zitierte Studie eine besondere Strafform und Demütigung gesondert heraus:
In Haiti, more than half of children are punished by making them kneel on the floor" (ebd. S. 101)



Dienstag, 29. Juli 2025

Kindheit von Horst Mahler

Der RAF Mitgründer und spätere Rechtsextremist Horst Mahler ist gestorben. 

Der Extremismusforscher Eckhard Jesse hält Mahler für einen "einzigartigen Fall im Wandel von Linksaußen nach Rechtsaußen". Das Leben von Horst Mahler sei auch für ihn ein Rätsel, so der Politikwissenschaftler. ( SWR Kultur, Kultur aktuell, 28.07.2025, Tod von Horst Mahler: „Ein einzigartiger Fall im Wandel von Linksaußen nach Rechtsaußen“)

1. Daniel Koehler hat in seinem Buch "From Traitor to Zealot: Exploring the Phenomenon of Side-switching in Extremism and Terrorism" gezeigt, dass dieser Wechsel gar nicht so selten ist. 

2. Dies ist meiner Auffassung nach auch in sich logisch, weil die tieferen Ursachen von Extremismus in Selbsthass (und auch Verlust von einer gesunden Gefühlswelt) auf Grund von (oft massiv) belastenden Kindheitserfahrungen liegen, der dann von - meist Männern - nach außen getragen wird. Die "Farbe" der Gewalt ist dann im Grunde durch Zufälle (vor allem Begegnungen und Kontakte mit Extremisten) und den gesellschaftlichen Grundrahmen bedingt. 

Klassisch in der Extremismusforschung ist mal wieder, dass Eckhard Jesse - der sich ausführlich mit der Biografie von Mahler befasst hat - gar nicht auf die traumatische Kindheit des Extremisten eingeht!

In meinem Buch habe ich bzgl. der Kindheit von Mahler quellenbasiert geschrieben:

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Über das RAF-Gründungsmitglied Horst Mahler (der sich später zum Rechtsextremisten wandelte) wird berichtet, dass seine Erziehung in Familie und Schule den NS-Prinzipien „schnell wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ folgte. Als Horst dreizehn Jahre alt war, erschoss sich sein Vater. Mahler selbst sagte später, dass nur dem Zufall und der Geistesgegenwart seines älteren Bruders zu verdanken war, dass die Kinder am Leben blieben. Der Historiker Alexander Gallus sagte in einem ZEIT‑Interview, was dies eigentlich bedeutet: „Mahlers Vater beging Selbstmord und wollte seine Kinder mit in den Tod nehmen.“

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