Mittwoch, 31. Mai 2017

Kindheit von Manuel Noriega

Aktualisierung und Hinweis vom 19.07.2018

Unter dem Titel „Acht Merksätze für eine gelungene Diktatoren-Karriere“ wurde auf Welt-Online (30.05.2017 von Florian Stark) ein Artikel auf Grund des Todes von Manuel Noriega  (Ex- Militärmachthaber bzw. Diktator in Panama) veröffentlicht. Im Artikel heißt es, dass Noriega in einem Kinderheim aufgewachsen sei. Diesen Artikel hatte ich als Grundlage für diesen Beitrag genommen. Mittlerweile gehe ich, solange ich keine gegenteilige Info finde, davon aus, dass diese Information falsch bzw. nicht belegbar ist. Zu eindeutig sind die Hinweise auf eine Patentante, bei der Noriega ab ca. dem 5. Lebensjahr aufwuchs. Meinen Beitrag werde ich entsprechend umschreiben. 

Der Text über die Kindheit von Noriege lautet nun folgendermaßen:

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Über Panamas Militärdiktator Manuel Noriega (ca. 1934- 2017) habe ich keine umfassenden Informationen über seine Kindheit gefunden. Noriega selbst schreibt in seinen Memoiren, dass seine Mutter unverheiratet war und krank wurde, als er noch ein Baby war. Er wurde früh zu seiner Patentante, die er Mama Luis nennt, gebracht und wuchs bei dieser auf. Bzgl. seines Vaters erwähnt er nur, dass dieser regelmäßig Geld und Essen schickte (Noriega & Eisner 1997, S. 17).
Bis auf diese kurzen Informationen über seine Mutter, seinen Vater und seine Patentante, die in nur einem kurzen Absatz abgehandelt werden, schreibt er nichts über seine Familie. Diese Lücke sticht geradezu ins Auge. Stattdessen geht er dazu über, ausführlich über Ausflüge mit Kindheitsfreunden zu berichten.

Warum es sich als schwierig gestaltet, Informationen über seine Kindheit und Jugend zu erhalten, zeigt folgendes: „Da er sich für seine bescheidene Herkunft genierte, hatte Noriega alle Geschichten über seine Jugend als »streng geheim« eingestuft. Die meisten Bekannten aus den Jahren seiner Kindheit trauten sich vor seinem Sturz im Dezember 1989 nur anonym etwas zu sagen.“(Kempe 1990, S. 50). Bei dem Noriega-Biografen Kempe finden sich zumindest noch einzelne Details vor allem zu Manuels Vater. „Er war Alkoholiker, und nur sein Hunger nach Frauen war mit seinem Durst zu vergleichen.“(Kempe 1990, S. 50).

Manuels Mutter war einst Hausangestellte bei seinem Vater. Der verheiratete Mann hatte eine Affäre mit ihr und sie wurde mit Manuel schwanger, woraufhin sie ihre Anstellung kündigte. Seinen Vater lernte Manuel erst als Jugendlicher kennen. Als Manuel vier oder fünf Jahre alt war, starb seine Mutter krankheitsbedingt. „Noriegas Freunde messen der Tatsache Bedeutung bei, dass er das Grab seiner Mutter nie besucht hat, bevor er Offizier war. Es war offensichtlich, dass er keine besondere Zuneigung für sie empfand. Auf alle Fälle verehrte er aber seine Adoptivmutter Luisa Sanchez, die ihn mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttete. (…) In Panama halten sich die Legenden, dass Tony von seiner Mutter grausam behandelt und von seinem Bruder homosexuell vergewaltigt wurde, aber die Wahrheit über Noriegas Kindheit ist keineswegs so furchtbar und düster wie diese Gerüchte. Luisa Sanchez adoptierte Noriega, verhätschelte ihn und richtete ihn für den Schulbesuch sauberer und netter her, als die meisten seiner Freunde es waren.“(Kempe 1990, S. 50+51).

Für mich stellt sich die Frage, wie der Säugling und das Kleinkind die Zeit mit der offenbar schwer erkrankten Mutter (dazu kamen noch ärmliche Verhältnisse) erlebt hat? Außerdem fällt der Hinweis auf das Verhätscheln durch die Pflegemutter auf, ein Sachverhalt, der bei nicht wenigen Diktatoren zu finden ist. Dieser Mix aus kindlichem Leid und Ohnmachtserfahrungen auf der einen Seite und mütterlichem Verhätscheln und mütterlicher Bewunderung auf der anderen Seite scheint mir im Kontext der Analyse von Diktatoren von großer Bedeutung zu sein (Nebenbei bemerkt: ähnliches findet sich auch  in der militärischen Ausbildung, zunächst haben die Rekruten viel Leid zu ertragen und werden gedemütigt, danach werden sie überhöht als echte Männer und potentielle Helden der Nation). Unterm Strich gibt es trotz fehlender vertiefender Informationen deutliche Hinweise auf eine sehr belastete Kindheit von Manuel Noriega.


Verwendete Quelle:

Kempe, F. (1990): Aufstieg und Fall Noriegas. Panama-Poker – gefährliches Spiel mit den USA. Hannibal Verlag, Wien.

Noriega, M. & Eisner, P. (1997): America's Prisoner:: The Memoirs of Manuel Noriega. Random House, New York.

Donnerstag, 4. Mai 2017

Fallbeispiel Beate Zschäpe: Opfer vom Opfer = kein Täter?

SPIEGEL-Online hat aktuell in einen Artikel (03.05.2017, "NSU-Prozess.Das zweite Gesicht der Beate Zschäpe", von Beate Lakotta) über Beate Zschäpe die Frage ihrer Schuldfähigkeit und ein neues Gutachten von dem Psychiater Joachim Bauer besprochen. Der Artikel an sich ist bereits ungewöhnlich, wenn man sich die ansonsten verbreitete Berichterstattung über TäterInnen anschaut.
Der Artikel beginnt so: „Es gibt Situationen in frühester Kindheit, die so zerstörerisch sein können, dass sie einen Menschen immer wieder einholen im Leben. Dauerhafte Vernachlässigung zum Beispiel. Der Mensch kann sich dann später im Leben womöglich nicht wehren, wenn die alte Verlassenheitspanik in ihm hochsteigt, die er als Säugling erlebte oder als Kleinkind. Schon die Vorstellung, allein zu sein, bringt Todesangst hervor.“ Es geht um die Kindheit von Beate Zschäpe, so die SPIEGEL-Autorin.
Im Artikel wird auch über die Vernachlässigung und häufige Wechsel von Erziehungspersonen in Zschäpes Kindheit berichtet. Ebenso wird auf den Alkoholismus von Zschäpes Mutter eingegangen. Zschäpes Mutter „habe oft volltrunken auf dem Fußboden in der Wohnung gelegen, manchmal im eigenen Erbrochenen. Sie habe sich geschämt und Angst gehabt, Freundinnen mit nach Hause zu bringen.“ (In Bauers Gutachten kam ergänzend  auch krasse häusliche Gewalt durch Böhnhardt gegen Zschäpe zur Sprache.) Eine solche direkte Berichterstattung über destruktive Kindheitshintergründe und Opfererfahrungen von TäterInnen finde ich natürlich vom Grundsatz her erfreulich und fortschrittlich.
Joachim Bauer diagnostiziert nun in seinem Gutachten nach vorherigen 14 Gesprächsstunden mit Zschäpe eine „abhängige Persönlichkeitsstörung“. Sie sei entsprechend „vermindert schuldfähig“.

Ich nutzte diesen Bericht heute einmal, um mich nochmal deutlich zu positionieren. Beate Zschäpe ist eindeutig ein Opfer. Als Kind Opfer von destruktiven Erwachsenen, die Macht über sie hatten. Als Frau Opfer von (schwerer) häuslicher Gewalt durch Böhnhardt. Aber bedeutet dies jetzt, dass die Opfer des NSU-Trios einem Opfer gegenüberstehen? Nein, das bedeutet es nicht! Die Opfer der NSU und deren Hinterbliebenen sind Opfer von Tätern geworden! Und Beate Zschäpe war Teil dieses Tätertrios. Punkt.
Die Opfererfahrungen dieser Täter sind nur bzgl. der Erklärungen nützlich, wie es zu den Taten kommen konnte. Die Opfererfahrungen der Täter und das Reden darüber sind desweiteren nützlich, weil so zukünftig Taten präventiv verhindert werden können; weil wir heute wissen, wie bedeutsam Kindheitserfahrungen bei der Genese von Gewalt und Hass sind. Die Opfererfahrungen der Täter wären für diese „Täter-Opfer“ ansonsten noch eine eigene Anklage an ihre Täter (vor allem die Eltern) wert oder ein wichtiger Teil in einer Therapie. Dies wäre aber persönliche Sache von Zschäpe und hat die Opfer des NSU-Trios herzlich wenig zu interessieren.

Opfer eines Opfers zu werden bedeutet immer, dass es eine Tat und einen Täter / eine Täterin gibt. Opfer eines Opfers zu werden, entlässt das Opfer, das zum Täter/Mittäter wurde, nicht aus seiner Verantwortung und befreit nicht von Schuld.

Ich persönlich hoffe sehr auf ein ausgewogenes, gerechtes Urteil der zuständigen Strafkammer.

Samstag, 29. April 2017

Islamistischer Terror: Nur Untote sprengen sich in die Luft!

In der TV-Dokumentation „Europas Muslime (2/2). Auf Reisen mit Nazan Gökdemir und Hamed Abdel-Samad“ (von Thomas Lauterbach, ZDF, 2016, ausgestrahlt auf Arte TV am 11.04.2017) gibt es ein interessantes Interview mit „Jo Dalton“, wie er sich nennt (realer Name Jérémie Maradas-Nado), zu sehen. Dalton kam mit sechs Jahren aus der Zentralafrikanischen Republik nach Frankreich. In den Vororten von Paris glitt er schnell in die Kriminalität ab und saß mehrfach im Gefängnis. Im Gefängnis traf er auf Islamisten und wurde radikalisiert. Er konnte sich allerdings von deren Einfluss lösen und arbeitet heute präventiv mit Jugendlichen gegen Gewalt und Hass.

Wie weit wäre er bereit gewesen zu gehen, in den Zeiten des Hasses?“ fragt sich die Journalistin Nazan Gökdemir in der Doku. „Wenn ich höre `großer Soldat Gottes`, das macht mir Angst.“ (ca. Minute 23)

Jo Dalton: „Ja, natürlich macht das Angst, weil ich vom Hass besessen war. Weil ich im Loch war. Tiefer als im Gefängnis kann man nicht mehr fallen. Darunter gibt es nur noch den Tod. (…) Ab dem Moment, wo Du das Leben in Dir abtrennst, wirst Du zum lebendigen Toten. Du hast keine Emotionen mehr. Da muss man tun, was zu tun ist.“ (Hervorhebung durch mich)

Gökdemir: „Das heißt?“

Dalton: „Wenn man sich opfern muss, muss man sich opfern, damit das System versteht, dass es keine Macht über Dich hat und es nur Gott gibt. Damals hätte ich es tun können. (…) Wer einmal das Leben abgetrennt hat, sieht niemanden mehr. Nur noch das System. (…) Man muss in die Haut dieser Menschen schlüpfen, um zu verstehen.  Sonst kannst Du diesen Hass nicht nachvollziehen.“ (Hervorhebung durch mich)

Diese Aussage sagt in meinen Augen alles über die eigentlichen Hintergründe von fanatischen Hassern, die Anschläge planen und sich dabei i.d.R. selbst opfern. Diese Menschen, die sich in die Luft sprengen, sind bereits (innerlich) tot, aber körperlich am Leben. Wer nichts fühlt, kann alles erdenkliche an Taten verüben, denn es wird ihn in keiner Weise berühren.  (Der Gefängnispsychiater James Gilligan hat die von ihm untersuchten Mörder in US-Gefängnissen als Untote („living dead“) bezeichnet, was deren Selbstdefinition widerspiegelt. Diese Männer erlebten derart brutale, folterähnliche Misshandlungen und absolute Lieblosigkeit in ihrer Kindheit, dass sie sich "leer", "innerlich tot", wie „Zombies“, „Steine“ oder „Vampire“ fühlten.)

Jo Dalton stammt aus der Zentralafrikanischen Republik, einem Land mit einer der höchsten Raten an Kindesmisshandlung in der Welt. Ich vermute sehr stark, dass er als Kind misshandelt wurde und zwar schwer und häufig. Sein Künstlername „Jo Dalton“ spricht da bereits Bände. Der Name steht in Verbindung zu der Comicfigur „Joe Dalton“ in den Lucky Luke Bänden. Die Comicfigur Joe Dalton ist der hasserfüllte und cholerische Anführer einer kriminellen Brüderband in dem Comic. Er ist aber auch der kleinste der Brüder. „Die größte Schwachstelle Joes stellt seine Mutter dar. Er erträgt es nicht, dass diese das Nesthäkchen Averell ihm vorzieht und auch nicht zögert, Joe, den „gefürchtetsten Banditen des Westens“, übers Knie zu legen.“, steht auf Wikipedia.  Ich denke, dass dies schon sehr viel erzählt über die Kindheitshintergründe von „Jo Dalton“ aus Paris.