Mittwoch, 24. Oktober 2012

TV-Doku über das "Böse" mit Scheuklappen



Der TV-Sender 3Sat befasst sich derzeit in einer Themenwoche mit dem „Bösen“. Ich selbst habe bisher nur den Beitrag „Die Natur des Bösen“ gesehen, da mich interessierte, wie Arno Gruen zitiert werden würde. Doch die Doku schaffte es, innerhalb von über 43 Minuten den groß angekündigten Psychoanalytiker und Bestsellerautor Arno Gruen kaum zu Wort kommen zu lassen.  Ich frage mich, warum befragte man überhaupt diesen Analytiker, wenn seine Thesen dann kaum dargestellt werden? Denn seine Thesen gehen ja exakt in die entgegengesetzte Richtung des Doku Titels. Gruen sieht „Das Böse“ bzw. Gewalt und Hass eben nicht als etwas typisch menschliches, naturgegebenes an, sondern behandelt in etlichen Büchern den Einfluss von frühkindlichen Gewalterfahrungen, Gehorsamsforderungen in Familie und Kultur und befasst sich mit dem Verschütten des Selbst bzw. von Gefühlen. 

Im ersten Teil der Doku berichtete Gruen von einem Mann, den er einst befragt hatte. (der einzige kurze, konkrete Interviewauszug, der auf die Kindheit eingeht) Dieser hatten Menschen die Kehlen „wie Salami „durchgeschnitten, so Gruen. Der Mann berichtete gegenüber Gruen, wie ihm seine Mutter im Alter von ca. 3 ½ Jahren mit kochendem Wasser überschüttet hatte, während des Erzählens waren da allerdings keine Gefühle, absolut nichts, „es war einfach etwas, das passierte“, so Gruen. (Sicherlich werden solche Aktionen nicht die Ausnahme im Erleben des Kindes gewesen sein, denn eine Mutter, die ihr Kind absichtlich verbrüht, ist auch zu anderen Gewalttaten fähig) Die Doku lässt Gruen dies erstens nicht weiter ausführen und zweitens kommentiert sie auch nicht. Dabei wäre gerade an dieser Stelle der Punkt, um deutlich zu machen, warum Menschen ihre Gefühle und sich selbst verlieren, es wäre die Stelle, um auf die möglichen Folgen von schweren Gewalterfahrungen hinzuweisen.  Stattdessen verliert sich der gesamte Beitrag in Zitaten eines Theologen und in Berichten über eine Fotografin, die in Kriegsgebieten arbeitet + einen Profiler von der Mordkommission ….  

Ich habe solche und ähnliche Dokus und auch Bücher schon unzählige male gesehen und gelesen. Man kratzt praktisch an den Hintergründen, man erwähnt hauchdünn das Thema Kindheit (wenn überhaupt), aber bloß nicht zu viel darüber aufdecken und berichten. Zu groß ist die Angst, zu tief sitzt kollektiv der Schmerz über die Erniedrigungen und die Gewalt, die bisher eine Mehrheit in unserer Gesellschaft als Kind erlebt hat (und sogar die, die es nicht selbst erlebt haben, spüren wohl noch irgendwie den Nachhall der Schläge und Demütigungen, den ihre Eltern und Großeltern erlitten haben). Da die Gewaltbetroffenheit hierzulande innerhalb der jungen Generation stark rückläufig ist, bin ich allerdings zuversichtlich, dass zukünftig Scheuklappen fallen werden. Es ist nur eine Frage von Zeit.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Tja, ich habe diese Doku nun auch teilweise gesehen (in der Mediathek) und bin ziemlich entsetzt. Man schneidet Gruen ja schnell das Wort ab, sodass das schwer verständliche „der Mann suchte das Lebendige in seinem Opfer“ im Raum stehen bleibt und einfach nur abgedreht klingt. Stattdessen kommt dieser Theologe mit seinen Bemühungen, den schlicht gestrickten Bibelgeschichten einen Sinn zu entnehmen, ständig zu Wort.

Schon allein die Geschichte von Kain und Abel hat mir immer zu denken gegeben. Gott ist gemein und lieblos zu Kain, er zieht jemand anders vor und erwartet, dass das Kind das klaglos hinnimmt. Diese Geschichte ist ja schon exemplarisch.

Die Doku – Schwamm drüber. Kein Erkenntnisgewinn. Bei dem, was Gruen über diesen Täter sagte, fiel mir allerdings ein Artikel im Spiegel (glaub ich) ein, den ich vor Jahren gelesen habe. Es ging um einen angeblichen Psychopathen, der leidenschaftslos mordete, wen er kriegen konnte – so klang es. Auch im Gerichtssaal berührten ihn die Schilderungen seiner Taten nicht. Das Einzige, was ihn so sehr berührte, dass er weinte, war – zur Verwunderung des Verfassers -, als seine anwesenden Eltern sich nachdrücklich von ihm distanzierten. Ich fand das durchaus nachvollziehbar. Hier lag ja die Wurzel des Problems.

Ute