(Mit freundlicher Erlaubnis von (c) Harm Bengen (www.harmbengen.de), Titel des Bildes "An den Tisch")
In den letzten Wochen waren die Medien täglich voll mit Bildern von dem nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un. Wie es eine Diktatur will, werden nur Fotos in die Öffentlichkeit gebracht, die das Regime auch so befürwortet bzw. die man nach außen hin präsentieren will. Zu sehen war i.d.R. Kim Jong-un in schwarzem Mantel, umringt von uniformierten Getreuen, Generälen, Militärs und Beratern, die ihm meist irgendetwas militärisches zeigten. Man bekam das Bild eines politischen Führers, der sich (meist interessiert und gut gelaunt) informiert, zu dem seine Getreuen stehen und der sich Kompetenz aneignet oder auch bereits auszustrahlen versucht. Zudem bekam man das Bild eines Führers, der kriegsbereit ist. Dieses inszenierte Bild passt nicht zu dem, was der Diktator an sich verkörpert. Er ist jung, sehr jung, eher etwas dick, hat fast kindliche Züge, strahlt kaum Autorität aus. Seine Berater - auf den Fotos - dagegen sind oftmals über 60 Jahre alt und sehr erfahren in Politik und Militär. Die Badische Zeitung brachte die emotionale Wirkung unter dem Titel "Zwischen Witzfigur und Schreckgestalt: Kim Jong-un" auch in Worten auf den Punkt:
"Babyface: Wie alt Kim Jong-un ist, steht nicht genau fest. Sein Geburtsjahr wurde von Nordkorea erst mit 1983, später mit 1982 angegeben. Danach wäre er jetzt mindestens 30. Doch er hat – wie der berühmte Gangster "Babyface Nelson" – das Aussehen eines kleinen, dicken Kindes, mit kurzen Gliedmaßen und Pausbacken. Schon das macht es schwer, in ihm mehr als einen Jungen zu sehen, der mit Raketenattrappen spielt. Und doch scheint er – jetzt oder bald – Macht über einsatzfähige Nuklearsprengköpfe zu haben. Weiß er, was er in den Händen hält? Kann man mit so einem unheimlichen Kind reden?"
Dieses Bild wurde auch von vielen Cartoonisten und Karikaturisten aufgenommen und zwar in einer sehr abfälligen Art. Nach nur ca. 45 Minuten Recherche fand ich etliche Bilder, die den Diktator als Baby, Kleinkind oder impotenten Liebhaber darstellen – meist in der englisch sprachigen Presse oder auf englischen Internetseiten. Der Grundtenor der Bilder: Was für ein Waschlappen! Der will wohl Krieg spielen und hat von nichts Ahnung! (siehe weiter unten entsprechende Links) Dieser Druck wird sicher auch bei Kim Jong-un ankommen, natürlich nicht nur durch Cartoons, sondern vor allem durch allgemeine Berichterstattung im Ausland, aber ganz sicher auch auf die eine oder andere Art und Weise aus den eigenen Reihen in Nordkorea.
An dieser Stelle sollte man sich einen Satz des Gefängnispsychiaters James Gilligan vor Augen führen: „The most dangerous men on earth are those who are afraid that they are wimps.” Frei übersetzt: Die gefährlichsten Menschen der Welt sind die, die Angst davor haben, als “Warmduscher” angesehen zu werden. Gefährlich werden diese Menschen deshalb, weil sie als Kind massiv in ihrer Würde verletzt wurden, weil sie keine Liebe erfahren haben und später, als Erwachsene, auf äußere Ablehnung, Demütigungen oder als demütigend empfundene Äußerungen gewalttätig reagieren. Dazu kommen mögliche Gruppenprozesse. Denn den Nordkoreanern wird auferlegt, ihren Führer zu lieben und zu verehren. Wird er beleidigt und verlacht, so trifft dies auch die „Volksseele“ und dies wohl um so mehr, je mehr ebenfalls sehr verletzende und demütigende Erfahrungen in der Kindheit gemacht wurden.
Über die Kindheit von Kim Jong-un konnte ich bisher nicht viel finden. Aber jedem wird klar sein, dass sein Vater nicht gerade ein mitfühlender Mensch gewesen ist, sondern ein Mensch, der Andere knechtet und unterdrückt. Warum sollte er zu seinem Sohn anders oder besonders liebevoll gewesen sein? Über die Kindheiten in Nordkorea konnte ich ebenfalls nicht viel finden, allerdings gibt es einige Daten über Südkorea. Es ist wahrscheinlich, dass diese nicht nur auch für den Norden gelten, sondern dass Kindheit im Norden noch weit aus schlimmer sein wird, als im demokratischen Süden.
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Die Studie „Kim D-H (2000): Children’s Experience of Violence in China and Korea: A Transcultural Study. Child Abuse & Neglect, 18: 155–166” brachte folgende Ergebnisse: Familiäre Gewalt erlebten innerhalb eines Jahres vor der Befragung 68.9% der Kinder in Südkorea. 62 % wurden zudem von Lehrkräften geschlagen.
Die selbe Untersuchung ergab auch, dass in Südkorea 90 % der Eltern körperliche Bestrafungen ihrer Kinder für notwendig halten. (zitiert nach UNICEF, 2006b, S. 52ff)
Eine Studie, in der SchülerInnen direkt befragt wurden, ergab, dass 51,3 % der südkoreanischen Kinder schwere körperliche Gewalt durch ihre Eltern erlebt haben. (Kim DH et al. Children’s experience of violence in China and Korea: a transcultural study. Child Abuse & Neglect, 2000, 24:1163–1173; zitiert nach WHO, 2002, S. 63)
Eine Elternbefragung ergab, dass zwei Drittel aller südkoreanischen Eltern ihre Kinder schlagen; 45% gaben dabei schwerere Gewaltformen an (vgl. Hahm H, Guterman N. (2001):The emerging problem of physical child abuse in South Korea. Child Maltreatment, 6:169–179; zitiert nach WHO, 2002, S. 62).
Eine Befragung von 152 südkoreanischen Kindern ergab, dass 97,4 % körperliche Gewalt in ihrer Familie erleben. Und 93,6 % erlebten körperliche Bestrafungen in der Schule. (Beazley, H. et al (2006): What Children Say: Results of comparative research on the physical and emotional punishment of children in Southeast Asia and Pacific. Save the Children Sweden (Hrsg,). Stockholm. S. 136)
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Das Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Korea ist extrem hoch, zudem sind auch die schweren Gewaltformen nicht selten, sondern betreffen ca. jedes zweite Kind! Wie immer muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass dies relativ aktuelle Zahlen sind. Die Machtmenschen und ranghohen Militärs und Politiker in Korea, die heute über 50 Jahre alt sind, werden vermutlich noch weit aus mehr von Gewalt betroffen gewesen sein, als die späteren Generationen. Zudem sagen Zahlen zur körperlichen Gewalt immer auch etwas zum sonstigen Umgang mit Kindern aus. Wer Kinder misshandelt, der demütigt auch, der hört nicht auf die Bedürfnisse der Kinder, der kann nicht bedingungslos lieben, der ist als Elternteil emotional unreif.
Die emotionale Situation in Korea ist entsprechend brisant. Freund-Feindschemata werden in Krisenzeiten vor allem von den einst geschlagenen Kindern reaktiviert. Aber auch von westlicher Seite drohen destruktive Kindheiten den Eskalationsprozess zu beschleunigen. Kim Jong-un wird – das zeigen die politischen Cartoons – im englischsprachigen Westen zum Teil als launisches Baby/Kleinkind wahrgenommen, das sich „nicht benehmen“ kann. Der nächste Gedanke wäre dann (vor allem wenn als Kind selbst keine friedlichen Konfliktlösungen gelernt wurden), dass dieses "widerspenstige, ungehorsame Kind" eine Lektion und Strafe verdient hat. (Ein interessanter Cartoon aus dem Jahr 2011 zeigt, wie die UN als strafender Vater auftritt, bereit den kleinen Kim Jong-il - der verstorbene Vater von Kim Jong-un - mit einer UN-Rute zu züchtigen. Die Fantasie, dass Nordkorea ein trotziges Kleinkind ist, das körperliche Züchtigung verdient, scheint also schon länger im Raum zu sein.) Wenn sich diese beiden emotionale Prozesse verdichten – also ein sich beschämt, gedemütigt und bevormundet fühlendes Nordkorea, was alte Kindheitstraumata hervorzuholen droht und ein auf Strafe und Sanktionen pochender Westen (wobei Kindheit in den USA und natürlich auch in China ebenfalls sehr gewaltvoll ist), der den ungezogenen „Babydiktator“ endlich in seine Schranken weist – dann droht der Konflikt in der Tat kriegerisch zu werden. Die meisten Kommentatoren wundern sich auch über das Agieren des kleinen und vollkommen unterlegenen Nordkorea. Sie vergessen dabei, dass das politische Agieren in einem Land, in dem eine riesige Mehrheit als Kind von den Eltern verletzt wird, vor allem emotional gelenkt oder besser gesagt emotional gestört ist. Das kann auch bedeuten, dass man sich selbst ohne Weiteres zu opfern bereit ist, alleine aus dem Grund, dass man die Beschämungen von Außen und den drohenden inneren Zusammenbruch (weil misshandelte Menschen oftmals keine feste, sichere Identität aufbauen können) unerträglich findet. „Lieber tot, als beschämt und vor dem eigenen inneren Nichts stehend.“ Dies ist die aktuelle Gefahr in Korea! Die Prozesse sind also nicht nur durch Logik zu lösen, sondern man muss auch oder besser gesagt viel mehr die emotionale Lage der Beteiligten berücksichtigen. Das bedeutet, dass Politik Berater braucht, die sich mit emotionalen Prozessen bei Menschen auskennen. Das bedeutet u.a. auch, man muss Nordkorea ernster nehmen, emphatisch auf sie zugehen und das Land und seinen jungen Führer nicht beschämen. Akut Selbstmord gefährdete Menschen schreit man nicht aus der Ferne an und droht ihnen, was ihnen alles passieren wird, wenn sie nicht gehorchen.
Einige Cartoons über Kim Jong-un:
Kim Jong-un als...
impotenter Liebhaber (Daily News)
als impotenter Liebhaber
als Mann, der eine Unterhose mit Raketen bedruckt trägt und sich dadurch potent fühlt
als impotenter Liebhaber mit kleinem Penis
(auf dem SPIEGEL Titelbild der Ausgabe 15/2013 sitzt der Diktator auf einer Atomrakete, so dass die Rakete wie ein Phallussymbol wirkt. Auch hier die Andeutung, dass seine Kriegsdrohungen etwas mit der Angst zu tun haben, nicht potent und kompetent zu wirken.)
als Kind, das mit seiner Playstation Krieg spielt
als Comic-Kind, der eine Rakete in der Hand hält und ausruft: „Respect my Autoritah!“
als Jugendlicher, der mit echten Raketen wie mit Feuerwerkskörpern hantiert
als Kleinkind, das beim Anblick von Raketen ausruft: "Toys!" (Spielzeug!):
als Kleinkind mit Teddy, der eine Rakete zu Weihnachten bekommt
als Baby, das mit Totenköpfen in einem Zimmer sitzt
als Baby, das mit Atomraketen spielt
als Baby, dass eine Atomrakete als Saugflasche benutzt
als Baby, das den roten Knopf drückt
als Baby mit Windel
als Baby mit Raketenrassel
als Kleinkind, das an seinem Schreibtisch vor zwei roten Knöpfen sitzt. Ein Mann im Anzug sagt: "Sei vorsichtig. Mit dem einen Knopf rufst Du Deine Mutti an. Mit dem anderen löst Du einen nuklearen Feuersturm aus."
als großes Baby. Überschrift: Das größte Baby der Welt. Es ruft. "Waaaaah! Beachtet mich oder ich werde Los Angeles auslöschen!" In der Hand hält er eine Rakate. (veröffentlich in der Los Angeles Times).
als Baby, das mit einem Hammer auf eine Atomrakete hauen möchte. (veröffentlicht in der Denver Post)
Als Baby mit Rakete als Rassel (veröffentlicht bei topnewstoday)
als Baby mit Rakate
als Baby mit Rakete
als trotziges Kleinkind, das an den Tisch zitiert wird (siehe auch Bild eingangs des Blogbeitrages)
als Kleinkind-Cowboy mit großem Kopf, das aus seinem Kinder-Buggy ("Made in China") aussteigt und eine Rakete als Pistole hat.
als Schüler, der zur Strafe in der Ecke sitzen muss. Auf dem Rücken ein Schild: "Spielt nicht gut mit Anderen zusammen."
Nachtrag:
Der Kabarettist Andreas Rebers in der ca. 33. Minute von „Neues aus der Anstalt“ im ZDF, Sendung vom 28.05.2013: „Warum sind alle gegen Gewalt? Ich meine Nordkorea, dass da mal einer hinfährt, und dieses dicke kommunistische Kind einfach mal nach allen Regeln der Kunst verprügelt mit einer Dachlatte den Arsch durchwalgt (längere Pause weil das Publiukum lacht und applaudiert) bis er heult und sagt „bitte, bitte hört auf, ich will es auch nie wieder tun" und dann kommen diese Tugendbolde und sagen „Gewalt ist keine Lösung“, na gut, gibt es eben Krieg.„
4 Kommentare:
Hi Sven,
sagtest du nicht mal, du wolltest auch darüber schreiben, wieso Männer häufiger gewalttätig werden als Frauen?
Das hier ist interessant, finde ich:
http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/maennergesundheitsbericht-aerzte-ignorieren-psychisches-leid-der-maenner-a-896116.html
Ute
Hallo Ute,
ja der Text kommt noch irgendwann, ist sogar schon zur Hälfte fertig. Er wird aber nicht bahnbrechend neues bringen, sofern mann diesen Blog schon kennt.
Dein Linkhinweis geht da in eine ganz richtige Richtung. Vielleicht können wir darüber diskutieren, wenn ich den Text online stelle. Vielleicht innerhalb der nächsten 3 Wochen.
Gruss
Sven
Hallo,
wieso ist es so schwer etwas über die Kindheit von Kim Jong-Un zu erfahren? Er war doch auf einem Internat in der Schweiz und galt dort als sympathisch. Hab ich zumindest mal wo gelesen
Gruß Eleonore
Respect my Autoritah - das ist wohl eine Anspielung auf die Figur Eric Cartman aus South Park, der immer extreme, diabolische Pläne ausheckt.
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