Donnerstag, 16. Juli 2015

Studie. Kindheiten von fremdenfeindlichen, teils rechtsextremen Gewalttätern.


Ich habe kürzlich eine (schon etwas ältere) Studie über fremdenfeindliche, teils rechtsextremistische Gewalttäter gefunden, die ich hier besprechen möchte: Frindte, Wolfgang / Neumann, Jörg (Hrsg.) (2002): Fremdenfeindliche Gewalttäter. Biografien und Tatverläufe. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Für die Studie wurden Daten von 91 verurteilten männlichen Straftätern erhoben, die im Strafvollzug oder Einrichtungen der Bewährungshilfe sowohl interviewt als auch schriftlich befragt wurden. Das durchschnittliche Geburtsjahr der Gewalttäter war 1978. Die Täter sind bereits frühzeitig aufgefallen, bis zum Abschluss des strafmündigen Alters von 14 Jahren hatten bereits 2/3 Polizei und 1/3 Gerichtskontakt.

In ihrer Zusammenfassung bzgl. des biografischen Verlaufs der Täter schreiben Neumann und Frindte u.a.:
„In den biografischen Erzählungen der interviewten Täter zeigt sich ganz offensichtlich die nachhaltige negative Wirkung einer gewaltbesetzten Familienkonstellation. Dies paart sich mit Fehlen einer stabilen emotionalen Beziehung zu Mutter, Vater oder einer anderen Bezugsperson. Dagegen ist die familiale Situation bestimmt durch vielfache Brüche, Beziehungsstörungen und Disharmonie.“ (S. 149) Bereits in der Schule fielen die Befragten auf, durch Leistungsversagen, Verhaltensauffälligkeiten, delinquentes Verhalten und Schulabbruch. Im Durchschnitt begann dann ab dem Alter von 14 Jahren die Gruppensozialisation in rechten Jugendcliquen. (S. 149)
Im Grunde sind somit die grundlegenden Informationen bereits benannt. Im Detail möchte ich jetzt auf die Zahlen eingehen:

30 % der Befragten lebten als Kind zu irgendeinem Zeitpunkt in einem Heim.

20 % der Befragten wurden bereits bei ihrer Geburt vom Vater verlassen. Nur 44 % lebten mit ihrem leiblichen Vater bis zum 14. Lebensjahr zusammen. Ca. 40 % lebten zu irgendeinem Zeitpunkt mit einem Stiefvater oder einem neuen Freund der Mutter zusammen.

Mutter, Vater und Stiefvater wendeten oftmals Gewalt gegen das Kind an. Leider wurde wie so oft in ähnlichen Studien versäumt, die Häufigkeit des Gewaltverhaltens (was die Folgeschäden wesentlich beeinflusst) abzufragen.  Es wurde zudem auch nicht dargestellt (auch das ist in vielen ähnlichen Studien leider gängig), ob es einzelne Täter gab, die keine einzige Form von Gewalt in der Kindheit erlebt und/oder keine belastenden Erfahrungen wie Heimunterbringung oder Miterleben von Gewalt gemacht haben. Oder anders formuliert: Gibt es rechte Gewalttäter, die als Kind Liebe und Geborgenheit erfahren haben und gewaltfrei aufgewachsen sind? Die vorhandenen Daten der hier besprochenen Studie sprechen dafür, dass diese Frage mit Nein zu beantworten ist.

In der schriftlichen Befragung wurde das Gewaltverhalten von Mutter und Vater jeweils getrennt erhoben. Dabei ist den Forschenden leider ein Fehler unterlaufen. Das Gewaltverhalten der Mutter wurde versehentlich auch in die Tabelle bzgl. des Gewaltverhaltens des Vaters übernommen. Im Text auf Seite 121 wurde aber eine Prozentangabe bzgl. der schweren Gewalt durch die Väter gemacht. Zudem wurden Ergebnisse aus den mündlichen Interviews ergänzend erwähnt, so dass sich ein Bild ergibt.

Bestrafungen durch die Mutter:
- Tracht Prügel (schwere Gewalt): 30 %
-  angeschrien: 58 %
-  herabgesetzt: 18 %
-  nicht beachtet worden: 20 %
-  Ohrfeige: 37 %
-  Klaps: 38 %
-  Hausarrest/Verbote: 58 %

Bestrafungen durch den Vater:

- Tracht Prügel (schwere Gewalt): 54 %

Andere im Buch  in Abbildung 18 (S. 121) Prozentwerte sind nicht verwertbar, weil fälschlich im Buch dargestellt bzw. versehentlich Daten von Müttern übernommen wurden.

In den mündlichen Interviews berichteten 63 % von Gewalt seitens der Mutter (davon 46 % schwere Gewalt) und 60 % von Gewalt durch den Vater (davon 80 % schwere Gewalt). Bzgl. der Stiefväter ergab sich das gleiche Verhältnis: 60 % Gewalt (davon 80% schwer)

Bedenkt man dabei, dass ca. 20 % der Befragten (18 Personen von 91)  seit Geburt ohne leiblichen Vater aufwuchsen, ergibt sich real noch mal ein anderer Wert bzgl. der Betroffenheit väterlicher Gewalt. Denn diese 18 Personen werden logischer Weise angegeben haben, dass sie keine väterliche Gewalt erlebt haben, weil der Vater einfach nicht da war. Dadurch verklärt sich die Auswertung.
Nimmt man die Ergebnisse aus den Interviews (60% von 91 Befragten) dann gaben rund 55 Befragte an,  väterliche Gewalt erlebt zu haben. Diese 55 Befragten muss man jetzt in Relation zu den 73 Befragten sehen, die überhaupt mit leiblichen Vätern aufgewachsen sind. Somit würde sich ergeben, dass ca. 75 % Gewalt durch leibliche Väter erlebt haben.

Zudem ergibt sich wie bei allen ähnlichen Studien das Problem der fehlenden Erinnerung (durch Abspaltung oder Verdrängen des Erlebten) , was routinemäßig Ergebnisse verzerrt. Diesen Hinweis möchte ich hier explizit einbringen, weil im hintern Teil des Buches zwei („Rolf“ und „Jochen“) der 91 Gewalttäter ausführlich dargestellt werden. „Rolf“ hat den Angaben nach mehrmals im Interview gesagt, dass er weitgehend keine Erinnerungen an die Kindheit hat. (S. 158)

Geht man jetzt gedanklich davon aus, dass in einigen Fällen vielleicht nur die Mutter Gewalt angewandt hat oder nur der Vater oder nur der Stiefvater ergibt sich bei den o.g. Werten die Vermutung, dass wenn überhaupt nur ein kleiner Bruchteil der Befragten  keine Gewalt erlebt haben wird.

Den Familienalltag in der Kindheit beschrieben die Mehrzahl der befragten Gewalttäter als geprägt von Streit, Geschrei und Disharmonie. 64 % bezogen auf die Mutter, 89 % auf den Vater und ¾ auf den Stiefvater. Von einem autoritären Erziehungsstil, der kaum Möglichkeiten zu eigenen Entscheidungen ließ, erzählten im Schnitt 60 % der Befragten. 61 % der befragten Gewalttäter gaben im schriftlichen Fragebogen an, dass ihre Eltern wenig Interesse für sie gehabt hätten. Gewalt zwischen den Eltern haben 20 % miterlebt.

(alle o.g. Daten S 119-124)

Ab Seite 156 stellt Christine Wiezorek – wie oben schon kurz erwähnt – zwei Fallbeispiele ausführlich vor: Die Biografie von „Rolf“ und von „Jochen“. Mir wurde beim Lesen dieser beiden Fälle mal wieder deutlich, dass Zahlen und Rahmendaten wie oben aufgezeigt nur ein erstes Licht auf das werfen, was Kinder erleiden. Erst im biografischen Detail offenbart sich das ganze Grauen. Ich gebe nur kurz einiges wieder:

Fall „Rolf“: Unmittelbar nach seiner Geburt kam Rolf in ein Heim, da seine Mutter eine längere Haftstrafe abzusitzen hatte. Insgesamt hat Rolf eigenen Angaben zu Folge während seiner Kindheit in 9 oder 10 verschiedenen Heimen gelebt, einmal auch in einer psychiatrischen Einrichtung.  Er berichtet, dass er sich weitgehend nicht an seine Kindheit erinnern kann. Dies spricht für besonders schwere und häufige Gewalt-- und Demütigungserfahrungen, die dann abgespalten werden, um  psychisch zu überleben. Rolf hat noch 4 Geschwister, die jeweils einen anderen Vater haben. Konflikte in der Familie aber auch außerhalb wurden oftmals mit Gewalt gelöst. Die Mutter schlug und prügelte Rolfs Geschwister, aber auch Menschen außerhalb der Familie. Einen Mann soll die Mutter derart zusammengeschlagen haben, dass dieser danach im Rollstuhl saß. Hatte Rolf Ärger mit anderen Leuten, wurde die Mutter auch mal handgreiflich diesen Personen gegenüber. Innerhalb der Familie scheint eine generelle Gefühlskälte und Kommunikationsstörung geherrscht zu haben.  Rolf scheint auch einige Zeit auf der Straße gelebt zu haben. Er wurde früh kriminell und auch suchtkrank.

Fall „Jochen“: Auch Jochen lebte einige Jahre seiner frühen Kindheit in einem Heim. Seine Mutter hatte noch zwei Töchter, die aber in einem anderen Heim untergebracht wurden. Jochen wurde also zusätzlich von seinen Geschwistern, mit denen er sich sehr verbunden fühlte, getrennt. Mit ca. 8 oder 9 Jahren kamt Jochen wieder nach Hause zu seiner Mutter, die mittlerweile einen neuen Mann gefunden hat. Dieser Mann, sein Stiefvater, war brutal gegen alle Familienmitglieder. Er schlug und prügelte auch ohne Anlass, eher aus einer Stimmung heraus. Wenn die Mutter dazwischenging und Jochen schützen wollte, erhielt sie die Schläge, was zu ihrem Rückzug führte.  Der Stiefvater  sei außerdem wenig zu Hause gewesen sondern eher in Kneipen und bei seinen Kumpels.  Jochen floh schließlich aus seinem Elternhaus und lebte einige Zeit auf der Straße. Später kam er wieder zurück. Erneut begann eine Spirale der Gewalt in der Familie. Besonders erschüttert wurde Jochen, als seine ältere und schwangere Schwester (die er besonders liebte) mit ihrem Freund in einen anderen Ort zieht, ohne Jochen zu sagen wohin genau. Er verlor dadurch Halt und seinen Rückzugsort, den seine Schwester (und auch deren Freund) für ihn bedeuteten. Nach einem Jahr kam die Schwester allerdings alleine wieder zurück. Sie hatte sich von ihrem Freund, der sie u.a. vergewaltigt hatte, getrennt. Für Jochen brach dadurch sein Vertrauen in die Welt zusammen.
Im Alter von 14 Jahren wurde Jochen zum ersten Mal verurteilt, mit 16 erhielt er seine erste Haftstrafe. Zur Interviewzeit saß er, 22 Jahre alt, bereits seine dritte Haftstrafe ab.

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