Ich habe kürzlich eine relativ interessante Studie in die Hände bekommen:
Fischer, Gottfried; Klein, Annika; Orth, Alice (2012). Vom Opfer zum Täter. Traumafokussiertes Profiling in der Kriminalpsychologie. Kröning: Asanger Verlag
Zunächst einmal fand ich interessant, dass in der Einleitung einige Studien kurz aufgeführt wurden und - wissenschaftlich sachlich - kommentiert wurde: „Betrachtet man die Prävalenzraten körperlicher und sexuell gewaltvoller Kindheitstraumata unter inhaftierten Gewaltstraftätern im Vergleich zur Normalbevölkerung, findet man – wenngleich die Zahlen in den Untersuchungen aufgrund unterschiedlicher methodischer Herangehensweisen oder Stichprobenbeschaffenheit z.T. stark variieren – gehäuft höhere Raten von Kindheitstraumaopfern unter inhaftierten Gewaltverbrechern.“ (S. 12)
Für die o.g. Studie wurden 27 männliche Inhaftierte und 19 Frauen aus dem geschlossenen und offenen Vollzug befragt. Die Studie geht im ersten Teil auf viele interessante Erkenntnisse aus der Traumatologie ein. Die Darstellung der Ergebnisse fand ich allerdings wenig gelungen und teils undurchsichtig. Einzig auf Seite 69 werden Ergebnisse bzgl. Kindheitserfahrungen in Zahlen dargestellt:
Männliche Befragte (N = 27)
Körperliche Misshandlung = 4
Sexuelle Gewalt = 3
Misshandlung + sexuelle Gewalt = 10
Keine Gewalt = 10
Weibliche Befragte (N = 19)
Körperliche Misshandlung = 1
Sexuelle Gewalt = 6
Misshandlung + sexuelle Gewalt = 4
Keine Gewalt = 8
Etwa 60 % der Befragten haben also mindestens eine Form der o.g. Gewalt als Kind erlebt. (was deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt.)
Jetzt kommt gleich meine Kritik.
- Die Studie hat die Definition von „Misshandlung“ und „sexueller Gewalt“ nicht dargestellt sondern nur auf das Messinstrument verwiesen.
- Es wurde keine Häufigkeiten angegeben wie oft die Gewalt erlebt wurde (dabei ist dies der mit wichtigste Punkt)
- Im Textverlauf der Studie erfährt man von diversen weiteren Belastungen (Sucht der Eltern, frühes Verlassenwerden in der Kindheit/keine feste Bezugsperson, gestörte Verhältnisse zu Eltern, Inhaftierung eines Elternteils usw.) für 20 gesonderte Befragte. Diese wurden nicht tabellarisch aufgeführt. Es gibt keinen Überblick über diese weiteren und auch bedeutenden Belastungsfaktoren. Ich kann nicht verstehen, warum dies nicht deutlich aufgeführt wurde, da es offensichtlich abgefragt wurde…
- Mir persönlich fehlten einige ausführliche Fallbeispiele (wie dies in anderen ähnlichen Arbeiten üblich ist). Die Kategorie "Täter wurde als Kind misshandelt" ist letztlich nur eine oberflächliche Information. Erst ein umfassenderes Bild ermöglicht dem Leser auch ein emotionales Verstehen.
In der zweiten Untersuchungsphase wurden jeweils 10 Männer und 10 Frauen gesondert analysiert und in persönlichen Interviews befragt. Nach dem, was ich herausgelesen habe, sind diese 20 Personen eher die, die nach der vorgenannten Tabelle Gewalt in der Kindheit erlebt haben. Beispielsweise sind 7 der 10 männlichen Befragten als Kind Opfer von Gewalt geworden. (S. 72)
Ihre Traumageschichte wurde dann in ein Verhältnis zu ihrem Tatverhalten gebracht.
Dabei kam folgendes zentrale Ergebnis heraus:
- Je früher die Traumatisierung und je komplexer die Traumatisierung, desto höher die Tatdetailüberschneidungen (sprich Wiederholungen des Täterverhaltens dessen Opfer man selbst als Kind war).
Handlunge, Gesten, verbale Ausdrücke, Ort der Taten und der Gebrauch von Waffen, in all diesen Gebieten finden sich deutliche Wiederholungen der eigenen Opfererfahrungen. Eine Stelle möchte ich hier zitieren. „Ein frühkindliches Beziehungstrauma führt zu einer wesentlich höheren und genaueren Detailübereinstimmung als ein lebensgeschichtlich später datiertes Trauma. Probanden, die in der frühen Kindheit eine Traumatisierung durch fortgesetzte körperliche Gewalt erlitten, reinszenieren Details dieser Misshandlung. Liegt eine Traumatisierung durch fortgesetzte körperliche Gewalt und sexuelle Gewalt vor, so werden Details beider Traumatisierungen im Tatgeschehen reinszeniert. Auch mit der traumatischen Situation verknüpfte Erlebnisqualitäten (wie bspw. Dissoziatives Erleben) werden in der Tatsituation reaktiviert.“ (S. 158+159)
Ziel der Studie war letztlich, Ermittlern Hilfestellungen zu geben. Tatmerkmale lassen demnach Rückschlüsse auf das Traumaprofil des Täters zu. Für mich ist die Studie nur begrenzt nützlich, da sie nicht deutlich ermittelt bzw. dargestellt hat, wie viele der Täter welche Arten von Belastungen in der Kindheit, in welchen Schweregraden und wie häufig erlitten haben.
Donnerstag, 10. März 2016
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1 Kommentar:
Ist eigentlich ganz logisch. Nietzsche hatte Recht, es gibt eigentlich keinen richtigen Willen zum Leben, sondern das hat eher etwas mit einem Willen zur Macht zu tun. Unsere Kultur betreibt zwar einen Kult der Schwäche, aber wahrscheinlich würden die meisten Leute in gewisser Weise es eher akzeptieren können, tot zu sein, als schwach zu sein. Dies wird auch der Grund sein, warum es so eine Debatte um aktive Sterbehilfe gibt. Die Leute haben eine enorme Angst davor, quasi die ultimative Schwäche zu erleben.
Man kennt das vom japanischen Seppuku, aber wahrscheinlich dürften auch mindestens 80% der Selbstmorde von der Motivation her eine Art "informelles Seppuku" sein. Und deshalb gab es vergleichbare Rituale auch in anderen Kulturen, wie z.B. bei den Stoikern im alten Rom.
Und jede Form von Gewalt und selbst manch eine Form von eigentlich rationaler Kritik vermittelt auch ein Gefühl von "jetzt bin Ich der Stärkere". Und deshalb ist das dann ein angenehmes Gefühl. Wahrscheinlich ist die Verbrechensrate bei angehörigen der Unterschicht deshalb auch höher, als bei Menschen der Oberschicht. Und Revolutionen, wenn sie von den Armen kommen, sind deshalb auch immer am Blutigsten. (Man denke an Robespierre oder Mao Tse Tung, oder warum aus der syrischen Revolution ISIS erwuchs.) Das sind Leute, die in der Gesellschaft "Schwach" sind und die dann Süchtig nach dem Gefühl von Stärke werden. Wahrscheinlich ist das deshalb auch ein Grund für Sprenglers "Winter der Zivilisation", also dass demokratische Revolutionen oft am Ende einen weitaus brutaleren Diktator an die Macht bringen.
Und auch Kierkegaard hat den interessanten Satz gesagt, Sünde sei immer ein Produkt der eigenen Verzweiflung. Ein nicht verzweifelter Mensch begeht meistens keine Sünden.
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