Dienstag, 19. April 2016

Kindheit von Recep Tayyip Erdoğan

Ich habe nur kurz recherchiert, vielleicht gerade einmal 15 Minuten. Und schon habe ich einige Details über die Kindheit Erdoğans gefunden, die im Grunde bereits alles sagen:

"Erdoğan wuchs in kleinen Verhältnissen auf, in einem Hafenviertel, auf dessen Straßen das Gesetz des Stärkeren galt: Wer Schwäche zeigt, hat schon verloren. Wer beleidigt wird, muss zurückschlagen." (Focus.de, 14.04.2016, "So wurde der türkische Staatspräsident zu dem, was er ist")
Unter Verweis auf Recherchen des SPIEGEL wird in dem Artikel geschrieben, dass er nie einer Schlägerei aus dem Weg ging.

In einem FAZ Artikel wird Erdoğans Vater kurz und knapp in einem Satz beschrieben:  "Er war fromm, streng, autoritär." (FAZ, 05.08.2008, "Der Realo aus dem Hafenviertel")
"Erdoğans Erziehung war streng. Vor einigen Jahren berichtete er, wie er einmal von einer Nachbarin den Hintern versohlt bekam und darauf ein paar Flüche ausstieß – mit der Folge, dass er von seinem Vater zur Bestrafung an den Füßen mit dem Kopf nach unten aufgehängt wurde. Ein Onkel habe sich schließlich seiner erbarmt und ihn aus der misslichen Lage gerettet." (Die Presse, 10.08.2014, "Erdoğan, der Staatsmann aus dem Schlägerviertel")
Man kann sich vorstellen, dass weitere destruktive Erziehungsmaßnahmen im Hause Erdoğan keine Ausnahme gewesen sein werden. (Nachträglicher Hinweis: Noch mehr Details über seine Kindheit habe ich in dem Beitrag Opferrituale. Ereignisse in der Türkei bestätigen psychohistorische Annahmen zusammengetragen.)

Für mich sind diese Informationen keine Überraschung, da das Verhalten des türkischen Präsidenten bereits eine deutliche Sprache spricht. Ein autoritärer Charakter fällt bekanntlich nicht vom Himmel. Allerdings beunruhigen mich die Informationen, da es unwahrscheinlich ist, dass jemand, der derart als Kind geprägt wurde, von dem einmal eingeschlagenen Weg ablässt. Die Macht, die er inne hat und die er immer weiter auszubauen scheint, wird einem Menschen, der einst als Kind misshandelt wurde, weiter zu Kopf steigen. Im Hinterkopf wirkt die alte Ohnmacht und die verträgt sich nun mal nicht mit großer realer Macht.

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Nachtrag 01.12.2023:

In meinem Buch habe ich die Kindheit von Erdoğan vor allem auf Grundlage der Quelle Akyol, C. (2016). Erdoğan: Die Biografie. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau. (Kindle E-Book Version) besprochen. Die entsprechende Passage füge ich hier nachträglich ein:

Nach eigenen Aussagen habe sein Vater „von Zeit zu Zeit“ mit ihm und seinen Geschwistern „abgerechnet“. „Wir respektierten die Autorität. Wir hätten sonst auch gewusst, dass unser Vater uns andernfalls schwer dafür würde büßen lassen“ (Akyol 2016, Kapitel „Ein strenges Elternhaus“).
Einmal habe er als Kind eine Nachbarin beschimpft. „Da hat sie sich mir vorgenommen. Je mehr ich fluchte, desto mehr gefiel ihr das, und sie schlug mich auf den Po. Sie schlug mich, und ich fluchte. Sobald mein Vater kam, der im Stadtteil sehr beliebt war, hat sie sich über mich beschwert. Davon wusste ich natürlich nichts. Mein Vater kam herein. (...) Er packte mich und hängte mich unter die Decke. Ob er mich dafür an den Händen oder unter den Achseln gefesselt hat, weiß ich nicht mehr. Ich blieb fünfzehn oder zwanzig Minuten hängen, bis mein Onkel kam und mich rettete. Danach war die Zeit des Fluchens für mich vorbei“ (Akyol 2016, Kapitel „Ein strenges Elternhaus“).
Solche Maßnahmen, sagte Erdoğan der Biografin Çiğdem Akyol nach lächelnd, seien auch sinnvoll gewesen. Was neben seiner bis heute andauernden Verehrung für seine Eltern, über die er laut Akyol nie ein schlechtes Wort sagte, für eine starke Identifikation mit dem Aggressor spricht. 

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Sven (und alle)

Bei Deinem kurzen Artikel zu Erdogan's Kindheit ist mir jetzt die Frage gekommen, wie es eigentlich kommt, dass ein Mensch, der als Kind geschlagen und gedemütigt wurde, später z.B. eben Staatsmann wird und ausgestattet mit viel Macht ein Land regieren kann. Das heisst, was führt dazu, dass solch ein Kind dann später so eine Position innehaben kann bzw. will. Was macht es aus, dass so ein Kind nicht wie andere Kinder, die ähnlich misshandelt wurden, im späteren Leben zum Beispiel in Depressionen versinkt, Alkoholiker oder sonst abhängig von einer Droge wird, ein arbeitsloses Dasein fristet (und abhängig von der Fürsorge), zum Serienmörder wird oder Suizid begeht?

Gibt es da vielleicht etwas Entscheidendes im Leben so eines Kindes, dass aus diesem dann ein Machtmensch wird, ein Staatspräsident und nicht einfach ein "Irgendjemand" aus der Masse?

Wir kennen aus der Gegenwart, wie auch aus der Vergangenheit, ja viele Beispiele von Diktatoren und Tyrannen (Hitler, Stalin, Mussolini, Pinochet, Mao, Ceausescu usw.) und alle hatten sie eine sehr gewaltvolle KIndheit. Was war oder ist es, das solche Menschen an die Spitze hievt und nicht versinken lässt?

Beste Grüsse
Mario

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Mario,

danke für diese wichtigen Fragen, die auch mich umtreiben.

Meine Meinung dazu:

1. Zufall (Man kennt das selbst aus dem eigenen Leben, manchmal sind es einzelne Begegnungen, die das Leben in eine ganz andere Richtung werfen, sofern man dem eröffneten Weg folgt)

2. Ich bin mir ziemlich sicher, dass solche Staatlenker wie auch so mache Diktatoren überdurchschnittlich intelligent sind. So manche wohl auch im Bereich einer Hochbegabung. Bzgl. Hitler habe ich da einige Berichte in Erinnerung über sein extrem gutes Gedächtnis. Auch bzgl. Stalin und Mao habe ich beim Lesen der Biografien den Eindruck bekommen, dass das hoch intelligente Menschen waren.
Dass sie extrem "dumme" um nicht zu sagen destruktive Entscheidungen trafen ist eine andere Sache, die durch ihre emotionale Lage bestimmt war.
Um in solche Positionen zu kommen braucht es mehr als den Durchschnitts IQ

3. Ich politische Macht auf eine Art für solche Menschen ihre "Droge". Politische Macht zieht meiner Meinung nach besonders die an, die selbst einst schwere Ohnmachtserfahrungen machten.

4. Werden einst als Kind misshandelte Staatslenker an die "Macht gehievt", wenn es im Volk einen erheblichen Anteil von Menschen gibt, die ähnliche Kindheiten hatten (das gilt ganz sicher auch für die Türkei). Sie identifizieren sich mit der alt bekannten Macht, mit dem, was sie spüren, wenn sie den Staatlenker reden und agieren hören und sehen. Erdogan wird viele an ihre Väter erinnern, sie sie auf eine Art ja auch lieben (Hassliebe), trotz Machtmissbrauch und autoritärem Verhalten. Die Gefahr ist für solche Staatlenker immer auch, dass irgendwann auch der Hass auf sie ausgeschüttet wird in Form von einer blutigen Revolution.

Anonym hat gesagt…

Hallo Sven

Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort.

Dass destruktive Staatslenker, Diktatoren und Tyrannen offenbar oftmals überdurchschnittlich intelligent sind, habe ich bis jetzt nicht bedacht. Das zeigt uns aber auch - in gewisser Weise sehr schmerzhaft -, was der Menschheit womöglich an genialen Errungenschaften entgangen ist, hätten diese Menschen eine glückliche Kindheit erleben dürfen! Dies trifft natürlich noch auf sehr viele andere Menschenschicksale zu, wo ungeahnte Potentiale, also Möglichkeiten/Erfindungen/Entdeckungen auf der Strecke blieben, nicht ausgeschöpft werden konnten, weil die Belastung einer traurigen bis sehr traurigen Kindheit zu schwer wog!

Der vierte Punkt, den Du erwähnst, ist natürlich ein sehr wichtiger, zentraler Punkt, wie wir aktuell ja auch sehen können in den USA, wo vielleicht bald Donald Trump (Stichworte „pöbeln, poltern, beleidigen“) zum neuen Präsidenten gewählt wird. Kürzlich meinte er an einer Rede: „Das eigene Militär muss dringend modernisiert und ausgebaut werden. Von zwei Mio. Soldaten (1991) sind nur noch 1,3 Mio. im Dienst, die nuklearen Waffen veraltet, die Marine habe von einst 500 Schiffen nur noch 272 - während Russland und China aufgerüstet haben.“ Trump ist offenbar eine Identifikationsfigur für sehr viele US-Bürger.

Auch in Frankreich könnte es bald einen markanten Wechsel an der Spitze geben, wenn Marine Le Pen von der rechtsextremen „Front Nationale“ nächstes Jahr zur Präsidentenwahl antritt. Der Slogan dieser Partei „Frankreich zuerst“ verwendet jetzt auch Trump („USA zuerst“).

Ein anderes Beispiel der Gegenwart ist der Führer von Nordkorea, Kim Jong-Un. Sein Grossvater Kim Il-Sung war von 1948-1994 der stalinistische Diktator Nordkoreas. Danach kam sein Sohn Kim Jong-Il und nun, seit 2011, ist dessen Sohn an der Macht. Wie es dort so zu und hergeht, beschreibt zum Beispiel das Buch „Flucht aus Lager 14“ von Blaine Harden. Die „Kim-Kerle“ müssen unter grausamen Umständen aufgewachsen sein und in ihrer Blindheit rächen sie sich für das Erlittene am eigenen Volk.

Beste Grüsse
Mario

Anonym hat gesagt…

Ergänzung:
Der Umstand, dass jemand Erbfolger ist einer Herrscherfamilie könnte man vielleicht als fünften Punkt anführen. Dies zeigt sich zum Beispiel in Nordkorea, wo der jetztige Führer seine Machtposition sicherlich nicht einer überragenden Intelligenz zu verdanken hat.

Gruss
Mario

Angelika hat gesagt…




Es ist ja die Frage, ob physische und/oder emotionale Gewalt gegen Kinder nicht eine erhebliche sexuelle Komponente, im Sinne eines klassischen Sadismus hat. Michael Haneke hat das in "Das weiße Band" sehr gut veranschaulicht, Heinrich Mann in "Der Untertan" mit sarkastischem Unterton beschrieben. Auf der Homepage "Seele und Gesundheit" wird der Zusammenhang von Sadomasochismus und Pädo"philie" gut verständlich erläutert. Wo ganze Kollektive Gewalttätigkeiten dulden oder sogar fördern und fordern, geschieht es schnell, dass Kinder kaum noch gute Vorbilder finden. Die Veröffentlichungen über Terroreinrichtungen wie das Klosterinternat Ettal, der Domspatzenvorschule Etterzhausen, dem Aloisiuskolleg, der Odenwaldschule und den Jugendwerkhöfen in der ehemaligen DDR zeigen, wie Gewalt und Druck in eher abgeschlossenen Einrichtungen entsteht und welchem Zweck er dient.
Sind Familien so strukturiert, verhalten sich dann häufig auch die weiblichen Angehörigen nur scheinbar sanftmütig. Die sexuelle Gewalt, die sie von den männlichen Erwachsenen erfahren, lassen sie an den Jungen aus. Alles durch Zuwendung getarnt. Oder etwas plakativer ausgedrückt: es gibt in solchen Gesellschaften viele Söhne, die vom Vater geschlagen und gequält werden und bei ihrer Mutter schon bald nach der Geburt wieder zwischen den Beinen liegen. Allerdings mit dem Gesicht nach unten. Mit einem Macho- und Dominanzgehabe versuchen diese Doppelopfer später dann eine Männlichkeit zu demonstrieren, die in Wirklichkeit zutiefst beschädigt ist. Promiskuität ist bei solchen Männern ebenso verbreitet wie Pädokriminalität. Dahinter verbirgt sich eigentlich Impotenz, denn beziehungsunfähig wie sie sind, haben diese Typen sexuell nicht viel drauf. Eigentlich haben sie Angst vor Nähe und Angst vor Frauen. Die Sorge, Kontrollverlust zu erleiden ist enorm.
Mädchen werden zwar in traditionellen Gesellschaften abgewertet und auf ihre Rolle als Sexualabort und Dienstmagd vorbereitet. Aber sie dürfen wenigstens Emotionen zeigen. Defensives, kleinkindhaftes, hilfloses Verhalten gilt sogar als erwünscht, da "typisch weiblich". Jungen dagegen dürfen nur dann Gefühle zeigen, wenn es darum gilt, Freude daran zu zeigen, Anderen geschadet oder sie übertrumpft zu haben. Wer als Kind solche Zustände überstehen will, muss Widerstandskraft und Überlebensstrategien entwickeln. Und eine Motivation, die nicht von ungefähr an einen manischen Zustand erinnert.
Bezeichnend, dass dies oft auch Eigenschaften von Anführern sind.

Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden