Dienstag, 13. September 2016

Extremismus-Studie. Belastende Kindheitserfahrungen bedeutsamer als Ideologie

Nachträglicher Hinweis: Ursprünglich hatte ich hier die Ergebnisse aus einer Vorabveröffentlichung (Trauma as a Precursor to Violent Extremism: How non-ideological factors can influence joining an extremist group) aufgeführt. Diese Ergebnisse weichen leicht von denen ab, die in der Endauswertung bzw. eigentlichen Veröffentlichung der Studie zu finden sind. Unten nun die Daten aus der Endauswertung: 

Quelle: Simi, P., Sporer, K. & Bubolz, B. F. (2016): Narratives of Childhood Adversity and Adolescent Misconduct as Precursors to Violent Extremism: A Life-Course Criminological Approach. Journal of Research in Crime and Delinquency. Vol 53, Issue 4. S. 536-563. (download hier!)

Für die Studie wurden 44 ehemalige Mitglieder (6 weiblich) von gewalttätigen, rechtsextremistischen Gruppen (aus verschiedenen Regionen in den USA) mit Hilfe von Interviews befragt.

Entgegen der Vorstellung, Mitgliedschaften in extremistischen Gruppen seien ideologisch bedingt, ist das zentrale Ergebnis dieser Studie, dass es eine Reihe von nicht-ideologischen Faktoren gibt, die Menschen motivieren, solchen Gruppen beizutreten. 

Belastende Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, ACEs):

43 % wurden als Kind körperlich misshandelt
23 % erlebten in Kindheit/Jugend sexuellen Missbrauch
41 % wurden emotional/körperlich vernachlässigt
27 % hatten Elternteile, die inhaftiert wurden
36 % wurden von Elternteilen verlassen
64 % wurden als Kind Zeugen schwerer Gewalt (in Familie und/oder Nachbarschaft)
59 % der Befragten hatten Familienmitglieder mit einem Suchtproblem
48 % hatten Familienmitglieder mit psychischen Problemen 

Gesundheitsprobleme / Risikoverhalten:

57 % berichteten über Selbstmordgedanken
41 % berichteten über weitere psychische Probleme
73 % hatten ein Drogen- und/oder Alkoholproblem
59 % waren Schulschwänzer
55 % waren Schulversager

7 Kommentare:

Michael Kumpmann hat gesagt…

Na ja. Zum Thema Extremismus erstmal nur soviel: Gewalttätige Extremisten sind schlecht. Aber nicht weil sie Extremisten sind, sondern wegen ihrer Gewalttätigkeit.

Im Allgemeinen finde ich, die deutsche Philosophie leidet unter einer "bloß kein Extremist sein" Krankheit, die dazu führt, dass das, was sich heutzutage in Deutschland Philosoph nennt (mit Ausnahme von Sloterdijk und Zijzek, sofern man diese als Deutsch zählen kann) alles ein Rückgratloser Haufen ist, der dem Mainstream nach dem Mund reddet und Binsenweisheiten raus haut (wie "Mehr Demokratie, es sei denn, die Leute wählen nicht die Grünen, sondern die AFD", "Mehr Toleranz für Schwule", "Das Schulsystem muss reformiert werden, aber bloß nicht zu viel", "mehr Multi Kulti", "Kapitalismus ist schlecht, es sei denn, wenn ich ein paar Milliarden mit meinen Büchern verdiene. Dann ist Kapitalismus Prima", "mehr Gleichberechtigung", "mehr Sozialstaat" etc.)

Es gibt außer den 2 genannten keiner, der dem Volk den Spiegel vorhält. Und wenn ein wenig Kritik an den herrschenden Verhältnissen kommt, dann ist das eine Pseudokritik, die gar nichts ändert, sondern leicht verdaulich ist und nur dazu führt, dass die Leser sich ein wenig moralisch besser vor kommen.

Bis einschließlich Adorno wimmelte es in der deutschen Philosophie von Extremisten. (Marx, Stirner, Nietzsche, Schopenhauer, Heidegger, Schmitt, Jünger etc. um nur ein Paar zu nennen.) Und was war das Ergebnis? Wir waren in der Philosophie führend. Man kann fast sagen, wenn man in der Welt philosophierte, philosophierte man Deutsch.

Und was ist heute? Kräht irgendein Hahn im Ausland nach Richard David Precht? Weiß man im Ausland überhaupt, dass der Existiert? Interessiert es jemanden, ob er existiert?

Deutschland ist Philosophisch mitlerweile mausetod. Die "blühende Landschaft" der deutschen Philosophie ist zur Wüste der dekadenten EInfallslosigkeit verkommen. Der einzige, den man vielleicht noch Philosoph schimpfen kann, ist Akif Pirincci.

Und das liegt daran, weil hier jeder Angst hat, als Extremist wahrgenommen zu werden. Deutschlands Philosophie kann nur noch gerettet werden, wenn es mehr Extremisten geben würde.

Dies ist ein Grund, warum ich mir in der Philosophie vorgenommen habe, mental ein Extremist zu werden. Ich will nämlich nicht zu so einem Rückgratlosen Mitläufer wie Precht werden.

Michael Kumpmann hat gesagt…

Zu

"58 % schwänzten früher die Schule
54 % versagten während ihrer schulischen Laufbahn, weil sie aus der Schule vertrieben oder rausgeschmissen wurden"

Ist das wirklich ein durch elterliche Misshandlung ausgelöstes Problemverhalten, oder kann das nicht auch eine Reaktion sein, dafür, dass man diese Extremisten in der Schule auch schlecht behandelte? Fluchtverhalten ist ja eine Reaktion darauf, dass das, vor dem man flieht, unangenehm ist. (Und wenn A Aversiv ist, flieht man ja vor A und nicht vor B.)

Ein Beispiel vor mir: Du weißt, wie das bei mir mit der Schule war. Deshalb habe ich bei manchen Krankheiten extra ein paar Tage länger Krank gefeiert, um nicht wieder in die Schule zu müssen. (Da bin ich also von der Unangenehmen Schule zum weniger unangenehmeren Elternhaus geflohen.) Als sich meine Eltern eine Zeit lang nur noch pausenlos anschrien, und das täglich, habe Ich aber versucht, Länger in der Schule bleiben zu können. (Da haben sich die Reize also absolut umgekehrt und mein Elternhaus wurde deutlich unangenehmer als die Schule. )

Dies zeigt, was Ich meine. Wenn jemand von Reiz A flieht, bedeutet dies vor Allem, dieser eine Reiz ist Unangenehm.

Man kann schlecht darauf schließen, dass wenn jemand die Schule schwänzt, er im Elternhaus misshandelt wird. So jemand würde dann nämlich eher versuchen, von seinen Eltern zu entkommen, statt von der Schule.

Michael Kumpmann hat gesagt…

Eine gewisse Rolle wird Ideologie auch spielen müssen. Egal, wie jemand misshandelt wurde. Wer eine Million auf dem Konto hat, wird kein Kommunist. Oder zumindest keiner, der es mit dem Kommunismus ernst meint. (Die ganzen Musiker wie Jan Delay etc. , die vom Kommunismus schwärmen und gleichzeitig selbst mehrere Porsche besitzen, sind heuchlerische Witzfiguren und sonst nichts. )

Sven Fuchs hat gesagt…

Eine gewisse Rolle spielt Ideologie natürlich immer. Sie kann ihre Wirkung aber nur erreichen, wenn sie Menschen in ihren Bann zieht, die innerlich leer sind, die keine feste Identität besitzen usw. und die vor allem hassen, hassen, schon längst, bevor sie auf die Ideologie treffen.

Schuleschwänzen ist in der Literatur ein Warnsignal für mögliche Kindesvernachlässigung und - misshandlung, ja. Aber natürlich hast Du recht, dass auch Gewalt und Erniedrigungserfahrungen in der Schule Auslöser dafür sein können. Manche sehr kreative Menschen wie Helge Schneider haben die Schule geschwänzt, weil sie die Luft dort einfach nicht einatmen wollen...was ich bei einem Menschen wie Schneider total verstehen kann:-)

Michael Kumpmann hat gesagt…

Da stimme Ich zu. Man kann auch gut "konkrete Feindbilder" sehr leicht ideologisch umdefinieren, und deshalb sehr leicht alles in eine Ideologie hineinpressen. Auch, weil sich Feindbilder von Extremisten oft sehr ähneln. (In der Mehrheit ist der Feind irgendein blutsaugender Schmarotzer, der den "Volkskörper" auffrisst. Das trifft sowohl auf Kommunisten, als auch auf Nazis (Jüdische Weltverschwörung), und sogar auf einige extrem marktradikale Liberale zu. (Schau Dir mal die Sprache von Ayn Rand an. Die hatte unter der stalinistischen Diktatur gelitten, aber deren "Feinde" in den Schriften werden exakt, fast Wort für Wort genau so beschrieben, wie die Stalinisten ihre Feindbilder dämonisierten.))

Deshalb kann man erstaunlich gut die Ideologien wechseln und immer noch die selben konkreten Personen hassen.

Sven Fuchs hat gesagt…

Zusatzinfo: http://digitalcommons.unomaha.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1985&context=srcaf

Sven Fuchs hat gesagt…

Ergänzend: "Recruitment and Radicalization among US Far-Right Terrorists"
https://www.start.umd.edu/pubs/START_RecruitmentRadicalizationAmongUSFarRightTerrorists_Nov2016.pdf