Freitag, 21. Juni 2019

Was die Krise der etablierten Parteien und "Fridays for Future" mit veränderten Kindheiten und Erziehungsstilen zu tun hat


Nachdem es innerhalb der ZDF-Sendung von Markus Lanz am 12.06.2019 um einen rauen Umgang und Machtkampf innerhalb von Parteien (insbesondere innerhalb der SPD, aber auch bei der CDU) ging, äußerte sich der Journalist Robin Alexander folgendermaßen:
Die Leute wollen das heute nicht mehr. Ich glaube, das Publikum hat sich verändert und nicht die Akteure. (…) Wir haben so eine neue Sensibilität, deshalb kommen auch die Grünen so gut, die ja die ganze Zeit darstellen: Habeck und Baerbock, wie mögen sie sich und sie teilen sich das Büro und wie toll. Die Leute wollen heute eine kooperative Führung mindestens dargestellt haben. Und dieses alte Harte, was die SPD macht wie eh und je, kommt nicht mehr gut an.

Ich habe genau auf einen solchen Aufhänger gewartet! SPD und CDU (aber zum Teil sicher auch die LINKE und die FDP) reiben sich verwundert die Augen und staunen, was da in letzter Zeit passiert. Spätestens seit der Europawahl ist klar, dass sich die politische Landschaft radikal ändern wird.
Bei den 18- bis 35-Jährigen waren die GRÜNEN bei der Europawahl 2019 die stärkste Kraft.
Hätten nur die unter 25-Jährigen gewählt, wären die GRÜNEN sogar bei 34% der Stimmen gelandet, einzig die CDU wäre noch mit 12% im zweistelligen Bereich. Und: Der Aufwind der AFD wäre jäh am Ende, denn diese hätte von den unter 25-Jährigen nur 5 % der Stimmen erhalten (ARD, Umfragen Wähler nach Altersgruppen).

Sicherlich spielt bei dieser Entwicklung das Thema „Klimawandel“ eine wichtige Rolle. Die GRÜNEN haben dabei von Haus aus einen Vorteil. Ich glaube aber, dass die oben zitierte Analyse von Robin Alexander eine mindestens ebenso gewichtige Rolle spielt. Robert Harbeck (geboren 1969), Annalena Baerbock (geb. 1980), Katrin Göring-Eckardt (geb. 1966) oder auch Gesine Agena (geb. 1987), Jamila Schäfer (geb. 1993), Michael Kellner (geb. 1977) oder Marc Urbatsch (geb.  1976) verkörpern nicht nur eine neue Politiker-Generation, sondern vor allem eine neue Mentalität. Und das gilt nicht nur bezogen auf die Gegenpole CDU, CSU, FDP & SPD, sondern auch bezogen auf die „alten GRÜNEN“ wie z.B. Joschka Fischer (geb. 1948), Jürgen Trittin (geb. 1954) oder Claudia Roth (geb. 1955). Allen drei Letztgenannten fehlte die emotionale Leichtigkeit, die die „neuen“ GRÜNEN mitbringen.
Die jüngeren Nachwuchspolitiker anderer Parteien sind zwar auch jung (was logisch ist), aber sie treffen nicht so gut die neuen Mentalitäten (kaum ein junger Politiker verkörpert dies im Extrem so gut wie Philipp Amthor von der CDU, der Jahrgang 1992 ist, aber eine derart konservative Ausstrahlung hat, dass man eher an frühere Zeiten erinnert wird). Zumindest nicht so treffsicher, wie die GRÜNEN.

Wer sich mit Kindheiten befasst, mit der historischen Entwicklung von Kindheit und mit sich verändernden Erziehungsstilen (in Familie und Schule), der wundert sich eigentlich nicht über die aktuelle politische Entwicklung. Diese Entwicklung war geradezu überfällig! Das Publikum hat sich verändert, stellte Robin Alexander fest. Aber die politischen Akteure nicht. Starre Parteien wie CDU, CSU und SPD haben offensichtlich nicht viel Raum gelassen, um Menschen mit neuen Mentalitäten nach oben zu lassen. Das rächt sich jetzt.
Man sieht dies alleine schon am Ungleichgewicht der Altersstrukturen in den Parteien. Die GRÜNEN haben von allen Parteien den geringsten Anteil von Mitgliedern, die über 66 Jahre (also Geburtenjahrgänge unter 1953) alt sind (nämlich 13%, im Vergleich dazu z.B. CDU = 42%, CSU = 38 % und SPD = 42 %). Der Anteil der Mitglieder, die 16 bis 35 Jahre alt sind, ist bei den GRÜNEN ungefähr doppelt so groß wie bei CDU/CSU und SPD (23 % bei den GRÜNEN, dagegen 10 % bei CDU/CSU und 13 % bei der SPD). (Zahlen siehe DER SPIEGEL, Nr. 24, 08.06.2019 „Echt jetzt?“, S. 16)

Die Daten über den stetigen Gewaltrückgang gegen Kinder in Deutschland sind bekannt. Parallel nahm stetig der Anteil der Menschen zu, die über ein hohes Maß an elterlicher Zuwendung berichten. Für die Geburtenjahrgänge zwischen den 1930er und 1950er Jahren ist nachgewiesen, dass diese Jahrgänge nur zu ca. 30 % ein hohes Maß an elterlicher Zuwendung erfahren haben, bei den Jahrgängen ab 1990 sind dagegen mittlerweile Raten von über 60 % nachgewiesen. Gesonderte Schülerbefragungen (mit hohen Fallzahlen) in Niedersachen zeigen ergänzend, dass die Geburtenjahrgänge um das Jahr 2000 mittlerweile zu 78,6 % über ein hohes Maß an elterlicher Zuwendung berichten (Pfeiffer, C., Baier, D. & Kliem, S. (2018): Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland. Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer. Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, S. 37+39.).

Oder man schaut ganz klassisch in die Shell-Jugendstudien. Der Anteil der Jugendlichen, die „bestens“ mit ihren Eltern auskommen, ist seit der Befragung 2002 stetig gestiegen, von 31 % im Jahr 2002 auf 40 % im Jahr 2015. Fasst man die Items „Kommen bestens miteinander aus“ und „Kommen klar, gelegentliche Meinungsverschiedenheiten“ zusammen, dann ergibt sich folgendes Bild: 2002 = 89 %, 2006 = 90 %, 2010 = 91 % und 2015 = 92 %.  (Geburtsjahrgänge für die Befragung 2002 = ca. 1977 – 1990, für 2015 = ca. 1990 – 2003) Insgesamt betrachtet erging es den Generationen ab dem Geburtenjahrgang 1977 (meinem Geburtsjahr!) also recht gut in ihren Familien.
Noch deutlicher sind sie Ergebnisse, wenn es um die Frage geht, ob man die eigenen Kinder „genauso“ oder „ungefähr so“ erziehen würde, wie man selbst von seinen Eltern erzogen wurde. Dabei gibt es eine stetige Steigerung: 1985 = 53 %, 2000 = 72 %, 2002 = 69 %, 2010 = 72 % und 2015 = 74 % (Shell Deutschland Holding (Hrsg.) 2015: Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, S. 52-55.)

Diese so aufgewachsenen Menschen können nichts mehr mit der ruppigen Art, Machtspielen und rhetorischen Luftblasen in der Politik anfangen. Sie wurden kooperativ erzogen und verstehen das Gehampel der politischen Akteure nicht mehr. Das hat die Politik bisher nicht verstanden!

Eine pragmatische Generation im Aufbruch“ wurde die Shell-Studie 2015 betitelt. Gerade im Jahr 2019 mit den Fridays for Futures-Demos könnte dieser Titel nicht besser passen. Wer sich diese Demos hierzulande anschaut, der sieht Kinder und Jugendliche mit einer klaren, ungetrübten Sicht und deutlichen, auf Fakten beruhenden Zielen, das Ganze auch noch gänzlich gewaltlos und ohne Hass. (Bei den 1968ern sah das noch anders aus, vor allem was Hass, Feindbilder und Gewaltfreiheit anging.)

Um die Zukunft müssen wir uns (vom Klimawandel abgesehen) hierzulande keine Sorgen machen. Alle vorliegenden Daten und Informationen zu Kindheit und Jugend lassen den Schluss zu, dass sich unsere Gesellschaft nachhaltig und positiv Stück für Stück weiterentwickeln wird. Die starren, konservativen Charaktere der Vergangenheit, die noch mit Zucht und Ordnung erzogen wurden, gehören bald der Geschichte an. (Schlechte Nachrichten vor allem auch für die AFD und ähnlich Gesinnte!) Oder wie es der Kinderarzt Herbert Renz-Polster anlässlich seines Buches „Erziehung prägt Gesinnung“ in einem Interview formulierte: „Wir haben aktuell die liberalste Gesellschaft in Deutschland, die es jemals gab. (…) Wir ernten derzeit die Früchte einer würdigeren und befreienderen Erziehung. Insbesondere in den Familien haben wir heute ein viel sichernderes, emotional wärmeres, zugewandtes und bedürfnisorientiertes Umfeld“ (Schubert, F. (2019, 25. April): „Nur wer sich selbst als wertvoll ansieht, kann auch anderen einen Wert zugestehen“. Frankfurter Rundschau.).

(Und ja, es ist kein Zufall, dass ich diesen Beitrag heute, da der erste internationale Klimastreik in Aachen stattfindet, veröffentliche ;-) )



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