Seit ca. Mitte der 1960er Jahre gab es ca. 50 Jahre lang bewaffnete Konflikte in Kolumbien. Erst vor wenigen Jahren fanden schließlich Friedensverhandlungen statt und ein Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla wurde geschlossen.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie suchte u.a. nach Zusammenhängen zwischen dem bewaffneten Konflikt und Körperstrafen gegen Kinder: Cuartas, J., Grogan-Kaylor, A., Ma, J., & Castillo, B.: (2019): Cevil conflict, domestic violence, and poverty as predictors of corporal punishment in Colombia. In: Child Abuse & Neglect, 90, S. 108-119.
Die Frage war also, ob die Erfahrung von bewaffneten Konflikten die Raten von Gewalt gegen Kinder erhöht. Der Ansatz ist nicht uninteressant. Wobei die Ergebnisse nicht wirklich überzeugen (Körperstrafen gegen Kinder mit Gegenständen sind in Regionen, die vom bewaffneten Konflikt betroffen waren, nur mäßig erhöht, während andere Körperstrafen – „spanking“ - in diesen Regionen sogar etwas weniger vorzufinden sind, als in Regionen, die von dem Konflikt nicht betroffen waren). Denn der größte Risikofaktor für das Schlagen der eigenen Kinder war der Studie nach selbst erlittene Gewalt in der Kindheit der Mütter und nicht etwa die Erfahrung bewaffneter Konflikte (ebd., S. 115).
Im Text selbst haben die Autoren ergänzend vier Studien zitiert, die einen bedeutenden Einfluss von eigens erlittener Gewalt in der Kindheit auf das spätere Gewaltverhalten gegen eigene Kinder herausgestellt haben (ebd. S.110). Die Autoren zitieren ferner, um ihre Hypothese zu erklären, eine Studie von Human Rights Watch, die herausstellte, dass in von der FARC- Guerilla besetzen Gebieten in Kolumbien seitens der Rebellen widerspenstiges Verhalten von zwangsrekrutierten Kindern, aber auch von Kindern, die im Einflussgebiet der FARC lebten, hart bestraft wurde (durch Körperstrafen, Folter und manchmal durch Exekutionen) (ebd. S. 110). Die eigentlich naheliegende Frage, wie denn die Kindheit dieser Rebellen ausgesehen hat und in wie weit sie Körperstrafen als Kinder erlitten haben, wurde in der hier von mir besprochenen Studie nicht gestellt.
Grundsätzlich halte ich die Frage für absolut berechtigt, in wie weit Kriegserfahrungen Einfluss auf das Erziehungsverhalten haben. Trotzdem halte ich es für viel wesentlicher zu fragen, in wie weit destruktive Kindheitserfahrungen Kriege und bewaffnete Konflikte mitverursacht haben?
Hier bietet die Studie einige aussagekräftige Zahlen. Insgesamt wurden Daten für 11.759 Kinder, die jünger als fünf Jahre alt sind, besprochen. Im Schnitt wurden 24 % dieser Kinder mit Gegenständen (wie z.B. Stöcke, Besenstiele oder Gürtel) geschlagen und 20 % erlebten leichtere Formen von Gewalt („spanking“) (ebd., S. 111). Diese Zahlen gelten für das Gewalterleben innerhalb von vier Wochen vor der Befragung (die Raten für die gesamte Kindheit dürften entsprechend höher sein)! Die erfassten Kinder waren im Schnitt ca. 2 ½ Jahre alt, die Mütter im Schnitt ca. 27.
Das ist ein enorm hohes Ausmaß von Gewalt gegen eine Altersgruppe, die besonders sensibel ist und sich noch in einer entscheidenden Entwicklungsphase befindet. In der Studie wurde aber noch mehr erfasst, nämlich eigens erlittene Gewalt der befragten Mütter in deren Kindheit. Im Schnitt wurden 51 % der Mütter als Kind mit Gegenständen geschlagen und 9 % erlebten „spanking“ (ebd., S. 111). Es ist nicht deutlich ersichtlich, ob diese selbst erlittene Gewalt auch nur für die Phase der frühen Kindheit gilt oder für die gesamte Kindheit. Ich vermute so oder so, dass es in der Tat eine Abnahme der Gewalt gegen Kinder in Kolumbien gab (was dem allgemeinen Trend des Gewaltrückgangs entsprechen würde). Wenn dieser Trend sich weiter ausweiten sollte, werden sich in Kolumbien auch politische Spannungen nachhaltig entschärfen.
Was diese Studie auf jeden Fall (mal wieder) gezeigt hat ist, dass in Ländern mit hohem Konfliktpotential stets auch hohe Raten von Kindesmisshandlung zu finden sind. Diese Kindheitserfahrungen bilden das Fundament, auf dem politische Krisen und politische Gewalt aufgebaut werden können.
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