Über die Kindheit des RAF-Terroristen Holger Meins fand ich nur wenige, aber aufschlussreiche Informationen in dem Buch:
Conradt, Gerd (2001): Starbucks - Holger Meins: Ein Porträt als Zeitbild. ESPRESSO Verlag, Berlin.
Holger Meins wurde am 26. Oktober 1941 in Hamburg inmitten des Krieges geboren.
Der Vater von Holger sagte in Gesprächen: „Ganz frühzeitig hatte er eine Operation nach einem Leistenbruch, die lebensgefährlich war. In den ersten Monaten durfte er weder schreien noch weinen, weil dann die Gefahr eines `kalten Brandes` aufgetreten wäre und er hätte daran sterben können. In seinen ersten Lebensjahren verlebte er bis zum Kriegsende jeden Sommer an der Ostsee, um mit seiner Mutter und seinem Bruder den Luftangriffen auf Hamburg nicht ausgesetzt zu sein. Ein beeindruckendes Erlebnis für ihn war, dass er während des Winters mit seiner Mutter nicht rechtzeitig in den Luftschutzbunker gekommen war und einen Luftangriff außerhalb der Luftschutzräume miterlebte. Er sprach von einem schönen Feuer: `Da waren herrliche Lichter am Himmel und es machte Bummbumm wie ein Feuerwerk.` Das war für ihn kein erschütterndes Kriegserlebnis. Das hat er mit strahlendem Gesicht erzählt.
1943 wurden wir ausgebombt. (…). Wir fanden aber in Hamburg einen Unterschlupf am Stadtpark, wo Holger seine Jugend verbrachte. Im Sommer 1948 war er zu einer Kinderverschickung in der Schweiz, bei der Schreinerfamilie Albert Fürer in Bühler“ (S. 13).
Hier haben wir gleich mehrere Informationen. Zunächst die frühzeitige, lebensgefährliche Operation – offensichtlich im Kleinkind- oder Säuglingsalter. Wie wurde damals das Kind dazu gebracht, dass es nicht schreit oder weint? Gab es dazu irgendwelche damals übliche Methoden? Wie konnte dies in diesem jungen Alter überhaupt gelingen? Diese Fragen stehen im Raum.
Holger verlebte ganz eindeutig eine traumatische Kriegskindheit, auch wenn sein Vater die Situation in der Erinnerung sehr beschönigt. Hamburg wurde vielfach bombardiert und Holger war seine gesamte frühe Kindheit über – außer im Sommer – in der Stadt.
Über die Länge der „Kinderverschickung“ erfährt man nichts von dem Vater. Holger muss damals ca. 6 Jahre alt gewesen sein. Da er von Hamburg aus in die Schweiz „verschickt“ wurde, gehe ich davon aus, dass es ein längerer Aufenthalt und insofern eine längere Trennung von der Familie in diesem jungen Alter gewesen ist. Auch über die Situation vor Ort erfährt man fast nichts. Der Vater kommentiert, dass Holger in Briefen für seine gute Rechtschreibung und sein mathematisches Können gelobt und für das Herumspielen mit Werkzeug kritisiert wurde. Außerdem habe sein Sohn „Ich bin gerne hier“ unter die Briefe geschrieben (S. 14).
Da hier auch von „Briefen“ die Rede ist, bestätigt dies meine Vermutung, dass der Aufenthalt länger dauerte. Für ein sechs Jahre altes Kind ist das, egal was nun der Vater dazu kommentiert, eine große Belastung, so weit weg in der Fremde und getrennt von der Familie zu sein.
Der Vater ist eine zentrale Figur in dem Buch. Er stand zu seinem Sohn, auch, als dieser Terrorist und inhaftiert wurde. Es scheint eine doch starke Bindung zwischen Vater und Sohn gegeben zu haben. Fakt ist aber auch, dass der Vater nichts über die Erziehung und den familiären Alltag Preis gibt. Wir wissen schlicht nicht, wie die Eltern konkret mit ihren Kindern umgingen und ob und wenn ja wie Strafen ausgeführt wurden.
Ein Sachverhalt sticht in dem Buch ins Auge: Der Vater überstrahlt alles, die Mutter dagegen bleibt fast gänzlich unerwähnt und ausgeblendet. Dies liegt wohl an folgendem Sachverhalt:
„Die Nachbarn kannten Holger alle. Drüben bei Meyers war er fast wie ein halber Sohn, nachdem meine Frau verstorben war. Sie war nervenkrank gewesen, darum hatten wir eine Wohnung im Grünen“ (S. 16).
Was genau sich an psychischer Krankheit hinter dem Wort „nervenkrank“ verbirgt, bleibt unsere Fantasie überlassen. Fest steht aber, dass die Mutter auch alleine für die Kinder sorgte, so z.B. im Sommer, wie oben zitiert. War die Mutter schon damals "nervenkrank" und wenn ja, was erlebten die Kinder mit einer „nervenkranken“ Mutter?
In dem Buch „Starbucks - Holger Meins: Ein Porträt als Zeitbild“ fällt mir besonders ins Auge, dass die Sozialisation und Kindheit von Holger Meins als möglichst normal und freundlich dargestellt wird. Das Buch an sich ist sehr tendenziell und sympathisiert deutlich mit linken Ideen und den damaligen Akteuren. Der Staat, der die Isolationshaft der RAF-Häftlinge verantwortete, erscheint dagegen tendenziell als Gegner. Das Buch erscheint eher als Denkmal für Holger Meins.
Wie auch immer: Trotzdem konnte ich so einige Informationen über die Kindheit von Holger Meins herausziehen. Es wird sehr deutlich, dass Holger sehr belastet aufgewachsen ist.