Sonntag, 12. März 2023

"Hitlers Mann im Vatikan": Kindheit von Bischof Alois Hudal

Auf Alois Hudal bin ich zufällig gestoßen. Meine verwendete Quelle für seine Kindheitserfahrungen ist:

Sachslehner, J. (2019). Hitlers Mann im Vatikan. Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche. Molden Verlag, Wien – Graz.

Der Titel erklärt bereits etwas, wer dieser Mann war. In der Buchbeschreibung wird es nochmals deutlicher: „Adolf Hitler wurde von Bischof Alois Hudal als Siegfried deutscher Größe verehrt, das Ideal des aus Graz stammenden Theologen war ein christlicher Nationalsozialismus, verbunden mit der Vernichtung der kommunistischen und bolschewistischen Weltgefahr. Als Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell Anima und Leiter des vatikanischen Pass- und Flüchtlingsbüros avanciert der umtriebige Bischof nach 1945 zum Fluchthelfer für zahlreiche NS-Kriegsverbrecher, unter ihnen Alois Brunner und Franz Stangl.“

Alois Hudal scheint ein schlechtes Verhältnis zu seinem Vater gehabt zu haben: „Alois Hudal, der sich den Namen der Mutter gewünscht hätte, verschloss sich Zeit seines Lebens der Erinnerung an seinen Vater. Konsequent betrieb er eine damnatio memoriae, einige abfällige Bemerkungen sind alles, wozu er sich hinreißen ließ“ (S. 16). 

Über seine Mutter und ihre Beziehung zu seinem Vater schreibt Hudal: „Sie lebte mit 73 Jahren ganz allein, schwer geprüft durch eine unglückliche Ehe mit einem Mann, der religiös und politisch im kirchenfeindlichen Lager der Sozialisten stand“ (S. 19).
An anderer Stelle berichtet er über die Mutter: „Sie war eine bescheidene, schlichte Frau, aber durch ihren tiefen Glauben von menschlicher Haltung. … So oft ich ihr Zimmer betrat, fand ich sie im Gebet versunken, eine milde fast unendlich primitive Religiosität, reine Engherzigkeit zeichnete sie aus“ (S. 20). Dem hängt er an, dass infolge „ihres unglücklichen Familienlebens“ ihr Leben „ein täglicher Opfergang“ gewesen sei. 

Was bedeutet es für ein Kind, die Mutter stets "versunken" vorzufinden? Wie war der psychische Zustand dieser Mutter? Was hat sich alles in dieser Familie zugetragen, dass der Sohn seinen Vater derart ablehnte? Und wie sah der genaue Erziehungsstil der Eltern aus? Weitere Details dazu finden sich leider nicht in der verwendeten Quelle. Belastungen für den Jungen deuten sich allerdings an. 

Ein Ereignis, das den Jungen deutlich geprägt haben wird, ist allerdings belegt. 1896 trat der damals elfjährige Alois in das Seckauer Diözesan-Knaben-Seminar ein, um ihn auf den Priesterberuf vorzubereiten. „Acht Jahre lebten die heranwachsenden jungen Burschen in einer eigenen Welt, rund um die Uhr behütet und bewacht. Das religiöse Ritual bestimmte ihren Tag (…)“ (S. 21). 

Ein ehemaliger Zögling des Instituts berichtet von einer religiös „sein Denken durchdringende Disziplin“, die die Erziehung im Seminar ausmachte (S.21). Manche Zögling wären am „harten Ringen“  dieser Ausbildung gescheitert. „Nicht wenige haben die ganze Höhe nie erreicht und versanken in soziale Isolation, zuweilen zu Sonderlingen geworden, einzelne gingen daran zugrunde, von der Welt, die sie umringte, überwältigt“ (S. 22).
Den Berichten ist nicht zu entnehmen, wie mit den Zöglingen umgegangen wurde. Fest steht, dass sie sich einem strikten, organisierten Tagesablauf zu unterwerfen und wenig Freiheiten hatten. Für ein Kind, das ab dem elften Lebensjahr Jahre aus seiner Familie gerissen wird, werden diese Umstände deutliche Belastungen bedeutet haben. Es ist zudem keine aus der Luft gegriffene Spekulation, wenn man annimmt, dass um das Jahr 1900 herum ein autoritäres Denken in solchen Internaten vorgeherrscht haben wird, mit entsprechenden Folgen für die Kinder. 

Wie so oft kann man auch bei diesem Nazi deutliche Belastungen in der Kindheit ausmachen. Das Gesamtbild, das sich aus den zitierten Passagen ergibt, ist deutlich. 


Kindheit des NS-Täters Franz Murer

Meine Quelle für die Kindheit des NS-Täters Franz Murer ist:

Sachslehner, J. (2017). "Rosen für den Mörder": Die zwei Leben des SS-Mannes Franz Murer. Molden Verlag, Wien – Graz – Klagenfurt. 

Aus der Inhaltsbeschreibung: „Der steirische Bauernsohn Franz Murer, ausgebildet auf der NS-Ordensburg Krössinsee, errichtet im Ghetto von Wilna eine wahre Herrschaft des Schreckens. Seine Brutalität und sein Sadismus sind gefürchtet, Frauen und Kinder bevorzugte Opfer.“

Murer war sehr aktiv. Er brauchte Blut. Er musste Menschen morden. Das war ihm eine Art Bedürfnis. Ein Unmensch“ (Augenzeugin Mascha Rolnikaite) (S. 7). 

Franz Murer wurde im Januar 1912 als siebtes Kind seiner Eltern geboren. Eine solche große Geschwisterzahl war damals keine Seltenheit. Trotzdem kommentiere ich diesen Sachverhalt stets gerne damit, dass diese Anzahl von Kindern auch wenig Zeit der Eltern für das einzelne Kind bedeutet haben wird und – damalige Lebensverhältnisse zu Grunde legend – auch Kindesvernachlässigung deutlich wahrscheinlicher macht. Die Familie hatte zudem einen Hof zu bewirtschaften und ständig mussten die Eltern arbeiten. Der Biograf schreibt mit Blick auf die Geburt von Franz: „Maria Murer bleibt nur eine kurze Zeit der Erholung – die Arbeit am Hof ruft, auch jetzt im Winter“ (S. 14). Bereits 1913 kommt noch ein weiteres Kind hinzu: Georg. Insgesamt wird Maria Murer ihrem Mann dreizehn Kinder gebären und dies war in der Tat eine außergewöhnlich hohe Zahl, selbst zur damaligen Zeit! Ein Mädchen namens Katharina starb allerdings wenige Wochen nach der Geburt. Ob die anderen Kinder alle überlebten, erschließt sich in der Quelle nicht. 

Über den Erziehungsstil der Eltern erfährt man nichts in der verwendeten Quelle. Allerdings gab es einen großen Wendepunkt und Einschnitt im Leben des Jungen. Seine Eltern schickten den damals elfjährigen Franz für einige Jahre in einen über 50 Kilometer entfernten Ort in die Schule. Ein Postunterbeamter sorgte nun als „verantwortlicher Aufseher“ für den Jungen (S. 17).

Als Vierzehnjähriger wechselt Franz zunächst auf eine Schule in Neumarkt. Zwei Jahre später geht es weiter nach Grottenhof bei Graz. Auf Grund der Entfernung zu dem elterlichen Hof gehe ich davon aus, dass er weiterhin nicht bei seiner Familie lebte (der Biograf führt dies leider nicht im Detail aus), sonst wäre der Weg zur Schule nicht schaffbar gewesen. Somit verlor dieser Junge ab dem elften Lebensjahr gänzlich sein Familienleben und war abhängig vom Wohlwollen fremder Menschen. Wie er dies erlebte und empfand und welche Art von Belastungen er in dieser Zeit erlebte, scheint nicht überliefert zu sein. Man braucht allerdings nicht viel Fantasie dafür, um sich vorzustellen, dass dieser Junge im Grunde tief vereinsamt aufgewachsen ist und sich durchschlagen musste.