Freitag, 23. Mai 2025

Die Kindheit des NS-Täters ("Schlächter von Lyon") Klaus Barbie

Nach einer längeren Pause ist dies wieder einmal die Analyse der Kindheit eines gewichtigen NS-Täters. Aufmerksam wurde ich auf Klaus Barbie durch einen aktuellen Artikel im SPIEGEL. In dem Artikel wurde zentral Barbies Leben nach dem Zweiten Weltkrieg besprochen, in dem er in Bolivien zum Sicherheitschef eines Drogenbarons aufstieg. Seine kriminelle Energie suchte sich offensichtlich weiterhin einen Ausdruck. 

In der NS-Zeit war Barbie Gestapo-Chef von Lyon und damals wegen seiner Grausamkeit als „Schlächter von Lyon“ bekannt. Im SPIEGEL Artikel heißt es dazu: „Selbst unter den vielen grausamen SS-Schergen ist Barbie eine extreme Figur: endlos brutal, gefühllos, sadistisch“ (Aman et al. 2025). 

Über seine Kindheit wird in dem Artikel kurz, aber deutlich geschrieben: „Zu Hause wütete ein gebrochen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrter Vater, ein Alkoholiker und Tyrann, der den Sohn quälte und ihm einen tiefen Hass einprügelte. Die Hundepeitsche als Erziehungsinstrument lernte Barbie schon früh kennen“ (Aman et al. 2025).

Barbie war der Sohn eines Lehrerehepaars und ging auch in die Dorfschule, in der sein Vater Lehrer war. Dies scheint ihm mehr Nachteile als Vorteile gebracht zu haben. Barbie schreibt in seinen Memoiren: „Ich war der Leidtragende als Sohn des Lehrers. Wenn mein Vater ab und zu einmal die Klasse verließ, bestimmte er mich die Namen der Schüler auf die Tafel zu schreiben, die Krach machten. (…) Da ich aber nie einen Namen aufschrieb, erhielt ich von meinem Vater die entsprechenden Stockhiebe für die ganze Klasse, (…)“ (Hammerschmidt 2014, S. 26).

Schläge gab es aber auch von anderen Familienmitgliedern. Barbie lebte auf dem Bauernhof seines Großvaters väterlicherseits. Von der Großmutter bekam er Schläge mit der Hundepeitsche, wenn er mal etwas angestellt hatte bzw. er Fehler machte, die Kinder nun einmal machen (Hammerschmidt 2014, S. 26). 

Barbie selbst beschreibt seinen Vater als „seelisch gebrochenen“ Kriegsheimkehrer, als einen vom Krieg “zerrütteten und zerschundenen“ Menschen. Und er spricht von einer „angstvergiften“ Beziehung zu seinem Vater, der immer mehr dem Alkohol verfiel (Hammerschmidt 2014, S. 26). 

Den Ersten Weltkrieg hat dieser Vater – wie so viele Väter der damaligen Zeit – ganz sicher mit nach Hause getragen. Man sollte aber nicht vergessen, dass die väterliche Gewalttätigkeit auch zentral mit dessen gewalttätigem Elternhaus zu tun haben wird. Das destruktive Verhalten der Großmutter wurde oben erwähnt. 

Das Verhältnis Barbies zur eigenen Mutter soll dagegen sehr gut gewesen sein und Hammerschmidt (2014, S. 26) bezieht sich bzgl. dieser Aussage sogar gleich auf zwei Quellen. Er zitiert aber keine Erlebnisse mit der Mutter, es bleibt einzig bei diesem „sehr gut“. Ich bin da aus Erfahrung sehr vorsichtig mit solchen Aussagen. Wenn ich die Zeit finde, werde ich die beiden Quellen sichten. 

Mit knapp zwölf Jahren verließ Barbie das Elternhaus für seine weitere schulische Ausbildung. Zunächst war er in einem bischöflichen Konvikt untergebracht, in dem strenge Regeln herrschten (Hammerschmidt 2014, S. 27). „Pünktlichkeit, Ordnung und Kameradschaftsgeist“ habe er in der Institution gelernt. Ob er dort auch Gewalt erlebte, wird nicht beschrieben. Den Sitten der Zeit nach wird auch in dem Internat die Prügelstrafe Routine  gewesen sein. 

Vier Jahre später musste Barbie wider Willen zu seiner Familie zurückkehren. Bzgl. dieser Zeit in seiner Familie sprach er von „wirklich bitterem Leid“. Was er dort erleiden musste, soll „für immer ein Geheimnis bleiben“ (Hammerschmidt 2014, S. 27).

Ich hätte vorher darauf wetten können! Wie kommentiert der Biograf Peter Hammerschmidt die Schilderungen von massiver Gewalt gegen das Kind? Natürlich so: „Inwiefern Barbies frühkindliche Erfahrungen als Wurzel späterer Entwicklungen Geltung beanspruchen dürfen, bleibt jedoch fraglich. Zwar gilt es diese Erfahrungen zu berücksichtigen, doch dürfen die Analysen damit nicht zugleich der Gefahr einer biographischen Teleologie erliegen“ (Hammerschmidt 2014, S. 26).

Diese Art von Kommentaren im Angesicht des Leids von Kindern, die später zu bekannten Tätern wurden, habe ich schon derart oft gesehen, dass ich in meinem Buch ausführlich auf diese Auffälligkeit in der Biografieforschung hingewiesen habe. Auch ein Widerspruch zu den zuvor zitierten Zeilen findet sich bei Hammerschmidt, denn am Ende des Kapitels über Kindheit und Jugend schreibt der Biograf: „Barbies Kindheit und Jugend, dies bleibt abschließend festzuhalten, war die Jugend eines gedemütigten, von individuellen und kollektiven Leiderfahrungen geprägten und nach Bestätigung suchenden Ehrgeizlings“, der im Zuge der Entwicklungen in der NS-Zeit die „Gelegenheit der individuellen Bewährung“ ergriff (Hammerschmidt 2014, S. 31). Für mich klingt dies abschließend so, als ob der Biograf hier doch Zusammenhänge erkennt, die er zuvor als „fraglich“ kommentierte. Aber auch solcher Art Widersprüche aus der gleichen Feder lese ich nicht zum ersten Mal. Immer wenn es um die möglichen Folgen von destruktiven Kindheitserfahrungen geht, scheinen viele Forschende (allen voran Historiker) schwammig zu werden. 

Meine Recherchen zeigen indes, dass sich die destruktive Kindheit von Klaus Barbie einreiht in eine Reihe von hoch belasteten Kindheiten von NS-Tätern, die ich hier im Blog und auch für mein Buch besprochen habe. 


Quellen:

Aman, S. et al. (2025, 09. Mai). Klaus Barbie. Auf diesen Schlächter konnten sich Adolf Hitler und Pablo Escobar verlassen. DER SPIEGEL. 

Hammerschmidt, P. (2014). Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.