Im SPIEGEL (07.09.2025: »Ich dachte, ich tue das für mein Land«) wurde aktuell über Jason Riddle berichtet. Das Interview mit ihm läuft im Grunde nur nebenbei und geht in der täglich wechselnden Berichterstattung des SPIEGEL unter. Ich halte dieses Interview dagegen für enorm wichtig und ein zentrales Puzzleteil zur Erklärung des „Phänomens-Trump“!
Riddle war MAGA-Anhänger, absoluter Trump-Fan und stürmte am 6. Januar 2021 das Kapitol. Für seine Beteilung bei der Capitol-Erstürmung wurde er später inhaftiert.
Schon als Jugendlicher war er alkoholabhängig. Im Rückblick auf seine Trump-Besessenheit spricht er von einer „zerstörerischen Aufmerksamkeitssuche“.
Damals, am 06. Januar, hatte er gerade seinen Job geschmissen (sein Freund und Mitstreiter Paul ebenfalls) und sei voller Frust gewesen: „(…) keiner von uns kam auf die Idee, sich selbst die Schuld dafür zu geben. Stattdessen waren wir wütend auf alles und jeden (…)“.
Am 06. Januar hatte Trump, wie so oft bei seinen Kundgebungen, zu seinen Anhängern gesagt: „Ich liebe euch“.
Riddle dazu: „Ich suchte mir in seinen Reden immer einen Moment heraus und rief: »Ich liebe dich!« Fast jedes Mal antwortete er sofort: »Ich liebe dich auch.« Für mich war das damals ein Ritual, auf das ich stolz war. Doch im Kern ist es nichts anderes als reine Gefühlspolitik. Es geht nicht um Argumente oder Verstand, sondern nur um Emotionen – um Wut und um Liebe. Trump weiß das genau. Er spricht gezielt zu einer Anhängerschaft, die ihn ungesund verehrt und ihm blind folgt.“
An einer Stelle des Interviews sagt Riddle noch sehr konkret:
„Meine Begeisterung für ihn war rein emotional, völlig irrational.“
Heute ist er quasi ein Aussteiger und hat sich von der Bewegung gelöst.
Frühe Alkoholabhängigkeit (man denke auch an die allgemeine Drogensuchtwelle in den USA), Frust, Scheitern, Wut, starkes Bedürfnis nach Liebe, Aufmerksamkeit und Zugehörigkeit, dass politisch destruktive Prozesse sehr häufig emotional zu erklären sind, ist DAS zentrale Element der Psychohistorie. In diesem Interview wird dies überdeutlich.
Was in dem Interview fehlt ist der Blick auf die Kindheit von Jason Riddle.
Über seine Kindheit wurde ich allerdings im Internet schnell fündig. Er selbst schreibt: „My parents got divorced when I was pretty young. My father was an alcoholic; he had two forms of parenting: Either he was mad or he was absent. In fact, there were a lot of heavy drinkers on his side of the family” (Jason Riddle - Leaving MAGA)
Wir sehen hier ganz klassisch die Verbindung zwischen belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences - ACEs) und Extremismus.
Die USA sind ein hoch traumatisiertes Land. In keinem westlichen Land findet sich ein derart großes Ausmaß von ACEs. Jeder 5.-6. US-Amerikaner hat einen ACEs-Score von vier oder mehr (siehe dazu meinen Blogbeitrag "Alarming study: Adverse Childhood Experiences are increasing in the US!").
Was weithin fehlt ist eine große, mediale Aufarbeitung dieser Zusammenhänge. Es wird so was von Zeit, dafür ein großes Bewusstsein zu schaffen.
Im Titel oben schreibe ich ja "...die Suche nach der fehlenden Liebe aus der Kindheit." Aus Platzgründen fehlt das Wort "Wut". Es geht um "Wut und um Liebe", wie Riddle sagt.
Wo die Liebe fehlte, wächst die Wut. Jeder, der sich mit traumatisierten Kinder befasst, weiß das. Diese Wut bleibt oft unerlaubt, weil die Verletzungen oftmals von den eigenen Eltern ausgehen. Politische, extremistische Bewegungen sind immer auch Wut-Bewegungen. Das kennen wir aus Deutschland natürlich extrem aus der NS-Zeit, aber aktuell auch mit Blick auf die AfD.
Wenn ich so manche AfD-Politiker reden und gestikulieren sehe, dann quillt die Wut ja geradezu aus denen heraus. Das ist genau die Emotion, die entsprechende Anhänger anspricht: "Endlich ist die Wut erlaubt, gibt es keine Sprechverbote mehr". Das Erfolgsrezept extremer Bewegungen, wie wir sie seit Jahren auf der ganzen Welt beobachten können, ist ein emotionales. Die demokratische Politik wird kaum Wege finden, diese Bewegungen erfolgreich einzudämmen, wenn das nicht verstanden wird.
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