Gerade in der aktuellen politischen Debatte hört man immer wieder, die USA seien ein tief gespaltenes Land. Die Kinderschutzorganisation „Save the Children“ hat kürzlich erstmals eine Art Ranking über das Wohlergehen von Kindern in der Welt veröffentlicht. Der Bericht soll regelmäßig fortgeführt werden. Den Gesamtbericht kann mensch hier nachlesen. Deutschland steht aktuell auf einem sehr guten Platz 10. Die USA steht dagegen auf Platz 36 (einen Platz vor Russland und fünf Plätze vor China).
Für das Ranking wurden 8 Kriterien mit einbezogen: Kindersterblichkeit, schwere Mangelernährung bzw. Fehlernährung, fehlender Schulbesuch, Kinderarbeit, Kinderehen, minderjährige Mütter, Flucht vor Kriegen und Konflikten, extreme Gewalt (Mord an Kindern und Suizide von Minderjährigen). Elterliche Gewalt wurde im Ranking nicht mit einbezogen, vermutlich aus Gründen der Vergleichbarkeit der Daten.
Nun ist Platz 36 für die USA nicht extrem schlecht. Allerdings gibt es auch einen us-amerikanischen Einzelbericht von Save the Children, in dem wiederum ein Ranking der einzelnen Staaten in den USA aufgeführt ist: Save the Children (2017). Stolen Childhoods. U.S. Complement to the End of Childhood Report 2017. Fairfield.
Dieses US-Ranking möchte ich hier näher besprechen, denn innerhalb der USA gibt es offensichtlich ein großes Gefälle oder eine tiefe Spaltung, was das Wohlergehen von Kindern angeht.
Die Top 10 (Gesamtwertung) wird durchweg von den Nord-, Nordöstlichen Staaten in den USA dominiert: 1. New Hampshire, 2. Massachusetts, 3. New Jersey, 4. Vermont, 5. Iowa, 6. Connecticut, 7. Minnesota, 8. Virginia, 9. Wisconsin und 10. Rhode Island.
Die 10 Schlusslichter bestehen vor allem aus den südlichen Staaten (und dem speziellen, nördlichen Staat Alaska, der traditionell sehr republikanisch und konservativ ist): 41. Arizona, 42. Nevada, 43. Alabama, 44. Arkansas, 45. Alaska, 46. Georgia, 47. Oklahoma, 48. New Mexico, 49. Mississippi und 50. Louisiana.
Schaut man sich das Ranking zwischen Platz 11 und 40 an, zeigt sich auch dort, dass die südlichen Staaten die hinteren Ränge dominieren. Der Platz 36. im weltweiten Ranking ist demnach vermutlich nur den fortschrittlichen Staaten in den USA zu verdanken, die für die Endauswertung einen entsprechenden Mittelwert erbrachten. Würde man nur die südlichen Staaten in das weltweite Ranking einbeziehen, wären die USA deutlich schlechter platziert als Platz 36.
Da Gewalt gegen Kinder durch Vertrauenspersonen wie Eltern und Lehrern nicht im Ranking mit einbezogen wurde, möchte ich auf eine Grafik hinweisen, die aufzeigt, in welchen US-Staaten Körperstrafen an Schulen nicht verboten sind (Stand 2012) Auch hier zeigt sich eine tiefe Spaltung des Landes. Die südlichen Staaten erlauben Lehrern weitgehend, Kinder körperlich zu strafen (zu Hause ist dies eh legal, es gibt in den USA kein Verbot von körperlichen Züchtigungen im Elternhaus).
Für eine KFN Studie hat Christian Pfeiffer Daten über Körperstrafen an US-Schulen bzw. die entsprechende Gesetzeslage in ein Verhältnis zu Gefängnisinsassen pro 100.00 Einwohnern, verhängte Todestrafen und Opfer durch Schusswaffen gesetzt. Je konservativer bzw. rückständiger die Rechtslage bzgl. Körperstrafen gegen Kinder an Schulen war, desto mehr Gefängnisinsassen, Todesstrafen und Mordopfer: Pfeiffer, C. (2015). The Abolition of the Parental Right to Corporal Punishment in Sweden, Germany and other European Countries: A Model for the United States and other Democracies? (KFN-Forschungsberichte No. 128). Hannover: KFN.
All dies macht für mich einmal mehr deutlich, wie sehr die Kinderfürsorge und Kindererziehungspraxis weitreichende Folgen für Gesellschaften hat! In den USA sehen wir eindeutig, dass die politische Spaltung des Landes bzw. die Ausrichtung in konservative und eher liberalere Staaten etwas mit dem unterschiedlichen Niveau der Kinderfürsorge zu tun hat. Eine deutliche Verbesserung der Situation von Kindern in den USA – vor allem auch in den südlichen Staaten – würde meiner Auffassung nach auch politische und soziale Veränderungen mit sich bringen, natürlich zum Positiven.
Freitag, 16. Juni 2017
Mittwoch, 31. Mai 2017
Kindheit von Manuel Noriega
Aktualisierung und Hinweis vom 19.07.2018
Unter dem Titel „Acht Merksätze für eine gelungene Diktatoren-Karriere“ wurde auf Welt-Online (30.05.2017 von Florian Stark) ein Artikel auf Grund des Todes von Manuel Noriega (Ex- Militärmachthaber bzw. Diktator in Panama) veröffentlicht. Im Artikel heißt es, dass Noriega in einem Kinderheim aufgewachsen sei. Diesen Artikel hatte ich als Grundlage für diesen Beitrag genommen. Mittlerweile gehe ich, solange ich keine gegenteilige Info finde, davon aus, dass diese Information falsch bzw. nicht belegbar ist. Zu eindeutig sind die Hinweise auf eine Patentante, bei der Noriega ab ca. dem 5. Lebensjahr aufwuchs. Meinen Beitrag werde ich entsprechend umschreiben.
Der Text über die Kindheit von Noriege lautet nun folgendermaßen:
----------------------------------------------
Über Panamas Militärdiktator Manuel Noriega (ca. 1934- 2017) habe ich keine umfassenden Informationen über seine Kindheit gefunden. Noriega selbst schreibt in seinen Memoiren, dass seine Mutter unverheiratet war und krank wurde, als er noch ein Baby war. Er wurde früh zu seiner Patentante, die er Mama Luis nennt, gebracht und wuchs bei dieser auf. Bzgl. seines Vaters erwähnt er nur, dass dieser regelmäßig Geld und Essen schickte (Noriega & Eisner 1997, S. 17).
Bis auf diese kurzen Informationen über seine Mutter, seinen Vater und seine Patentante, die in nur einem kurzen Absatz abgehandelt werden, schreibt er nichts über seine Familie. Diese Lücke sticht geradezu ins Auge. Stattdessen geht er dazu über, ausführlich über Ausflüge mit Kindheitsfreunden zu berichten.
Warum es sich als schwierig gestaltet, Informationen über seine Kindheit und Jugend zu erhalten, zeigt folgendes: „Da er sich für seine bescheidene Herkunft genierte, hatte Noriega alle Geschichten über seine Jugend als »streng geheim« eingestuft. Die meisten Bekannten aus den Jahren seiner Kindheit trauten sich vor seinem Sturz im Dezember 1989 nur anonym etwas zu sagen.“(Kempe 1990, S. 50). Bei dem Noriega-Biografen Kempe finden sich zumindest noch einzelne Details vor allem zu Manuels Vater. „Er war Alkoholiker, und nur sein Hunger nach Frauen war mit seinem Durst zu vergleichen.“(Kempe 1990, S. 50).
Manuels Mutter war einst Hausangestellte bei seinem Vater. Der verheiratete Mann hatte eine Affäre mit ihr und sie wurde mit Manuel schwanger, woraufhin sie ihre Anstellung kündigte. Seinen Vater lernte Manuel erst als Jugendlicher kennen. Als Manuel vier oder fünf Jahre alt war, starb seine Mutter krankheitsbedingt. „Noriegas Freunde messen der Tatsache Bedeutung bei, dass er das Grab seiner Mutter nie besucht hat, bevor er Offizier war. Es war offensichtlich, dass er keine besondere Zuneigung für sie empfand. Auf alle Fälle verehrte er aber seine Adoptivmutter Luisa Sanchez, die ihn mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttete. (…) In Panama halten sich die Legenden, dass Tony von seiner Mutter grausam behandelt und von seinem Bruder homosexuell vergewaltigt wurde, aber die Wahrheit über Noriegas Kindheit ist keineswegs so furchtbar und düster wie diese Gerüchte. Luisa Sanchez adoptierte Noriega, verhätschelte ihn und richtete ihn für den Schulbesuch sauberer und netter her, als die meisten seiner Freunde es waren.“(Kempe 1990, S. 50+51).
Für mich stellt sich die Frage, wie der Säugling und das Kleinkind die Zeit mit der offenbar schwer erkrankten Mutter (dazu kamen noch ärmliche Verhältnisse) erlebt hat? Außerdem fällt der Hinweis auf das Verhätscheln durch die Pflegemutter auf, ein Sachverhalt, der bei nicht wenigen Diktatoren zu finden ist. Dieser Mix aus kindlichem Leid und Ohnmachtserfahrungen auf der einen Seite und mütterlichem Verhätscheln und mütterlicher Bewunderung auf der anderen Seite scheint mir im Kontext der Analyse von Diktatoren von großer Bedeutung zu sein (Nebenbei bemerkt: ähnliches findet sich auch in der militärischen Ausbildung, zunächst haben die Rekruten viel Leid zu ertragen und werden gedemütigt, danach werden sie überhöht als echte Männer und potentielle Helden der Nation). Unterm Strich gibt es trotz fehlender vertiefender Informationen deutliche Hinweise auf eine sehr belastete Kindheit von Manuel Noriega.
Verwendete Quelle:
Kempe, F. (1990): Aufstieg und Fall Noriegas. Panama-Poker – gefährliches Spiel mit den USA. Hannibal Verlag, Wien.
Noriega, M. & Eisner, P. (1997): America's Prisoner:: The Memoirs of Manuel Noriega. Random House, New York.
Unter dem Titel „Acht Merksätze für eine gelungene Diktatoren-Karriere“ wurde auf Welt-Online (30.05.2017 von Florian Stark) ein Artikel auf Grund des Todes von Manuel Noriega (Ex- Militärmachthaber bzw. Diktator in Panama) veröffentlicht. Im Artikel heißt es, dass Noriega in einem Kinderheim aufgewachsen sei. Diesen Artikel hatte ich als Grundlage für diesen Beitrag genommen. Mittlerweile gehe ich, solange ich keine gegenteilige Info finde, davon aus, dass diese Information falsch bzw. nicht belegbar ist. Zu eindeutig sind die Hinweise auf eine Patentante, bei der Noriega ab ca. dem 5. Lebensjahr aufwuchs. Meinen Beitrag werde ich entsprechend umschreiben.
Der Text über die Kindheit von Noriege lautet nun folgendermaßen:
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Über Panamas Militärdiktator Manuel Noriega (ca. 1934- 2017) habe ich keine umfassenden Informationen über seine Kindheit gefunden. Noriega selbst schreibt in seinen Memoiren, dass seine Mutter unverheiratet war und krank wurde, als er noch ein Baby war. Er wurde früh zu seiner Patentante, die er Mama Luis nennt, gebracht und wuchs bei dieser auf. Bzgl. seines Vaters erwähnt er nur, dass dieser regelmäßig Geld und Essen schickte (Noriega & Eisner 1997, S. 17).
Bis auf diese kurzen Informationen über seine Mutter, seinen Vater und seine Patentante, die in nur einem kurzen Absatz abgehandelt werden, schreibt er nichts über seine Familie. Diese Lücke sticht geradezu ins Auge. Stattdessen geht er dazu über, ausführlich über Ausflüge mit Kindheitsfreunden zu berichten.
Warum es sich als schwierig gestaltet, Informationen über seine Kindheit und Jugend zu erhalten, zeigt folgendes: „Da er sich für seine bescheidene Herkunft genierte, hatte Noriega alle Geschichten über seine Jugend als »streng geheim« eingestuft. Die meisten Bekannten aus den Jahren seiner Kindheit trauten sich vor seinem Sturz im Dezember 1989 nur anonym etwas zu sagen.“(Kempe 1990, S. 50). Bei dem Noriega-Biografen Kempe finden sich zumindest noch einzelne Details vor allem zu Manuels Vater. „Er war Alkoholiker, und nur sein Hunger nach Frauen war mit seinem Durst zu vergleichen.“(Kempe 1990, S. 50).
Manuels Mutter war einst Hausangestellte bei seinem Vater. Der verheiratete Mann hatte eine Affäre mit ihr und sie wurde mit Manuel schwanger, woraufhin sie ihre Anstellung kündigte. Seinen Vater lernte Manuel erst als Jugendlicher kennen. Als Manuel vier oder fünf Jahre alt war, starb seine Mutter krankheitsbedingt. „Noriegas Freunde messen der Tatsache Bedeutung bei, dass er das Grab seiner Mutter nie besucht hat, bevor er Offizier war. Es war offensichtlich, dass er keine besondere Zuneigung für sie empfand. Auf alle Fälle verehrte er aber seine Adoptivmutter Luisa Sanchez, die ihn mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttete. (…) In Panama halten sich die Legenden, dass Tony von seiner Mutter grausam behandelt und von seinem Bruder homosexuell vergewaltigt wurde, aber die Wahrheit über Noriegas Kindheit ist keineswegs so furchtbar und düster wie diese Gerüchte. Luisa Sanchez adoptierte Noriega, verhätschelte ihn und richtete ihn für den Schulbesuch sauberer und netter her, als die meisten seiner Freunde es waren.“(Kempe 1990, S. 50+51).
Für mich stellt sich die Frage, wie der Säugling und das Kleinkind die Zeit mit der offenbar schwer erkrankten Mutter (dazu kamen noch ärmliche Verhältnisse) erlebt hat? Außerdem fällt der Hinweis auf das Verhätscheln durch die Pflegemutter auf, ein Sachverhalt, der bei nicht wenigen Diktatoren zu finden ist. Dieser Mix aus kindlichem Leid und Ohnmachtserfahrungen auf der einen Seite und mütterlichem Verhätscheln und mütterlicher Bewunderung auf der anderen Seite scheint mir im Kontext der Analyse von Diktatoren von großer Bedeutung zu sein (Nebenbei bemerkt: ähnliches findet sich auch in der militärischen Ausbildung, zunächst haben die Rekruten viel Leid zu ertragen und werden gedemütigt, danach werden sie überhöht als echte Männer und potentielle Helden der Nation). Unterm Strich gibt es trotz fehlender vertiefender Informationen deutliche Hinweise auf eine sehr belastete Kindheit von Manuel Noriega.
Verwendete Quelle:
Kempe, F. (1990): Aufstieg und Fall Noriegas. Panama-Poker – gefährliches Spiel mit den USA. Hannibal Verlag, Wien.
Noriega, M. & Eisner, P. (1997): America's Prisoner:: The Memoirs of Manuel Noriega. Random House, New York.
Donnerstag, 4. Mai 2017
Fallbeispiel Beate Zschäpe: Opfer vom Opfer = kein Täter?
SPIEGEL-Online hat aktuell in einen Artikel (03.05.2017, "NSU-Prozess.Das zweite Gesicht der Beate Zschäpe", von Beate Lakotta) über Beate Zschäpe die Frage ihrer Schuldfähigkeit und ein neues Gutachten von dem Psychiater Joachim Bauer besprochen. Der Artikel an sich ist bereits ungewöhnlich, wenn man sich die ansonsten verbreitete Berichterstattung über TäterInnen anschaut.
Der Artikel beginnt so: „Es gibt Situationen in frühester Kindheit, die so zerstörerisch sein können, dass sie einen Menschen immer wieder einholen im Leben. Dauerhafte Vernachlässigung zum Beispiel. Der Mensch kann sich dann später im Leben womöglich nicht wehren, wenn die alte Verlassenheitspanik in ihm hochsteigt, die er als Säugling erlebte oder als Kleinkind. Schon die Vorstellung, allein zu sein, bringt Todesangst hervor.“ Es geht um die Kindheit von Beate Zschäpe, so die SPIEGEL-Autorin.
Im Artikel wird auch über die Vernachlässigung und häufige Wechsel von Erziehungspersonen in Zschäpes Kindheit berichtet. Ebenso wird auf den Alkoholismus von Zschäpes Mutter eingegangen. Zschäpes Mutter „habe oft volltrunken auf dem Fußboden in der Wohnung gelegen, manchmal im eigenen Erbrochenen. Sie habe sich geschämt und Angst gehabt, Freundinnen mit nach Hause zu bringen.“ (In Bauers Gutachten kam ergänzend auch krasse häusliche Gewalt durch Böhnhardt gegen Zschäpe zur Sprache.) Eine solche direkte Berichterstattung über destruktive Kindheitshintergründe und Opfererfahrungen von TäterInnen finde ich natürlich vom Grundsatz her erfreulich und fortschrittlich.
Joachim Bauer diagnostiziert nun in seinem Gutachten nach vorherigen 14 Gesprächsstunden mit Zschäpe eine „abhängige Persönlichkeitsstörung“. Sie sei entsprechend „vermindert schuldfähig“.
Ich nutzte diesen Bericht heute einmal, um mich nochmal deutlich zu positionieren. Beate Zschäpe ist eindeutig ein Opfer. Als Kind Opfer von destruktiven Erwachsenen, die Macht über sie hatten. Als Frau Opfer von (schwerer) häuslicher Gewalt durch Böhnhardt. Aber bedeutet dies jetzt, dass die Opfer des NSU-Trios einem Opfer gegenüberstehen? Nein, das bedeutet es nicht! Die Opfer der NSU und deren Hinterbliebenen sind Opfer von Tätern geworden! Und Beate Zschäpe war Teil dieses Tätertrios. Punkt.
Die Opfererfahrungen dieser Täter sind nur bzgl. der Erklärungen nützlich, wie es zu den Taten kommen konnte. Die Opfererfahrungen der Täter und das Reden darüber sind desweiteren nützlich, weil so zukünftig Taten präventiv verhindert werden können; weil wir heute wissen, wie bedeutsam Kindheitserfahrungen bei der Genese von Gewalt und Hass sind. Die Opfererfahrungen der Täter wären für diese „Täter-Opfer“ ansonsten noch eine eigene Anklage an ihre Täter (vor allem die Eltern) wert oder ein wichtiger Teil in einer Therapie. Dies wäre aber persönliche Sache von Zschäpe und hat die Opfer des NSU-Trios herzlich wenig zu interessieren.
Opfer eines Opfers zu werden bedeutet immer, dass es eine Tat und einen Täter / eine Täterin gibt. Opfer eines Opfers zu werden, entlässt das Opfer, das zum Täter/Mittäter wurde, nicht aus seiner Verantwortung und befreit nicht von Schuld.
Ich persönlich hoffe sehr auf ein ausgewogenes, gerechtes Urteil der zuständigen Strafkammer.
Der Artikel beginnt so: „Es gibt Situationen in frühester Kindheit, die so zerstörerisch sein können, dass sie einen Menschen immer wieder einholen im Leben. Dauerhafte Vernachlässigung zum Beispiel. Der Mensch kann sich dann später im Leben womöglich nicht wehren, wenn die alte Verlassenheitspanik in ihm hochsteigt, die er als Säugling erlebte oder als Kleinkind. Schon die Vorstellung, allein zu sein, bringt Todesangst hervor.“ Es geht um die Kindheit von Beate Zschäpe, so die SPIEGEL-Autorin.
Im Artikel wird auch über die Vernachlässigung und häufige Wechsel von Erziehungspersonen in Zschäpes Kindheit berichtet. Ebenso wird auf den Alkoholismus von Zschäpes Mutter eingegangen. Zschäpes Mutter „habe oft volltrunken auf dem Fußboden in der Wohnung gelegen, manchmal im eigenen Erbrochenen. Sie habe sich geschämt und Angst gehabt, Freundinnen mit nach Hause zu bringen.“ (In Bauers Gutachten kam ergänzend auch krasse häusliche Gewalt durch Böhnhardt gegen Zschäpe zur Sprache.) Eine solche direkte Berichterstattung über destruktive Kindheitshintergründe und Opfererfahrungen von TäterInnen finde ich natürlich vom Grundsatz her erfreulich und fortschrittlich.
Joachim Bauer diagnostiziert nun in seinem Gutachten nach vorherigen 14 Gesprächsstunden mit Zschäpe eine „abhängige Persönlichkeitsstörung“. Sie sei entsprechend „vermindert schuldfähig“.
Ich nutzte diesen Bericht heute einmal, um mich nochmal deutlich zu positionieren. Beate Zschäpe ist eindeutig ein Opfer. Als Kind Opfer von destruktiven Erwachsenen, die Macht über sie hatten. Als Frau Opfer von (schwerer) häuslicher Gewalt durch Böhnhardt. Aber bedeutet dies jetzt, dass die Opfer des NSU-Trios einem Opfer gegenüberstehen? Nein, das bedeutet es nicht! Die Opfer der NSU und deren Hinterbliebenen sind Opfer von Tätern geworden! Und Beate Zschäpe war Teil dieses Tätertrios. Punkt.
Die Opfererfahrungen dieser Täter sind nur bzgl. der Erklärungen nützlich, wie es zu den Taten kommen konnte. Die Opfererfahrungen der Täter und das Reden darüber sind desweiteren nützlich, weil so zukünftig Taten präventiv verhindert werden können; weil wir heute wissen, wie bedeutsam Kindheitserfahrungen bei der Genese von Gewalt und Hass sind. Die Opfererfahrungen der Täter wären für diese „Täter-Opfer“ ansonsten noch eine eigene Anklage an ihre Täter (vor allem die Eltern) wert oder ein wichtiger Teil in einer Therapie. Dies wäre aber persönliche Sache von Zschäpe und hat die Opfer des NSU-Trios herzlich wenig zu interessieren.
Opfer eines Opfers zu werden bedeutet immer, dass es eine Tat und einen Täter / eine Täterin gibt. Opfer eines Opfers zu werden, entlässt das Opfer, das zum Täter/Mittäter wurde, nicht aus seiner Verantwortung und befreit nicht von Schuld.
Ich persönlich hoffe sehr auf ein ausgewogenes, gerechtes Urteil der zuständigen Strafkammer.
Samstag, 29. April 2017
Islamistischer Terror: Nur Untote sprengen sich in die Luft!
In der TV-Dokumentation „Europas Muslime (2/2). Auf Reisen mit Nazan Gökdemir und Hamed Abdel-Samad“ (von Thomas Lauterbach, ZDF, 2016, ausgestrahlt auf Arte TV am 11.04.2017) gibt es ein interessantes Interview mit „Jo Dalton“, wie er sich nennt (realer Name Jérémie Maradas-Nado), zu sehen. Dalton kam mit sechs Jahren aus der Zentralafrikanischen Republik nach Frankreich. In den Vororten von Paris glitt er schnell in die Kriminalität ab und saß mehrfach im Gefängnis. Im Gefängnis traf er auf Islamisten und wurde radikalisiert. Er konnte sich allerdings von deren Einfluss lösen und arbeitet heute präventiv mit Jugendlichen gegen Gewalt und Hass.
„Wie weit wäre er bereit gewesen zu gehen, in den Zeiten des Hasses?“ fragt sich die Journalistin Nazan Gökdemir in der Doku. „Wenn ich höre `großer Soldat Gottes`, das macht mir Angst.“ (ca. Minute 23)
Jo Dalton: „Ja, natürlich macht das Angst, weil ich vom Hass besessen war. Weil ich im Loch war. Tiefer als im Gefängnis kann man nicht mehr fallen. Darunter gibt es nur noch den Tod. (…) Ab dem Moment, wo Du das Leben in Dir abtrennst, wirst Du zum lebendigen Toten. Du hast keine Emotionen mehr. Da muss man tun, was zu tun ist.“ (Hervorhebung durch mich)
Gökdemir: „Das heißt?“
Dalton: „Wenn man sich opfern muss, muss man sich opfern, damit das System versteht, dass es keine Macht über Dich hat und es nur Gott gibt. Damals hätte ich es tun können. (…) Wer einmal das Leben abgetrennt hat, sieht niemanden mehr. Nur noch das System. (…) Man muss in die Haut dieser Menschen schlüpfen, um zu verstehen. Sonst kannst Du diesen Hass nicht nachvollziehen.“ (Hervorhebung durch mich)
Diese Aussage sagt in meinen Augen alles über die eigentlichen Hintergründe von fanatischen Hassern, die Anschläge planen und sich dabei i.d.R. selbst opfern. Diese Menschen, die sich in die Luft sprengen, sind bereits (innerlich) tot, aber körperlich am Leben. Wer nichts fühlt, kann alles erdenkliche an Taten verüben, denn es wird ihn in keiner Weise berühren. (Der Gefängnispsychiater James Gilligan hat die von ihm untersuchten Mörder in US-Gefängnissen als Untote („living dead“) bezeichnet, was deren Selbstdefinition widerspiegelt. Diese Männer erlebten derart brutale, folterähnliche Misshandlungen und absolute Lieblosigkeit in ihrer Kindheit, dass sie sich "leer", "innerlich tot", wie „Zombies“, „Steine“ oder „Vampire“ fühlten.)
Jo Dalton stammt aus der Zentralafrikanischen Republik, einem Land mit einer der höchsten Raten an Kindesmisshandlung in der Welt. Ich vermute sehr stark, dass er als Kind misshandelt wurde und zwar schwer und häufig. Sein Künstlername „Jo Dalton“ spricht da bereits Bände. Der Name steht in Verbindung zu der Comicfigur „Joe Dalton“ in den Lucky Luke Bänden. Die Comicfigur Joe Dalton ist der hasserfüllte und cholerische Anführer einer kriminellen Brüderband in dem Comic. Er ist aber auch der kleinste der Brüder. „Die größte Schwachstelle Joes stellt seine Mutter dar. Er erträgt es nicht, dass diese das Nesthäkchen Averell ihm vorzieht und auch nicht zögert, Joe, den „gefürchtetsten Banditen des Westens“, übers Knie zu legen.“, steht auf Wikipedia. Ich denke, dass dies schon sehr viel erzählt über die Kindheitshintergründe von „Jo Dalton“ aus Paris.
„Wie weit wäre er bereit gewesen zu gehen, in den Zeiten des Hasses?“ fragt sich die Journalistin Nazan Gökdemir in der Doku. „Wenn ich höre `großer Soldat Gottes`, das macht mir Angst.“ (ca. Minute 23)
Jo Dalton: „Ja, natürlich macht das Angst, weil ich vom Hass besessen war. Weil ich im Loch war. Tiefer als im Gefängnis kann man nicht mehr fallen. Darunter gibt es nur noch den Tod. (…) Ab dem Moment, wo Du das Leben in Dir abtrennst, wirst Du zum lebendigen Toten. Du hast keine Emotionen mehr. Da muss man tun, was zu tun ist.“ (Hervorhebung durch mich)
Gökdemir: „Das heißt?“
Dalton: „Wenn man sich opfern muss, muss man sich opfern, damit das System versteht, dass es keine Macht über Dich hat und es nur Gott gibt. Damals hätte ich es tun können. (…) Wer einmal das Leben abgetrennt hat, sieht niemanden mehr. Nur noch das System. (…) Man muss in die Haut dieser Menschen schlüpfen, um zu verstehen. Sonst kannst Du diesen Hass nicht nachvollziehen.“ (Hervorhebung durch mich)
Diese Aussage sagt in meinen Augen alles über die eigentlichen Hintergründe von fanatischen Hassern, die Anschläge planen und sich dabei i.d.R. selbst opfern. Diese Menschen, die sich in die Luft sprengen, sind bereits (innerlich) tot, aber körperlich am Leben. Wer nichts fühlt, kann alles erdenkliche an Taten verüben, denn es wird ihn in keiner Weise berühren. (Der Gefängnispsychiater James Gilligan hat die von ihm untersuchten Mörder in US-Gefängnissen als Untote („living dead“) bezeichnet, was deren Selbstdefinition widerspiegelt. Diese Männer erlebten derart brutale, folterähnliche Misshandlungen und absolute Lieblosigkeit in ihrer Kindheit, dass sie sich "leer", "innerlich tot", wie „Zombies“, „Steine“ oder „Vampire“ fühlten.)
Jo Dalton stammt aus der Zentralafrikanischen Republik, einem Land mit einer der höchsten Raten an Kindesmisshandlung in der Welt. Ich vermute sehr stark, dass er als Kind misshandelt wurde und zwar schwer und häufig. Sein Künstlername „Jo Dalton“ spricht da bereits Bände. Der Name steht in Verbindung zu der Comicfigur „Joe Dalton“ in den Lucky Luke Bänden. Die Comicfigur Joe Dalton ist der hasserfüllte und cholerische Anführer einer kriminellen Brüderband in dem Comic. Er ist aber auch der kleinste der Brüder. „Die größte Schwachstelle Joes stellt seine Mutter dar. Er erträgt es nicht, dass diese das Nesthäkchen Averell ihm vorzieht und auch nicht zögert, Joe, den „gefürchtetsten Banditen des Westens“, übers Knie zu legen.“, steht auf Wikipedia. Ich denke, dass dies schon sehr viel erzählt über die Kindheitshintergründe von „Jo Dalton“ aus Paris.
Mittwoch, 26. April 2017
Necla Kelek über die "verlorenen Söhne"
Ich habe heute meinen vorherigen Beitrag über die "Kindheit von Gewalt- und Straftätern" um die qualitative Arbeit von Necla Kelek ergänzt: Kelek, N. (2007). Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes. Wilhelm Goldmann Verlag, München.
In dem Beitrag mache ich sonst immer im Kommentarbereich auf Aktualisierungen und neue Studien aufmerksam. Diese heutige Aktualisierung möchte ich durch einen gesonderten Beitrag nochmals hervorheben. Natürlich ist die Analyse von Kelek nicht auf alle Muslime übertragbar, was sie selbst auch betont. Sie befasst sich ja auch gezielt mit der Sozialisation in der Türkei und nochmals gezielt vor allem mit der Sozialisation von türkischen Männern, die schwere Probleme in ihrem Leben haben. Es ist allerdings sicherlich kaum zu leugnen, dass die Dinge, die Kelek anspricht, so oder so ähnlich und je nach Milieu und muslimischen Kulturkreis oder in abgemilderter oder sogar gesteigerter Form weiterhin existieren und Einfluss auf die islamischen Gesellschaften haben. Diesen Beitrag hier über die Arbeit von Frau Kelek werde ich natürlich auch noch in meinem Text "Islamistischer Terror und Gewalt. Die notwendige Modernisierung der muslimischen Familie" verlinken. Er macht das Bild ziemlich rund, wie ich finde.
Darüber hinaus ist klar, dass diese Art von Sozialisation auch hier bei uns in Deutschland noch nicht lange her ist (man sehe sich z.B. den Film "Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte" an) und ihre Schatten warf und wirft.
Hier nun meine Ergänzung des o.g. Textes:
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Der Ansatz von der Autorin Necla Kelek ist bzgl. des Themas „Strafgefangene und deren kindliche Sozialisation und Erfahrungen“ ein besonderer und ich möchte diesen gezielt ans Ende dieses Blogbeitrags setzen. In ihrem Buch „Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ hat sie fünf muslimische, inhaftierte (türkischstämmige) Straftäter ausführlich vorgestellt, mit denen sie zuvor intensive Interviews geführt hat. Den Berichten über die Straftäter hängt sie eine generelle Analyse der traditionellen muslimischen Erziehung an. Man erhält dadurch ein sehr komplexes Bild. Sie berichtet von der Macht der Väter, von kollektiven Familiensystemen, von mittelalterlichen Normen, vom Einfluss des Islam, vom Trauma der Jungenbeschneidung, von destruktiven Ehrvorstellungen, von Kindern die zuschauen, wenn Tieren beim Opferfest die Kehle durchgeschnitten wird usw. und auch von ihren eigenen Kindheitserinnerungen in der Türkei. Ihre Berichte sind – das betont sie – nicht repräsentativ (sie versteht ihren Ansatz als "qualitative Sozialforschung"), zeigen aber einen wichtigen Ausschnitt aus der Wirklichkeit.
Bzgl. dieser speziellen Gruppe der ursprünglich in der Türkei geborenen und hier in Deutschland inhaftierten männlichen Straftäter zeigt sich, dass zu den Erfahrungen von Gewalt und Demütigungen in der Kindheit dieser Männer (was sie mit anderen Straftäter gemein haben) ergänzend ein ganzes „Kultursystem“ betrachtet werden muss, in dem sie aufgewachsen sind.
Individuelle Freiheit und Entfaltung gibt es in diesen quasi "mittelalterlichem" Kultursystem, aus dem diese Täter stammen, nicht. Wie ein Junge und ein Mann zu sein hat und was sein Lebensweg sein wird (und wen er wann heiraten wird), bestimmen die Älteren, Sitten, Bräuche, die Religion, die Großfamilie und die (Dorf-)Gemeinschaft. Hinzu kommt eine strickte Trennung der Lebenswelten von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, aber auch von Eltern und Kindern. Kelek zitiert einen Mann, der berichtet, dass seine Eltern nichts von ihm wüssten. „Das ist bei den meisten Familien so, nicht nur in meiner. Die Eltern leben für sich, und die Kinder sind auch für sich.“ (Kelek 2007, S 104) Dieser Mann berichtet über seine Familie: „Bei uns (…) spielt der Respekt eine große Rolle. Wenn mein Vater mich besuchen käme, würde ich sofort aufstehen und seine Hände küssen. Wenn er nach Hause kam, standen wir Kinder immer auf, küssten ihm die Hände und verließen den Raum, damit er seine Ruhe hatte. Wir achteten ihn, wir dienten ihm, denn er ist unser Vater.“ (ebd., S. 105)
Necla Kelek berichtet über das Kinderleben in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. „Im Dorf wurden die Kinder nicht betreut. Sie liefen, sobald sie laufen konnten, einfach mit. Die Jungen lernten von den älteren Jungen, was es hieß, ein Junge zu sein. Sie mussten die Schafe, die Gänse hüten oder Besorgungen erledigen. Die Mädchen halfen der Mutter im Haus und lernten durch Zuschauen und Mitmachen. In dieser Welt gab es keine bewusste Erziehung durch Ausbildung und fürsorgliches, erklärendes Beibringen, sondern nur das Prinzip Aneignung durch Nachahmung und Strafe bei Nachlässigkeiten.“ (ebd., S. 118) Strafen waren dann vor allem körperliche Gewalt (auch gegen Kleinkinder) und/oder Ausgrenzung.
Auch die Berichte der Strafgefangen sind voll von Gewalt, Ohnmachtserfahrungen und Gehorsamsforderungen. Kelek fasst an einer Stelle kurz zusammen:
„Die Lebensgeschichten, die ich im Gefängnis gehört habe, erzählen von Vätern, die ihre Söhne mit dem Stock oder mit einem Kabelende schlagen oder ihnen heißes Öl über die Hand gießen – alles Vergeltungsmaßnahmen für verweigerten Gehorsam oder nicht gezollten Respekt.“ (ebd., S. 182+183) Keiner der männlichen muslimischen Gesprächspartner – sowohl Strafgefangene als auch diverse andere -, die alle samt durch ihre Väter bestraft wurden und Gewalt erlebt hatten, machte ihren Väter deswegen Vorwürfe, schreibt Kelek. (ebd., S. 174+175) „Alle ´respektierten` seine Macht bis zur Selbstzerstörung. Der Vater, so scheint es, hat einen gottähnlichen Status, und die Angst, vor ihm zu versagen, ist groß.“ (ebd., S. 175)
Kelek spitzt im hinteren Teil des Buches an einer Stelle zu: „Muslimische Jungen wachsen ohne Liebe auf. In ihrer Sozialisation geht es in erster Linie darum, dieses Leben zu bestehen, Gott zu gehorchen und dafür zu sorgen, dass ihnen gehorcht wird. Es ist eine Welt von Schwarz und Weiß, von Entweder-Oder, von oben und unten. In ihr können keine Gefühle ausgebildet werden (…)“ (ebd., S. 179) Neben dieser Ohnmacht erleben diese Jungen aber auch, dass sie als männliche Wesen mehr wert sind, als Frauen. Gleichzeitig ist ihr Leben ein trauriges. Dies ist in meinen Augen eine unheilvolle Mischung aus Ohnmacht und Gehorsam + Macht und überhöhter Männlichkeit, alles die besten Zutaten für einen gewalttätigen Charakter. Diese Seiten zeigen sich sehr gut an einer Stelle im Buch:
„Die Söhne werden von den Müttern gepampert und verwöhnt und von den Schwestern bedient, mit ihnen spielen, träumen, weinen, lachen – das tut keiner. Das müssen die Jungen mit sich selbst, vielleicht noch mit ihren `Kumpels` abmachen. (…) Die Mutter und die Schwestern sind als Gesprächs- und Gefühlspartner unerreichbar, der Vater wird meist als strafende Instanz oder Herrscher über die Familie erlebt – als Partner seines Sohnes, der dessen Sorgen und Nöte teilt, ihn beschützt oder einfach für ihn da ist, fällt er aus.“ (ebd., S. 179)
Die Autorin berichtet auch über den Umgang mit Säuglingen in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. Die Säuglinge wurden in zwölf Meter lange Tücher so sehr eingewickelt, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. „Dem Kind wurde, damit es vor dem `bösen Blick` oder auch vor Fliegen geschützt war, ein Tuch über die Augen gelegt. Solche Tücher gehören bei jeder Frau zur Aussteuer. Oft wurde ein Kleinkind ein Jahr lang so mumifiziert, es konnte weder etwas sehen noch sich bewegen. Wenn man das Kind vom Tuch befreite, schüttelte es wie wild den Kopf hin und her, weil das unbekannte Licht grell in den Augen schmerzte.“ (ebd., S. 116) Kelek betont, dass diese Praxis heute auch in Anatolien nicht mehr üblich sei. Man kann sich allerdings vorstellen, dass dieser traumatische Terror gegen das Kind in seinen ersten 12 Lebensmonaten nachhaltig wirkte, sowohl auf die Persönlichkeit der so Terrorisierten, als auch auf deren Umgang mit ihren eigenen Kindern.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Kelek auch den Blick auf viele Türken und Türkinnen richtet, die ihre Kinder anders erziehen, „die ihren Kindern die Liebe, Fürsorge und Nähe angedeihen lassen, die den von mir beschrieben Männern fehlt. Sie sollen aufstehen und sagen, wie sie es machen – je mehr es sind, desto besser.“ (ebd., S. 184)
Ich denke, es ist klar geworden, dass die Biografien von Gewalt- und Straftätern sehr stark ausgeleuchtet werden können, wenn Forschende sich auf den Weg dahin machen wollen und ergänzend entsprechende Ressource zur Verfügung gestellt bekommen oder sich beschaffen. Je mehr man erfährt und ausleuchtet, desto mehr versteht man auch die Genese von Gewalt, ohne sie gleichzeitig zu entschuldigen, sondern mit dem einzigen Zweck: Prävention im Hier und Jetzt, bei der heutigen Kindergeneration.
In dem Beitrag mache ich sonst immer im Kommentarbereich auf Aktualisierungen und neue Studien aufmerksam. Diese heutige Aktualisierung möchte ich durch einen gesonderten Beitrag nochmals hervorheben. Natürlich ist die Analyse von Kelek nicht auf alle Muslime übertragbar, was sie selbst auch betont. Sie befasst sich ja auch gezielt mit der Sozialisation in der Türkei und nochmals gezielt vor allem mit der Sozialisation von türkischen Männern, die schwere Probleme in ihrem Leben haben. Es ist allerdings sicherlich kaum zu leugnen, dass die Dinge, die Kelek anspricht, so oder so ähnlich und je nach Milieu und muslimischen Kulturkreis oder in abgemilderter oder sogar gesteigerter Form weiterhin existieren und Einfluss auf die islamischen Gesellschaften haben. Diesen Beitrag hier über die Arbeit von Frau Kelek werde ich natürlich auch noch in meinem Text "Islamistischer Terror und Gewalt. Die notwendige Modernisierung der muslimischen Familie" verlinken. Er macht das Bild ziemlich rund, wie ich finde.
Darüber hinaus ist klar, dass diese Art von Sozialisation auch hier bei uns in Deutschland noch nicht lange her ist (man sehe sich z.B. den Film "Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte" an) und ihre Schatten warf und wirft.
Hier nun meine Ergänzung des o.g. Textes:
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Der Ansatz von der Autorin Necla Kelek ist bzgl. des Themas „Strafgefangene und deren kindliche Sozialisation und Erfahrungen“ ein besonderer und ich möchte diesen gezielt ans Ende dieses Blogbeitrags setzen. In ihrem Buch „Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ hat sie fünf muslimische, inhaftierte (türkischstämmige) Straftäter ausführlich vorgestellt, mit denen sie zuvor intensive Interviews geführt hat. Den Berichten über die Straftäter hängt sie eine generelle Analyse der traditionellen muslimischen Erziehung an. Man erhält dadurch ein sehr komplexes Bild. Sie berichtet von der Macht der Väter, von kollektiven Familiensystemen, von mittelalterlichen Normen, vom Einfluss des Islam, vom Trauma der Jungenbeschneidung, von destruktiven Ehrvorstellungen, von Kindern die zuschauen, wenn Tieren beim Opferfest die Kehle durchgeschnitten wird usw. und auch von ihren eigenen Kindheitserinnerungen in der Türkei. Ihre Berichte sind – das betont sie – nicht repräsentativ (sie versteht ihren Ansatz als "qualitative Sozialforschung"), zeigen aber einen wichtigen Ausschnitt aus der Wirklichkeit.
Bzgl. dieser speziellen Gruppe der ursprünglich in der Türkei geborenen und hier in Deutschland inhaftierten männlichen Straftäter zeigt sich, dass zu den Erfahrungen von Gewalt und Demütigungen in der Kindheit dieser Männer (was sie mit anderen Straftäter gemein haben) ergänzend ein ganzes „Kultursystem“ betrachtet werden muss, in dem sie aufgewachsen sind.
Individuelle Freiheit und Entfaltung gibt es in diesen quasi "mittelalterlichem" Kultursystem, aus dem diese Täter stammen, nicht. Wie ein Junge und ein Mann zu sein hat und was sein Lebensweg sein wird (und wen er wann heiraten wird), bestimmen die Älteren, Sitten, Bräuche, die Religion, die Großfamilie und die (Dorf-)Gemeinschaft. Hinzu kommt eine strickte Trennung der Lebenswelten von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, aber auch von Eltern und Kindern. Kelek zitiert einen Mann, der berichtet, dass seine Eltern nichts von ihm wüssten. „Das ist bei den meisten Familien so, nicht nur in meiner. Die Eltern leben für sich, und die Kinder sind auch für sich.“ (Kelek 2007, S 104) Dieser Mann berichtet über seine Familie: „Bei uns (…) spielt der Respekt eine große Rolle. Wenn mein Vater mich besuchen käme, würde ich sofort aufstehen und seine Hände küssen. Wenn er nach Hause kam, standen wir Kinder immer auf, küssten ihm die Hände und verließen den Raum, damit er seine Ruhe hatte. Wir achteten ihn, wir dienten ihm, denn er ist unser Vater.“ (ebd., S. 105)
Necla Kelek berichtet über das Kinderleben in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. „Im Dorf wurden die Kinder nicht betreut. Sie liefen, sobald sie laufen konnten, einfach mit. Die Jungen lernten von den älteren Jungen, was es hieß, ein Junge zu sein. Sie mussten die Schafe, die Gänse hüten oder Besorgungen erledigen. Die Mädchen halfen der Mutter im Haus und lernten durch Zuschauen und Mitmachen. In dieser Welt gab es keine bewusste Erziehung durch Ausbildung und fürsorgliches, erklärendes Beibringen, sondern nur das Prinzip Aneignung durch Nachahmung und Strafe bei Nachlässigkeiten.“ (ebd., S. 118) Strafen waren dann vor allem körperliche Gewalt (auch gegen Kleinkinder) und/oder Ausgrenzung.
Auch die Berichte der Strafgefangen sind voll von Gewalt, Ohnmachtserfahrungen und Gehorsamsforderungen. Kelek fasst an einer Stelle kurz zusammen:
„Die Lebensgeschichten, die ich im Gefängnis gehört habe, erzählen von Vätern, die ihre Söhne mit dem Stock oder mit einem Kabelende schlagen oder ihnen heißes Öl über die Hand gießen – alles Vergeltungsmaßnahmen für verweigerten Gehorsam oder nicht gezollten Respekt.“ (ebd., S. 182+183) Keiner der männlichen muslimischen Gesprächspartner – sowohl Strafgefangene als auch diverse andere -, die alle samt durch ihre Väter bestraft wurden und Gewalt erlebt hatten, machte ihren Väter deswegen Vorwürfe, schreibt Kelek. (ebd., S. 174+175) „Alle ´respektierten` seine Macht bis zur Selbstzerstörung. Der Vater, so scheint es, hat einen gottähnlichen Status, und die Angst, vor ihm zu versagen, ist groß.“ (ebd., S. 175)
Kelek spitzt im hinteren Teil des Buches an einer Stelle zu: „Muslimische Jungen wachsen ohne Liebe auf. In ihrer Sozialisation geht es in erster Linie darum, dieses Leben zu bestehen, Gott zu gehorchen und dafür zu sorgen, dass ihnen gehorcht wird. Es ist eine Welt von Schwarz und Weiß, von Entweder-Oder, von oben und unten. In ihr können keine Gefühle ausgebildet werden (…)“ (ebd., S. 179) Neben dieser Ohnmacht erleben diese Jungen aber auch, dass sie als männliche Wesen mehr wert sind, als Frauen. Gleichzeitig ist ihr Leben ein trauriges. Dies ist in meinen Augen eine unheilvolle Mischung aus Ohnmacht und Gehorsam + Macht und überhöhter Männlichkeit, alles die besten Zutaten für einen gewalttätigen Charakter. Diese Seiten zeigen sich sehr gut an einer Stelle im Buch:
„Die Söhne werden von den Müttern gepampert und verwöhnt und von den Schwestern bedient, mit ihnen spielen, träumen, weinen, lachen – das tut keiner. Das müssen die Jungen mit sich selbst, vielleicht noch mit ihren `Kumpels` abmachen. (…) Die Mutter und die Schwestern sind als Gesprächs- und Gefühlspartner unerreichbar, der Vater wird meist als strafende Instanz oder Herrscher über die Familie erlebt – als Partner seines Sohnes, der dessen Sorgen und Nöte teilt, ihn beschützt oder einfach für ihn da ist, fällt er aus.“ (ebd., S. 179)
Die Autorin berichtet auch über den Umgang mit Säuglingen in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. Die Säuglinge wurden in zwölf Meter lange Tücher so sehr eingewickelt, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. „Dem Kind wurde, damit es vor dem `bösen Blick` oder auch vor Fliegen geschützt war, ein Tuch über die Augen gelegt. Solche Tücher gehören bei jeder Frau zur Aussteuer. Oft wurde ein Kleinkind ein Jahr lang so mumifiziert, es konnte weder etwas sehen noch sich bewegen. Wenn man das Kind vom Tuch befreite, schüttelte es wie wild den Kopf hin und her, weil das unbekannte Licht grell in den Augen schmerzte.“ (ebd., S. 116) Kelek betont, dass diese Praxis heute auch in Anatolien nicht mehr üblich sei. Man kann sich allerdings vorstellen, dass dieser traumatische Terror gegen das Kind in seinen ersten 12 Lebensmonaten nachhaltig wirkte, sowohl auf die Persönlichkeit der so Terrorisierten, als auch auf deren Umgang mit ihren eigenen Kindern.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Kelek auch den Blick auf viele Türken und Türkinnen richtet, die ihre Kinder anders erziehen, „die ihren Kindern die Liebe, Fürsorge und Nähe angedeihen lassen, die den von mir beschrieben Männern fehlt. Sie sollen aufstehen und sagen, wie sie es machen – je mehr es sind, desto besser.“ (ebd., S. 184)
Ich denke, es ist klar geworden, dass die Biografien von Gewalt- und Straftätern sehr stark ausgeleuchtet werden können, wenn Forschende sich auf den Weg dahin machen wollen und ergänzend entsprechende Ressource zur Verfügung gestellt bekommen oder sich beschaffen. Je mehr man erfährt und ausleuchtet, desto mehr versteht man auch die Genese von Gewalt, ohne sie gleichzeitig zu entschuldigen, sondern mit dem einzigen Zweck: Prävention im Hier und Jetzt, bei der heutigen Kindergeneration.
Freitag, 17. März 2017
Kindheit von Gewalt- und Straftätern. Wann endlich werden diese Daten von der Gesellschaft ernst genommen?
(Dieser Text wird zukünftig von mir aktualisiert, sofern ich weitere Studien und auch die Zeit finde, sie auszuwerten. Hinweise auf die Aktualisierung mache ich dann jeweils im Kommentarbereich.)
Ich habe in diesem Blog bisher vor allem die Kindheiten von politischen Gewalttätern (Diktatoren wie Stalin, Hitler, Mao etc., Terroristen und Extremisten behandelt.) oder die Kindheiten der Gesamtbevölkerung in (aktuellen oder ehemaligen) Bürgerkriegs-, Kriegs- und Krisenländern analysiert. Bzgl. allgemeinen Straftätern der Kategorie "Sexualstraftäter" habe ich hier bereits zwei eindrucksvolle Studien (!) besprochen oder bzgl. Mördern/Serienmördern die Arbeiten von Jonathan H. Pincus, James Gilligan und Stephan Harbort besprochen. Ergänzend habe ich einige Fallbeispiele für die grausame Kindheit von grausamen Mördern zusammengefasst oder in Diagrammen aufgezeigt, wie auch innerhalb eines einzigen Belastungsfaktors (KFN Studie - in diesem Fall nur körperliche Gewalt) verschiedene gesteigerte Schwere- und Häufigkeitsgrade von körperlicher Gewalt die Wahrscheinlichkeit für Gewalttäterschaft stets erhöhen.
In diesem Text möchte ich jetzt mehrere Studien besprechen, die die Kindheit von Straftätern und Straftäterinnen untersucht und eindrucksvolle Ergebnisse hervorgebracht haben. Ich halte es für diesen Rahmen hier und auch für die Chance auf ein Bewusstsein für den massiv destruktiven Einfluss von destruktiven Kindheitserfahrungen für notwendig, solche Studien ausführlich darzustellen (genauso wie ich es hier im Blog stets für notwendig halte, die Kindheit von einzelnen Diktatoren und Massenmördern sehr ausführlich zu schildern, weil nur dann ein "Verstehen" - ohne gleichzeitig zu entschuldigen - möglich ist). Insofern werde ich die Zahlen und Ergebnisse relativ breit darstellen.
(In einem Grundlagentext über die "Ursachen von Kriminalität" (Ostendorf 2010) auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es beispielsweise im Text:
"Gerade Kindheitserfahrungen mit selbst erlittener und miterlebter Gewalt sind nach empirischen Untersuchungen ein bedeutsamer Faktor für spätere Gewalttätigkeiten." Ließt man den gesamten Text, geht diese Information im Grunde unter. Ebenso werden in dem Text keine Zahlen über Misshandlungraten in der Kindheit von StraftäterInnen angegeben, wofür sicherlich zwei Zeilen frei gewesen wären. Um so wichtiger finde ich Texte wie diesen Blogbeitrag hier, die sich speziell auf die Kindheitshintergründe konzentrieren. Denn: Nach meinen Recherchen im gesamten Blog sind destruktive Kindheitserfahrungen der bedeutsamste Faktor für spätere Gewalttätigkeit.)
Die unten aufgezeigten Ergebnisse sind ´bzgl. ihrer Aussagen nicht neu für mich, da ich immer wieder hier und da etwas über die Kindheiten von Straftätern gelesen habe. Auf eine Art hat mich diese komprimierte Arbeit an diesem Beitrag aber auch etwas wütend gemacht. Denn: Die Ergebnisse sind derart eindeutig, dass ich der Meinung bin, dass alle "Expertenrunden" zum Thema Mörder/(Gewalt-)Straftäter, entsprechende Mediendiskussionen und Präventionsprogramme immer über Kindheitshintergründe von Tätern und Täterinnen sprechen müssen (was sie leider nach meiner Wahrnehmung vor allem in den Medien oft nicht tun). Wenn sie dies nicht tun, arbeiten sie letztlich unsauber/uninformiert oder stellen sich blind.
Bzgl. politisch gefärbter Gewalttaten wie aktuell islamistischem Terror sind die nachfolgenden Ergebnisse übrigens insofern besonders interessant, weil nachweislich viele europäische junge Männer (und Frauen), die außerhalb Europas in den "heiligen Krieg" zogen, vorher in Europa eine kriminelle Karriere gemacht haben und sich nun durch die Hinwendung zum Dschihad "reingewaschen" fühlen. Für diese Islamisten gelten entsprechend ganz sicher ähnliche Kindheitshintergründe, wie für die allgemeinen Straftäter auch.
Das Bundeskriminalamt konnte z.B. in einer großen Untersuchung von 784 Islamisten (79 % männlich, 21 % weiblich), die aus Deutschland nach Syrien oder dem Irak ausgereist sind, diverse Daten sammeln und auswerten. Zwei Drittel der Islamisten hatte eine kriminelle Vorgeschichte (vor allem Eigentums-, Gewalt- und/oder Drogendelikte). 53 % von den Personen mit einem kriminellen Hintergrund hatten drei oder mehr Delikte und 32 % hatten sechs oder mehr Delikte begangen. Es waren also vor allem Mehrfachtäter. (Bundeskriminalamt; Bundesamt für Verfassungsschutz & Hessisches Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus 2016)
Hier nun die Studien:
Für die US-amerikanische Studie Reavis, J. A., Looman J., Franco, K. A., Rojas B. (2013). Adverse Childhood Experiences and Adult Criminality: How Long Must We Live before We Possess Our Own Lives?. The Permanente Journal, Spring 2013, Vol. 7, No. 2, S. 44-48. wurden 151 Straftäter (eingeteilt in Kindesmissbraucher, häusliche Gewalttäter, Sexualtäter, Stalker) zu diversen belastenden Kindheitserfahrungen (ACE`s) befragt und die Ergebnisse mit einer allgemeinen Stichprobe der Bevölkerung mit 7.970 Befragten verglichen.
Keinen einzigen ACE Punkt gaben 9,3 % der Straftäter an, dagegen 38 % der Durchschnittsbevölkerung. 48,3 % der Straftäter gaben mehr als 4 ACE Punkte an, dagegen 12,5 % der Durchschnittsbevölkerung. Ein ergänzender Blick in die Details macht die Zusammenhänge offensichtlich:
(jeweils links die Prozentangaben bzgl. belastenden Kindheitserfahrungen für die Straftäter (ST) und rechts die der Durchschnittsbevölkerung (DB) )
- Psychische Misshandlungen erlebten 52,3 % der Straftäter (ST) und 7,6 % der Durchschnittsbevölkerung (DB)
- Körperliche Misshandlungen: 41,1 % (ST) und 29,9 % (DB)
- Sexueller Missbrauch: 27,2 % (ST) und 16 % (DB)
- Emotionale Vernachlässigung: 50,3 % (ST) und 12,4 % (DB)
- Körperliche Vernachlässigung: 21,9 % (ST) und 10,7 % (DB)
- Suchtmittel Gebrauch im Haushalt: 47,7 % (ST) und 23,8 % (DB)
- Psychische Krankheit mind. eines Familienmitgliedes: 25,8 % (ST) und 14,8 % (DB)
- Speziell mütterliche körperliche Misshandlungen: 27,8 % (ST) und 11,5 % (DB)
- kriminelles Verhalten eines Familienmitgliedes: 20,5 % (ST) und 4,1 % (DB)
- Scheidung der Eltern: 53,6 % (ST) und 21,8 % (DB)
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Ein direkter Vergleich der Kindheitsbelastungen von Straftäterinnen mit den Kindheitsbelastungen von Frauen aus der Allgemeinbevölkerung wurde auch in folgender deutschen Studie unternommen:
Schröttle, M. & Müller, U. (2004): III. Teilpopulationserhebung bei Inhaftierten. „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
88 inhaftierte Frauen (über 16 Jahre alt) wurden befragt und mit einer repräsentativen Stichprobe der allgemeinen deutschen Frauenbevölkerung verglichen.
Von den inhaftierten Frauen wurden in ihrer Kindheit und Jugend…
- 25% häufig oder gelegentlich von den Erziehungspersonen lächerlich gemacht oder gedemütigt (8% bei den allgemein Befragten der Hauptuntersuchung),
- 51% häufig oder gelegentlich so behandelt, dass es seelisch verletzend war (10% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 38% häufig oder gelegentlich niedergebrüllt (11% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 35% häufig oder gelegentlich leicht geohrfeigt (17% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 33% bekamen häufig oder gelegentlich schallende Ohrfeigen mit sichtbaren Striemen (6% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 23% bekamen häufig oder gelegentlich einen strafenden Klaps auf den Po (20% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 25% wurde häufig oder gelegentlich mit der Hand kräftig der Po versohlt (10% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 17% häufig oder gelegentlich mit einem Gegenstand auf den Finger geschlagen (3% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 24% häufig oder gelegentlich mit einem Gegenstand kräftig auf den Po geschlagen (6% bei den Befragten der Hauptuntersuchung),
- 35% bekamen häufig oder gelegentlich heftige Prügel (5% bei den Befragten der Hauptuntersuchung).
- 31% wurden in ihrer Kindheit und Jugend durch eine erwachsene Person sexuell berührt oder an intimen Körperstellen angefasst (Hauptuntersuchung 8%),
- 22% wurden gezwungen, die erwachsene Person an intimen Körperstellen zu berühren (Hauptuntersuchung 3%),
- 9% wurden gezwungen, sich selbst an intimen Körperstellen zu berühren (Hauptuntersuchung 1%),
- 28% wurden zum Geschlechtsverkehr gezwungen (Hauptuntersuchung 2%),
- 22% wurden zu anderen sexuellen Handlungen gedrängt oder gezwungen (Hauptuntersuchung 2%).
(ebd., S. 50+51)
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Sehr aufschlussreich ist auch eine deutsche Studie, für die 76 inhaftierte Männer und 63 inhaftierte Frauen befragt wurden:
Driessen, M. / Schroeder, T. / Widmann, B/ von Schönfeld, C.-E. & Schneider. F. (2006). Childhood trauma, psychiatric disorders, and criminal behavior in prisoners in Germany: a comparative study in incarcerated women and men. Journal of Clinical Psychiatry. 67(10), S. 1486-1492.
Bzgl. dieser Studie muss ich darauf hinweisen, dass die Straftaten sehr unterschiedlich waren. Wegen Mord waren 10,8 %, wegen Sexualdelikten 3,6 % und wegen Körperverletzung 8,6 % der Befragten verurteilt. Delikte der weiteren Befragten waren u.a. Diebstahl, Raub, Betrug, Fälschung von Dokumenten, Drogendelikte und Straßenverkehrsdelikte.
Für die Befragung wurde der sogenannte „Childhood Trauma Questionnaire“ (CTQ) verwendet. Dieser kam auch bei einer Repräsentativbefragung der deutschen Bevölkerung zum Einsatz. (Häuser, Winfried; Schmutzer, Gabriele; Brähler, Elmar; Glaesmer, Heide (2011). Misshandlungen in Kindheit und Jugend: Ergebnisse einer Umfrage in einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung. Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 108, Heft 17) Die Ergebnisse der beiden Studien sind insofern direkt miteinander vergleichbar. Siehe entsprechend die folgenden Ergebnisse:
- Emotionale Misshandlungen erlebten 50 % der inhaftierten Männer und 58,7 % der Frauen (dagegen 15,2 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Körperliche Misshandlungen erlebten 50 % der inhaftierten Männer und 47,6 % der Frauen (dagegen 12,2 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Sexuellen Missbrauch erlebten 15,8 % der inhaftierten Männer und 31,7 % der Frauen (dagegen 12,7 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Emotionale Vernachlässigung erlebten 76,3 % der inhaftierten Männer und 61,9 % der Frauen (dagegen 49,7 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Körperliche Vernachlässigung erlebten 43,4 % der inhaftierten Männer und 36,5 % der Frauen (dagegen 48,6 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
Im Fragebogen „Childhood Trauma Questionnaire“ wird bzgl. den Misshandlungen unterschieden zwischen gering/mäßig, mäßig/schwer und schwer/extrem. Auffällig ist, dass die Tendenz bei den Strafgefangenen eindeutig in Richtung schwerer Misshandlungsformen geht. Mäßig/schwere oder schwere/extreme Misshandlungen in mindestens einer o.g. Kategorie erlebten 50,4 % aller befragten Strafgefangenen (Männer und Frauen). (Driessen et al. 2006, S. 1488+1489)
Die schweren/extremen Formen möchte ich beispielhaft anführen. Es lohnt dabei ebenfalls ein Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung.
- Schwere/extreme Emotionale Misshandlungen erlebten 21,1 % der inhaftierten Männer und 27 % der Frauen (dagegen 1,6 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Schwere/extreme Körperliche Misshandlungen erlebten 23,7 % der inhaftierten Männer und 25,4 % der Frauen (dagegen 2,7 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Schweren/extremen Sexuellen Missbrauch erlebten 2,6 % der inhaftierten Männer und 17,5 % der Frauen (dagegen 1,9 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Schwere/extreme Emotionale Vernachlässigung erlebten 38,2 % der inhaftierten Männer und 27 % der Frauen (dagegen 6,5 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
- Schwere/extreme Körperliche Vernachlässigung erlebten 5,3 % der inhaftierten Männer und 4,8 % der Frauen (dagegen 10,8 % der deutschen Allgemeinbevölkerung)
Hinweis: Einzig bzgl. der körperlichen Vernachlässigung liegen die Werte der Strafgefangenen unter denen der Allgemeinbevölkerung. Das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass die befragten Strafgefangenen im Schnitt 34 Jahre alt waren, während bei der Befragung der Allgemeinbevölkerung das Durchschnittalter 50,6 war und bei letzterer Studie insofern viele Menschen der Kriegs-/Nachkriegsgeneration mit erfasst wurden, die materiell/körperlich schlecht versorgt werden konnten.
- Ergänzend wurde in der Studie festgestellt, dass 86,3 % der Inhaftierten mindestens einmal in ihrem Leben an einer psychischen Störung litten. 83,5 % waren akut (innerhalb der letzten 6 Monate vor der Befragung) psychisch erkrankt.
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In den USA (Kalifornien) wurden 500 Straftäterinnen befragt, die sich in einem Resozialisierungsprogramm von fünf verschiedenen Gefängnissen befanden:
Messina, N. & Grella, C. (2006). Childhood Trauma and Women’s Health Outcomes in a California Prison Population. American Journal of Public Health. Vol. 96, No. 10.
Die Studie arbeitete wie schon oben aufgezeigt mit sogenannten ACE Werten und verglich die Ergebnisse der Straftäterinnen mit den Werten der Allgemeinbevölkerung.
Ergebnisse:
- Keinen einzigen ACE Wert gaben 15,7 % der Straftäterinnen an, dagegen 31,3 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Einen ACE Wert gaben 16,7 % der Straftäterinnen an, dagegen 24,2 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Zwei ACE Werte gaben 21,8 % der Straftäterinnen an, dagegen 14,8 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Drei ACE Werte gaben 14 % der Straftäterinnen an, dagegen 10,4 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Vier ACE Werte gaben 10,6 % der Straftäterinnen an, dagegen 6,8 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Fünf oder mehr ACE Werte gaben 21,2 % der Straftäterinnen an, dagegen 12,5 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
Details für belastende Kindheitserfahrungen:
- Emotionale Misshandlungen und Vernachlässigung erlebten 34,2 % der Straftäterinnen, dagegen 12,2 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Körperliche Vernachlässigung erlebten 14,5 % der Straftäterinnen, dagegen 9,2 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Körperliche Misshandlungen erlebten 30,6 % der Straftäterinnen, dagegen 25,1 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Sexuellen Missbrauch erlebten 45,1 % der Straftäterinnen, dagegen 24,3 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Häusliche Gewalt miterlebt haben 47,6 % der Straftäterinnen, dagegen 13,9 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Trennung der Eltern erlebten 43,7 % der Straftäterinnen, dagegen 25,4 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Inhaftierung eines Familienmitgliedes erlebten 33,8 % der Straftäterinnen, dagegen 6,9 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Fremdunterbringung von zu Hause (Pflegefamilie oder Adoption) erlebten 19,9 % der Straftäterinnen, bzgl. der Allgemeinbevölkerung liegen keine Daten dazu vor.
- Körperliche Misshandlungen erlebten 30,6 % der Straftäterinnen, dagegen 25,1 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Sexuellen Missbrauch erlebten 45,1 % der Straftäterinnen, dagegen 24,3 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Häusliche Gewalt miterlebt haben 47,6 % der Straftäterinnen, dagegen 13,9 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Trennung der Eltern erlebten 43,7 % der Straftäterinnen, dagegen 25,4 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Inhaftierung eines Familienmitgliedes erlebten 33,8 % der Straftäterinnen, dagegen 6,9 % der weiblichen Befragten aus der Allgemeinbevölkerung
- Fremdunterbringung von zu Hause (Pflegefamilie oder Adoption) erlebten 19,9 % der Straftäterinnen, bzgl. der Allgemeinbevölkerung liegen keine Daten dazu vor.
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Für eine große Studie aus Großbritannien wurden Daten von 1.435 Strafgefangenen (die meisten Männer), die Haftstrafen zwischen einem Monat und vier Jahren zu verbüßen hatten (wobei die Mehrheit Haftstrafen unter 12 Monaten absaß) ausgewertet:
Williams, K. / Papadopoulou, V. & Booth, N. (2012). Prisoners’ childhood and family Backgrounds. Results from the Surveying Prisoner Crime Reduction (SPCR) longitudinal cohort study of prisoners. Ministry of Justice (UK), Research Series 4/12.
Leider ist mir nicht klar, welche Straftaten die Verurteilten begangen haben. Auf Grund der relativ kurzen Haftstrafen würde ich besonders schwere Gewaltverbrechen eher ausschließen.
Ergebnisse:
- 24 % der Strafgegangen wurden eine Zeitlang als Kind fremduntergebracht (Heim, Pflegefamilie etc.)
- 7 % lebten als Kind immer oder die meiste Zeit in einer Pflegefamilie oder einer staatlichen Institution
- 29 % haben als Kind emotionale, körperliche und/oder sexuelle Misshandlungen erlebt (Vernachlässigung wurde offensichtlich nicht abgefragt)
- 41 % haben als Kind zu Hause Gewalt miterlebt
- 18 % haben ein Familienmitglied mit einem Alkoholproblem
- 14 % haben ein Familienmitglied mit einem Drogenproblem
- 27 % haben ein Familienmitglied mit einem Drogen- und/oder Alkoholproblem
- 37 % haben ein Familienmitglied, das auf Grund einer Straftat verurteilt wurde (von diesen 37 % wurden 84 % inhaftiert)
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Interessant finde ich – gerade mit Blick auf die gerade zuvor besprochene Studie –, dass bzgl. Straftätern, die besonders schwere Gewaltverbrechen begangen haben, deutlich höhere Raten bzgl. belastenden Kindheitserfahrungen festgestellt werden. Dies zeigten die Ergebnisse folgender Studie:
Craparo, G. / Schimmenti, A. & Caretti, V. (2013). Traumatic experiences in childhood and psychopathy: a study on a sample of violent offenders from Italy. European Journal of Psychotraumatology. 4: 10.
22 Straftäter in Italien wurden befragt. 14 waren Mördern, 4 Vergewaltiger und 4 Kindesmissbraucher. Bei allen war eine antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden.
Ergebnisse:
- 50 % wurden als Kind körperlich misshandelt
- 40,9 % wurden als Kind emotional misshandelt
- 68,2 % wurden als Kind emotional vernachlässigt
- 18,2 % wurden als Kind sexuell missbraucht
- 55,5 % erlebten mindestens zwei Formen der vorgenannten Misshandlungen
- 100 % berichteten zudem mindestens über ein traumatisches Ereignis in ihrem Leben.
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Der letzte Punkt ("100 % berichteten zudem mindestens über ein traumatisches Ereignis in ihrem Leben.") in der zuvor besprochenen Studie scheint ergänzend zu kindlichen Gewalterfahrungen häufig im Leben von Tätern zu sein. Insofern möchte ich folgende Hinweise an dieser Stelle anführen:
Eine Studie fand, dass von 64 befragten jugendlichen Straftätern 96,8 % mindestens ein traumatisches Erlebnis gemacht haben. (Carrion, V. G. & Steiner, H. (2000). Trauma and Dissociation in Delinquent Adolescents. Child & Adolescent Psychiatry, Vol. 39, Issue 3, S. 353-359.)
Eine große europaweite Studie (siehe unten) mit 1.055 befragten männlichen Strafgefangen (verurteilt wegen Mord, Raub, Sexualstraftaten, Körperverletzung, Eigentums- oder Drogendelikten, also eine sehr gemischte Gruppe) ergab, dass 88,2 % von mindestens einem traumatischen Erlebnis berichten, im Durschnitt erlebten die Strafgefangenen drei Arten von Traumatisierungen (Abgefragt wurden diverse traumatische Erfahrungen wie Kriegserfahrungen, Folter, Naturkatastrophen, lebensbedrohliche Erkrankung, schwere körperliche Angriffe u.ä.). Die AutorInnen der Studie betonen, dass der Anteil von traumatischen Erfahrungen bei den befragten Gefängnisinsassen sechs mal höher ist, als der in der Allgemeinbevölkerung und die Gefängnisinsassen sogar höhere Traumaraten aufweisen, als stationär aufgenommene Psychiatriepatienten.
Dudeck, M. / Drenkhahn, K. / Spitzer, C. / Barnow, S. / Kopp, D. / Kuwert, P. / Freyberger, H. J. & Dünkel, F. (2011). Traumatization and mental distress in long-term prisoners in Europe. Punishment & Society 13 (4), S. 403-423.
Die Studie zeigte auch folgendes:
- Bei 14 % konnte eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden
- 50 % waren auf Grund von psychischen Symptomen in Behandlung
- 29,7 % haben bereits versucht, sich umzubringen
- Ca. ein Drittel berichteten von selbstverletzendem Verhalten
Bzgl belastenden Kindheitserfahrungen ist die Studie leider nicht ergiebig. 39,4 % berichteten von einem schwere körperlichen Angriff durch ein Familienmitglied oder einem Bekannten (wobei nicht klar ist in welcher Lebensphase dies geschah und wer der Täter war), 5,4 % berichteten von einem sexuellen Angriff durch ein Familienmitglied und 5,7 % von einem sexuellen Angriff durch einen Fremden, 22,5 % hatten Sexualverkehr im Alter unter 18 Jahren mit einer mindestens 5 Jahre älteren Person.
Eine wissenschaftliche Arbeit aus Großbritannien hat Daten von verschiedenen Studien ausgewertet und die Ergebnisse bzgl. jungen Strafgefangenen und der Allgemeinbevölkerung verglichen:
Hughes, N. / Williams, H. / Chitsabesan, P. / Davies, R. & Mounce, L. (2012). Nobody made the connection: The prevalence of neurodisability in young people who offend. Office of the Children’s Commissioner (UK).
(Links jeweils die Daten für die junge Allgemeinbevölkerung und recht die Daten für junge Strafgefangene)
- Lernbehinderung (learning disabilities): 2 - 4% (junge Allgemeinbevölkerung) / 23 - 32% (junge Strafgefangene)
- Legasthenie (Dyslexia): 10% (junge Allgemeinbevölkerung) / 43 - 57% (junge Strafgefangene)
- Kommunikationsstörung (Communication disorders): 5 - 7% (junge Allgemeinbevölkerung) / 60 - 90% (junge Strafgefangene)
- ADHS (Attention deficit hyperactive disorder): 1.7 - 9% (junge Allgemeinbevölkerung) / 12% (junge Strafgefangene)
- Autismusspektrumstörung (Autistic spectrum disorder): 0.6 - 1.2% (junge Allgemeinbevölkerung) / 15% (junge Strafgefangene)
- Schädel-Hirn-Trauma (Traumatic brain injury): 24 - 31.6% (junge Allgemeinbevölkerung) / 65.1 - 72.1% (junge Strafgefangene)
- Epilepsie (Epilepsy): 0.45 - 1% (junge Allgemeinbevölkerung) / 0.7 - 0.8% (junge Strafgefangene)
- fetales Alkoholsyndrom (Foetal alcohol Syndrome): 0.1 - 5% (junge Allgemeinbevölkerung) / 10.9 - 11.7% (junge Strafgefangene)
Vor allem der letzte Punkt stellt eine Form von schwerer mütterlicher Misshandlung gegenüber dem ungeborenen Kind da! Bzgl. der anderen Störungen ist die Frage, ob diese nicht wiederum in einem starken ursächlichem Verhältnis zu kindlichen Gewalterfahrungen der Straftäter stehen, was ich persönlich vermute.
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Für eine Studie in New Mexico, USA, wurden 220 jugendliche (13-18 Jahre) inhaftierte Straftäter und Straftäterinnen befragt:
Cannon, Y. / Davis, G. / Hsi, A. & Bochte, A. (2016). Adverse Childhood Experiences in the New Mexico Juvenile Justice Population. New Mexico Sentencing Commission.
Ergebnisse:
- 0,5 % der männlichen und 0 % der weiblichen Befragten hatten keinen einzigen ACE Punkt angegeben.
- 3,7 % der männlichen und 0 % der weiblichen Befragten gaben nur einen einzigen ACE Punkt an.
- 86 % aller Befragten (männlich und weiblich) haben 4 oder mehr ACE Punkte angegeben. Diese Werte übertreffen bei weitem Vergleichsdaten bzgl. der Allgemeinbevölkerung (12 – 15 % mit 4 oder mehr ACE Punkten), die ebenfalls in der Studie vorgestellt wurden.
Details für belastende Kindheitserfahrungen:
- 57 % der männlichen und 67 % der weiblichen Befragten wurden emotional misshandelt
- 49 % der männlichen und 70 % der weiblichen Befragten wurden körperlich misshandelt
- 21 % der männlichen und 63 % der weiblichen Befragten wurden sexuell missbraucht
- 74 % der männlichen und 90 % der weiblichen Befragten wurden emotional vernachlässigt
- 93 % der männlichen und 100 % der weiblichen Befragten wurden körperlich vernachlässigt
- 85 % der männlichen und 90 % der weiblichen Befragten erlebten, dass ihre Eltern sich trennten
- 55% der männlichen und 53 % der weiblichen Befragten erlebten häusliche Gewalt mit
- 81 % der männlichen und 77 % der weiblichen Befragten erlebten Suchtmittelmissbrauch in ihrer Familie
- 55 % der männlichen und 60 % der weiblichen Befragten erlebten, dass ein Familienmitglied inhaftiert wurde
Die psychische Situation der Jugendlichen ist entsprechend schwierig. Fast die Hälfte (47,7 %) der Befragten hat beispielsweise Depressionen, 19,1 % verletzen sich selbst, 13,6 % unternahmen als Kind einen Selbstmordversuch und 28,6 % leiden an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
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Eine ähnliche Studie wurde ebenfalls in den USA in Florida mit 64.329 jugendlichen Straftätern und Straftäterinnen (unklar ist, welche Delikte die Jugendlichen begangen haben. Vermutlich sind bei einer solch großen Gruppe auch viele Straftäter dabei, die keine Gewaltdelikte begangen haben) durchgeführt:
Baglivio, M. T. / Epps, N. / Swartz, K. / Sayedul Huq, M. , Sheer A. , Hardt, N. S. (2014). The Prevalence of Adverse Childhood Experiences (ACE) in the Lives of Juvenile Offenders. Journal of Juvenile Justice. Vol. 3, Issue 2.
Ergebnisse:
- 2,8 % aller befragten StraftäterInnen gaben keinen einzigen ACE Punkt an (dagegen 36 % einer Vergleichsstudie zur Allgemeinbevölkerung)
- 90 % aller Befragten gaben mindesten 2 ACE Punkte an
- 73 % aller Befragten gaben 3 oder mehr ACE Punkte an
- 52 % aller Befragten gaben 4 oder mehr ACE Punkte an (dagegen 13 % einer Vergleichsstudie zur Allgemeinbevökerung)
- 32 % aller Befragte gaben 5 oder mehr ACE Punkte an
Details für belastende Kindheitserfahrungen:
- 31 % der männlichen und 39 % der weiblichen Befragten wurden emotional misshandelt
- 26 % der männlichen und 41 % der weiblichen Befragten wurden körperlich misshandelt
- 7 % der männlichen und 31 % der weiblichen Befragten wurden sexuell missbraucht
- 31 % der männlichen und 39 % der weiblichen Befragten wurden emotional vernachlässigt
- 12 % der männlichen und 18 % der weiblichen Befragten wurden körperlich vernachlässigt
- 78 % der männlichen und 84 % der weiblichen Befragten erlebten, dass ihre Eltern sich trennten
- 81% der männlichen und 84 % der weiblichen Befragten erlebten häusliche Gewalt mit
- 24 % der männlichen und 30 % der weiblichen Befragten erlebten Suchtmittelmissbrauch in ihrer Familie
- 65 % der männlichen und 68 % der weiblichen Befragten erlebten, dass ein Familienmitglied inhaftiert wurde
- 8 % der männlichen und 12 % der weiblichen Befragten erlebten, dass ein Familienmitglied psychisch krank war
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Für eine große Studie wurden in Florida (USA) 22.575 jugendliche Straftäter und Straftäterinnen zu belastenden Kindheitserfahrungen (ACE Werte) befragt:
Fox, B. H.; Perez, N.; Cass, E.; Baglivio, M. T.; Epps, N. (2015). Trauma changes everything: Examining the relationship between adverse childhood experiences and serious, violent and chronic juvenile offenders. Child Abuse & Neglect. Volume 46, S. 163–173.
Das Besondere an dieser Studie ist, dass die StraftäterInnen in zwei Gruppen eingeteilt wurden. 10.714 StraftäterInnen wurden als „serious, violent and chronic offenders“ (SVCs) und 11.861 als „one & done“ (O&D) klassifiziert. Die erste Gruppe (SVCs) hatten drei oder mehr Straftaten begangen, von denen mindestens eine Straftat eine Gewalttat war. Die zweite Gruppe (O&D) hatte nur eine, nicht-gewalttätige Straftat begangen.
Ergebnisse:
- Keinen einzigen ACE Punkt gaben 7,4 % der SVCs an, dagegen 30,6 % der O&Ds
- Einen ACE Punkt gaben 21,2 % der SVCs an, dagegen 28,4 % der O&Ds
- Vier oder mehr ACE Punkte gaben 32,9 % der SVCs an, dagegen 14 % der O&Ds
Details für belastende Kindheitserfahrungen:
- 39,8 % der SVCs wurden emotional misshandelt, dagegen 21,3 % der O&Ds
- 33,9 % der SVCs wurden körperlich misshandelt, dagegen 17,8 % der O&Ds
- 8,8 % der SVCs wurden sexuell missbraucht, dagegen 8 % der O&Ds
- 15,4 % der SVCs wurden emotional vernachlässigt, dagegen 9,9 % der O&Ds
- 19,6 % der SVCs wurden körperlich vernachlässigt, dagegen 7,9 % der O&Ds
- 39,6 % der SVCs erlebten häusliche Gewalt mit, dagegen 21,9 % der O&Ds
- 29,8 % der SVCs erlebten Suchtmittelmissbrauch in ihrer Familie, dagegen 16 % der O&Ds
- 14,5 % der SVCs berichteten von psychischer Erkrankung mind. eines Familienmitgliedes, dagegen 8,5 % der O&Ds
- 80 % der SVCs erlebten, dass ein Familienmitglied inhaftiert wurde, dagegen 49,7 % der O&Ds
Für jeden einzelnen ACE Wert, so die Autorinnen der Studie, steigt das Risiko zu einer (gewalttätigen) Mehrfachtäterschaft (SVCs) um 35 % im Verhältnis zu nicht-gewalttätigen Straftätern der Kategorie O&D. Diese Studie konnte also deutlich den von mir im Blog wie auch in diesem Text gemachten Hinweis bestätigen, dass gewalttätige (Mehrfach)Täter als Kind deutlich belasteter sind, als nicht-gewalttätige Straftäter (und natürlich auch als die Allgemeinbevölkerung). (Bzw. diese Studie bestätigt tendenziell auch die von mir gemachte Formel: Je gewalttätiger die Tat und je häufiger jemand Täter ist, desto gewaltvoller die Kindheit.)
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Für eine Studie aus den USA wurden 658 jugendliche Straftäter und Straftäterinnen (13 – 18 Jahre alt) befragt, die entweder inhaftiert waren oder unter gerichtlicher Aufsicht standen:
Dierkhising, C. B. ; Ko, S. J.; Woods-Jaeger, B.; Briggs, E. C.; Lee, R. & Pynoos, R. S. (2013). Trauma histories among justice-involved youth: findings from the National Child Traumatic Stress Network. European Journal of Psychotraumatology. Vol. 4.
Allgemeine Ergebnisse:
- Fast 90 % der befragten Jugendlichen berichteten von mind. einem traumatischen Erlebnis. Im Durschnitt gaben die Befragten ca. 5 (4,9) verschiedene traumatische Erlebnisse an.
- Ca. 62 % der Befragten erlitten die erste traumatische Erfahrung in den ersten 5 Lebensjahren
- Ca. 70 % erfüllten Kriterien für eine psychische Störung
- 23,6 % erfüllten Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung
Details für belastende Kindheitserfahrungen:
- 58,6 % der Straftäter und 64,9 % der Straftäterinnen erlebten einen traumatischen Verlust (Trennung von Erziehungspersonen oder einen Todesfall in der Familie)
- 47,5 % der Straftäter und 57,3 % der Straftäterinnen hatten einen behinderten/gestörten Erziehungsberechtigten
- 51,4 % der Straftäter und 56,3 % der Straftäterinnen erlebten häusliche Gewalt mit
- 46,3 % der Straftäter und 53,9 % der Straftäterinnen erlebten emotionale Misshandlungen
- 39 % der Straftäter und 40,6 % der Straftäterinnen erlebten körperliche Misshandlungen
- 15,5 % der Straftäter und 31,8 % der Straftäterinnen erlebten sexuellen Missbrauch
- 30,7 % der Straftäter und 29,7 % der Straftäterinnen erlebten Vernachlässigung
Neben diesen belastenden Kindheitserfahrungen, die ähnlich auch in den anderen hier im Text vorgestellten Studien abgefragt worden sind, wurden weitere (außerfamiliäre) Belastungsfaktoren abgefragt, die ich hier nicht alle darstellen kann. Auszugsweise möchte ich drei Beispiele aufführen:
- 8,8 % der Straftäter und 38,7 % der Straftäterinnen erlebten einen sexuellen Überfall/Vergewaltigung
- 40,8 % der Straftäter und 30,1 % der Straftäterinnen erlebten Gewalt in ihrem nachbarschaftlichen Umfeld
- 23 % der Straftäter und 23,1 % der Straftäterinnen erlebten Gewalt in der Schule
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Ebenfalls in den USA wurden für eine Studie 740 Sexualstraftäter und -täterinnen befragt (93,5 % Männer und 6,5 % Frauen):
Levenson, J. S. (2016). The influence of childhood trauma on sexual violence and sexual deviance in adulthood. Traumatology, 22(2): 94-103.
Ergebnisse:
- 15,7 % gaben keinen einzigen ACE Punkt an
- 45,3 % gaben 4 oder mehr ACE Punkte an
Details für belastende Kindheitserfahrungen:
- 52 % der Befragten wurden emotional misshandelt
- 42 % der Befragten wurden körperlich misshandelt
- 38 % der Befragten wurden sexuell missbraucht
- 37 % der Befragten wurden emotional vernachlässigt
- 16 % der Befragten wurden körperlich vernachlässigt
- 24 % der Befragten erlebten häusliche Gewalt mit
- 46 % der Befragten erlebten Suchtmittelmissbrauch in ihrer Familie
- 23 % der Befragten erlebten, dass ein Familienmitglied inhaftiert wurde
- 26 % der Befragten erlebten, dass ein Familienmitglied psychisch krank war
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Für eine Studie aus Großbritannien wurden 200 inhaftierte GewalttäterInnen (die meisten männlich, wenige weiblich) befragt:
Boswell, G. (1997). The Backgrounds of Violent Young Offenders. The Present Picture. In: Varma, V. P. (Hrsg.). Violence in Children and Adolescents. S. 22-36. London: Jessica Kingsley Publishers.
Ergebnisse (ebd., S. 27):
- Emotionale Misshandlung erlebten 28,5 %
- Sexuellen Missbrauch erlebten 29 %
- Körperliche Misshandlungen erlebten 40 %
- organisierten oder rituellen Missbrauch erlebten 1,5 %
- Insgesamt erlebten 72 % eine oder mehrere der vorgenannten kindlichen Belastungsfaktoren
- 57 % erlebten als Kind einen Todesfall oder die Trennung von einer wichtigen Bezugsperson
- 49,5 % verloren als Kind den Kontakt zu einem Elternteil; von 10 % aller Befragten starb, als sie noch ein Kind waren, ein Elternteil
- Zusammenfassung: Insgesamt 91 % aller Befragten erlebte als Kind eine einschneidende Trennung von einer Bezugsperson und/oder mindestens eine Form von den o.g. Misshandlungen.
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Interessant ist auch eine Studie, für die 136.549 SchülerInnen in Minnesota (USA) bzgl. belastenden Kindheitserfahrungen und eigenem destruktivem Verhalten (Delinquenz, Mobbing, körperliche Gewalt, Gewalt gegen Partner „Dating Violence“, Tragen von Waffen, Selbstverletzungen, Selbstmordversuchen oder - -gedanken) befragt wurden:
Duke, N. N. / Pettingell, S. L. / McMorris, B. J. & Borowsky I. W. (2010). Adolescent Violence Perpetration: Associations With Multiple Types of Adverse Childhood Experiences. Pediatrics, VOL. 125, ISSUE 4.
Das wesentliche Ergebnis der Studie lässt sich mit einem Zitat zusammenfassen: „For every unit increase in the adverse-events score (additional type of adverse event reported), the risk of violence perpetration increased 35% to 144%.“ (S. 784). Das bedeutet umgekehrt natürlich auch, dass je weniger belastende Kindheitserfahrungen gemacht wurden, desto unwahrscheinlicher wird eigenes Gewaltverhalten.
Ein Wert sticht in der Studie übrigens besonders hervor. Für männliche Schüler, die als Kind von einem Familienmitglied sexuell missbraucht worden sind, erhöht sich das Risiko, bei einem Date Gewalt gegen die Partnerin anzuwenden, um den Faktor 44 im Vergleich zu Schülern, die nicht sexuell missbraucht worden sind.
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Abschließend möchte ich noch eine spezielle Studie bespreche. Für folgende Studie wurden 7 Serienmörder in den USA interviewt und analysiert:
Beasley, J. O. (2004). Serrial Murder in America: Case Studies of Seven Offenders. Behavioral Sciences and the Law. Law 22, S. 395-414.
Aufschlussreich war für mich besonders die Diskussion der Studie im Schlussteil. Der Autor betont, dass er einen Schwerpunkt bei der Analyse auch auf die Kindheitshintergründe und mögliche Misshandlungsgeschichten gelegt hätte. (ebd., S. 410) Familienprobleme seien häufig bei den Mördern zu finden gewesen. (Diese wurden aber erstaunlicher Weise in den Fallanalysen selten ausführlich dargestellt, dazu gleich mehr). Aber: Körperliche und/oder sexuelle Misshandlungen wurden seltener gefunden, als angenommen, so der Autor. Nur zwei von sieben Serienmördern wurden als Kind körperlich misshandelt, schreibt er weiter. Außerdem würden die meisten Opfer von Kindesmisshandlung später nicht zu Serienmördern. Somit scheint das Thema Kindheit für den Autor entsprechend abgehakt zu sein.
Das erste, was ich nach dem Lesen dieser Zeilen getan habe, war eine Rechenaufgabe zu lösen. 2 von 7 bedeutet, dass 28,57 % der befragten Serienmörder körperlich misshandelt wurden. Das ist kein sehr hoher Wert, aber auch nicht gerade niedrig. (Der Wert entspricht übrigens genau der Zahl, die mir noch bzgl. Jonathan H. Pincus im Kopf ist, der schrieb, dass von ihm befragte Mörder zunächst zu zwei Drittel sagten, sie seien nicht misshandelt worden, was - das zeigten seine intensiven Recherchen - nicht stimmte. Zu Pincus komme ich gleich noch.) Die Fallanalysen von Beasley zeigen ein ergänzendes Bild. Bei keinem einzigen Serienmörder fanden sich keine Belastungen in der Kindheit. Es verwundert sehr, dass der Autor in seiner Zusammenfassung nicht deutlich darauf eingeht.
- Serienmörder Nr 1. wurde als Kind adoptiert. Was alles in seiner Herkunftsfamilie geschah und warum er adoptiert wurde, wird nicht beschrieben. Außerdem wird von familiärer Instabilität und sozialer Isolation gesprochen, auch wieder ohne in Details zu gehen. Mörder Nr. 1 tötete insgesamt 17 Frauen. Obwohl er über keine Misshandlungen berichtete, zeigen die wenigen Information, dass seine Kindheit einer weiteren Analyse bedurft hätte.
- Serienmörder Nr 2 ist der einzige Mörder, dessen Kindheit in der Fallanalyse explizit als unauffällig bezeichnet wird. Diese deutliche Aussage verwunderte mich besonders, denn auch dieser Mörder wurde als Kind von einer Familie adoptiert und wuchs dann als Einzelkind auf. Informationen über seine Herkunftsfamilie erhält man erneut nicht. Auffällig fand ich auch, dass er bereits als Jugendlicher Drogen nahm und dass er später vor den Morden (er ermordete drei Frauen) einen intensiven Hass und intensive Wut auf Frauen empfunden habe.
- Die Kindheit von Serienmörder Nr 3 war eindeutig ein Alptraum. Die Mutter war Alkoholikerin, kalt und distanziert. Sie wechselte zudem mehrmals ihre Partner. Ein Stiefvater misshandelte den Jungen häufig. Im Alter von neun Jahren wurde der Junge für einige Monate bei einer Pflegefamilie untergebracht. Im Alter von zehn wurde er nach einem Einbruch inhaftiert.
- Ebenfalls wurde Serienmörder Nr 4 häufig von seinem Vater sowohl verbal als auch körperlich misshandelt.
- Serienmörder Nr 5 berichtet von einem Gefühl der Isolation als Kind, Frustationen und einer instabilen Familie. Als Jugendlicher schloss er sich einer Straßengang an. Es bleibt in dem Bericht bei diesen oberflächlichen Daten.
- Serienmörder Nr 6 wurde von seinem Vater psychisch misshandelt und berichtet von einem instabilen Zuhause. In seiner frühen Jugend fühlte er sich extrem isoliert. Auch hier bleibt es bei diesen Oberflächendaten.
- Serienmörder Nr 7. wurde als Kind körperlich und psychisch von seinem Vater misshandelt. Als Jugendlicher nahm er exzessiv Drogen und Alkohol.
Ich möchte noch einmal wiederholen, dass es mehr als erstaunlich ist, dass der Autor in seiner Schlussbesprechung Kindheitserfahrungen quasi bei Seite schiebt, obwohl seine eigenen kurzen Fallanalysen bereits in eine andere Richtung zeigen.
Im Text oben habe ich bereits auf meine Buchbesprechung von Jonathan H. Pincus hingewiesen. Ergänzend möchte ich auf eine Arbeit Hinweisen, an der auch Pincus beteiligt war:
Lewis, D. O. / Yeager, C. A. / Swica, Y. / Pincus, J. H. & Lewis, M. (1997). Objective Documentation of Child Abuse and Dissociation in 12 Murderers With Dissociative Identity Disorder. American Journal of Psychiatry 154:12, S. 1703-1710
Die befragten Mörder erinnerten entweder keine Misshandlungen oder redeten sie gering. "We were surprised to find that in their usual personality states, most subjects denied or minimized childhood maltreatment. Four of them, for whom documentation of extraordinary abuse was discovered, totally denied any physical or sexual abuse. Seven others who had been severely physically and/or sexually abused had but fragmentary memories of the abuse. None attempted to use histories of abuse to enlist the sympathy of jurors or to excuse their violent acts. Since in their usual personality states most of the subjects had no idea of the kinds of maltreatment they had sustained, they could not use histories of abuse to manipulate clinicians or anyone else." (ebd., S. 1707)
Nun ist es so, dass diese Mörder nachweisbar unter einer Dissoziativen Identitätsstörung litten, womit natürlich Erinnerungslücken einhergehen. (Ähnliche Lücken oder Verneinung von Misshandlungserfahrungen fand Pincus allerdings auch bei anderen Mördern, was ich in meiner oben verlinkten Buchbesprechung ausgeführt habe.) Bei 12 Mördern fanden die Forscher - entgegen den Darstellungen der Mörder selbst - extreme Misshandlungshintergründe, was sie wie folgt zusammenfassten: "The term “abuse” does not do justice to the quality of maltreatment these individuals endured. A more accurate term would be `torture.` " (ebd., S. 1707) Pincus und die anderen Forscher befragten u.a. Eltern, Geschwister, Ehepartner, Onkel und Tanten, Nachbarn, Lehrer, Kindheitsfreunde und in einem Fall sogar Priester für Informationen zur Kindheit und Misshandlungshintergründen. Ergänzend analysierten sie offizielle Unterlagen wie Krankenhausberichte/Krankenakten aus der Kindheit, Gerichtsurteile gegen Elternteile der Mörder, Psychiatrieberichte, Berichte von Pflegefamilien und sozialen Diensten, Polizeiberichte, Schulberichte usw. Die Forschenden betrieben also einen enormen Aufwand um der Frage nachzugehen, was diesen Mördern als Kind alles widerfahren war. Ein solcher Aufwand ist in gängigen Gewaltstudien natürlich nicht machbar. Worauf ich erneut hinaus will ist, dass gerade in Anbetracht von extremen Taten wie Mord oder gar Serienmord berechtigte Zweifel angebracht sind, wenn die Mörder sagen: Meine Kindheit war gut.
In diesem Blog habe ich die Kindheiten von etlichen Diktatoren und politischen Massenmördern analysiert und extrem schwere Misshandlungshintergründe gefunden. Bzgl. Mördern einer Kategorie wie Hitler, Stalin usw. hat man im Gegensatz zu einem "ganz normalen" Mörder den Vorteil, dass sich etliche Historiker und andere Forschende quasi auf diese stürzen und jeden Winkel ihres Lebens ausleuchten. Auch wenn normale Historiker nicht so sehr die Kindheit im Fokus haben, erfährt man doch sehr viel, wenn man genau hinschaut. Ein Fragebogen, der in einem Gefängnis Mördern in die Hand gedrückt wird, ist hilfreich, das haben die oben besprochenen Studien gezeigt. Alleine dem Fragebogen zu vertrauen und daraus abzuleiten, dass ein kleiner Teil der Gewalttäter keinerlei kindliche Belastungen erlebt haben, halte ich für fragwürdig.
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Der Ansatz von der Autorin Necla Kelek ist bzgl. des Themas „Strafgefangene und deren kindliche Sozialisation und Erfahrungen“ ein besonderer und ich möchte diesen gezielt ans Ende dieses Blogbeitrags setzen. In ihrem Buch „Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ hat sie fünf muslimische, inhaftierte (türkischstämmige) Straftäter ausführlich vorgestellt, mit denen sie zuvor intensive Interviews geführt hat. Den Berichten über die Straftäter hängt sie eine generelle Analyse der traditionellen muslimischen Erziehung an. Man erhält dadurch ein sehr komplexes Bild. Sie berichtet von der Macht der Väter, von kollektiven Familiensystemen, von mittelalterlichen Normen, vom Einfluss des Islam, vom Trauma der Jungenbeschneidung, von destruktiven Ehrvorstellungen, von Kindern die zuschauen, wenn Tieren beim Opferfest die Kehle durchgeschnitten wird usw. und auch von ihren eigenen Kindheitserinnerungen in der Türkei. Ihre Berichte sind – das betont sie – nicht repräsentativ (sie versteht ihren Ansatz als "qualitative Sozialforschung"), zeigen aber einen wichtigen Ausschnitt aus der Wirklichkeit.
Bzgl. dieser speziellen Gruppe der ursprünglich in der Türkei geborenen und hier in Deutschland inhaftierten männlichen Straftäter zeigt sich, dass zu den Erfahrungen von Gewalt und Demütigungen in der Kindheit dieser Männer (was sie mit anderen Straftäter gemein haben) ergänzend ein ganzes „Kultursystem“ betrachtet werden muss, in dem sie aufgewachsen sind.
Individuelle Freiheit und Entfaltung gibt es in diesen quasi "mittelalterlichem" Kultursystem, aus dem diese Täter stammen, nicht. Wie ein Junge und ein Mann zu sein hat und was sein Lebensweg sein wird (und wen er wann heiraten wird), bestimmen die Älteren, Sitten, Bräuche, die Religion, die Großfamilie und die (Dorf-)Gemeinschaft. Hinzu kommt eine strickte Trennung der Lebenswelten von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, aber auch von Eltern und Kindern. Kelek zitiert einen Mann, der berichtet, dass seine Eltern nichts von ihm wüssten. „Das ist bei den meisten Familien so, nicht nur in meiner. Die Eltern leben für sich, und die Kinder sind auch für sich.“ (Kelek 2007, S 104) Dieser Mann berichtet über seine Familie: „Bei uns (…) spielt der Respekt eine große Rolle. Wenn mein Vater mich besuchen käme, würde ich sofort aufstehen und seine Hände küssen. Wenn er nach Hause kam, standen wir Kinder immer auf, küssten ihm die Hände und verließen den Raum, damit er seine Ruhe hatte. Wir achteten ihn, wir dienten ihm, denn er ist unser Vater.“ (ebd., S. 105)
Necla Kelek berichtet über das Kinderleben in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. „Im Dorf wurden die Kinder nicht betreut. Sie liefen, sobald sie laufen konnten, einfach mit. Die Jungen lernten von den älteren Jungen, was es hieß, ein Junge zu sein. Sie mussten die Schafe, die Gänse hüten oder Besorgungen erledigen. Die Mädchen halfen der Mutter im Haus und lernten durch Zuschauen und Mitmachen. In dieser Welt gab es keine bewusste Erziehung durch Ausbildung und fürsorgliches, erklärendes Beibringen, sondern nur das Prinzip Aneignung durch Nachahmung und Strafe bei Nachlässigkeiten.“ (ebd., S. 118) Strafen waren dann vor allem körperliche Gewalt (auch gegen Kleinkinder) und/oder Ausgrenzung.
Auch die Berichte der Strafgefangen sind voll von Gewalt, Ohnmachtserfahrungen und Gehorsamsforderungen. Kelek fasst an einer Stelle kurz zusammen:
„Die Lebensgeschichten, die ich im Gefängnis gehört habe, erzählen von Vätern, die ihre Söhne mit dem Stock oder mit einem Kabelende schlagen oder ihnen heißes Öl über die Hand gießen – alles Vergeltungsmaßnahmen für verweigerten Gehorsam oder nicht gezollten Respekt.“ (ebd., S. 182+183) Keiner der männlichen muslimischen Gesprächspartner – sowohl Strafgefangene als auch diverse andere -, die alle samt durch ihre Väter bestraft wurden und Gewalt erlebt hatten, machte ihren Väter deswegen Vorwürfe, schreibt Kelek. (ebd., S. 174+175) „Alle ´respektierten` seine Macht bis zur Selbstzerstörung. Der Vater, so scheint es, hat einen gottähnlichen Status, und die Angst, vor ihm zu versagen, ist groß.“ (ebd., S. 175)
Kelek spitzt im hinteren Teil des Buches an einer Stelle zu: „Muslimische Jungen wachsen ohne Liebe auf. In ihrer Sozialisation geht es in erster Linie darum, dieses Leben zu bestehen, Gott zu gehorchen und dafür zu sorgen, dass ihnen gehorcht wird. Es ist eine Welt von Schwarz und Weiß, von Entweder-Oder, von oben und unten. In ihr können keine Gefühle ausgebildet werden (…)“ (ebd., S. 179) Neben dieser Ohnmacht erleben diese Jungen aber auch, dass sie als männliche Wesen mehr wert sind, als Frauen. Gleichzeitig ist ihr Leben ein trauriges. Dies ist in meinen Augen eine unheilvolle Mischung aus Ohnmacht und Gehorsam + Macht und überhöhter Männlichkeit, alles die besten Zutaten für einen gewalttätigen Charakter. Diese Seiten zeigen sich sehr gut an einer Stelle im Buch:
„Die Söhne werden von den Müttern gepampert und verwöhnt und von den Schwestern bedient, mit ihnen spielen, träumen, weinen, lachen – das tut keiner. Das müssen die Jungen mit sich selbst, vielleicht noch mit ihren `Kumpels` abmachen. (…) Die Mutter und die Schwestern sind als Gesprächs- und Gefühlspartner unerreichbar, der Vater wird meist als strafende Instanz oder Herrscher über die Familie erlebt – als Partner seines Sohnes, der dessen Sorgen und Nöte teilt, ihn beschützt oder einfach für ihn da ist, fällt er aus.“ (ebd., S. 179)
Die Autorin berichtet auch über den Umgang mit Säuglingen in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. Die Säuglinge wurden in zwölf Meter lange Tücher so sehr eingewickelt, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. „Dem Kind wurde, damit es vor dem `bösen Blick` oder auch vor Fliegen geschützt war, ein Tuch über die Augen gelegt. Solche Tücher gehören bei jeder Frau zur Aussteuer. Oft wurde ein Kleinkind ein Jahr lang so mumifiziert, es konnte weder etwas sehen noch sich bewegen. Wenn man das Kind vom Tuch befreite, schüttelte es wie wild den Kopf hin und her, weil das unbekannte Licht grell in den Augen schmerzte.“ (ebd., S. 116) Kelek betont, dass diese Praxis heute auch in Anatolien nicht mehr üblich sei. Man kann sich allerdings vorstellen, dass dieser traumatische Terror gegen das Kind in seinen ersten 12 Lebensmonaten nachhaltig wirkte, sowohl auf die Persönlichkeit der so Terrorisierten, als auch auf deren Umgang mit ihren eigenen Kindern.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Kelek auch den Blick auf viele Türken und Türkinnen richtet, die ihre Kinder anders erziehen, „die ihren Kindern die Liebe, Fürsorge und Nähe angedeihen lassen, die den von mir beschrieben Männern fehlt. Sie sollen aufstehen und sagen, wie sie es machen – je mehr es sind, desto besser.“ (ebd., S. 184)
Ich denke, es ist klar geworden, dass die Biografien von Gewalt- und Straftätern sehr stark ausgeleuchtet werden können, wenn Forschende sich auf den Weg dahin machen wollen und ergänzend entsprechende Ressource zur Verfügung gestellt bekommen oder sich beschaffen. Je mehr man erfährt und ausleuchtet, desto mehr versteht man auch die Genese von Gewalt, ohne sie gleichzeitig zu entschuldigen, sondern mit dem einzigen Zweck: Prävention im Hier und Jetzt, bei der heutigen Kindergeneration.
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Ich fasse die Erkenntnisse der Studien (inkl. der oben verlinkten) und auch etwas Kritik wie folgt zusammen:
- In manchen der o.g. sogenannten ACE Studien - z.B. Reavis et al. (2013) - wird bzgl. elterlichem Gewaltverhalten (laut "Adverse Childhood Experiences Questionnaire") nach häufigen oder sehr häufigen Gewalterfahrungen oder besonders schweren Gewaltformen gefragt. Leider wurden diese drei Punkte nicht weiter aufgeschlüsselt. Es macht z.B. einen Unterschied, ob jemand "sehr häufig" schwere Gewalt erlebt (dies vielleicht auch noch in Kindheit und Jugend) oder "häufig" leichtere Gewalt in der Kindheit. Interessant wäre hier ebenfalls ein Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung. Die Frage wäre, ob die Straftäter verglichen mit Menschen aus der Allgemeinbevölkerung, die ebenfalls als "körperlich misshandelt" eingestuft wurden, überrepräsentiert bzgl. Häufigkeit und besonderer Schwere der Gewalt sind? Zudem zeigt die Fragestellung der ACE Studie, dass weniger als "häufig" erinnerte Gewalterfahrungen nicht angegeben wurden. Insofern bekommen wir kein komplexes Bild über alle Gewalterfahrungen der Straftäter.
- Dass in den o.g. Studien nicht alle Belastungsfaktoren abgefragt werden (was realistisch betrachtet auch schwer möglich ist), zeigte mir neben den oben auch im Text schon gemachten Hinweisen, besonders die Arbeit von Hughes et al. (2012) - siehe oben - die herausstellte, dass für junge Menschen der Allgemeinbevölkerung zwischen 0.1 - 5% das "Fetale Alkoholsyndrom" (Schädigung des Kindes durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft) festgestellt werden konnte, während junge Menschen, die in Haft sind, zu 10.9 - 11.7% betroffen sind.
Ein anderes Beispiel: Die Psychologin und Autorin Susan Forward hat in einem Interview (Süddeutsche Zeitung - Magazin, Heft 10/2017, »Eine Mutter kann dir dein Essen kochen und trotzdem ein Teufel sein«) ein sie sehr prägendes Erlebnis mit ihrer Mutter beschrieben.
"Ein junger Mann an der Schule hatte mir gerade das Herz gebrochen, und mir war zum Heulen zumute. Als wir zurückkamen, legte mir meine Mutter die Hand auf die Schulter. Ich dachte, sie würde mich trösten. Dann sagte sie: »Weißt du, Liebes, du wirst nie so eine gute Reiterin werden, wie ich es bin. Du wirst nie die Athletin sein, die ich bin. Du wirst nie die Tänzerin sein, die ich bin, und du wirst nie die Frau sein, die ich bin.« Die Worte höre ich, als wäre es gestern gewesen. Nimm ein Messer und stich noch ein paarmal fester zu!" Ich bin mir nicht sicher, ob solche extrem destruktiven, elterlichen Verhaltensweisen in den o.g. Studien erfasst worden wären, wahrscheinlich nicht.
Neben all diesen und ähnlichen Problemen, vor denen Studienmacher stehen, zeigen vor allem die oben besprochenen Arbeiten von Jonathan H. Pincus, dass viele Mörder sich nicht an Misshandlungserfahrungen erinnern können oder wollen und dass man sehr aufwendige Wege gehen muss, um ein komplexes Bild über die Kindheit zu bekommen.
- Besonders bei den oben besprochenen ACE Studien Cannon et al. (2016) und Baglivio et al. (2014), die Straftäter und Straftäterinnen befragt hatten, fiel mir auf, dass die Straftäterinnen fast durchweg höhere Belastungen in der Kindheit angaben, als die Straftäter. In vielen Gewaltstudien bzgl. der Allgemeinbevölkerung wurde zwar eindeutig gezeigt, dass Frauen häufiger von sexuellem Missbrauch in der Kindheit betroffen waren, als Männer, aber bei den anderen Belastungen - vor allem körperliche Elterngewalt, aber auch emotionale Gewalt und Vernachlässigung - sind nach meinem Kenntnisstand Männer je nach Studie oft deutlich häufiger oder zumindest gleichauf betroffen wie Frauen (ich habe diverse Zahlen dazu in einem Text besprochen). Wie erklärt sich jetzt, dass in den Straftäterstudien Frauen deutlich belasteter sind als Männer? Ich vermute, dass hier klassische Männlichkeitsbilder in der Gesellschaft wie "Ein Mann ist kein Opfer" und "Ein Mann zeigt keine Schwäche" eine Rolle spielen; vermutlich gerade bei männlichen (Gewalt-)Straftätern, die oft zu einer überhöhten, "starken" Männlichkeit neigen, sogar eine besondere Rolle. Demnach vermute ich, dass die männlichen Befragten der genannten ACE Studien sich bzgl. Gewalterfahrungen in der Kindheit deutlich mehr ausgeschwiegen haben, als die weiblichen Befragten.
- Einige - vor allem größere - der o.g. Studien schlüsseln nicht genau die Straftätertypen auf und setzten diese dann in ein Verhältnis zu den Kindheitserfahrungen. Die Erkenntnisse aus einigen oben besprochenen und zu Beginn verlinkten Studien deuten eindrucksvoll darauf hin, dass besonders grausame Täter (vor allem Mörder, Serienmörder) auch besonders und auch besonders häufig grausame Kindheitserfahrungen gemacht haben. Wenn in Straftäterbefragungen auch Straftäter zur Kindheit befragt werden, die z.B. nur Eigentums-, Betrugs- oder Drogendelikte begangen haben, verwässern diese Tätertypen evtl. die Ergebnisse. Vor allem in den USA ist zudem die Gesetzgebung besonders streng im Vergleich zu Europa. Dort landen nach meinem Eindruck manches mal Leute in Gefängnissen, die in Europa nicht im Gefängnis landen würden. Mir persönlich geht es in der Analyse vor allem um Gewalttaten. Kindheitserfahrungen von Gewaltstraftäter bedürfen meiner Meinung nach einer gesonderten Aufstellung, das gilt erst Recht, wenn es um Mord geht.
- Über die destruktiven Kindheitserfahrungen hinaus, haben manche Studie eindrucksvoll gezeigt, dass Straftäter auch ergänzend besonders belastet sind; vor allem in Form von sonstigen traumatischen Erfahrungen während ihres Lebens und vor allem auch, was ihre psychische Situation angeht. Es zeigt sich letztendlich deutlich, dass diese Menschen vor allem Hilfe brauchen. Trotzdem muss man natürlich parallel auch den Schutz der Bevölkerung vor Tätern im Auge behalten. Die enormen Kosten, die solche Täter verursachen, könnte man sich sparen, wenn gezielt in Kinderschutz investiert würde, um solche Täterbiografien gleich von Beginn an gar nicht entstehen zu lassen.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass die WHO explizit als Folge von der Aufdeckung des Ausmaßes der Gewalt gegen Kinder folgenden Bericht bereits im Jahr 2007 veröffentlicht hat: World Health Organization (2007). The cycles of violence. The relationship between childhood maltreatment and the risk of later becoming a victim or perpetrator of violence. Copenhagen. In dem Bericht wird auf den Opfer-Täter-Kreislauf, aber auch auf den Opfer-Opfer-Kreislauf hingewiesen und Prävention und Intervention gefordert. Mein persönlicher Eindruck ist - wie bereits eingangs geschrieben -, dass es auf der einen Seite immer mehr wissenschaftliche Arbeiten über die destruktive Kindheit von Straftätern gibt oder sogar eindeutige Fakten-Papiere inkl. Präventionsaufruf wie das der WHO und auf der anderen Seite immer noch große Fragezeichen bzgl. der Ursachen von Kriminalität und Straftaten in den Medien und der allgemeinen Bevölkerung stehen. Ich hoffe, dass ich durch diesen Text diesen Widerspruch etwas weiter auflösen kann.
Verwendete Quellen:
Baglivio, M. T. / Epps, N. / Swartz, K. / Sayedul Huq, M. , Sheer A. , Hardt, N. S. (2014). The Prevalence of Adverse Childhood Experiences (ACE) in the Lives of Juvenile Offenders. Journal of Juvenile Justice. Vol. 3, Issue 2.
Beasley, J. O. (2004). Serrial Murder in America: Case Studies of Seven Offenders. Behavioral Sciences and the Law. Law 22, S. 395-414.
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Bundeskriminalamt; Bundesamt für Verfassungsschutz & Hessisches Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (2016). Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind.
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Lewis, D. O. / Yeager, C. A. / Swica, Y. / Pincus, J. H. & Lewis, M. (1997). Objective Documentation of Child Abuse and Dissociation in 12 Murderers With Dissociative Identity Disorder. American Journal of Psychiatry 154:12, S. 1703-1710
Messina, N. & Grella, C. (2006). Childhood Trauma and Women’s Health Outcomes in a California Prison Population. American Journal of Public Health. Vol. 96, No. 10.
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Reavis, J. A., Looman J., Franco, K. A., Rojas B. (2013). Adverse Childhood Experiences and Adult Criminality: How Long Must We Live before We Possess Our Own Lives?. The Permanente Journal, Spring 2013, Vol. 7, No. 2, S. 44-48.
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Beasley, J. O. (2004). Serrial Murder in America: Case Studies of Seven Offenders. Behavioral Sciences and the Law. Law 22, S. 395-414.
Aufschlussreich war für mich besonders die Diskussion der Studie im Schlussteil. Der Autor betont, dass er einen Schwerpunkt bei der Analyse auch auf die Kindheitshintergründe und mögliche Misshandlungsgeschichten gelegt hätte. (ebd., S. 410) Familienprobleme seien häufig bei den Mördern zu finden gewesen. (Diese wurden aber erstaunlicher Weise in den Fallanalysen selten ausführlich dargestellt, dazu gleich mehr). Aber: Körperliche und/oder sexuelle Misshandlungen wurden seltener gefunden, als angenommen, so der Autor. Nur zwei von sieben Serienmördern wurden als Kind körperlich misshandelt, schreibt er weiter. Außerdem würden die meisten Opfer von Kindesmisshandlung später nicht zu Serienmördern. Somit scheint das Thema Kindheit für den Autor entsprechend abgehakt zu sein.
Das erste, was ich nach dem Lesen dieser Zeilen getan habe, war eine Rechenaufgabe zu lösen. 2 von 7 bedeutet, dass 28,57 % der befragten Serienmörder körperlich misshandelt wurden. Das ist kein sehr hoher Wert, aber auch nicht gerade niedrig. (Der Wert entspricht übrigens genau der Zahl, die mir noch bzgl. Jonathan H. Pincus im Kopf ist, der schrieb, dass von ihm befragte Mörder zunächst zu zwei Drittel sagten, sie seien nicht misshandelt worden, was - das zeigten seine intensiven Recherchen - nicht stimmte. Zu Pincus komme ich gleich noch.) Die Fallanalysen von Beasley zeigen ein ergänzendes Bild. Bei keinem einzigen Serienmörder fanden sich keine Belastungen in der Kindheit. Es verwundert sehr, dass der Autor in seiner Zusammenfassung nicht deutlich darauf eingeht.
- Serienmörder Nr 1. wurde als Kind adoptiert. Was alles in seiner Herkunftsfamilie geschah und warum er adoptiert wurde, wird nicht beschrieben. Außerdem wird von familiärer Instabilität und sozialer Isolation gesprochen, auch wieder ohne in Details zu gehen. Mörder Nr. 1 tötete insgesamt 17 Frauen. Obwohl er über keine Misshandlungen berichtete, zeigen die wenigen Information, dass seine Kindheit einer weiteren Analyse bedurft hätte.
- Serienmörder Nr 2 ist der einzige Mörder, dessen Kindheit in der Fallanalyse explizit als unauffällig bezeichnet wird. Diese deutliche Aussage verwunderte mich besonders, denn auch dieser Mörder wurde als Kind von einer Familie adoptiert und wuchs dann als Einzelkind auf. Informationen über seine Herkunftsfamilie erhält man erneut nicht. Auffällig fand ich auch, dass er bereits als Jugendlicher Drogen nahm und dass er später vor den Morden (er ermordete drei Frauen) einen intensiven Hass und intensive Wut auf Frauen empfunden habe.
- Die Kindheit von Serienmörder Nr 3 war eindeutig ein Alptraum. Die Mutter war Alkoholikerin, kalt und distanziert. Sie wechselte zudem mehrmals ihre Partner. Ein Stiefvater misshandelte den Jungen häufig. Im Alter von neun Jahren wurde der Junge für einige Monate bei einer Pflegefamilie untergebracht. Im Alter von zehn wurde er nach einem Einbruch inhaftiert.
- Ebenfalls wurde Serienmörder Nr 4 häufig von seinem Vater sowohl verbal als auch körperlich misshandelt.
- Serienmörder Nr 5 berichtet von einem Gefühl der Isolation als Kind, Frustationen und einer instabilen Familie. Als Jugendlicher schloss er sich einer Straßengang an. Es bleibt in dem Bericht bei diesen oberflächlichen Daten.
- Serienmörder Nr 6 wurde von seinem Vater psychisch misshandelt und berichtet von einem instabilen Zuhause. In seiner frühen Jugend fühlte er sich extrem isoliert. Auch hier bleibt es bei diesen Oberflächendaten.
- Serienmörder Nr 7. wurde als Kind körperlich und psychisch von seinem Vater misshandelt. Als Jugendlicher nahm er exzessiv Drogen und Alkohol.
Ich möchte noch einmal wiederholen, dass es mehr als erstaunlich ist, dass der Autor in seiner Schlussbesprechung Kindheitserfahrungen quasi bei Seite schiebt, obwohl seine eigenen kurzen Fallanalysen bereits in eine andere Richtung zeigen.
Im Text oben habe ich bereits auf meine Buchbesprechung von Jonathan H. Pincus hingewiesen. Ergänzend möchte ich auf eine Arbeit Hinweisen, an der auch Pincus beteiligt war:
Lewis, D. O. / Yeager, C. A. / Swica, Y. / Pincus, J. H. & Lewis, M. (1997). Objective Documentation of Child Abuse and Dissociation in 12 Murderers With Dissociative Identity Disorder. American Journal of Psychiatry 154:12, S. 1703-1710
Die befragten Mörder erinnerten entweder keine Misshandlungen oder redeten sie gering. "We were surprised to find that in their usual personality states, most subjects denied or minimized childhood maltreatment. Four of them, for whom documentation of extraordinary abuse was discovered, totally denied any physical or sexual abuse. Seven others who had been severely physically and/or sexually abused had but fragmentary memories of the abuse. None attempted to use histories of abuse to enlist the sympathy of jurors or to excuse their violent acts. Since in their usual personality states most of the subjects had no idea of the kinds of maltreatment they had sustained, they could not use histories of abuse to manipulate clinicians or anyone else." (ebd., S. 1707)
Nun ist es so, dass diese Mörder nachweisbar unter einer Dissoziativen Identitätsstörung litten, womit natürlich Erinnerungslücken einhergehen. (Ähnliche Lücken oder Verneinung von Misshandlungserfahrungen fand Pincus allerdings auch bei anderen Mördern, was ich in meiner oben verlinkten Buchbesprechung ausgeführt habe.) Bei 12 Mördern fanden die Forscher - entgegen den Darstellungen der Mörder selbst - extreme Misshandlungshintergründe, was sie wie folgt zusammenfassten: "The term “abuse” does not do justice to the quality of maltreatment these individuals endured. A more accurate term would be `torture.` " (ebd., S. 1707) Pincus und die anderen Forscher befragten u.a. Eltern, Geschwister, Ehepartner, Onkel und Tanten, Nachbarn, Lehrer, Kindheitsfreunde und in einem Fall sogar Priester für Informationen zur Kindheit und Misshandlungshintergründen. Ergänzend analysierten sie offizielle Unterlagen wie Krankenhausberichte/Krankenakten aus der Kindheit, Gerichtsurteile gegen Elternteile der Mörder, Psychiatrieberichte, Berichte von Pflegefamilien und sozialen Diensten, Polizeiberichte, Schulberichte usw. Die Forschenden betrieben also einen enormen Aufwand um der Frage nachzugehen, was diesen Mördern als Kind alles widerfahren war. Ein solcher Aufwand ist in gängigen Gewaltstudien natürlich nicht machbar. Worauf ich erneut hinaus will ist, dass gerade in Anbetracht von extremen Taten wie Mord oder gar Serienmord berechtigte Zweifel angebracht sind, wenn die Mörder sagen: Meine Kindheit war gut.
In diesem Blog habe ich die Kindheiten von etlichen Diktatoren und politischen Massenmördern analysiert und extrem schwere Misshandlungshintergründe gefunden. Bzgl. Mördern einer Kategorie wie Hitler, Stalin usw. hat man im Gegensatz zu einem "ganz normalen" Mörder den Vorteil, dass sich etliche Historiker und andere Forschende quasi auf diese stürzen und jeden Winkel ihres Lebens ausleuchten. Auch wenn normale Historiker nicht so sehr die Kindheit im Fokus haben, erfährt man doch sehr viel, wenn man genau hinschaut. Ein Fragebogen, der in einem Gefängnis Mördern in die Hand gedrückt wird, ist hilfreich, das haben die oben besprochenen Studien gezeigt. Alleine dem Fragebogen zu vertrauen und daraus abzuleiten, dass ein kleiner Teil der Gewalttäter keinerlei kindliche Belastungen erlebt haben, halte ich für fragwürdig.
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Der Ansatz von der Autorin Necla Kelek ist bzgl. des Themas „Strafgefangene und deren kindliche Sozialisation und Erfahrungen“ ein besonderer und ich möchte diesen gezielt ans Ende dieses Blogbeitrags setzen. In ihrem Buch „Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ hat sie fünf muslimische, inhaftierte (türkischstämmige) Straftäter ausführlich vorgestellt, mit denen sie zuvor intensive Interviews geführt hat. Den Berichten über die Straftäter hängt sie eine generelle Analyse der traditionellen muslimischen Erziehung an. Man erhält dadurch ein sehr komplexes Bild. Sie berichtet von der Macht der Väter, von kollektiven Familiensystemen, von mittelalterlichen Normen, vom Einfluss des Islam, vom Trauma der Jungenbeschneidung, von destruktiven Ehrvorstellungen, von Kindern die zuschauen, wenn Tieren beim Opferfest die Kehle durchgeschnitten wird usw. und auch von ihren eigenen Kindheitserinnerungen in der Türkei. Ihre Berichte sind – das betont sie – nicht repräsentativ (sie versteht ihren Ansatz als "qualitative Sozialforschung"), zeigen aber einen wichtigen Ausschnitt aus der Wirklichkeit.
Bzgl. dieser speziellen Gruppe der ursprünglich in der Türkei geborenen und hier in Deutschland inhaftierten männlichen Straftäter zeigt sich, dass zu den Erfahrungen von Gewalt und Demütigungen in der Kindheit dieser Männer (was sie mit anderen Straftäter gemein haben) ergänzend ein ganzes „Kultursystem“ betrachtet werden muss, in dem sie aufgewachsen sind.
Individuelle Freiheit und Entfaltung gibt es in diesen quasi "mittelalterlichem" Kultursystem, aus dem diese Täter stammen, nicht. Wie ein Junge und ein Mann zu sein hat und was sein Lebensweg sein wird (und wen er wann heiraten wird), bestimmen die Älteren, Sitten, Bräuche, die Religion, die Großfamilie und die (Dorf-)Gemeinschaft. Hinzu kommt eine strickte Trennung der Lebenswelten von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, aber auch von Eltern und Kindern. Kelek zitiert einen Mann, der berichtet, dass seine Eltern nichts von ihm wüssten. „Das ist bei den meisten Familien so, nicht nur in meiner. Die Eltern leben für sich, und die Kinder sind auch für sich.“ (Kelek 2007, S 104) Dieser Mann berichtet über seine Familie: „Bei uns (…) spielt der Respekt eine große Rolle. Wenn mein Vater mich besuchen käme, würde ich sofort aufstehen und seine Hände küssen. Wenn er nach Hause kam, standen wir Kinder immer auf, küssten ihm die Hände und verließen den Raum, damit er seine Ruhe hatte. Wir achteten ihn, wir dienten ihm, denn er ist unser Vater.“ (ebd., S. 105)
Necla Kelek berichtet über das Kinderleben in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. „Im Dorf wurden die Kinder nicht betreut. Sie liefen, sobald sie laufen konnten, einfach mit. Die Jungen lernten von den älteren Jungen, was es hieß, ein Junge zu sein. Sie mussten die Schafe, die Gänse hüten oder Besorgungen erledigen. Die Mädchen halfen der Mutter im Haus und lernten durch Zuschauen und Mitmachen. In dieser Welt gab es keine bewusste Erziehung durch Ausbildung und fürsorgliches, erklärendes Beibringen, sondern nur das Prinzip Aneignung durch Nachahmung und Strafe bei Nachlässigkeiten.“ (ebd., S. 118) Strafen waren dann vor allem körperliche Gewalt (auch gegen Kleinkinder) und/oder Ausgrenzung.
Auch die Berichte der Strafgefangen sind voll von Gewalt, Ohnmachtserfahrungen und Gehorsamsforderungen. Kelek fasst an einer Stelle kurz zusammen:
„Die Lebensgeschichten, die ich im Gefängnis gehört habe, erzählen von Vätern, die ihre Söhne mit dem Stock oder mit einem Kabelende schlagen oder ihnen heißes Öl über die Hand gießen – alles Vergeltungsmaßnahmen für verweigerten Gehorsam oder nicht gezollten Respekt.“ (ebd., S. 182+183) Keiner der männlichen muslimischen Gesprächspartner – sowohl Strafgefangene als auch diverse andere -, die alle samt durch ihre Väter bestraft wurden und Gewalt erlebt hatten, machte ihren Väter deswegen Vorwürfe, schreibt Kelek. (ebd., S. 174+175) „Alle ´respektierten` seine Macht bis zur Selbstzerstörung. Der Vater, so scheint es, hat einen gottähnlichen Status, und die Angst, vor ihm zu versagen, ist groß.“ (ebd., S. 175)
Kelek spitzt im hinteren Teil des Buches an einer Stelle zu: „Muslimische Jungen wachsen ohne Liebe auf. In ihrer Sozialisation geht es in erster Linie darum, dieses Leben zu bestehen, Gott zu gehorchen und dafür zu sorgen, dass ihnen gehorcht wird. Es ist eine Welt von Schwarz und Weiß, von Entweder-Oder, von oben und unten. In ihr können keine Gefühle ausgebildet werden (…)“ (ebd., S. 179) Neben dieser Ohnmacht erleben diese Jungen aber auch, dass sie als männliche Wesen mehr wert sind, als Frauen. Gleichzeitig ist ihr Leben ein trauriges. Dies ist in meinen Augen eine unheilvolle Mischung aus Ohnmacht und Gehorsam + Macht und überhöhter Männlichkeit, alles die besten Zutaten für einen gewalttätigen Charakter. Diese Seiten zeigen sich sehr gut an einer Stelle im Buch:
„Die Söhne werden von den Müttern gepampert und verwöhnt und von den Schwestern bedient, mit ihnen spielen, träumen, weinen, lachen – das tut keiner. Das müssen die Jungen mit sich selbst, vielleicht noch mit ihren `Kumpels` abmachen. (…) Die Mutter und die Schwestern sind als Gesprächs- und Gefühlspartner unerreichbar, der Vater wird meist als strafende Instanz oder Herrscher über die Familie erlebt – als Partner seines Sohnes, der dessen Sorgen und Nöte teilt, ihn beschützt oder einfach für ihn da ist, fällt er aus.“ (ebd., S. 179)
Die Autorin berichtet auch über den Umgang mit Säuglingen in dem anatolischen Dorf ihrer Mutter. Die Säuglinge wurden in zwölf Meter lange Tücher so sehr eingewickelt, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. „Dem Kind wurde, damit es vor dem `bösen Blick` oder auch vor Fliegen geschützt war, ein Tuch über die Augen gelegt. Solche Tücher gehören bei jeder Frau zur Aussteuer. Oft wurde ein Kleinkind ein Jahr lang so mumifiziert, es konnte weder etwas sehen noch sich bewegen. Wenn man das Kind vom Tuch befreite, schüttelte es wie wild den Kopf hin und her, weil das unbekannte Licht grell in den Augen schmerzte.“ (ebd., S. 116) Kelek betont, dass diese Praxis heute auch in Anatolien nicht mehr üblich sei. Man kann sich allerdings vorstellen, dass dieser traumatische Terror gegen das Kind in seinen ersten 12 Lebensmonaten nachhaltig wirkte, sowohl auf die Persönlichkeit der so Terrorisierten, als auch auf deren Umgang mit ihren eigenen Kindern.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Kelek auch den Blick auf viele Türken und Türkinnen richtet, die ihre Kinder anders erziehen, „die ihren Kindern die Liebe, Fürsorge und Nähe angedeihen lassen, die den von mir beschrieben Männern fehlt. Sie sollen aufstehen und sagen, wie sie es machen – je mehr es sind, desto besser.“ (ebd., S. 184)
Ich denke, es ist klar geworden, dass die Biografien von Gewalt- und Straftätern sehr stark ausgeleuchtet werden können, wenn Forschende sich auf den Weg dahin machen wollen und ergänzend entsprechende Ressource zur Verfügung gestellt bekommen oder sich beschaffen. Je mehr man erfährt und ausleuchtet, desto mehr versteht man auch die Genese von Gewalt, ohne sie gleichzeitig zu entschuldigen, sondern mit dem einzigen Zweck: Prävention im Hier und Jetzt, bei der heutigen Kindergeneration.
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Ich fasse die Erkenntnisse der Studien (inkl. der oben verlinkten) und auch etwas Kritik wie folgt zusammen:
- Straftäter und Straftäterinnen unterscheiden sich bzgl. ihrer Kindheiten überdeutlich von den Kindheiten der Allgemeinbevölkerung. Sie erlebten deutlich häufiger Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung, wie auch andere belastende Kindheitserfahrungen wie Suchtverhalten der Eltern, inhaftierte Familienmitglieder, Miterleben häuslicher Gewalt, psychische Erkrankungen von Elternteilen und Trennung der Eltern u.ä. (Man könnte auch zugespitzt formulieren: Täter und Täterinnen kennen sich aus eigener Erfahrung gut mit Opfererfahrungen aus.)
- Straftäter und Straftäterinnen erlebten ebenfalls deutlich häufiger als die Allgemeinbevölkerung multiple belastendende Kindheitserfahrungen. - In manchen der o.g. sogenannten ACE Studien - z.B. Reavis et al. (2013) - wird bzgl. elterlichem Gewaltverhalten (laut "Adverse Childhood Experiences Questionnaire") nach häufigen oder sehr häufigen Gewalterfahrungen oder besonders schweren Gewaltformen gefragt. Leider wurden diese drei Punkte nicht weiter aufgeschlüsselt. Es macht z.B. einen Unterschied, ob jemand "sehr häufig" schwere Gewalt erlebt (dies vielleicht auch noch in Kindheit und Jugend) oder "häufig" leichtere Gewalt in der Kindheit. Interessant wäre hier ebenfalls ein Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung. Die Frage wäre, ob die Straftäter verglichen mit Menschen aus der Allgemeinbevölkerung, die ebenfalls als "körperlich misshandelt" eingestuft wurden, überrepräsentiert bzgl. Häufigkeit und besonderer Schwere der Gewalt sind? Zudem zeigt die Fragestellung der ACE Studie, dass weniger als "häufig" erinnerte Gewalterfahrungen nicht angegeben wurden. Insofern bekommen wir kein komplexes Bild über alle Gewalterfahrungen der Straftäter.
- Dass in den o.g. Studien nicht alle Belastungsfaktoren abgefragt werden (was realistisch betrachtet auch schwer möglich ist), zeigte mir neben den oben auch im Text schon gemachten Hinweisen, besonders die Arbeit von Hughes et al. (2012) - siehe oben - die herausstellte, dass für junge Menschen der Allgemeinbevölkerung zwischen 0.1 - 5% das "Fetale Alkoholsyndrom" (Schädigung des Kindes durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft) festgestellt werden konnte, während junge Menschen, die in Haft sind, zu 10.9 - 11.7% betroffen sind.
Ein anderes Beispiel: Die Psychologin und Autorin Susan Forward hat in einem Interview (Süddeutsche Zeitung - Magazin, Heft 10/2017, »Eine Mutter kann dir dein Essen kochen und trotzdem ein Teufel sein«) ein sie sehr prägendes Erlebnis mit ihrer Mutter beschrieben.
"Ein junger Mann an der Schule hatte mir gerade das Herz gebrochen, und mir war zum Heulen zumute. Als wir zurückkamen, legte mir meine Mutter die Hand auf die Schulter. Ich dachte, sie würde mich trösten. Dann sagte sie: »Weißt du, Liebes, du wirst nie so eine gute Reiterin werden, wie ich es bin. Du wirst nie die Athletin sein, die ich bin. Du wirst nie die Tänzerin sein, die ich bin, und du wirst nie die Frau sein, die ich bin.« Die Worte höre ich, als wäre es gestern gewesen. Nimm ein Messer und stich noch ein paarmal fester zu!" Ich bin mir nicht sicher, ob solche extrem destruktiven, elterlichen Verhaltensweisen in den o.g. Studien erfasst worden wären, wahrscheinlich nicht.
Neben all diesen und ähnlichen Problemen, vor denen Studienmacher stehen, zeigen vor allem die oben besprochenen Arbeiten von Jonathan H. Pincus, dass viele Mörder sich nicht an Misshandlungserfahrungen erinnern können oder wollen und dass man sehr aufwendige Wege gehen muss, um ein komplexes Bild über die Kindheit zu bekommen.
- Besonders bei den oben besprochenen ACE Studien Cannon et al. (2016) und Baglivio et al. (2014), die Straftäter und Straftäterinnen befragt hatten, fiel mir auf, dass die Straftäterinnen fast durchweg höhere Belastungen in der Kindheit angaben, als die Straftäter. In vielen Gewaltstudien bzgl. der Allgemeinbevölkerung wurde zwar eindeutig gezeigt, dass Frauen häufiger von sexuellem Missbrauch in der Kindheit betroffen waren, als Männer, aber bei den anderen Belastungen - vor allem körperliche Elterngewalt, aber auch emotionale Gewalt und Vernachlässigung - sind nach meinem Kenntnisstand Männer je nach Studie oft deutlich häufiger oder zumindest gleichauf betroffen wie Frauen (ich habe diverse Zahlen dazu in einem Text besprochen). Wie erklärt sich jetzt, dass in den Straftäterstudien Frauen deutlich belasteter sind als Männer? Ich vermute, dass hier klassische Männlichkeitsbilder in der Gesellschaft wie "Ein Mann ist kein Opfer" und "Ein Mann zeigt keine Schwäche" eine Rolle spielen; vermutlich gerade bei männlichen (Gewalt-)Straftätern, die oft zu einer überhöhten, "starken" Männlichkeit neigen, sogar eine besondere Rolle. Demnach vermute ich, dass die männlichen Befragten der genannten ACE Studien sich bzgl. Gewalterfahrungen in der Kindheit deutlich mehr ausgeschwiegen haben, als die weiblichen Befragten.
- Einige - vor allem größere - der o.g. Studien schlüsseln nicht genau die Straftätertypen auf und setzten diese dann in ein Verhältnis zu den Kindheitserfahrungen. Die Erkenntnisse aus einigen oben besprochenen und zu Beginn verlinkten Studien deuten eindrucksvoll darauf hin, dass besonders grausame Täter (vor allem Mörder, Serienmörder) auch besonders und auch besonders häufig grausame Kindheitserfahrungen gemacht haben. Wenn in Straftäterbefragungen auch Straftäter zur Kindheit befragt werden, die z.B. nur Eigentums-, Betrugs- oder Drogendelikte begangen haben, verwässern diese Tätertypen evtl. die Ergebnisse. Vor allem in den USA ist zudem die Gesetzgebung besonders streng im Vergleich zu Europa. Dort landen nach meinem Eindruck manches mal Leute in Gefängnissen, die in Europa nicht im Gefängnis landen würden. Mir persönlich geht es in der Analyse vor allem um Gewalttaten. Kindheitserfahrungen von Gewaltstraftäter bedürfen meiner Meinung nach einer gesonderten Aufstellung, das gilt erst Recht, wenn es um Mord geht.
- Über die destruktiven Kindheitserfahrungen hinaus, haben manche Studie eindrucksvoll gezeigt, dass Straftäter auch ergänzend besonders belastet sind; vor allem in Form von sonstigen traumatischen Erfahrungen während ihres Lebens und vor allem auch, was ihre psychische Situation angeht. Es zeigt sich letztendlich deutlich, dass diese Menschen vor allem Hilfe brauchen. Trotzdem muss man natürlich parallel auch den Schutz der Bevölkerung vor Tätern im Auge behalten. Die enormen Kosten, die solche Täter verursachen, könnte man sich sparen, wenn gezielt in Kinderschutz investiert würde, um solche Täterbiografien gleich von Beginn an gar nicht entstehen zu lassen.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass die WHO explizit als Folge von der Aufdeckung des Ausmaßes der Gewalt gegen Kinder folgenden Bericht bereits im Jahr 2007 veröffentlicht hat: World Health Organization (2007). The cycles of violence. The relationship between childhood maltreatment and the risk of later becoming a victim or perpetrator of violence. Copenhagen. In dem Bericht wird auf den Opfer-Täter-Kreislauf, aber auch auf den Opfer-Opfer-Kreislauf hingewiesen und Prävention und Intervention gefordert. Mein persönlicher Eindruck ist - wie bereits eingangs geschrieben -, dass es auf der einen Seite immer mehr wissenschaftliche Arbeiten über die destruktive Kindheit von Straftätern gibt oder sogar eindeutige Fakten-Papiere inkl. Präventionsaufruf wie das der WHO und auf der anderen Seite immer noch große Fragezeichen bzgl. der Ursachen von Kriminalität und Straftaten in den Medien und der allgemeinen Bevölkerung stehen. Ich hoffe, dass ich durch diesen Text diesen Widerspruch etwas weiter auflösen kann.
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