Als Nachtrag zum vorherigen Beitrag möchte ich noch etwas über Deutschland schreiben. In Deutschland finden in relativ stark abgeschwächter Form ähnliche Prozesse statt, wie in den USA, so mein Eindruck. Abgeschwächt daher, weil wir hier mittlerweile eine deutlich bessere Kindererziehungspraxis vorfinden, wie drüben.
Ich kann als einzelner Mensch nicht alles wirklich überblicken und in Zusammenhang bringen. Aber einige mediale (emotionale) Höhepunkte fallen schon besonders auf und man merkt, dass etwas vor sich geht. Es ist z.B. schon erstaulich, dass mit dem Höhepunkt bzw. langsamen Ende der Wirtschaftskrise Ende 2009/Anfang 2010 eine monatelange Medienkampagne um missbrauchte und misshandelte (Heim-)Kinder und die Kirche einsetzte. Ab ca. Mai 2010 häuften sich dann schlagartig die Berichte zum beginnenden starken Wirtschaftswachstum (Stichwort: „Wachstumspanik“). Ende August löste dann Thilo Sarrazin – zeitgleich zur erstarkten Wirtschaft - eine bis heute andauernde hitzige Debatte über „Überfremdung“ und Integrationsprobleme aus.
Derzeit fallen mir – zur besten Sendezeit - zusätzlich (sehr heftige, emotional-erschütternde und direkte) Filme wie „Wolfsfährte“, ARD vom 30.10.2010 auf, wo ein als Kind von seiner Mutter häufig misshandelter Mann sich in eine Märchenwelt fantasierte und dann etliche Menschen - verkleidet als Wolf - umbringt, um im Finale seine eigene Mutter getreu nach dem Märchen Hänsel und Gretel im Ofen zu verbrennen (alles bildlich direkt dargestellt), wobei ein von ihm entführtes Mädchen ("Gretel") helfen und zusehen musste. Am 03.11. folgte - wieder in der ARD - der Film „In aller Stille“, es geht um Kindesmisshandlung und einen Jungen, der vom eigenen Vater zu Tode geprügelt wurde und die Mutter vorher jahrelang weggeschaut hatte. Eine ermittelnde Polizistin, die ihre eigenen Kinder vernachlässigt und züchtigt, kommt im Verlaufe ihrer Ermittlungen immer näher auch an ihre eigene Misshandlungsgeschichte aus ihrer Kindheit, bricht schließlich zusammen und geht am Ende in Therapie. Auch dieser Film grub sich tief emotional in das Thema ein, wie ich es bisher bei kaum anderen Filmen um das Thema gesehen habe. Fast gleichzeitig gibt es im Tagesgeschehen Berichte um Briefbomben und eine weitere Bedrohung durch Terror.
Ist die Gesellschaft in einer deutlichen Krise wie Mitten 2009, scheint das auf eine Art unterbewusste, abgespaltene Ängste zu deckeln, „weil wir ja alle gerade Opfer sind“ und es fehlen wohl öffentliche Debatten und Bilder, die in wirtschaftlich starken Phasen auftreten. Wird die Krise beendet, droht Wachstum, müssen andere Ängste gefunden werden, die außen aufgeführt werden können, z.B. in Form von Angst vor „den Ausländern“. Nur die realen Ängste (das eigenen Opfersein) aus der Kindheit dürfen nicht offen zu Tage treten. Stattdessen werden delegierte leidende Kinder öffentlich ausgemacht, wie Anfang des Jahres um die katholische Kirche und wie jetzt z.B. in Fernsehfilmen.
Nochmal. Mir fällt es schwer, das konkret einzuordnen und weiter zu sortieren. Ich möchte hiermit nur anregen, sich darüber weiter Gedanken zu machen. Ähnliche Prozesse, wie sie in den USA stattfinden, werden Deutschland voraussichtlich weiter erspart bleiben. Es könnte in Deutschland allerdings auch Stück für Stück ein ganz anderer Prozess in Gange kommen oder sein, nämlich der, des realen Hinsehen auf das, was den meisten Menschen als Kind passiert ist, nämliche Gewalterfahrungen durch ihre eigenen Eltern. Evtl. führt der derzeitige Weg auch dahin, dass dies vernünftig öffentlich weiter thematisiert wird und zwar als deutlicher Hinseher (nicht als Ablenker) in Form von wochenlangen medialen Debatten auf allen Ebenen. Wie ich schon sagte, es ist etwas im Gange im Land, wo dies hinführt, wird sich zeigen.
Freitag, 5. November 2010
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