Freitag, 30. Oktober 2015

Ursachen von Rechtsextremismus nach Hajo Funke

Sehr aufschlussreich bzgl. der Ursachen von Rechtsextremismus fand ich die Arbeit von Prof. Dr. Hajo Funke (2001): Rechtsextremismus 2001. Eine Zwischenbilanz. Verwahrlosung und rassistisch aufgeladene Gewalt – Zur Bedeutung von Familie, Schule und sozialer Integration. In: Eckert, Roland et al.: Demokratie lernen und leben – Eine Initiative gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Band 1. Weinheim: Freudenberg Stiftung.

Funke selbst hat gewalttätige Rechtsextremisten befragt, bezieht in seinem Beitrag aber auch andere Studien (vor allem aus Ostdeutschland) mit ein. Er stellt fest,  dass problematische Erfahrungen in der Kindheit (mangelnde Zuwendung und Beachtung, restriktive Erziehung, wie auch elterliche Gewalt) etwas zur rechtsextremen Orientierung beitragen.

Als Einstieg beschreibt Funke die Biografien von drei rechtsextremen jungen Männern, die 2000/2001 befragt wurden. Ich ziehe dabei besonders die Informationen bzgl. Kindheit und elterlicher Erziehung heraus.

Der Fall „Walter“
Walter ist nach schweren Konflikten mit seiner Stiefmutter und seinem Vater aus der elterlichen Wohnung rausgeworfen worden. Als Walter ca. 12 Jahre alt war, starb seine Mutter nach vorherigem jahrelangem schweren (krankheitsbedingtem) Leiden. Auch mit seiner Mutter scheint er einen konfliktreichen Kontakt gehabt zu haben. Sein Vater habe ihn systematisch gekränkt, er tauge nichts, nur sein Bruder sei etwas wert, was der Vater „hundertfach wiederholt habe“. (S. 62)
Walters „Berichte über das soziale Leben sind voll von Angst vor sanktionierenden Instanzen, sei es Gefängnis, Heim oder auch dem Kindergarten. (….) Walter wirkt labil. Es fehlt in seiner Lebensgeschichte offenkundig eine emotional reichhaltige Beziehung mit einer erwachsenen Bezugsperson; dominierend erscheinen dagegen anhaltende Abweisungserfahrungen.“ (S. 62)

Der Fall „Christoph“
Christoph erinnert sich „wie er mit etwa 4 Jahren einem schlagenden, tobenden Stiefvater gegenüber steht und hilflos mit ansehen muss, wie er seine Mutter, die geschlagen wird, nicht schützen kann und die auch ihn nicht schützen kann. Nach quälenden vier Jahren wiederholter schwerer Misshandlungserfahrungen verlässt der Stiefvater endlich seine Mutter. (…) In der Kindheit schwer und wiederholt misshandelt, schlägt er zu, ehe er geschlagen wird.“ (S. 63)
Nach weiteren Konflikten zieht er schließlich zu Hause aus und kommt bei seiner Großmutter unter.
Erst durch die rechtsextreme Clique erfährt Christoph den Eindruck einer „zweiten Familie“, schreibt Funke. (S. 63) Bereits im Alter von 14 Jahren trägt Christoph das Wort „Hass“ eintätowiert auf seinen Fingern. 

Der Fall „Adolph“
Adolph ist von seiner Mutter geschlagen worden und musste sich um seine kleinen Brüder kümmern, weil die Mutter faul war, wie er sagte (bzw. ihm diese Aufgabe vermutlich aufbürdete). Adolph selbst war früh gewalttätig und kam schließlich auf eine „Hilfsschule“, von seiner Mutter wurde ihm mitgeteilt, er sei eine Null. Seine Mutter wertet ihn systematisch ab, was – so kommentiert Funke – offenkundig vom Vater nicht kompensiert wurde. (S. 65) Mit 18 Jahren wurde er von der Mutter sofort vor die Tür gesetzt. Anerkennung suchte er in der rechtsextremen Szene Ostberlins.

In allen drei Fällen gab es auch im sozialen Umfeld keine oder kaum kompensatorische Angebote oder „aufwertende Nachsozialisation (…), „stattdessen gerieten alle drei in eine Spirale wachsender Verwahrlosung.“ (S. 66)

Der Risikofaktor „destruktive Kindheit“ führt natürlich nicht zwangsläufig oder monokausal zum Rechtsextremismus. Funke schreibt: „Die Gewalt- und Abwesenheitserfahrungen in der Kindheit dürften für Ausländerfeindlichkeit dann von Bedeutung sein, wenn andere Bedingungen hinzutreten.“ (S. 99) Deutlicher: „Reale gesellschaftliche Angst vor sozialem Ausschluss und traumatische Angsterfahrungen fusionieren in der Gruppe zum mobilisierten Gefühl der Paranoia, aus der heraus man schlägt. Es ist also weder die Realangst vor sozialem Ausschluss noch allein die traumatischen Erfahrungen im Elternhaus, die zur gefährlichen Gewaltkarriere in der Jugendclique beitragen, sondern beides zusammen. Die rechten Kader (Parteien) und Netzwerke haben damit Chancen zur Instrumentalisierung dieser Jugendlichen, wenn Angst vor sozialem Ausschluss und Gewalterfahrungen in den Herkunftsfamilien zusammenkommen. Diese geschädigten Kinder sind ideale Kandidaten für den Terror (…) und die braune Identität (…).“ (S. 103)
Funke spricht von „kumulativen Effekten der Demoralisierung“ (S. 105). Also beispielsweise das Zusammenkommen von strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland, Transformationskrise nach dem Zusammenbruch der DDR, gesellschaftliche Missachtungserfahrungen und belastete Sozialisation im Elternhaus.
Funke schreibt an einer Stelle aber auch: „Ohne innere Entwicklung der Persönlichkeit entsteht ein um sich schlagender Sozialneid, der selbst dann wirkt, wäre er befriedigt. Das Motiv, mehr und alles haben zu wollen, ist selbst dann endlos, wenn es erfüllt wäre, da es die destruktive Sehnsucht repräsentiert, anerkannt zu sein und sich über Traditionen einer Untertanenkultur als autoritäre Aggression gegen Schwächere Luft macht.“ (S. 83)

Interessant finde ich auch, dass Funke die Reinheits- und Schmutzvorstellungen von Rechtsextremisten beschreibt. „Zum Abwerten gehört offenbar neben der Ohnmacht, die man am Opfer bekämpft, auch die Assoziation von Dreck, Schmutz, Gift und Unreinem.“ (S. 81) In der rechtsextremen Clique sei eine besondere Wut „gegen den Schmutz und den Dreck der Anderen“ auffällig ebenso wie die Vorstellung von einem „Bild von Reinheit und Homogenität des ethisch-gesäuberten und national befreiten eigenen `Volkskörpers`, des eigenen deutschen Territoriums, des national befreiten, ausländerfreien Reviers (...)“ (S. 81)
Dies passt zusammen mit den psychohistorischen Arbeiten von Lloyd deMause,  der starke Ängste vor Vergiftung und Verschmutzung im Vorfeld von Kriegen wahrgenommen hat und dies als Gruppenfantasie deutet, die auf traumatischen Kindheitserfahrungen wie auch Verletzungen des Fötus (fötales Drama“) beruhen.

In Funkes Arbeit werden weitere Studienergebnisse besprochen, die ich hier nicht wiedergeben kann.  Eindeutig bewertet er den Einfluss von destruktiven Kindheitserfahrung bei der Genese zum rechtsextremen Gewalttäter als hoch, verweist aber auch – sinnvoller Weise – auf die Notwendigkeit des Zusammentreffens mit anderen sozialen Einflüssen, wie oben bereits kurz beschrieben.

Freitag, 23. Oktober 2015

Arno Gruen ist gestorben

Wie ich leider heute lesen musste, ist Arno Gruen diese Woche im Alter von 92 Jahren gestorben.

Noch im August diesen Jahres hatte ich erstmals Kontakt zu ihm aufgenommen. Ich wollte ihm unbedingt ein Erlebnis mitteilen, dass ich an der Uni Hamburg hatte. Ich habe dies Erlebnis im Nachwort zu meinem "Grundlagentext" festgehalten. Es hatte mit seinem Buch "Der Fremde in uns" zu tun. Ich bekam auch Antwort von ihm und er legte mir auch eines seiner Bücher darin bei, was mich sehr erstaunte und auch freute. Daraufhin schrieb ich ihm noch mal ausführlich und legte meinerseits eine Kopie meines Arbeitspapiers "Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an" bei. Ich wollte ihm gegenüber (der er in meinen Augen Kulturpessimist war) auch etwas Optimismus ausdrücken und verwies in meinem Schreiben an ihn u.a. auf die Studie "Die Modernisierung der Seele", die Entwicklung von Kindheit und Jugend in Deutschland sehr positiv sieht. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass die Welt auf Grund der enorm verbesserten Kindererziehung - gerade auch in Deutschland - eine bessere Welt werden wird und so etwas wie die NS-Zeit hierzulande nicht mehr möglich sein wird, weil ebenso wie Gewalt gegen Kinder auf der anderen Seite auch Gewaltfreiheit, Fürsorge und Liebe gegenüber Kindern gesellschaftlich nicht ohne Folgen bleibt.
Ich muss gestehen, dass ich auf eine Antwort von ihm gewartet habe, die nicht mehr kam. Meinen Text wird er sicherlich erhalten haben. Vielleicht konnte ich ihm so kurz vor seinem Tod noch etwas von dem Optimismus mitgeben, wie er sich zwangsläufig aus den vorliegenden Daten zur Kindheit hierzulande ergibt.  Ich weiß es nicht.

Wie schon nach dem Tod von Alice Miller bin ich gespannt, wie die Medien diese Nachricht jetzt verarbeiten? Werden sie dem Anliegen und Denken von Arno Gruen ausführlich nachgehen? Wird dies nachhaltig sein? Wir werden sehen.

Donnerstag, 22. Oktober 2015

Studie: Die Psychologie des Nationalsozialismus

Ich möchte die sehr eindrucksvolle Studie "Warum folgten sie Hitler? Die Psychologie des Nationalsozialismus" von Stephan Marks (3. Aufl. 2014, erschienen im Patmos Verlag, Ostfildern) besprechen, die sehr viele Gemeinsamkeiten mit psychohistorischen Ansätzen hat.

Für das Forschungsprojekt (das Forschungsteam bestand aus 10 Personen der ersten Nachkriegsgeneration  und unterschiedlicher meist aber psychologisch-pädagogischer Berufsfelder, ergänzend wurden auch durch 11 junge Studierende Interviews mit NS-Anhängern geführt, um zu vergleichen, wie sich der Generationsabstand auf die Interviews auswirkt) wurden 19 Frauen und 24 Männer (Geburtsjahrgänge zwischen 1906 und 1926), die NS-Anhänger waren, ausführlich im Rahmen von Interviews im Zeitraum zwischen 19998 und 2001 befragt. Ergänzend wurden zu Vergleichszwecken 11 Gruppengespräche, an denen jeweils 25 Personen aus verschiedenen Generationen teilnahmen, durchgeführt. Das Projekt wurde durch ständige Supervision begleitet.
Es wurde also viel Aufwand betrieben, um den tieferen Ursachen der NS-Zeit auf den Grund zu gehen.

Sehr beeindruckt haben mich die Schilderungen über die Ergebnisse der Supervision. Ich möchte diese hier gleich zu Beginn der Besprechung etwas ausführlicher wiedergeben:
Eine eindrückliche Erfahrung bestand darin, dass viele der Interview-Transkripte zunächst wenig informativ zu sein schienen – verglichen mit den emotionalen Botschaften zwischen den Zeilen und den Gefühlen, die wir während und nach den Interviews erlebten. Diese Reaktionen, die wir in dieser Wucht nicht erwartet hatten, werden in der Psychoanalyse als Gegenübertragungen bezeichnet. Oft fühlten wir, die Interviewer, uns im Laufe eines Gespräches wie totgeredet, überrollt oder mundtot gemacht. Verwirrt, müde, passiv, dumm, unklar, wie hypnotisiert oder ´besoffen geredet`. Oder wir spürten nach einem Interview ein merkwürdiges, starkes Verlangen nach Zucker. Oft konnten wir mit `dem Thema` nicht aufhören. Oder wir empfanden Scham, etwa darüber, von dem jeweiligen Interviewten manipuliert, `über den Tisch gezogen`, `eingewickelt`, benutzt, überrannt, plattgemacht oder emotional missbraucht worden zu sein (und die Scham darüber, dies zugelassen zu haben). Auch Scham darüber, es nicht geschafft zu haben, dem Interviewten gegenüber authentisch, `männlich`, `stark`, `standhaft`, geblieben zu sein; oder zu leichtgläubig, naiv, unaufmerksam, `feige`, unterlegen, `minderwertig`, `zu intellektuell`, ungenügend `gewappnet`´ oder `zu schwach` gewesen zu sein. Wir fühlten uns häufig, wie wenn etwas Fremdes, Bösartiges in uns hineingestopft worden wäre, etwas, das mit unserem Anliegen als Interviewer nichts zu tun hatte. In der Nacht nach den Interviews tauchten nicht selten Alpträume auf, z.B. dass jemand in die eigene Wohnung eindringt und sie mit Blut besudelt. Ich träumte einmal nach einem Interview, dass ich Massengräber zu öffnen und die halbverwesten Leichen umzubetten hatte.“ (Marks 2014, S. 182)
Dieser Auszug zeigt schon einmal deutlich, in welche Richtung das Buch geht: Es geht um die emotionale Welt und entsprechend um emotionale Erklärungsansätze bzgl. der NS-Zeit. In dem Buch werden sechs Kernthesen durchgearbeitet und durch die qualitativen Interviews empirisch nachgewiesen. Die Befunde (Marks 2014, S. 20+21,52+53, 167+168):

1. Das nationalsozialistische  Bewusstsein war regressiv und magisch, das heißt als ein Zustand, der entwicklungspsychologisch einer frühen Phase entspricht. Entsprechend ergaben sich Vorstellungen von einem gottähnlichem Führer, vom heiligen Reich, Zauberkräften usw.

2. Der nationalsozialistische Bewusstseinszustand lässt sich als hypnotische Trance verstehen. Demzufolge war der Fokus der Aufmerksamkeit eingeengt und gefesselt von einer Person (Adolf Hitler) bzw. einer Sache (Dritte Reich), unter Ausblendung großer Teile der Wirklichkeit. Dieser Zustand ist auch mit Regression (siehe Punkt 1.) verbunden.

3. Der Nationalsozialismus bezog seine psychosoziale Dynamik u.a. aus Schamgefühlen, deren Abwehr er anbot und legitimierte.

4. Der Nationalsozialismus speiste sich auch aus den narzisstischen Defiziten seiner Anhänger, die er auszufüllen versprach.

5. Der Nationalsozialismus erwuchs aus der Abwehr der Traumata des Ersten Weltkrieges; die Abwehrmechanismen Derealisierung, Gefühlskälte, Heroismus und Idealisierung wurden zum politischen Programm gemacht.

6. Der Nationalsozialismus nutzte die Suchtdynamik der deutschen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Die Beziehung zwischen dem Nationalsozialismus und seinen Anhängern hatte den Charakter von Suchmittelabhängigkeit, wobei Adolf Hitler und das `Dritte Reich` das stoffgebundene Suchtmittel waren. Diese Abhängigkeit bedeutete ein unabweichbares Verlangen nach einem bestimmten Gefühls-, Erlebens und Bewusstseinszustandes, den das NS-Programm beschaffte. Gemäß der Suchtdynamik wurde die sogenannte „Stunde Null“ wie ein Entzug erlebt.

Den gemeinsamen Nenner dieser sechs Befunde beschreibt Stephan Marks wie folgt:
Der Nationalsozialismus zielte nicht darauf, die Menschen kognitiv zu überzeugen, sondern sie emotional einzubinden: Er lebte von der narzisstischen Bedürftigkeit und Abhängigkeit seiner Anhänger, von ihren Schamgefühlen, Kriegstraumata und frühkindlichen Erlösungsphantasien.“ (Marks 2014, S. 168) An anderer Stelle des Buches formuliert er ebenso zusammenfassend:
Meine These ist, dass das intellektuelle Niveau des NSDAP-Programms und der nationalsozialistischen Schriften, Reden, Filme usw. völlig unerheblich ist – wenn es darum geht, ihren Erfolg bei ihren Anhängern zu erklären. Denn die Nazi-Propaganda zielte von vornherein gar nicht darauf ab, die Menschen kognitiv zu überzeugen, sondern darauf, sie in ganz anderen psychischen Schichten anzusprechen. Sie suchte nicht primär das (entwicklungspsychologisch betrachtet) reife, erwachsene, verantwortungsbewusste und rationale Ich-Bewusstsein des modernen, mentalen Menschen anzusprechen, sondern frühe Erfahrungen und Schichten in der Psyche der Menschen.“ (Marks 2014, S. 42+43)
Ich muss an dieser Stelle gleich erwähnen, dass mich die Arbeit von Stephan Marks stark an das Buch „Schmerzgrenze“ von Joachim Bauer und meine entsprechende Kritik erinnert. Marks hat wie Bauer sehr konkret leidvolle Kindheitserfahrungen als Ursache für Gewalt und Extremismus erkannt und benannt (darauf gehe ich gleich ein). Er hat dieses Themenfeld aber nicht ins Rampenlicht geholt, hat es nicht entsprechend gewichtet. Das Thema Kindheit geht im Verlauf des Buches entsprechend unter. Dies verwundert.
Das Buch von Stephan Marks ist ganz dicht an der Psychohistorie dran (so dicht wie kaum ein anderes Buch außerhalb der Psychohistorie), obwohl er sich offensichtlich nicht mit psychohistorischen Arbeiten befasst hat. Das ist für mich insofern verständlich, weil die Psychohistorie einen sehr wahrten Kern erforscht und beschrieben hat, der menschliche Destruktivität von Grund auf erklärt. Das andere Forschende auf den selben Kern stoßen, ist nur  logisch. 
Ich werde nachfolgend versuchen, die Überschneidungen von Marks und der Psychohistorie nach Lloyd deMause (2005: "Das emotionale Leben der Nationen") darzustellen, ebenso werde ich zentrale Textstellen bzgl. der Kindheit in dem Buch von Stephan Marks zitieren.

DeMause stellt fest, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen traumatischer Kindheit und der Fähigkeit, in soziale Trance zu verfallen gibt. (deMause 2005, S. 85-86) Wenn Menschen an der „Traumwelt der Gruppentrance“ teilnehmen, befinden sie sich in einem Zustand der Dissoziation bzw. wechseln in ihr „soziales Alter Ego“, so deMause (2005, S. 86) Alter Egos (abgespaltene Persönlichkeitsteile) entstehen vor allem auf Grund traumatischer Kindheitserlebnisse. DeMause beschreibt in seinem Buch, wie politische Führer durch ihre Reden und Gesten Gruppen in „soziale Trance“ versetzten können. Marks spricht von „ hypnotischer Trance“, von „Regression“ (in frühkindliche Stufen) und Eintauchen in „magische Welten“, was bei seinen Gesprächspartnern auch Jahrzehnte nach der NS-Zeit noch spürbar war, wenn sie über diese Zeit sprachen.

Die deutlichsten Überschneidungen mit der Psychohistorie finden sich bei Marks in seinen Ausführungen über Schamgefühle. (Hinweis: Der Gefängnispsychiater James Gilligan - siehe hier - hat Schamgefühle von Mördern in den Mittelpunkt seiner Analyse gestellt. Diese wurden durch massive Gewalterfahrungen in der Kindheit der Mörder ausgelöst.) Er schreibt. „Traumatische oder pathologische Scham (…) taucht besonders in solchen Familienbeziehungen auf, deren Mitglieder verstrickt sind in gegenseitige Entwertungen, Verheimlichungen oder ein Überwältigen des anderen, das heißt, wenn die persönliche Grenze oder Integrität des Einzelnen nicht respektiert wird.“ (Marks 2014, S. 76)
Die Grundlage für traumatische Scham wird nach Marks gelegt wenn Eltern zudringlich sind und die Grenzen des Kindes nicht achten, wenn Eltern unberechenbar, depressiv oder suchtkrank sind, wenn Blickkontakt kultur- oder persönlichkeitsbedingt zwischen Mutter und Säugling verhindert wird (er erwähnt dabei den Erziehungsratgeber der damaligen Zeit  „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, in dem empfohlen wurde, dass Mutter und Säugling weitgehend zu trennen sind), wenn Eltern selbst traumatisiert sind und dieses Trauma an ihre Kinder weitergeben oder wenn eine Kultur an sich sehr schamerfüllt ist und Kinder dies in sich aufnehmen. Er schreibt bzgl. dieses Themas zusammenfassend:
Pathologische Scham entsteht also dann, wenn die Eltern die Suche des Kindes nach Liebe und Anerkennung, nach dem antwortenden Glanz im Auge der Mutter (…) nicht befriedigen. Das kleine Kind empfindet dies als existenzielle Bedrohung, es fühlt sich liebensunwert, wirkungslos, nichtig. (…) Traumatische Scham bedeutet z.B., dass das eigene Verhalten erlebt wird als: ´Ich bin ein Fehler`, statt: ´Ich habe einen Fehler gemacht.` (…) Scham bedeutet Angst vor totaler Verlassenheit (...) vor psychischer Vernichtung“ (Marks 2014, S. 77+78)
Traumatische Schamgefühle wären, so Marks, schmerzhaft und kaum zu ertragen, sie müssen entsprechend abgewehrt werden. „Weil Scham eine so peinigende, kaum auszuhaltende Emotion ist, `schrie´ sie geradezu nach Abwehr, die durch den Nationalsozialismus geboten und legitimiert wurde: (…) durch Idealisierung Hitlers und der Deutschen (…), durch größenphantastische Ansprüche auf Weltherrschaft; durch Versprechungen, die Ehre Deutschlands wiederherzustellen; durch ein heroisierendes und zynisches Weltbild der Härte und damit die Abwehr weicher (´schwächlicher`) Gefühle und humanistischer Werte; durch Verachtung und Vernichtung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, aber auch von Non-Konformisten (…).“ (S. 84)
Diesem letzt zitierten Abschnitt geht ein Hinweis bzgl. der Niederlage im Ersten Weltkrieg und entsprechender Schamgefühle voraus. Marks verliert hier den Faden zur Kindheit, den er auch auf den nachfolgenden Seiten über die Scham nicht wieder aufnimmt. Allerdings findet er ihn im darauffolgenden  Kapitel 4 „Narzissmus und narzisstische Kollusion“ insofern etwas wieder, weil er noch einmal explizit auf Kindheitserfahrungen eingeht.

Der Autor zitiert die Arbeit des Psychoanalytikers Neville Symington, der pathologischen Narzissmus als Abwehrstrategie sieht, „mit der sich Menschen vor unerträglichen psychischen Schmerzen schützen, die auf traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit verweigerter Anerkennung zurückgehen (z.B. auf das Trauma, als Kind missachtet worden zu sein). Wenn diese Traumata nicht durchgearbeitet werden konnten, schlagen sie laut Symington häufig um in Hass gegen die Grundtatsache der menschlichen Existenz: dass nämlich das Selbst des Menschen immer in Beziehung zu anderen Menschen steht.“ (Marks 2014, S. 105)
Auf der nachfolgenden zwei Seiten geht Marks auf den „narzisstischen Missbrauch“ von Kindern durch Elternfiguren ein. Seine Schlussfolgerung ist, dass der Nationalsozialismus „wie eine kollektive narzisstische Kollusion funktionierte. Aus der Perspektive der Anhänger des  Nationalsozialismus: Durch ihre Beteiligung am `Dritten Reich` wurde das Loch in ihrem Selbstwertgefühl wie mit einer Plombe gestopft. Aus der Perspektive des  Nationalsozialismus: Durch sein Propagandaprogramm vermochte er, die narzisstische Bedürftigkeit seiner Anhänger für seine Zwecke zu instrumentalisieren. (….) Die Wirkung von Bewunderung auf narzisstisch bedürftige Menschen stelle ich mir vor wie einen Tropfen Wasser, der von einem trockenen Löschblatt sofort `gierig` aufgesaugt wird. Die emotionalen Beziehungen innerhalb der NS-Gesellschaft waren demnach ein vielfältiges Geflecht von Bewundern und Bewundert-Werden.“ (Marks 2014, S. 108) Marks zitiert in diesem Kapitel einen Befragten, der bzgl. seiner Zeit bei der SS berichtet: „Ich war stolz, etwas zu sein. (….) Die Minderwertigkeitskomplexe, die ich immer gehabt habe, die waren dann plötzlich verschwunden. Plötzlich war ich wer.“ (Marks 2014, S. 107+108)
Was Marks an dieser Stelle wie auch in vielen anderen Zitaten bzgl. seiner Interviewpartner verpasst hat (oder evtl. keine konkreten Antworten bekam) ist die gezielte Frage nach der Kindheit. Wie war die Kindheit dieses ehemaligen SS-Mannes, wie die der anderen ehemaligen Nazis, die für diese Studie befragt wurden? Der Studie hätte es gut getan, wenn z.B. am Ende der Interviews ein schriftlicher Fragebogen mit konkreten Fragen wie sie bzgl. Gewaltstudien beim Thema Kindesmisshandlung standardisiert üblich sind von den Befragten ausgefüllt worden wäre. So bleibt es bei leichten Andeutungen wie z.B. bzgl. des Befragten Herrn Plessner (Marks 2014, S. 110), der als Kind oft alleine gelassen wurde und nur eine schriftliche Arbeitsanweisung auf dem Tisch zu Hause vorfand. Seine Ausführungen machen deutlich, wie er sich nach einem anerkennenden Blick sehnte, den er bei den Nazis fand. An anderer Stelle im Buch wird ein Interviewauszug mit Frau Groeder beschrieben, die harte selbst erlebte Erziehungsmethoden und ihre Abschiebung in ein Internat komplett unkritisch und idealisierend gegenüberstand. Es habe ihr nicht geschadet.  Marks kommentiert das Prinzip, dem die Befragten folgt so: „Verachte deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Marks 2014, S. 127) Entsprechend ginge diese Verachtung einher mit Bewunderung  von strenger Erziehung und Idealen des Nationalsozialismus (bei gleichzeitiger Verachtung der „heutigen Jugend“). Dies sind – zumindest nach meiner Durchsicht – die beiden einzigen Textstellen im Buch, wo ansatzweise deutliche Hinweise auf die Kindheit der Befragten zu finden sind.

Die beiden letzten Kapitel möchte ich nicht zu ausführlich besprechen. Marks geht im Kapitel 5 ausführlich auf die transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen im Ersten Weltkrieg ein. Er weist darauf hin, das 11 Millionen Veteranen nach Hause zurückkehrten und psychische Wunden mitbrachten. (Marks 2014, S. 133) „Die transgenrationale Weitergabe geschieht nicht nur durch das, was die traumatisierten Väter bzw. Eltern ihren Kindern sagen, sondern vor allem durch das, was sie sind. Wie sie ihre Töchter und Söhne anschauen, behandeln oder bewerten, wie sie sich auf sie beziehen. Die Veteranen selbst, mit all ihren psychischen Deformierungen, sind die Botschaft: Ihre Derealisierung, Gefühls- und Empathielosigkeit, Idealisierung und Heroisierung wird an die Kinder weitergereicht.“ (Marks 2014, S. 137+138)
Im letzten Kapitel (Nr. 6) vergleicht er das NS-System mit Sucht/Abhängigkeit. Er geht auf das rauschhafte Erleben ein, von dem die Befragten berichten, auf ihre Abhängigkeit und dem Loch in das Viele mit Ende des Krieges („Stunde Null“) vielen.
Im Schlussteil des Buches streift Stephan Marks nur noch in einem Absatz das Thema Kindheit, in dem er auf eine Studie hinweist, die nachwies, das Rechtsextremisten systematische Kränkungen und Misshandlungen im Elternhaus erlebten. Auf den letzten Seiten gibt es eher allgemein präventive Hinweise, einige Schlussgedanken und ein Plädoyer für wertschätzende, freundliche Formen des Umgangs miteinander.

Zusammenfassende Kritik

Außerhalb der Psychohistorie ist das hier besprochene Buch eines der erkenntnisreichsten, das ich bzgl. der Ursachen und der Dynamik der NS-Zeit gelesen habe. Es ist sehr nah dran an meinem Ursachen-Verständnis von gesellschaftlicher Destruktivität wie sie sich z.B. in der NS-Zeit zeigte. Die große und wahre Botschaft des Buches lautet, dass es keinen Sinn macht, den Nationalsozialismus irgendwie rational oder geschichtswissenschaftlich nachvollziehen oder erklären zu wollen. Es geht um die emotionale Welt. Es geht darum, wie die Emotionen der Menschen angesprochen wurden, wie sie gefühlsmäßig an und in das System eingebunden wurden und sich dadurch letztlich einfach gut oder "gesehen" fühlten. Das besonders Wertvolle an der Studie ist, dass mit ehemaligen Nazis direkt ausführlich gesprochen wurde und der emotionale Gehalt der Gespräche analysiert wurde. Eine ähnliche Arbeit ist mir bisher nicht bekannt, obwohl eine solche Herangehensweise doch eigentlich nahe liegt.

Meine Hauptkritik an dem Buch habe ich oben bereits angedeutet. Obwohl der Autor den wichtigen Einfluss von destruktiven Kindheitserfahrungen gesehen und beschrieben hat, hat er diesem Einfluss kein entsprechendes Gewicht im Buch verliehen. Er geht im Grunde nicht auf die allgemein übliche extrem destruktive Erziehungspraxis um 1900 ein (die z.B. deMause beschrieben hat), was seine Thesen vom pathologischem Schamgefühl und narzisstischer Bedürftigkeit der Menschen in der damaligen Zeit untermauert hätte. Man findet entsprechend auch im Schlussteil keine Forderung für verbesserten Kinderschutz und Elternschulungen. Im Schlussteil bleibt der Autor auch ein bisschen pessimistisch. Im Klapptext des Buches wird es vom Verlag noch deutlicher formuliert: Das Beunruhigende an den Erkenntnissen im Buch sei, „all dies kann auch heute noch instrumentalisiert werden.“ Ich sehe dies nur bezogen auf einzelne Personen und kleiner Milieus/Subkulturen so. Die Kindheit und Fürsorge in Deutschland hat sich enorm entwickelt und elterliche Gewalt gegen Kinder ist stark rückläufig. Entsprechend müssen pathologische Schamgefühle und narzisstische Bedürftigkeit deutlich zurückgegangen sein. Die Menschen  werden demnach auch im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte immer selbstbewusster, immer weniger anfällig für „falsche Götter“ (wie der Psychoanalytiker Arno Gruen eines seiner Bücher betitelt hat) oder schlicht weg einfach immer empathischer.
Auf der anderen Seite sehen wir weiterhin, dass in den Regionen auf der Welt, die keine Demokratie hinbekommen, wo Krisen, Krieg und/oder Terror herrscht, die weltweit verglichen gewaltvollsten Kindheiten zu finden sind. Die Lehren, die wir Deutschen aus unserer Nazi-Geschichte ziehen sollten, sind: Wir müssen den Kindern in der Welt helfen, wir müssen Kinderschutzbemühungen weltweit vorantreiben, wir müssen verhindern, dass Menschen mit einem „emotionalen Loch“ heranwachsen. Aber vor dem müssen wir erst einmal die eigentlichen Ursachen von destruktiven gesellschaftlichen Entwicklungen gesamtgesellschaftlich besprechen und natürlich auch anerkennen. Das Buch von Stephan Marks ist 2014 in der 3. Auflage erschienen. Das an sich spricht für ein größeres Interesse an emotionalen Ursachen der NS-Zeit. Online habe ich allerdings nicht viele Buchbesprechungen gefunden, vor allem auch nicht in den großen Medien. Dies zeigt wiederum, dass es leider noch etwas Zeit brauchen wird, bis die Botschaft des Buches und erst Recht die Botschaften der Psychohistorie breitflächig ankommen.

Montag, 19. Oktober 2015

Studie: Familie und Rechtsextremismus

Nachfolgend stelle ich kurz die Studie „Hopf, Christel; Rieker, Peter; Sanden-Marcus, Martina und Schmidt, Christian (1995): Familie und Rechtsextremismus. Familiale Sozialisation und rechtsextreme Orientierung junger Männer. Weinheim und München: Juventa Verlag.“ vor.

Sehr ausführlich befragt wurden 25 junge Männer  (17 bis 25 Jahre alt)  in der Zeit um das Jahr 1992. Die Männer arbeiteten als Facharbeiter, Handwerker oder waren in Ausbildung (schwerpunktmäßig aus der Metallindustrie). Gezielt wollten die Forschenden keine arbeitslosen Männer interviewen, ebenso keine Männer, die bereits straffällig geworden waren oder in Heimen aufgewachsen sind.

An Hand der Interviews wurden die 25 Befragten bzgl. rechtsextremer Orientierung wie folgt eingeteilt (S. 52):
rechtsextrem = 6
eher rechtsextrem = 8
eher nicht rechtsextrem = 4
nicht rechtsextrem = 6
unklar = 1

Die Studie ist schwer umfassend zu besprechen, da sie sehr ausführlich auf die Aussagen der Personen eingeht. Grundsätzlich fand die Studie einen Zusammenhang zwischen Erfahrungen in der Familie, deren individuelle Verarbeitung und rechtsextremer Orientierung, was folgender Auszug deutlich macht:
In unserer Untersuchung haben wir einen engen Zusammenhang zwischen unsicher/nicht-autonomen Typen der Bindungsrepräsentation und rechtsextremen sowie autoritären Orientierungen gefunden. Bei der Klassifizierung von Repräsentationsmustern haben wir in Anlehnung an die Attachment-Forschung nicht einfach Kindheitserfahrungen, sondern vor allem deren subjektive Verarbeitung zu erfassen versucht. (…) Es sind nicht einfach negative, familiale Erfahrungen in der Kindheit, die bei der Herausbildung rechtsextremer  und autoritärer Orientierungen bedeutsam sind, sondern die subjektiven Umgangsweisen mit den Beziehungserfahrungen.“ (S. 153)

Der Einfachheit halber habe ich nachfolgend einzelne Ergebnisse nur für die deutlich rechtsextremen und die deutlich nicht rechtsextremen Befragten zusammengefasst und die Zwischenformen weggelassen . Diese Ergebnisse sprechen für sich und stützen meine Grundthese, dass eine gewaltfreie Erziehung grundsätzlich bei „Tätertypen“ wie Rechtsextremisten nicht zu finden ist. Ebenfalls zeigte kein einziger Rechtsextremist sichere Bindungsmuster. Mensch lese selbst:

Ausgesuchte Ergebnisse (S. 194-199)

Als deutlich rechtsextrem eingestufte Befragte (6 Männer):

Autoritarismusindex bzw. autoritäre Persönlichkeit
Bei allen Befragten wurden starke Merkmale der „autoritären Persönlichkeit“ festgestellt.
autoritär/aggressiv = 3
autoritär/klassisch = 3

Körperliche Gewalt
5 Befragte berichteten von mittel bis starken körperliche Bestrafungen in der Familie
1 Befragter konnte nicht eingeordnet werden

Bindung/Einstellungen zu familiären Bindungserfahrungen
kein einziger Befragter aus dieser Gruppe zeigte sichere Bindungsmuster (Kategorie „sicher-autonom“). Sie waren entweder „abwehrend-bagatellisierend“ oder „verstrickt“.

Empathie
Die Fähigkeit/Bereitschaft zu Empathie war bei 4 Befragten „deutlich nicht gegeben“, bei einem „eher gegeben“ und bei einem anderen „nicht einzuordnen“.

Längerfristige Beziehungen zu Freundin
5 Befragte = nicht vorhanden
1 Befragter vorhanden

Erfahrung von liebevoller Zuwendung seitens der Mutter
wenig = 2 Befragte
mittel = 2 Befragten
viel = 1 Befragter
nicht einzuordnen = 1 Befragter

Persönliche Anmerkung: Interessant ist, dass der Befragte ("Hans"), der hier als einziger in der Kategorie "viel liebevolle Zuwendung" kam auch der einzige Rechtsextremist ist, der bzgl. Empathie auch als einziger in die Kategorie "eher gegeben" eingestuft wurde. Hans erlebte aber auch mittel bis starke elterliche Gewalt, was nichts mit liebevoller Erziehung zu tun hat. Vielleicht deuten seine Angabe aber darauf hin, dass seine Mutter ambivalent war und eine situative Zuneigung u.a. auch Auswirkungen auf die Entwicklung von leichter Empathie hatte. Dies ist natürlich nur eine Vermutung. .

Erfahrung von liebevoller Zuwendung seitens des Vaters
wenig = 2 Befragten
mittel = 3 Befragte
viel= 0
nicht einzuordnen = 1


deutlich keine rechtsexreme Orientierung (6 Männer).

Autoritarismusindex bzw. autoritäre Persönlichkeit
Bei allen Befragten wurden keine deutlichen Merkmale der „autoritären Persönlichkeit“ festgestellt, sondern entweder gar keine oder eine Zwischenvariante oder in einem Fall nicht einzuordnen

Körperliche Gewalt
1 Befragter berichteten von mittel bis starken körperliche Bestrafungen in der Familie
5 Befragter erlebten keine oder sehr leichte Strafen

Bindung/Einstellungen zu familiären Bindungserfahrungen
3 Befragte wurden  als „sicher-autonom“ einkategorisiert.
1 Befragter  „abwehrend-bagatellisierend“
2 Befragte konnten nicht eingeordnet werden

Empathie
1 deutlich gegeben
3 eher gegeben
1 teils teils
1 deutlich nicht gegeben

Längerfristige Beziehungen zu Freundin
2 Befragte = nicht vorhanden
4 Befragte = vorhanden

Erfahrung von liebevoller Zuwendung seitens der Mutter
wenig = 2 Befragte
mittel = 2 Befragten
viel = 2 Befragter

Erfahrung von liebevoller Zuwendung seitens des Vaters
wenig = 2 Befragten
mittel = 4 Befragte
viel= 0


Zwei Fallbeispiele: "Thomas" und "Xaver"


"Thomas" (als deutlich rechtsextrem eingeordnet)

Seine Eltern unterstützten ihn wenig, hatten wenig Zeit für ihn, waren wenig einfühlsam und aggressiv/gewalttätig gegenüber ihrem Sohn. (S. 101+114) Die Mutter schlug ihn mit einem Kochlöffel oder dem Teppichklopfer, der Vater mit der Hand. Thomas erzählt im Interview von einer Begebenheit im Kindergarten. Ein Kind hatte ihm mit einer Schaufel das Nasenbein gebrochen. Er kam ins Krankenhaus und bekam einen Gipsverband. Als die Mutter ihn dort besuchte, habe sie sich "halbtot gelacht", er sähe ja "so witzig aus". (S. 101) Thomas selbst bestreitet, dass das Verhalten seiner Eltern Einfluss auf sein späteres Leben gehabt hätte. (S. 115)

"Xaver"  (als deutlich rechtsextrem eingeordnet)

Xaver beschreibt viele Konflikte mit seinem Vater und auch seine Wut/Hass gegen ihn. Der Vater zwang ihn jeden Tag (auch Sonntags oder im Urlaub) für die Schule zu üben.  Xaver betont, mit seinem Vater nichts mehr zu tun haben zu wollen. Als der Vater einmal sein Zimmer durchsuchte, weil er vermutete, der Sohn habe ihm ein Buch gestohlen (was nicht stimmte), wurde er von Xaver mit einem Baseballschläger bedroht und aus dem Zimmer getrieben. Seit dem habe er nie wieder mit seinem Vater gesprochen. (S. 120+121) An einer Stelle beschreibt er seine Beziehung zu seinen Eltern. "So wie ich derzeit mit meinen Eltern auskomme und so, will ich mal ganz grundsätzlich sagen, würd`s mir wohl nichts ausmachen, wenn se sterben. (...) mir wär`s eigentlich egal, ich meine, weil dann habe ich mein eigenes Leben und dann bin ich frei und dann kann ich alle machen, was ich will und so (...)" (S. 123)
Xaver erlebte - wie die anderen rechtsextremen Befragten - auch mittel bis starke körperliche Gewalt in der Familie. (S. 199) Bzgl. erfahrener liebevoller Zuwendung seitens Mutter und Vater wurde er in die Kategorie "mittel" eingestuft, was vor diesen vorgenannten Aussagen verwundert. Vermutlich hat er rückblickend die Beziehung zu den Eltern teils beschönigt, was nicht ungewöhnlich für einst gedemütigte Kinder ist.
Xaver betont, sein Hass gegen "Kanaken" oder "Linke" sei "maximal, der geht schon nicht mehr höher" (...) also das ist dieser Hass gegen diese Leute und so. Ich glaube, man muss mich (...) eher umbringen, bevor ich das irgendwie raus habe aus meinem Hirn oder so. Das kann man mir auch nicht rausschlagen (...)." (S. 149) Von den Forschenden wird dieser Hass und Tötungsfantasien im Zusammenhang mit dem verstrickten familialen Repräsentationsmuster gesehen.




Montag, 5. Oktober 2015

Psychohistorie. Die Zeit der Entdeckungen liegt hinter uns!

Die Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie (GPPP) hat aktuell ihren Internetauftritt angepasst. Neu ist vor allem eine Übersicht über Arbeitsfelder und entsprechend Forschende, wie auch ein kurzer Rückblick auf die Entstehung von Psychohistorie.


In dem Text steht:
"Im Rückblick auf die 25 Jahre der Psychohistorie in Deutschland kann man feststellen, dass die wissenschaftliche Landschaft der Psychohistorie im wesentlichen ausgeschritten ist. Die Zeit der Entdeckungen liegt hinter uns. Es geht jetzt vor allem um weitere Differenzierung und Vertiefung – aber vielleicht noch wichtiger um Fragen der Systematisierung und ganz entscheidend um die Vermittlung des psychohistorischen Wissens an die Gesellschaft und auch die wissenschaftliche Welt.“  (Quelle: Janus, Jahrbuch für psychohistorische Forschung, Band 12)

Ich kann dem nur zustimmen. Diese Passage drückt exakt meine Sicht und auch Gefühlslage aus. Nachdem ich mich mittlerweile fast 13 Jahre mit dem Thema an sich und seit 2008 im Speziellen durch die Arbeit an diesem Blog letztlich mit psychohistorischen Ansätzen befasse, fühle ich mich etwas wie in einer Warteschleife. Es geht nur noch darum, wann die Gesellschaft bereit ist, die Dinge bewusst erkennen zu wollen.

Wie ich schon in meinem kürzlich Beitrag über die Weiterentwicklung der (deutschsprachigen) Psychohistorie erwähnt habe, gehe ich davon aus, dass die starke Abnahme von Gewalt gegen Kinder in Deutschland und die starke Zunahme von Fürsorge gegenüber Kindern letztlich die Abwehr aufbrechen wird. Auch in dieser Hinsicht befinde ich mich im Rahmen psychohistorischer Theorie: Die stetige Verbesserung der Kindererziehungspraxis wird gesellschaftlich nicht ohne Folgen bleiben!