Kürzlich habe ich den Bericht über die Kindheit von Ronald Reagan erweitert. Bei meinen Recherchen fiel mir eine Textstelle in dem Buch „Persönlichkeit und Politik“ von dem Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Hartmann (lehrt derzeit an der UNI der Bundeswehr in Hamburg) auf.
„Der Vater war ehrgeizig und zog mit der Familie um, wenn er eine besser bezahlte Arbeit gefunden hatte. Reagans Kindheit spielte sich in der Stadt Dixon im ländlichen Illinois ab. Auch dort wechselte die Familie häufig den Wohnsitz, um die Miete nach den mageren Einkünften zu strecken . Reagans Vater hatte ein Alkoholproblem, das die Mutter vor den beiden Söhnen lange verbergen konnte. (…) Die beiden Kinder wurden liebevoll erzogen. Dieser Hintergrund tat auch beim späteren Politiker noch seine Wirkung. (…)“ (Hartmann, 2007, S. 203)
„Die Politik hat eine Blindstelle. Sie klammert die Persönlichkeit aus.“, so fängt Hartmann die Einleitung seines Buches an. Diese „Blindstelle“ versucht der Autor zu füllen, in dem er die Biografien verschiedener PolitikerInnen in Zusammenhang mit deren politischer Laufbahn bringt.
Am Beispiel von Ronald Reagan fällt auf, dass der Autor hier selbst blind gegenüber der destruktiven Kindheit zu sein scheint und somit seinem erklärten Ziel nicht gerecht wird. Die häufigen Umzüge werden dem Ehrgeiz des Vaters und Mietkosten zugeschrieben (die Umzüge wären dann ja weitergedacht nur zum „Wohle der Familie“), die Mutter hätte den Alkoholismus verbergen können und die Kinder seien liebevoll erzogen worden. Diese Liebe und eigene Erfahrungen von Armut hätten dann auch das spätere politische Leben Reagans geprägt. Wenn er später als Gouverneur oder Präsident von Menschen in Not erfuhr, dann half er ihnen, so Hartmann. Aus den eigenen Erfahrungen heraus, in denen Hilfsbedürftigen auch ohne Staat Hilfe zu Teil wurde, sei die Auffassung des späteren Reagan zu verstehen, es bedürfe keines sozialpolitisch aktiven Staates. (vgl., ebd.)
Meine Ausführungen über Reagans Kindheit zeigen ein ganz anderes Bild. Ebenso denke ich, dass Reagans „Kein Staat Politik“ gerade auf Kosten der Schwachen ging und (unbewusst gezielt) Wachstum reduzierte, das aber nur nebenbei.
Mir ist dieses „es geschah zum Wohle der Kinder“ und „es waren liebevolle Eltern“ immer wieder bei Recherchen zu destruktiven, politischen Persönlichkeiten und Diktatoren aufgefallen. Man kann wirklich sagen, dass die meisten Biografen, Historiker und Sozialwissenschaftler blind gegenüber dem Leid sind, das die untersuchten Personen in ihrer Kindheit erfuhren. Das Beispiel von Hartmann ist eines von vielen. Es ragt dabei etwas heraus, weil der Autor ja gerade in seinem Buch gezielt eine Brücke von der Psychologie/Biografieforschung zur Politik schlagen wollte. Um so erstaunlicher ist es, dass hier bei dem Blick auf Reagan derartig viele blinde Flecken und Umdeutungen zu finden sind.
Hartmann, J. 2007: Persönlichkeit und Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
Donnerstag, 11. Februar 2010
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