Samstag, 26. Juni 2010

Medusas Kinder in der Antike


Durch meine Beschäftigung mit der Medusa und den Maskulisten bin ich auf eine interessante Information gestoßen. In ihrer Dissertation „Das unheimliche Sehen | Das Unheimliche sehen. Zur Psychodynamik des Blicks“ zitiert Elke Rövekamp eine Quelle (Schlesier, 1989) wie folgt: " (…) wir müssen wohl aufgrund der vorhandenen archäologischen Zeugnisse davon ausgehen, dass nichts von antiken Künstlern so häufig dargestellt wurde, wie das Medusenhaupt." (Rövekamp, 2004, S. 356) Wir finden in der Antike das Bild der Medusa „(…) an Gebäuden aller Art, an Giebeln und auf Mauern, an Tempeln, Privathäusern und Grabbauten; wir sehen es an den Rüstungen der Krieger, an Wagen, Schilden, Helmen, Harnischen, Beinschienen, Streitwagen, an Zaumzeug und Panzer der Pferde; es ist auf Wandgemälden und Mosaiken, auf Münzen und Schmuckstücken dargestellt; an den Geräten des täglichen Gebrauchs in Haus und Tempel ist es zu sehen, an Stühlen, Lampen, Kandelabern, an allen erdenklichen Gefäßen, auf Deckeln und an den Henkeln der Mischkrüge für Wein und Wasser, auf den Ölamphoren, den Schminkkästchen, den Trinkschalen." (ebd., S. 364f)

Die Medusa ist eine Erfindung aus der Antike. Ihre damalige enorme Verbreitung leuchtet mir vor allem ein, wenn man sich die Arbeiten von Lloyd deMause vor Augen führt. Er hat auf den antiken Kindererziehungsmodus „Später Infantizid“ hingewiesen. In dieser Zeit waren schwere Gewaltformen gegen Kinder, Kindesvergewaltigungen und Kindestötungen vorherrschend, entsprechend bildete sich die narzisstische Psychoklasse heraus. Der Vater war erst wirklich anwesend, wenn es um die Anleitung des älteren Kindes ging, vorher waren ihm die Kinder egal. Sicherlich war er auch brutal. Den Frauen und Müttern oblag die Kindererziehung, die wie gesagt von Gewalt geprägt war. In meinem aktuellen kurzen Text über "Medusas Söhne" habe ich die Verbindung zur Mutter gezogen. Die grausame Mutter wird im versteinernden Blick der Medusa von den Menschen wiedererkannt. Deshalb übte die Medusa zusammen mit ihrer Geschichte (vor allem auch ihrer Enthauptung durch Perseus) offensichtlich auf die antiken Menschen (dabei wohl auch vor allem die Männer) eine solche Faszination aus. Diese Erklärung scheint mir schlüssig und sie stützt deMause Annahmen über die Art und Weise der Kindererziehungspraxis in der Antike, deren psychische Folgen im Medusamythos sichtbar werden.

Donnerstag, 24. Juni 2010

Medusas Söhne. Oder: Wie Mann zum Maskulisten wird


Es ist schon ca. 7 Jahre her Jahre, wo ich mich eine Zeit intensiv mit der Männerbewegung beschäftigt habe. Diese besteht ja aus mehreren Richtungen, die ich hier gar nicht aufzählen und besprechen möchte. Mir geht es hier jetzt um den Teil dieser Bewegung, die sich „Maskulisten“ nennen und die ich radikale Maskulisten nenne.

Meine Einstellung zu diesen Leuten ist seit damals: Es ist verschwendete Lebenszeit, sich mit ihren Texten zu befassen. Mann ärgert sich einfach nur, wenn mann so viel dumpfen Kram ließt.
Diese Bewegung verbreitet zunächst einmal einige Kernthesen und Ansätze, die ich durchaus für richtig und begrüßenswert halte. Z.B. die Forderung, dass männliche Opfererfahrungen (Männer werden nämlich häufiger Opfer von Gewalt, als Frauen, außer im Bereich der sexuellen Gewalt. Allerdings - das verschweigen die Maskulisten - sind auch die Täter mehrheitlich Männer, außer, wenn es um Gewalt gegen Kinder geht, da sind die Verhältnisse bei körperlicher Gewalt ausgeglichen) mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein gebracht werden müssen, dass es da mehr Hilfe gezielt auch für Jungen und Männer geben muss, dass Frauen häufiger als Täterinnen gegenüber Kinder auftreten, als dies allgemein wahrgenommen wird usw. usf. (Wobei Vorsicht geboten ist, wenn die Maskulisten Zahlen und Studien angeben, mann sollte sich da andere Quellen suchen.) Zusätzlich gibt es dann noch etliche andere Kernthesen der Maskulisten, die ich für höchst problematisch, verdreht und falsch halte, hier aber nicht besprechen kann.

Ihre Forderungen stehen dabei aber immer und grundsätzlich in Abgrenzung zum Feminismus und dabei speziell auch gegen die EMMA und Alice Schwarzer, die ihre Hauptfeindbilder sind. Frauen, speziell Feministinnen tauchen in den Texten der Maskulisten als deutliche Feindbilder auf, die es zu bekämpfen gilt. Der indirekte und direkte Frauenhass, der sich dort in den Texten zeigt, ist wirklich unerträglich und somit schwerlich zu lesen. Es werden also keine eigenen konstruktiven Ziele formuliert und den Frauen ihre Fortschritte und berechtigten Errungenschaften gelassen, sondern es kommt einem vor, wie auf einem Kindergeburtstag: Da ist eine Torte und die Jungs schreien und streiten darum, dass die Mädchen zu viel Torte hätten, dass sie sich verziehen sollen, weil jetzt die Zeit der Jungen ist, die Zeit, Torte zu essen. Zu diesem Kindergeburtstag gehört dann auch, dass mann sich verabredet, z.B. Mädchenpartys zu stürmen…äh feministische Internetforen zu torpedieren. Und dieser Kindergeburtstag ist denn auch der Grund dafür, warum ich dazu etwas schreiben möchte. Denn mir scheinen diese hasserfüllten, zum Teil auch sehr irrationalen Texte der Maskulisten viel mit deren Kindheit zu tun zu haben.

Damals las ich eine Homepage eines Maskulisten (die ich nicht mehr benennen könnte). Er vertrat die üblichen Gedanken, verwies auf die üblichen Links und maskulinen Bücher. Er schrieb aber auch etwas über sich und seine Kindheit. Diese war geprägt von Misshandlungen und Bestrafungen seitens seiner Mutter. Damals traute ich erst meinen Augen kaum. Die Verbindung zu seinen hasserfüllten Texten über Frauen und die eigene Misshandlungsgeschichte waren so offenkundig, dass es fast absurd schien, wie er seine Homepage betrieb und gestaltete. Verständlich wird dies, wenn mann darum weiß, dass Gefühle von misshandelten Kindern abgespalten werden. Später können sich die Männer dann ggf. noch sachlich daran erinnern, dass sie Schläge bekamen, was sie dabei fühlten, wissen sie nicht mehr. Die hasserfüllten Gefühle treiben dann aber ihr Unwesen auch weiterhin. In diesem Fall wurde der Hass komplett auf den Feminismus projiziert: „Die Feminstinnen hassen uns Männer, also müssen wir uns ihnen entgegenstellen und sie zurückdrängen.“

Damals hatte ich auch eine gewisse Zeit mit einem männerbewegten Mann zu tun. Er war kein Maskulist per Selbstdefinition, trotzdem kamen bei ihm immer wieder irrationale Gedanken und auch ein sehr verächtliches Frauenbild durch. Frauen waren für ihn grundsätzlich böse. Er selbst hatte vor allem schweren emotionalen Missbrauch und Körperstrafen seitens seiner Mutter erlebt und konnte sich an viele Details aus seiner Kindheit überhaupt nicht mehr erinnern. Das sind zwei Erfahrungen, die mann sicher nicht verallgemeinern kann. Trotzdem regen sie an, sich da weiter Gedanken zu machen und ich habe sie immer im Hinterkopf, wenn es um die Maskulisten geht.

Aus einem aktuellen Anlass heraus, habe ich dann kürzlich einfach mal wieder etwas zum Thema gegoogelt, (obwohl ich mich ja eigentlich nicht mehr mit diesen Leuten beschäftigen wollte, habe ich eine komplette Stunde dafür geopfert...). Bei den ersten Suchergebnissen fiel mir gleich das Bild der Medusa entgegen. Mehr noch, auf bekannten Homepages und Blogs der Maskulisten prangt das Bild des Perseus, in der Hand hält er den abgeschlagenen Kopf der Medusa. Manche Maskulistenblogs haben in ihrem Blognamen sogar gleich das Wort Perseus mit aufgenommen. Ein Titel eines bekannten Maskulistenbuches enthält ebenfalls das Wort Medusa. In einem entsprechenden Internetforum nutzt ein Schreiberling das Bild des Perseus als Avatar. In einem anderen Internetforum werden weibliche Gender-Professorinnen als „Medusaköpfe“ bezeichnet; eine Ehefrau, deren Mann laut Gerichtsbeschluss keinen Unterhalt zahlen braucht (wie er stolz berichtet) ist ebenfalls die „Medusa“; in einer Einladung zur „Online-Konferenz der Maskulisten“ heißt der Server "Maskulisten", das Passwort "medusa“, wie berichtet wird; ein Teil der Männerbewegung, der mit dem Feminismus sympathisiere sei blind „für die schreckliche Gestalt der Großen Mutter, der Medusa.“ bzw. dieser verfallen, da diese Männer „das Männliche“ aus ihrem Weltbild gelöscht hätten. Und folgende einzelnen Zitate möchte ich hier komplett anbringen: "Eine Sache sei noch zwingend zu erwähnen. Bei all unserem Tun und Handeln braucht man aussagekräftige und klare Symbole, mit denen sich andere identifizieren können. Perseus mit dem Haupt der Medusa wurde schon mal als Symbol vorgeschlagen, was ich ausgezeichnet fand, u.a. auch da eine gewisse Radikalität dem ganzen zu Grunde liegt: der rücksichtslosen und restlosen Auslöschung des Feminismus.“ Und „Perseus - und das abgeschlagene Haupt der Medusa. Ich träum gerade davon, daß in 5 Jahren ebensoviele Leute mit Stickern/Autoaufklebern mit diesem Symbol drauf - zu sehen sein werden, wie damals "Atomkraft-nein danke"-Sticker/Aufkleber. Vielleicht ja auch mit Schriftzug: Feminismus? Nein Danke! Oder das Symbol (Perseus und das Haupt der Medusa).“ und „Es ist psychisch fast unmöglich, das ganze Ausmaß und die Obszönität des Grauens dieser Ideologie (Anmerk. gemeint ist der Feminismus) konstant im Bewußtsein zu halten, denn sie ist derart furchtbar, daß man, der Medusa ins Antlitz blickend, zu Tode erstarrt und buchstäblich nicht mehr vor sich liegen sieht, was man sieht.“ Medusa scheint es den Maskulisten wirklich angetan zu haben.

Zum letzten Zitat möchte ich noch etwas einbringen. Es macht Sinn, hier einmal das Wort „Mutter“ einzusetzen. Das liest sich dann wie folgt:
Es ist psychisch fast unmöglich, das ganze Ausmaß und die Obszönität des Grauens dessen, was meine Mutter mir antat, konstant im Bewußtsein zu halten, denn sie ist derart furchtbar, daß man, der eigenen Mutter ins Antlitz blickend, zu Tode erstarrt und buchstäblich nicht mehr vor sich liegen sieht, was man sieht.“ Der ganze Schrecken des inneren Kindes wird hier deutlich, der hier von dieser Person vermutlich einst real erlebt wurde und der sich jetzt in Wortsilben und Bildern wiederaufführt.


Die Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin Barbara Diepold beschreibt bildlich die innere Welt schwer traumatisierter Kinder. Hier fiel mir erstmals das Bild der Medusa in diesem Zusammenhang auf: „Die innere Welt traumatisierter Kinder ist so, wie Hieronymus Bosch sie gemalt und Dante sie in seinem „Inferno“ beschrieben hat, oder der Mythos der Medusa sie erzählt: Gespenster und Geister, brennendes Feuer, Eiseskälte, Leichenstarre, von Kopf bis Fuss gespaltene Menschen, deren Fragmente sich zu ganzen Menschen zusammensetzen, Menschenleere und Einsamkeit, Spiele mit Leichenteilen, Unfälle und mörderische Aggressivität“ (Diepold, B. 1998: Schwere Traumatisierungen in den ersten Lebensjahren. In: Endres, M. / Biermann, G. (Hrsg.): Traumatisierung in Kindheit und Jugend. Reinhardt Verlag, München., S. 136f) Hellhörig machte mich dann auch, dass über Adolf Hitler berichtete wird, er hätte das Bild der Medusa an seinen Wänden hängen gehabt und gesagt: „Diese Augen! Es sind die Augen meiner Mutter!“ (deMause, 2005, S. 154)

In der Psychoanalyse ist das Bild der Medusa oft ein Hinweis auf die eigene Mutter. Die Mutter kann Nahrung, Wärme und Liebe geben, aber sie kann diese auch entziehen und damit existenzielle Ängste auslösen. In einem – eigentlich gegenüber der Psychoanalyse sehr kritisch gemeinten Artikel – schreibt eine taz Autorin passend: „Die verdrängte, mächtige Mutter bleibt aber nun, wie alles Verdrängte, im Unbewussten aktiv. Als die böse Frau tritt diese Figur in Märchen und Fantasien wieder auf: von der Sphinx über Medusa und diverse Hexen- und Feenfigurenbis hin zur heutigen Form der schrecklichen Verderberin, der Emanze, die die ganze schöne Gesellschaft mit ihren unmäßigen Forderungen durcheinander bringt und die Männer - na was wohl? - am liebsten kastrieren würde.“ (vgl. http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/07/22/a0252)
Um die Medusa herum finden sich viele gefährliche Schlangen. „Beinhalten Träume Riesenschlangen, also Würgeschlangen, ist die Bedeutung häufig die einer "fesselnden und erdrückenden Umarmung", wie sie z.B. eine besitzdenkende, nicht loslassende Mutter ausüben kann.“ (http://www.traumdeutung-lebensberatung.de/traumsymbole-traumsymbol-schlange.html)

Die Schlangen erinnern vielleicht auch etwas an die Nabelschnur des Säuglings. Wieder etwas, was mit Mutter und Kind zu tun hat. Die Enthauptung der Medusa ist übrigens auch die Einleitung einer Geburt. Aus ihrem Hals werden ihre Kinder Pegasus und Chrysaor geboren, im Augenblick des Todes sozusagen „entbunden". Tod und Wiedergeburt ist etwas, das vor allem auch in psychohistorischen Arbeiten bzgl. kriegerischen Verhaltens behandelt wird. Durch den Tod eines anderen, „fühle ich mich wiedergeboren“. Die Ursachen dafür sehen die PsychohistorikerInnen in destruktiven, von Gewalt bestimmten Kindheitserfahrungen. „Die Feministinnen sollen sterben, damit wir leben können.“ Könnte ein Teil der Fantasie sein, die Maskulisten ausleben. Und darin ist dann auch die Rachefantasie des Kindes enthalten: "Meine Mutter muss sterben, damit ich endlich leben kann."

Auch manche Maskulisten selbst scheinen sehr klar die Mutter in der Medusa zu erkennen. Geradezu entzückt beschreibt ein Leser in seinem Kommentar einer bekannten Maskulisten Homepage: „Was ich dir sagen will: die Perseus-Figur (Brunnenfigur von B.Cellini), die du abgebildet hast, hat für mich... eine besondere Bedeutung.“ Ein Buch, das der Leser erinnert, beschreibt die antiken Mythen und „die Befreiung des Helden aus der Abhängigkeit von der Großen Mutter; die verschiedenen Stufen des Heldenkampfes, d.h. der Muttertötung oder Tötung des Drachens (…) Die Perseus-Gestalt wurde mir besonders sympathisch; und als ihre Verkörperung besonders die Brunnenfigur des Cellini.

Ein anderer Maskulist schrieb in seinem Blog: "Vor einigen Wochen lief der Film "Clash of the Titans" in unseren Kinos an. Da die Hauptfigur kein Anderer als Perseus höchstpersönlich ist, war der Film für mich als Maskulist natürlich Pflicht. Ich war positiv überrascht. Vor allem der Kampf des Perseus gegen die Medusa ist eindrucksvoll inszeniert und übte eine starke Faszination auf mich aus." Wie emotional der Kampf des Perseus gegen die Medusa (Mutter) besetzt ist, wird hier deutlich.

Trotz etwas komplizierter Sprache finde ich auch folgendes Zitat erhellend:
Man kann sagen, daß die Tat des Perseus darum von historischer Symbolkraft war, weil er die Macht des bösen Blicks gebrochen hat. Seligmann (1910/1922) hat die fast ubiquitäre Verbreitung des bösen Blicks beschrieben, dessen Bedrohlichkeit mit dem Sieg des Perseus natürlich nicht vorbei war, sondern bis heute anhält. Es scheint zu den kulturellen Urerfahrungen zu gehören, daß der Mensch sich dem Blick unterworfen erlebt. Die Psychoanalyse, die sich mit primären Spuren der Bildung des Selbst beschäftigt (Lacan, Kohut, Miller u.a.), hat die Bedeutung der Spiegelung des Infans durch den Anderen, also zumeist die Mutter, herausgearbeitet. Wenn Kohut vom "Glanz im Auge der Mutter" spricht, worin sich das Kind spiegelt und so, als gespiegeltes, sich identifiziert, erhellt daraus umgekehrt auch, was es heißt, einem kalten unemphatischen, nicht annehmenden Blick ausgesetzt zu sein. Ich bin primär der, der im Blick des anderen sich gegeben ist. Aufbau oder Fragmentierung des Selbst sind Funktionen der Blickqualitäten, die für den Blickunterworfenen lebenswichtig sind. Verwerfen oder Annehmen sind grundlegende Blickgebärden, in deren Matrix Subjekte sich identifizieren lernen. Natürlich ist in der Psychoanalyse mit der Verschränkung der Blicke mehr gemeint als das, was zwischen den Augen von Mutter und Kind sich abspielt. Der Blick ist Signifikant für die atmosphärische Tönung der Gesamtbeziehung. Der Blick aber, wußte man schon in der Antike, ist Träger eben von Atmosphären.“ (http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sinne.html)
PsychologInnen sprechen vom „Tanz der Augen“ zwischen Eltern und Kind. Der liebevolle, anerkennende Blick ist vor allem für den Säugling von ungeheurer Bedeutung für seine Entwicklung. Fehlt dieser Blick, ist der Blick vielleicht sogar kalt und grausam, erlebt das Kind kein Echo im Blick, dann wird das schon vom Säugling als massive Bedrohung empfunden und das hat erhebliche negative Folgen für die weitere Entwicklung.

Wie aber war nun die Kindheit der radikalen Maskulisten? Haben sie den „toten, bösen Blick“ ihrer Mutter und ihres Vaters gesehen? Ich schreibe hier jetzt bewusst auch vom Vater, denn ich möchte dies nicht nur auf die Mutter reduzieren. Wenn eine Mutter kalt und ablehnend ist, dann könnte der Vater vieles ausgleichen (und umgekehrt), wenn er ein liebevolles Verhältnis zum Kind aufbaut. War der Vater dagegen emotional und physisch abwesend, dann trägt er dadurch natürlich auch seinen Teil bei. Da diese Abwesenheit sehr oft in unserer Gesellschaft vorkommt, beziehen sich die Rachegedanken der Maskulisten wohl in der Tat eher auf den Elternpart, der zumindest noch da war: Die Mutter. Hätten sie einen "ausgleichenden Vater" erlebt, würden sie wohl kaum so hassen können. Ein positives Männerbild fehlt, da kein positiver Vater und Vorbild zur Verfügung stand.

Mir scheint es wirklich so zu sein, als ob die Maskulisten im Blick der Medusa ihre destruktive Mutter wiedererkennen. Ihren Hass lassen sie jetzt – emotional blind wie sie sind - stellvertretend an den Feministinnen aus. Sie wollen blind bleiben, also kann mann ihnen nur mit Kritik und Grenzen setzten entgegnen. Für rationale Argumente sind die Maskulisten nicht zugänglich, da sie hassen wollen und den Hass brauchen. Mann sollte sich über ihren Kindergeburtstagskram allerdings nicht zu arg ärgern, gerade wenn mann auch darum weiß, dass es eben das Verhalten von emotionalen Kindern ist. Denn das ist ja genau das, was sie brauchen, eine ärgerliche, schockierte, ggf. feindliche Gegenreaktion. Insofern wünsche ich den Maskulisten, dass sie daran arbeiten, erwachsen zu werden und ihre eigene Torte backen. Viel Glück dabei! Vielleicht beschäftige ich mich dann in weiteren 7 Jahren noch mal für eine Stunde mit Euch und schaue, ob ihr da weitergekommen seid.



siehe ergänzend auch:

- Medusas Kinder in der Antike
- mögliche Ursachen von Frauenhass


P.S.

Der Ausweg aus diesem Hass wäre für die Maskulisten, dass sie sich dem „Bösen Blick“ der Mutter / des abwesenden Vaters stellen. Für das Kind von einst wäre dieser Blick (psychisch) tödlich gewesen, hätte das Kind geradeaus geschaut und bewusst gesehen, dass es nicht geliebt, sondern gehasst / abgelehnt wurde. Die damaligen Ängste kommen also in der Tat Todesängsten gleich. Wenn mann so einige Texte und Beiträge der Maskulisten liest, dann entdeckt man hinter der hasserfüllten Fassade sehr oft pure Angst vor „den Feministinnen“ (den „feministischen Monstern“), ja geradezu Todesangst. Heute könnten diese Männer der alten Angst direkt ins Angesicht schauen, ohne befürchten zu müssen, zu sterben oder zu versteinern, denn sie sind ihren Eltern nicht mehr als Kinder ausgeliefert und von diesen existenziell abhängig. Der “verspiegelte Schild“, der in der Sage Perseus vor dem direkten Blick der Medusa schützte, könnte in der heutigen Zeit ein Psychotherapeut sein, der einen geschützten Rahmen bieten kann, damit diese Männer sich dem Blick stellen können. Dass Maskulisten irgendwann diesen Weg wählen, halte ich zwar für notwendig, allerdings auch für sehr unwahrscheinlich.

Donnerstag, 17. Juni 2010

Alice Millers Sohn Martin über eine emotional schwierige Mutter und nachträgliche Gedanken

Im SPIEGEL vom 03.05.2010 („Mein Vater, ja, diesbezüglich“) ist ein interessantes Interview mit dem Sohn – Martin Miller - von der kürzlich verstorbenen Kindheitsforscherin Alice Miller zu lesen. Darin schildert er die schwierige Situation, Kind von einer so berühmten Analytikerin zu sein, die zudem über ihre eigenen Kriegstraumatisierungen nicht bis kaum sprechen konnte und emotional schwer für ihre Kinder zu erreichen war. Millers Sohn hat nach eigenen Angaben unzählige Versuche unternommen, mit seiner Mutter über ihre Erlebnisse zu sprechen, vergeblich. Er spürte emotional, dass ihr im Krieg etwas zugestoßen war, Fakten erfuhr er nicht. Martin Miller wörtlich: „Mir haben Leute immer gesagt: Eine Mutter, die so einfühlsam schreibt - da musst du eigentlich die beste Mutter gehabt haben. Eine absurde Situation. Die Leute hatten ein Bild von dieser Frau, das mit meinem nicht übereinstimmte. Es war sehr schwierig.“ und „Es ist meine persönliche Tragödie, dass ich es als Kind von Eltern der Kriegsgeneration nicht geschafft habe, eine emotionale Beziehung zu meinen Eltern aufzubauen.“ Erst kurz vor Alice Millers Tod konnte der Sohn sich ihr in einem Gespräch emotional annähern. Seine Mutter hat sich in diesem Gespräch auch bei ihm entschuldigt. Martin schildert auch, wie er Opfer seines Vaters wurde, in Form von körperlicher und psychischer Gewalt. Alice Miller war Zeugin dieser Übergriffe und intervenierte dabei auch, war aber wohl auch hilflos. Später trennte sie sich von ihrem Mann und ihr Sohn Martin ging in ein Internat.
Die SPIEGEL Journalisten äußern im Interview, dass sie auf diese Schilderungen nicht vorbereitet waren. Sie hatten offensichtlich ein anderes Bild von der Familie Miller erwartet. Ich muss gestehen, dass mich Martins Schilderungen nicht wirklich wundern. Ich habe einige Fotos von Alice Miller gesehen und mir einige ihrer selbst gemalten Bilder auf ihrer Homepage angesehen. Außerdem kenne ich einige ihrer Bücher. Sie selbst berichtete nach meiner Erinnerung auch von eigenen Psychotherapien. Insofern hat sie nicht wirklich ihr persönliches Leid verborgen. Ich fand auch schon immer, dass sie nicht glücklich wirkte. Zudem ist es nur logisch, dass gerade Menschen mit schweren eigenen traumatischen Hintergründen über das Thema schreiben. Die meisten bekannten Fachmenschen, die über Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung schreiben und veröffentlichen, sind höchst wahrscheinlich auf die ein oder andere Weise selbst betroffen. Ich vermute stark, dass Alice Miller auch als Kind Gewalt in ihrer Familie erlebt hat. Martin Miller sagt dazu nichts im Interview, insofern bleibt das ganze natürlich Spekulation. Ihre Bücher und ihre Thesen verlieren durch diese Informationen eh nicht an Bedeutung, ihr Wahrheitsgehalt bleibt bestehen.

Die anderen beiden Leitfiguren in diesem Forschungsbereich - Lloyd deMause und Arno Gruen - haben auch Gewalt als Kind erlebt. Lloyd deMause erwähnte in einem seiner Bücher, dass er selbst geschlagen worden ist. Er selbst ordnet sich in die „sozialisierte Psychoklasse“ ein, seine eigenen Kinder dagegen sieht er im helfenden Modus. Arno Gruens Biografie habe ich vor einiger Zeit kurz durchgeblättert. Ich erinnere Schilderungen über erhebliche Gewalterfahrungen und vor allem auch eine emotional sehr distanzierte Mutter, die Gruen selbst nach seinen ersten Erfolgen nicht wirklich Anerkennung für seine Leistung geben konnte. (Trotzdem entging Gruen ganz offensichtlicher der „Identifikation mit dem Aggressor“)
Der Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud berichtete, er sei von seiner Amme als zweijähriger „sexuell verführt“ wurde. (vgl. deMause, L. 1992: Evolution der Kindheit. In: deMause, L. (Hrsg.): Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M, (7. Auflage)
, S. 79ff), also sexuell missbraucht worden. In einem Brief Freuds an seinen damaligen Vertrauten Wilhelm Fließ heißt es: „Leider ist mein Vater einer von den Perversen gewesen und hat die Hysterie meines Bruders und einiger jüngerer Schwestern verschuldet.“ Ein weiteres Freud-Zitat: „Dann die Überraschung, dass in sämtlichen Fällen der Vater als pervers beschuldigt werden mußte, mein eigener nicht ausgenommen.“ (vgl. Focus, Nr. 39, 1993: "Unzucht und frühes Leid") "Pervers" war damals ein Ausdruck für sexuelle Übergriffe seitens männlicher Person. Über diese Passagen wird viel diskutiert. Ich finde, sie sprechen eine deutliche Sprache, Freuds Vater war ein Missbrauchstäter. Carl Gustav Jung - Begründer der Analytischen Psychologie – berichtete einst gegenüber Freud, dass er „als Knabe einem homosexuellen Attentat eines von mir früher verehrten Menschen unterlegen“ war, sprich sexuell missbraucht wurde. (siehe o.g. Focus Artikel)

Ich habe irgendwie im Hinterkopf den Satz für mich gebildet: Ohne Gewalt gegen Kinder und Kindesvernachlässigung gäbe es kaum noch Psychotherapie, weil es erstens kaum PatientInnen gäbe, aber auch zweitens kaum TherapeutInnen. Wer sich mit diesem Thema befasst oder auch Psychotherapeut wird, der hat dafür seine Gründe. (Auch Martin Miller ist beruflich Psychotherapeut) Das selbe gilt sicher auch für MitarbeiterInnen von entsprechenden Beratungsstellen. Eine gewisse Betroffenheit kann dabei ein guter Motor sein, eine zu große Betroffenheit birgt Risiken, wie ich finde.

Warum betreibe ich diesen Blog und warum schreibe ich so viel zu dem Thema? Die Frage stellt sich nach diesem Text natürlich automatisch. Ja, eine gewisse eigene Betroffenheit ist auch meine Grundlage. Wobei ich irgendwie auch ein Spezialfall bin. Ich habe nie elterliche körperliche Gewalt (auch keine leichten Züchtigungen oder Ohrfeigen) erlebt und ich habe nie sexuelle Gewalt erlebt. Zudem hatte ich als Kind sehr viele Freiheiten, die mir meine Eltern einräumten. Ich kannte auch keine Bestrafungen. Strafen gab es bei uns nicht. Meine Betroffenheit ist eher in der Form, dass es sehr viele stark destruktive emotionale Spannungen zwischen meinen Eltern gab und ich mittelbar Opfer davon wurde. Und ich meine letztlich, dass ich viel von dem aufarbeite, was eigentlich Sache meiner Eltern und auch Großeltern gewesen wäre. Mir ist sehr bewusst, warum ich so tief in dem Thema grabe. Ich könnte da viel zu schreiben, was mir aber zu persönlich ist, gerade fürs Internet. Für mich war die Beschäftigung mit dem Thema wichtig, natürlich auch für mich selbst. Niemand beschäftigt sich mit diesem Thema intensiv, wenn es nicht auch um die eigene Person geht.
Doch wenn es jetzt nur noch das wäre, würde ich heute damit aufhören, darüber zu schreiben. Ich tue dies weiter aus einem starken inneren Gefühl heraus, dass diese Art der Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemen bzw. die Benennung von den tieferen Ursachen enorm wichtig für die Zukunft unseres Planeten ist. Ich tue dies, weil ich mir dadurch erhoffe, einen Teil dazu beitragen zu können, dass diese Welt besser wird. Das hört sich vielleicht geschwollen an, ist aber die Wahrheit.
(Nebenbei bemerkt habe ich beruflich nichts mit dem Thema zu tun, sondern betreibe diesen Blog als eine Art "Hobby")

Samstag, 5. Juni 2010

"Du weinst doch nicht?"

Auf der Suche nach aktuellen Zahlen zu weiblichen Täterinnen bei sexuellem Missbrauch bin ich auch auf einen erschütternden Bericht gestoßen. Betroffenenbericht von „Mona“:
„Das Gesicht meiner Mutter ist ganz nah. ‚Du weinst doch nicht?‘ Sie schlägt meinen Kopf auf den Boden und wiederholt freundlich: ‚Du weinst doch nicht, oder?‘ Es ging ihr nicht darum, mir das Weinen zu verbieten. Sie wollte, dass ich Schmerzen litt und nicht mehr wusste, dass es mir weh tat. Ich sollte lachen, während sie mich quälte. Ich sollte verrückt werden. Das ist ein Stück aus dem Alltag mit meiner grossen Feindin, meiner Mutter. Das ist Teil der sexuellen Ausbeutung. Vor niemandem hatte ich so maßlose Angst wie vor meiner Mutter. Sie kannte mich viel besser. Sie besaß mehr Druckmittel. Sie konnte viel weiter gehen. Sie gab mir zu essen oder verweigerte es mir. Sie wusch mich oder tauchte mir den Kopf ins Wasser. Sie brachte mich ins Bett oder sperrte mich aus der Wohnung. Darüber hinaus war sie den ganzen Tag mit mir allein. Sie konnte mich schlagen, mir Brandwunden zufügen, mich in den Schrank sperren, mich zwingen, stundenlang still zu stehen, und sie konnte mich jederzeit berühren. Sie hatte Zeit. Sie hatte Zeit, zu warten bis meine Kraft nachliess; Zeit ihre Drohungen auszukosten. Ich fühlte mich wie ein Tier auf dem Sprung. Der Tag war eine graue Masse: warten auf den Mittag, warten auf den Abend, warten auf den Morgen, warten bis jemand hereinkam, dann war ich sicher.“ http://www.dgfpi.de/tl_files/bundesverein/praevention/2004_02.pdf (Seite 9)

Ich suche solche Erfahrungsberichte schon länger nicht mehr gezielt, da es der eigenen Psyche nicht gut tut, so etwas zu oft zu lesen. Meine Erfahrung mit dem Thema Gewalt gegen Kinder ist, dass es keine Grenze an Schrecklichkeiten gibt, keinerlei Grenzen nach oben. Immer wieder bin ich in den letzten Jahren auf Berichte gestoßen, die mich sehr erschüttert haben. Die eigene Vorstellungskraft reicht nicht aus, um sich das ausdenken zu können, was die Realität an Grausamkeiten bietet. Der oben beschriebene Fall ist ein extremer Fall. Kaum jemand kann sich allerdings vorstellen, dass auch solche extremen Fälle keine Einzelfälle sind, auch heute noch, hier in Deutschland. Je weiter man den Blick in die Geschichte wagt, desto mehr „Extremfälle“ findet man in der breiten Masse der Betroffenen von Gewalt, das hat mir Lloyd deMause in seinen Beiträgen deutlich vor Augen geführt. Umso mehr verwundert es auch nicht, dass parallel dazu die politischen Grausamkeiten und der Wahnsinn sich, je weiter man in die Geschichte zurückblickt, steigert.

Ich kann mir über „Mona“ kein Bild machen, da ich diese Frau nicht kenne. Jedem muss aber klar sein, dass solche Erfahrungen tiefe Spuren hinterlassen. Mona hat offensichtlich Hilfe gesucht und spricht über ihre leidvollen Erfahrungen. Das ist der Weg, um wieder ins Leben zu finden und Destruktivität zu reduzieren. Viele suchen keine Hilfe, viele reden nicht über ihre Erfahrungen, sondern schließen diese hinter sich zu. Gerade auch in früheren Zeiten gab es so etwas wie Therapie oder psychosoziale Betreuungsangebote gar nicht. Selbst wenn die Menschen reden wollten, gab es gar keinen Rahmen dafür. Wen wundert es da, dass die Gewalterfahrungen auf anderen Bahnen wiederaufgeführt wurden und werden, z.B. in Kriegen. Das Verhalten der Menschen erzählt uns etwas über das Ausmass des Terrors, den sie einst als Kind erlebt haben müssen. (Z.B. Amokläufer, Selbstmörder, Drogenabhängige usw. usf.) Wir befinden uns letztlich immer noch in einem Prozess, in dem die Gesellschaft Stück für Stück die Augen öffnet, öffnen muss. Der unverstellte Blick ohne Scheuklappen zurück auf das, was unsere Vorfahren und wir selbst an Gewalt erfahren haben, ist notwendig, um zu verarbeiten und um Zukunft konstruktiv und friedlich zu gestalten.

Das o.g. Beispiel zeigt auch eindrucksvoll den fatalen psychischen Prozess, der durch Gewalt gegen Kinder erzeugt wird und werden soll. „Du weinst doch nicht?“, sagt die misshandelnden Mutter. Will heißen: „Du fühlst doch keinen Schmerz, wenn ich Dir Gewalt antue. Ich bin doch Deine Mutter, ich liebe Dich und Du liebst mich. Das, was ich mit Dir tue, ist keine Gewalt und Du fühlst auch keinen Schmerz.“
Kinder können solch eine Situation nur aushalten, wenn sie ihre Gefühle abspalten. Dieser Moment ist die Keimzelle der meisten menschlichen destruktiven Verhaltensweisen, die wir auf unserem Planeten vorfinden. Wir erinnern uns auch: Gewalt gegen Kinder ist das häufigste Gewaltdelikt, das in menschlichen Gesellschaften existiert.


Ich erwähnte oben, dass ich nach aktuellen Zahlen suchte. Wie würden die meisten Menschen antworten, wenn sie gefragt würden, wie viel Prozent der TäterInnen bei häuslicher Gewalt ihrer Einschätzung nach männlich und weiblich sind? Ich vermute, die meisten würden hohe Prozentzahlen bei den Männern angeben. Dabei zeigen die Zahlen, dass mindestens über 50 % der TäterInnen bei der körperlichen Kindesmisshandlung Frauen sind. Beim sexuellen Missbrauch schwanken die Zahlen zwischen 1,5 % und 30 % weibliche Täterinnen, je nachdem ob man vom Hellfeld ausgeht oder verschiedene Dunkelfeldstudien und ExpertInneneinschätzungen berücksichtigt. Die Frauenbewegung hat große und notwendige Fortschritte erzielt, was die Wahrnehmung von männlicher, häuslicher Gewalt angeht. Die Berichte, die auch weibliche Täterinnen fokussieren, häufen sich langsam in den letzten Jahren (Ein aktuelles Beispiel: "Wenn Mütter sich an ihren Kindern vergehen."). Auch hier stehen wir vor einem notwendigen Aufklärungs- und Bewusstseinsprozess. Erst wenn alles auf dem Tisch ist, kann die Gesellschaft nachhaltig verarbeiten, aufarbeiten und umfassende Präventionsarbeit leisten.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Das "goldene" Zeitalter des emotionalen Kapitalimus

Geld fühlt nichts. Der im Wirtschaftsprozess handelnde Mensch – der Homo oeconomicus – fühlt nichts, er handelt zweckrational und nutzenmaximierend sagt das klassische ökonomische Modell. Damit sollen gesellschaftliche und ökonomische Prozesse und Phänomene erklärt werden. Das individuelle Verhalten (und erst recht die Emotionen) der Akteure ist in diesem Modell nicht wirklich von Bedeutung, es geht darum zu erklären, was im Großen (z.B. „dem Markt“) stattfindet.

Ich kann das Modell gut nachvollziehen und finde es auch nützlich, um Wirtschaftsprozesse zu erklären und zu verstehen. Worum es mir hier jetzt aber geht ist ein Lob an den Kapitalismus und zwar ein echtes. Ich finde den Kapitalismus nämlich klasse! Wirklich. Es ist das Modell, was einfach am meisten Sinn macht und dem menschlichen Wesen – das gerne Handel treibt und innovativ ist - gerecht wird. Ich halte insofern auch nichts von einer grundlegenden Systemkritik und einer Abschaffung des Kapitalismus, um dann scheinbar eine bessere Welt zu erzeugen.
Was ich im Grunde für das Hauptproblem innerhalb des Systems halte, sind die Emotionen der Menschen oder auch die emotionale Leere von einem Teil der Akteure. Geld fühlt nichts, ja richtig. Aber Menschen fühlen etwas. Sollte man zumindest meinen. Mit Gefühlen verbinden wir vor allem auch Mitgefühl. Doch was passiert, wenn der am Markt teilnehmende Mensch im Extremfall gar nichts fühlt? Wenn er innerlich leer und abgestumpft ist? Wenn er eben kein Mitgefühl kennt?

Geld fühlt nichts, aber, es gibt auch Menschen, die nichts fühlen. Wenn der nicht-fühlende Mensch, der mitgefühllose Mensch kein Einzelfall ist, sondern einen erheblichen Teil der Akteure ausmacht und/oder Einzelpersonen, die über erhebliche Kapitalmengen verfügen, zu dieser Kategorie zählen, dann gibt es Probleme.
Würde der mitfühlende Mensch heute in Aktien eines Rüstungskonzerns investieren, wenn er mit einer 90 % Wahrscheinlichkeit auf Grund von Marktdaten mit einer Verdreifachung seines Kapitals rechnen könnte? Es wäre zweckrational, wenn dieser Mensch sich das Geschäft nicht entgehen lassen würde. Es wäre emotional, wenn er den Gewinn sausen lassen würde.
Und wenn der mitfühlende Mensch Morgen Opas Aktien von einem Rüstungskonzern erbt, was würde er tun? Könnte er damit Leben, Anteile an einem Unternehmen zu besitzen, das Waffen herstellt, damit Menschen getötet werden können? Wahrscheinlich nicht. Opas Aktien gehören also verkauft.

Das Rüstungskonzernbeispiel ist ein deutliches Beispiel, eines von vielen möglichen. Mit der stetigen Verbesserung der Kindererziehungspraxis wird auch der Markt immer emotionaler und mitfühlender werden. Dort wo keine Gewalt gegen Kinder angewandt wurde, mussten auch keine Gefühle abgespalten werden. In dem Moment, wo der emotionale Mensch umfassende Informationen über den Markt bekommt, wird er mit höherer Wahrscheinlichkeit auch emotionaler mit diesen Informationen umgehen, als der Akteur, dessen Gefühle verschüttet wurden. Wenn der emotionale Mensch erfährt, dass ein Produkt, das er gerne kauft, z.B. für erhebliche Umweltschäden verantwortlich ist oder durch das produzierende Unternehmen Menschrechte mit Füßen getreten werden, wird er seine Kaufentscheidung wahrscheinlich ändern. Sein maximaler Nutzen wäre dann ein menschlicher, emotionaler, nämlich sich gut bzw. nicht schlecht zu fühlen mit dem, was er mit seinem Geld tut. Der Boom der ökologisch und sozial verträglich arbeitenden Unternehmen in den letzten 30 Jahren geht meiner Meinung nach zu einem großen Teil auf die Verbesserung der Kindererziehung zurück. Mitfühlende Menschen wollen sozial verträgliche und umweltschonende Produkte. Menschen ohne Gefühle ist dies egal. Der Markt wird sich in den nächsten Jahrzehnten ökologisieren und immer sozialverträglicher werden. Ebenso verändert sich die Informationsbedeutung im Wirtschaftsprozess. Die Menschen wollen immer mehr „emotionale Infos“ über Unternehmen und Produkte. Diverse Label, Medienberichte, Internetportale und Broschüren zeigen dies.

Wenn die Fortschritte im Kinderschutz und der Erziehung (und auch in der Psychotherapie, durch die Gefühle zurückerobert werden können) so weitergehen, ist diese ökonomische-emotionale Entwicklung nicht zu stoppen. Der alte neoliberale, mitleidlose Markt wird abgelöst werden, durch den emotionalen Markt. Wir befinden uns mitten in diesem Veränderungsprozess. Insofern freue ich mich schon auf die Zukunft.