Samstag, 2. Juni 2012

Stephan Harbort: Das Serien-Mörder-Prinzip.


Ich habe kürzlich das Buch „Das Serien-Mörder-Prinzip“ von dem Kriminologen Stephan Harbort (siehe viele Texte zum Thema und Buchbeschreibung auf der Homepage des Autors) gelesen. Der Autor hat intensive Gespräche mit über 50 Serienmördern geführt und daraus 7 Phasen (siehe auch hier und hier) herausgearbeitet, die die Täter durchlaufen, wovon für mich die wichtigste die erste Phase ist: Die Genese. 

Entsprechend habe ich das Buch sehr an meinen Thesen orientiert durchgearbeitet. Auch die emotionale Lage der Täter und ihre Gefühle während der Taten kommen immer wieder zur Sprache. Die Bedeutung von beidem hat Harbort eindeutig erkannt. Allerdings geraten diese beiden Beobachtungen im Gesamtumfang des Buches etwas in den Hintergrund, da der Autor sein 7-Phasen-Serienmörderprinzip darlegen wollte. Ich möchte in diesem Beitrag beides hervorheben: Die Kindheit (Genese) und die emotionale Lage der Täter. Zudem bietet das Buch auch viele mögliche gedankliche Anregungen und Überleitungen bzgl. politischer Massenmörder und Krieg, worauf ich auch eingehen werde. 

Harbort beschreibt an vielen Stellen die Kindheit der Täter. Am ausführlichsten geht er gleich zu Beginn u.a. auf die Kindheit eines Mannes  ein, der mehrere Frauen brutal vergewaltigt und getötet hat. Dieser Mann ist als Kind mehrfach von seinem Onkel brutal vergewaltigt und dabei wohl fast umgebracht worden, da der Onkel ihm  ein Kopfkissen auf das Gesicht drückte, damit niemand etwas hört. Auch der Vater schlug ihn oft, meist auch grundlos, einmal sogar so hart, dass der Sohn bewusstlos wurde und eine Woche ins Krankenhaus musste.  Auch verbal teilte der Vater ordentlich aus. Er missbrauchte zudem sowohl die Mutter als auch die Schwester sexuell, außerdem war er auch nach außen hin brutal, zerstörte z.B. die Windschutzschübe von Autofahrern, die ihn im Verkehr geschnitten hatten mit einer Eisenstange.-O-Ton über den Vater: „Aber wenn er in Rage gerät, wird er unberechenbar und Menschenleben scheinen ihm egal zu sein, auch sein eigenes.“ (S. 48) Die Mutter des Täters scheint ihn – so meine Vermutung - zudem eher als Partnerersatz missbraucht zu haben (sie war „immer ganz nah bei mir“ und der erwachsene Mann sagt immer noch, dass er immer „ihr kleiner Junge“ sein werde.) An einer Stelle sagt der Mann eine zunächst verwirrenden und widersprüchliche Satz bzgl. dem gewalttätigen Vater: „Meine ältere Schwester und meinen jüngeren Bruder behelligte er kaum, weil meine Mutter mich nach meiner Geburt stärker liebte als ihn.“ (S. 47) Wenn man sich diesen Satz durch den Kopf gehen lässt, wird er verständlich. Die Mutter liebte diesen Sohn mehr als ihren eigenen Ehemann, darum wurde gerade dieser Sohn besonders gezielt das Opfer des Vaters. Zudem ist der Satz ein weiteres Indiz dafür, dass die Mutter diesen Sohn besonders eng an sich bannt und – so meine Vermutung – als Partnerersatz missbrauchte. Klassisch ist auch die Widersprüchlichkeit an anderer Stelle gegenüber der Mutter. Er berichtet zunächst über eine enge und gute Beziehung zu ihr und wie toll und stark sie ist usw. Dann sagt er: „Niemand hat sich jemals um meinen seelischen Schmerz gekümmert oder sich die Zeit genommen, um mir zuzuhören. Meine Mutter (…) ist zu subjektiv, um eine wirklich objektive Antwort geben zu können. Mir wurde immer beigebracht, ich solle ein Mann sein, und Männer zeigen keine Gefühle.“ (S. 50+51)
Als junger Mann ging er dann zur US-Armee und wurde dort erneut seelisch gebrochen, zum Hass erzogen und erlebte später auch den Krieg mit. „In der Army wirst du darauf gedrillt, eine perfekte Kampfmaschine zu sein, aber niemand erklärt dir, wie du den Schalter wieder herumwerfen kannst: von „Hölle“ zu „normales Leben“. „(S. 27) Für mich ist dies erneut ein Beleg dafür, dass der Weg zum Berufssoldat viel mit der gewaltvollen Sozialisation in der Kindheit zu tun hat, was ich u.a. hier ausgeführt habe. Auch der „Wahnsinn“ ist in diesem Sinne ganz nah an der Normalität, was ich u.a. bereits hier kurz ausgeführt habe. Denn als Soldat hätte dieser Serientäter ohne große Schwierigkeiten etliche Menschen töten können, auch Vergewaltigungen in einem fernen Land wären wohl straffrei geblieben. Er hätte zu Hause weiterhin „ganz normal“ unter seinen Mitmenschen weiterleben können…

Was fühlte dieser Mann auf Grund seiner Erfahrungen? Er sagte dazu einiges in Gesprächen mit Harbort: „Ich fühlte mich innerlich leer als Kind“; „Ich kam mir vor wie ein komplettes Nichts. ABFALL! Schwach! Hilflos. Scheiße! Beschissen! Nix!“; „Das Bedürfnis, jemandem meinen eigenen Schmerz fühlen zu lassen, war übermächtig. Und es war nie mit einem Schlag erledigt. Ich wollte meinen Schmerz irgendwo „sehen“.; „Ich bin kein Psychologe, aber ich bin überzeugt, wenn ein Mensch permanent gedemütigt, auf ihm herumgehackt, er beleidigt und verbal niedergemacht wird, hat er kaum mehr Empfindungen – für sich und andere! Vergewaltigung ist ein Gewaltverbrechen, der Sexualakt ist lediglich eine berauschende Form der Erniedrigung. Ich wollte dominieren, kontrollieren und erniedrigen. Für die Opfer habe ich nichts empfunden. Einfach NICHTS!“ 

Der Serientäter war innerlich leer, voller Minderwertigkeits- und Versagensängste, orientierungslos, ohne Selbstkonzept, (innerlich) vereinsamt usw. Harbort kommentiert: „Diese Menschen hadern ständig mit ihrem Schicksal, fühlen sich zurückgesetzt, manövrieren sich in eine emotionale Sackgasse. Nur gelegentlich werden sie tatsächlich ausgegrenzt. Subjektive Außenseiterpositionen sind wesentlich häufiger zu beobachten.“ (S. 44) Der genannte Täter suchte sich zudem eine Frau, die ihn auch in seiner Beziehung dominierte, demütigte, kontrollierte, Macht über ihn hatte und ausübte. Er beschreibt diese Beziehung als „Hölle“. All dies ist im Grunde klassisch für Menschen, die als Kind schwere Gewalterfahrungen und Lieblosigkeit erlebten. Ständig werden Entscheidungen (die als „Schicksal“ erlebt werden) getroffen, die Glück unmöglich machen, die das Leben ins Abseits manövrieren. Dieser Mann ging ja freiwillig zur US-Armee und wurde dort „freiwillig“ gedemütigt und zum Hass erzogen. Er suchte sich seine Partnerin. Er machte sich das Leben zur Hölle. Die weitere Sozialisation dieses Mannes und seine Lebenserfahrungen und Probleme müssen sicherlich in der Analyse berücksichtigt werden, so wie Harbort dies tat. Aber, am Anfang war Erziehung. Der destruktive, selbstzerstörerische Lebensweg dieses Mannes ist nur auf Grund seiner Kindheit möglich geworden. Nicht ohne Grund beschreibt Harbort diesen Mann in seiner Einleitung zum Buch bzw. im Teil „Genese“. Und er verallgemeinert auch an einer Stelle: „Überwiegend ist das Verhältnis zu beiden Erziehungsberechtigten erheblich belastet, ein weites Konfliktfeld tut sich auf. Emotionale Zurückweisung, allgemeine Vernachlässigung des Kindes und Prügelpädagogik sind die häufigsten Erziehungsformen. Die späteren Täter werden so schon früh in eine Außenseiterposition gedrängt, ihre Existenz wird geprägt von Misstrauen und Misserfolgen, das Vertrauen in Menschen und Beziehungen geht weitestgehend verloren. Dafür jedoch müssen sie hautnah erfahren, dass sich ein Mittel besonders eignet, um Probleme zu lösen und sich durchzusetzen: Gewalt.“ (S. 429)

Auch bzgl. der anderen Serienmörder, über deren Kindheit im Buch berichtet wird, fällt folgendes besonders auf: 1. Sie erlitten besonders schwere Formen der (elterlichen) Gewalt. 2. Sie erlitten nicht nur eine Form von Gewalt, sondern z.B. neben körperlicher Gewalt auch seelische Grausamkeiten, Vernachlässigung und Demütigungen, manchmal auch zusätzlich sexuellen Missbrauch 3. Die Gewalt wurde nicht selten, sondern häufig erlebt. 4. Die Gewalt, Demütigungen und Destruktivität ging nicht nur von einer Person aus, sondern immer von beiden Elternteilen und ergänzend Stiefeltern, Heimpersonal usw. , so dass es keine Lichtblicke und Orte des Trostes gab (nur ein einziger Mann berichtet von einer Oma, die ihm Trost bot) 5. Häufig tauchten im Buch auch weitere Problemlagen auf, vor allem in Form von Heimunterbringungen und damit verbunden erneute Verletzungen.
Alle diese fünf genannten Punkte bedingen besonders schwere psychische Folgen für die Betroffenen, was auch wissenschaftlich belegt ist. Im „Lehrbuch der Psychotraumatologie“ (Fischer / Riedesser 1999: 264) wurden bzgl. der Folgen von sexuellem Missbrauch Bewertungsdimensionen aufgestellt. Ich meine, dass diese auch für andere Gewaltformen gültig sind. Insofern tausche ich hier das Wort „Missbrauch“ gegen „Gewalt“ aus. Auswirkungen auf die Schwere der Folgen haben demnach die Art und Weise und der Schweregrad der Gewalt (besonders zerstörerisch wirkt sich – so die Autoren - die Verbindung verschiedener Gewaltformen aus), die Häufigkeit bzw. Chronizität des Gewalterlebens, das Alter des Kindes (je jünger das Kind beim Gewalterleben, desto schwerer die Folgen), der Entwicklungskontext des Kindes (lebt es z.B. im Heim oder einer Familie) und die Person des Täters /der Täterin (die übelsten Folgen ergeben sich bei Gewalt durch die engsten erwachsenen Bezugspersonen wie Vater, Mutter oder Stiefeltern.). Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass bei den durch Harbort untersuchten Serienmördern bei 9 von 10 eine Persönlichkeitsstörung nachweisbar war. (vgl. S. 53; siehe auch online)

Harbort berichtet über die Kindheit eines weiteren Serienmörders (ab S. 84): Die Eltern trennten sich, daraufhin war der Junge oft den ganzen Tag alleine in der Wohnung. Der Sohn ging dann mit zum Vater, der bald eine neue Lebensgefährtin fand, die der Sohn nicht mochte und akzeptierte. Auch seine Mutter fand einen neuen Mann. „Ich wollte immer zu meiner Mutter, aber die hatte auch einen neuen Freund, und der wollte nicht, dass ich da in die Wohnung komme. Da ist was kaputtgegangen, es war halt nicht mehr so wie ich es gewohnt war.“ (S. 86) Die Mutter zog dann auch noch in eine andere Stadt, der Vater arbeitete den ganzen Tag und war nicht da. Er fühlte sich immer mehr der Lebensgefährtin seines Vaters ausgeliefert, die ihn psychisch und körperlich misshandelte: „Schläge gab`s eigentlich jeden Tag, mal mehr, mal weniger. Ich habe sie dafür gehasst. Ich hatte damals schon den Gedanken, dass es besser wäre, wenn meine Stiefmutter tot wäre.“ (S. 88) Er hasst aber auch den eigenen Vater, weil er ihm nicht half und vor der Stiefmutter schützte, und wohl auch weil es keine richtigen Gespräche mit ihm gab und er sich nicht für den Sohn interessierte. Der Sohn lief dann immer wieder von Zuhause weg und wurde schließlich mit 15 Jahren in ein Heim abgeschoben. Obwohl er sich dort einigermaßen wohl fühlte, lief er auch hier immer wieder weg, klaute usw. Daraufhin kam er in eine geschlossene Jugendpsychiatrie und machte dort sehr beängstigende Erfahrungen mit Mitpatienten. Erneut floh er aus dieser Einrichtung. Parallel zu diesen Entwicklungen entwickelte sich der junge Mann immer mehr zum Serientäter und nahm auch Drogen. 

Einen dritten Mörder möchte ich beschreiben (ab S. 122), dessen Kindheit ebenfalls ein reiner Albtraum war. Seine Familie kennt er nach eigenen Angaben gar nicht richtig. „(…) ich war viel im Heim, dann war ich übergangslos im Knast, ich war doch fast immer nur eingesperrt.“ (S.122) Die Eltern trennten sich einst. Der Vater trank oft Alkohol. Die Mutter hatte den Sohn nie Zuneigung entgegenbringen können und ihn umarmt, ganz im Gegenteil teilte sie Schläge aus. Zudem gab es wohl auch seelische Grausamkeiten, der Mann berichtet z.B., dass die Mutter seinen Hund gegen seinen Willen weggegeben hatte. Er wurde zudem auch Zeuge der väterlichen Gewalt gegen die Mutter und sah mit eigenen Augen wie seine Mutter von diesem vergewaltigt wurde. Gefragt nach dem Verhältnis zu seinem Vater war seine prompte Antwort: „Ich wollte meinen Vater umbringen.“ (S. 138) Auch der Vater war körperlich gewalttätig gegenüber seinen Kindern. Der Mann berichtet, dass er u.a. mit einem Teppichklopfer verprügelt wurde und zwar so stark, dass dieser irgendwann auf ihm kaputt ging. „Danach hab ich`s mit einem Stocheisen gekriegt; also so ein Schürhaken, mit dem man den Ofen heizt, damit hab ich`s gekriegt.“ (S. 139) Er lief dann so oft er konnte von Zuhause weg, vor allem wenn der Vater nach Hause kam. Später, in einem Heim, das von Nonnen betrieben wurde, wurde er auch Opfer sexuellen Missbrauchs durch die Nonnen. Aber auch Schläge waren in dieser Einrichtung üblich: „Ja, und dann bin ich immer geschlagen worden. Aber ich hab nie geweint. Wenn ich geschlagen wurde, ich hab nie geweint. (…) Ich wollte nicht, dass die sehen, dass ich weinen kann. Und hinterher konnte ich nicht mehr weinen.“ (S. 137) Hier zeigt sich bereits an Hand dieser Aussage, wie der Junge sein Schmerzempfinden abspalten musste, um zu überleben. 

Die Kindheiten dieser drei Männer sind die am ausführlichsten dargestellten in dem Buch. Aber auch bei anderen vorgestellten Tätern tauchen immer wieder extrem destruktive Familienverhältnisse auf, die Harbort z.B. einmal bzgl. eines Täter so in Kurzform zusammenfasst: „Von den leiblichen Eltern abgelehnt, von seinen Stiefvätern oft geschlagen und eingesperrt, als kleinwüchsiges Kind in der Schule gehänselt, bereits  mit 15 dem Alkohol verfallen.“ (S. 184) Vor allem letztere Entwicklungen fallen auch sehr in dem Buch ins Auge. Die katastrophalen Familienverhältnisse führen zu den nächsten Katastrophen und Demütigungen: In Schule, Beruf und Partnerschaften. Fortwährende Zurückweisungen und vielfache Versagenserlebnisse kennzeichnen die Kindheit und Jugend vieler Serientäter. (vgl. u.a. S. 240) 

Kann sich jemand nach diesen Schilderungen ernsthaft vorstellen, dass diese extrem destruktiven Kindheiten in keinem ursächlichen Zusammenhang zu den späteren Gewaltkarrieren standen? Oder genauer: Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass ein wirklich geliebtes Kind zu einem eiskalten Serienmörder werden könnte? Ich kann mir beides nicht vorstellen und halte es sogar für unmöglich. Insofern ist die für mich wesentliche aus dem Buch abzuleitende Formel ganz klar: Ohne schwere kindliche Gewalterfahrungen wird Mensch nicht zum  Serienmörder.  Aber, das muss an dieser Stelle auch immer gesagt werden, natürlich werden nicht alle, die ähnliches erlebten, automatisch zu Mördern. Wenn man Menschen befragen würde, die wirklich ähnliches erlebten, wie die genannten Mörder, aber die selbst nicht zu Mördern wurden, wird man auch in ihren Lebensläufen schwere Einschnitte und Belastungen feststellen, vielleicht Suchterkrankungen, Selbstmordgedanken, psychische Erkrankungen, Ängste, Gefühle der Leere und des Unglücks usw.; der ein oder andere wird vielleicht auch zu Hause seine Kinder misshandeln oder – je nach Machtmöglichkeiten – über andere Menschen Macht ausüben und sie demütigen. Mancher wird vielleicht ganz im Gegenteil eher eine Opferrolle einnehmen und diverse Verletzungen in Beruf und Partnerschaft erleben. Andere – vor allem die, die Hilfe, Unterstützung und Therapie bekommen haben – werden vielleicht auch ein geregeltes und glückliches Leben führen. 
Der Serienmörder, und damit meine ich an dieser Stelle vor allem dessen emotionale Lage - seine Leere, sein Unglück, seine Ohnmacht, seine Wut, seinen Hass, seine Fühllosigkeit – ist im Grunde nicht so weit weg von der Normalität, wie wir uns das gerne wünschen. Die wenigen Menschen, die real die Lust am Töten für sich (oft ausgelöst durch bestimmte „Schlüsselerlebnisse“, wie Harbort es nennt) entdecken, sind im Grunde nur die Spitze des Eisberges. Sie sind gefährlich und mordlustig, ja. Aber hinter ihnen schlummern tausendfach Mord- und Hassfantasien ganz „normaler„ Menschen, die diese Fantasien aus Verantwortung oder einfach aus diversen unterschiedlichen Beschränkungen und Lebensgegebenheiten heraus oder weil sie den Hass gegen sich und ihr Leben selbst lenken usw. nicht in die Tat gegen andere Menschen umsetzten. Die deutsche Geschichte und NS-Zeit zeugte allerdings auch davon, dass Millionen bereit waren, das Opfer in sich und damit auch den potentiellen Täter in sich offen nach außen zu tragen, sofern diese Anteile gezielt geweckt werden und das entsprechende Agieren von Oben und ideologisch erwünscht ist.  
An dieser Stelle möchte ich eine Textstelle zitieren, die die Emotionen der Deutschen zu Beginn des 1. Weltkriegs auf den Punkt bringt: "Hitler begrüßt den Weltkrieg mit großer Begeisterung. In „Mein Kampf“ schreibt er: „Mir selber kamen die damaligen Stunden wie eine Erlösung aus den ärgerlichen Empfindungen der Jugend vor. Ich schäme mich auch heute nicht, es zu sagen, dass ich, überwältigt von stürmischer Begeisterung, in die Knie gesunken war und dem Himmel aus übervollem Herzen dankte, dass er mir das Glück geschenkt, in dieser Zeit leben zu dürfen.“ Hitlers Kriegsbegeisterung teilten damals in Deutschland viele. So wie er dachten damals z.B. die meisten prominenten Dichter und Wissenschaftler. Thomas Mann schreibt: „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte? Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden und eine ungeheure Hoffnung.“ Max Weber, der geniale Stammvater der Soziologie, äußert am Kriegsbeginn: „Dieser Krieg ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar, es lohnt sich ihn zu erleben.“  (Text von Gerhard Vinnai)
Diese Freude, Erleichterung und Glücksgefühle im Angesicht des nahenden Todes anderer Menschen (aber auch des möglichen eigenen Todes) empfanden Millionen ganz "normaler" Menschen (und ganz "normal" war damals auch die Prügelpädagogik gegen Kinder). Sie alle holten den Täter in sich hervor. Auch wenn wir in die weitere Menschheitsgeschichte schauen – ich erinnere z.B. an Steven Pinkers „Eine neue Geschichte der Menschheit“, in der er die historischen Menschen als Sadisten, Krieger und Vergewaltiger beschreibt – dann fällt auf, dass die heutigen Serienmörder früher nicht nur nicht selten, sondern eher die Regel waren. Mehr noch, ihre Taten waren gesellschaftlich gewollt und erwünscht, wenn man eine Stadt einnahm, dann galt es, möglichst viele Menschen abzuschlachten und die Frauen zu rauben und zu vergewaltigen. Die heutigen Serienmörder sind letztlich nichts anderes als rudimentäre Überbleibsel unserer Gesichte und dabei vor allem auch der Geschichte der Kindheit.

Abschließend noch etwas zur emotionalen Lage der von Harbort befragten Serientäter. Allen war vor allem eines gemeinsam:  Sie kannten kein Mitleid mit dem Opfer, keine Empathie. Opfer waren für sie nur „Objekte“, Mittel zum Zweck. Und der Zweck war alles andere als rational. Menschen wurden brutal umgebracht, weil sich die Täter mächtig fühlen wollten, weil sie absolute Macht und Kontrolle wollten, weil es ihnen Spaß machte, ein gutes Gefühl erzeugte, weil es sie psychisch entlastete. Auch Rache spielte wohl eine Rolle wie ein Täter sagte: „Es war einfach nur Rache an der Gesellschaft und allen, die mir Leid angetan hatten. Ich duldete keinen Widerspruch im Moment der Rache.“ (S. 23) Ein Täter berichtet, wie er sich nach dem Mord gefühlt hatte: „Ich hatte etwas Besonderes vollbracht. Ich fühlte mich besser. Mir ging es irgendwie gut.“ (S. 79) oder ein anderer „Der wusste nicht, dass ich ihn gleich kille würde – aber ich. Das war so ein Machtspielchen. Das hab ich genossen, das war klasse. Das ist auch körperlich, ich spür das, so ein Kribbeln im Magen.“ (S. 93) und der selbe Täter nochmal: „Ich hab`s einfach getan. Und ich hab mich gut gefühlt dabei. Vor allem danach, da hab ich mich richtig leicht gefühlt, besser.“ (S. 95) oder ein weiterer: „Ich hab die Straftaten nie für Geld gemacht, sondern immer nur für den Kick. Das war aufregend, da kam das Adrenalin durch meinen ganzen Körper. Wenn man mich verfolgt hat oder so, das war unbeschreiblich.“ (S. 121) oder ein anderer Mörder (allerdings nicht selbst interviewt)„Ich hatte weder einen anderen Nervenkitzel, noch eine andere Art von Glück.“ (S. 283)
Harbort fast die emotionale Lage der Täter nachdem sie bereits getötet haben wie folgt sehr gut und auf den Punkt gebracht zusammen: „Die Existenz des Mörder „(…) ist gekoppelt an den sich fortwährend wiedeholendem Akt der Selbstwahl: Entweder ich leide – oder jemand anders. Und die sich daraus ergebende Konsequenz ist immer mörderisch: Dein Leben für meins. Ich töte dich, damit ich leben kann.“ (S. 283) In einem Interview anläßlich des besprochenen Buches für die TV-Sendung "10vor11" (05.02.2007) beschreibt Harbort, wie die Tat oder genauer das Selbstkonzept als "Mörder" identitätsstiftend ist, da vorher keine eigene Identität entwickelt und erlebt wurde. "Der Versager ist tot, es lebe der Mörder!" kommentiert Harbort diese Empfindung der Täter.

Serienmörder kann man manchmal befragen, manche sind schon seit Jahren im Gefängnis und konnten viel nachdenken. An Hand ihrer Aussagen wird deutlich, wie sich ihre extrem destruktive Kindheit ausgewirkt hat. Grundsätzlich sind sie abgespalten von jeglichem Mitgefühl, was dem misshandelten Kind einst das Überleben sicherte. Sie haben ab irgendeinem Punkt in ihrem Leben die Erfahrung gemacht, dass sich Gewalt gegen andere Menschen auszahlt und zwar emotional. Plötzlich fühlen sie etwas, Glück, Identität und Macht, wenn sie einen anderen Menschen verletzen und töten. Ist diese Grenze einmal übertreten, gibt es kein Zurück, das Gefühl soll wieder erlebt werden. 
 Selten bis gar nicht werden politische Massenmörder derart offen in Gesprächen über ihre Taten und Gefühle berichten. Aber diese „einfachen“ Serienmörder aus Harborts Berichten lassen den Schluss zu, dass auch die „Großen“ ähnlich fühlten. Die politischen Massenmörder, die ihre Armeen losschickten, um tausende, manchmal gar  Millionen von Menschen umzubringen, auch sie werden diesen „Kick“ gespürt haben, wenn sie den Befehl zum Töten gaben. (Manchmal lässt sich auch dies an Hand ihrer Reden belegen: Am 19. März2003 verkündete z.B. George W. Bush der Nation, dass der Krieg begonnen hat. Vorher hatte er die Faust geballt und gesagt: „feels good!“ ) Auch sie konnten oft nicht damit aufhören, wollten immer weiter machen und Krieg führen. Auch ihre Beweggründe sind alles andere als rational,  sondern vor allem emotionaler Natur. Auch sie waren eiskalt und agierten ohne jedes Mitgefühl. Auch ihre Kindheit war ein reiner Albtraum, wie ich in diesem Blog immer wieder aufzeigen konnte. 


- Ergänzend: "Gedanken zum Amoklauf" (Eine als Kind schwer gefolterte Frau berichtet über ihre Kindheit und Tötungsfantasien, die sie aber nicht in die Tat umgesetzt hat. Einer der aufschlussreichsten Texte zum Thema, den ich je gelesen habe.)

- Siehe ergänzend zum Thema „Glücksgefühle durch Krieg und Gewalt“ auch „Krieg der Kindergangs“ 

P.S. 
 Übrigens sind Serienmörder rein statistisch weit aus weniger eine Bedrohung, als z.B. Eltern. Zwischen den Jahren 1996 und 2005 wurden über 180 Menschen Opfer von Serienmördern, also ca. 18 pro Jahr. Statistisch sterben pro Woche ca. 3 Kinder in Deutschland qualvoll auf Grund elterlicher Gewalt und/oder Vernachlässigung, das sind über 140 Kinder pro Jahr.


Keine Kommentare: