Mittwoch, 8. Mai 2013

Beate Zschäpe. "Wenn sie ein Mensch ist, wird sie das nicht ertragen."

Vor einiger Zeit hörte ich im Deutschlandfunk ein Interview mit einer Angehörigen eines NSU-Opfers. Sie sagte, dass im Gerichtssaal sehr viele Angehörige der Opfer sitzen werden . Und dann sagte sie einen sehr bewegenden Satz: „Wenn sie ein Mensch ist, wird sie das nicht ertragen.“

Keiner wird bestreiten wollen, dass Zschäpe ein Mensch ist. Die Angehörige brachte etwas anderes auf den Punkt. Es geht um die Frage, ob Beate Zschäpe etwas fühlen kann. Denn das Fühlen macht ja gerade unser Menschsein aus. In dem Satz der Angehörigen schwingt die Hoffnung mit, dass diese Täterin etwas fühlen kann, dass sie die Schuld spüren kann, die sie auf sich geladen hat und dass sie auch den Schmerz der Angehörigen nachfühlen kann.

Doch kann ein Mensch, der derartige Taten durchführt oder direkt unterstützt, wirklich Emotionen an sich heran lassen oder etwas fühlen? Ich glaube, dass die Hoffnung dieser Angehörigen nicht erfüllt werden wird. Denn das Nicht-Fühlen oder das sich in einen abgespaltenen Part seiner Psyche begeben können ist ja gerade DIE Voraussetzung dafür, derartige Taten durchführen zu können.

Einige Auszüge aus Beates Kindheit erklären auch, woher diese Fühllosigkeit kommt. Von einer unstetigen Kindheit mit vielen Umzügen wird berichtet. Das wichtigste Detail fand ich hier:
Von Beginn ihres Lebens an wurde Beate Zschäpe das Gefühl vermittelt, nicht gewollt zu sein. Als ihre Mutter im Januar 1975 das Mädchen zur Welt bringt, ist sie überrascht. Von der Schwangerschaft hatte sie bis dato nichts bemerkt, mit einem Verdacht auf Nierenkoliken hatte sie sich ins Krankenhaus einliefern lassen. (…) Zwei Wochen nach der Geburt geht die Mutter zurück nach Rumänien und lässt das Kind in Jena bei der Oma zurück.“ (Deutsche Welle, 11.04.2013, Autor: Arne Lichtenberg)

Die Fötalpsychologie steckt noch in den Kinderschuhen. Nach allem was ich weiß (und vor allem bei Lloyd deMause über das „Fötale Drama“ gelesen habe) und fühle, dürfte es für das werdende Kind den reinen Terror bedeuten, wenn die schwangere Mutter dieses überhaupt nicht bemerkt und es ausblendet.

Zunächst kümmert sich also die Oma um Beate, die allerdings von ihr – so die Deutsche Welle - bereit im Alter von drei Monaten in eine Kinderkrippe gegeben wird. Als Beate ein halbes Jahr alt ist, nimmt der deutsche Freund ihrer Mutter das Kind zu sich. „Mit dem Mann war die Mutter erst kurz vor Beates Geburt zusammengekommen.“ Auch diese Beziehung der Mutter geht später kaputt.  Letztere gibt Beate immer wieder zur Oma. Einen richtigen Vater hat Beate nie gehabt und der von ihrer Mutter benannte biologische Vater stritt stets ab, der Vater zu sein.

Fassen wir also diese kurzen Infos zusammen:
- Beate wurde als Säugling über 9 Monate lang ignoriert (Beziehnungs-Bruch 1)
- 2 Wochen nach der Geburt von der Mutter zur Oma weggegeben (Bruch 2)
- von der Oma bereits mit 3 Monate in eine Krippe gegeben (Bruch 3)
- mit 6 Monaten zu einem Freund der Mutter gegeben (Bruch 4)
- nach dem Scheitern der Beziehung (Bruch 5) wieder alleine zur Mutter,
- die wiederum Beate häufig bei der Oma unterbrachte (Bruch 6)
- der biologische Vater stritt stets ab, der Vater zu sein (Bruch 7)
Beziehungsmäßig ist dies für einen Säugling und ein Kind ein ziemlich zerbrochenes Leben.

Wie das Leben bei der Mutter aussah, wird durch folgendes Zitat etwas mehr beleuchtet: „Auch die weiteren Partner von Zschäpes Mutter hätten offenbar „keine dezidierte Vaterrolle eingenommen“, steht im Gutachten. Und mit der zeitweise arbeitslosen Mutter gab es schwere Probleme. Annerose Zschäpe war mit der Erziehung überfordert und trank.“ (Tagesspiegel, 03.05.2013, Autoren: Frank Jansen und Christian Tretbar)

Zu den ganzen Brüchen kam also noch eine überforderte und sich betrinkende Mutter dazu. (Die Frage ist dabei, in wie weit die den Fötus ignorierende Mutter auch während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben könnte, mit allen bekannten möglichen Negativwirkungen auf den Fötus.) Was sich im Detail alles an Konflikten, Demütigungen, ggf. auch handfester Gewalt im Hause Zschäpe abgespielt hat, bleibt Spekulation. Zumindest wird an Hand der Oberflächendaten mehr als deutlich, dass dies eine sehr  traurige Kindheit war. Ich vermute, dass die Kindheiten der beiden Mittäter, die sich selbst getötet haben, sogar noch schlimmer aussahen. Denn sie waren es ja, die die NSU-Morde direkt ausführten.

8 Kommentare:

Angelika Oetken hat gesagt…


Guten Abend,

aufschlussreicher Bericht. Ich kannte nur Ausschnitte von dem, was Sie hier angeführt haben.

Ist es so, wie Sie schreiben, dass Beate Zschäpe als halbjähriger Säugling einem "Freund" der alkoholkranken Mutter übergeben wurde?

Was der wohl mit ihr gemacht hat?

Auf jeden Fall wurde diese Anklage hier leider fallen gelassen und die hätte womöglich zu den Ursachen für die kaltblütigen und kaltherzigen Morde geführt. Und zu den Auftraggebern. Mit solcherlei "Material" ist viel Geld zu verdienen und man kann Menschen damit gut erpressen: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kinderpornografie-staatsanwaltschaft-ermittelte-gegen-beate-zschaepe-a-882951.html

Aber: vielleicht kommt das doch noch auf den Tisch.

Und der Prozess hat ja noch nicht mal richtig begonnen. Wer weiß, ob Beate Zschäpe nicht doch noch den Mund aufmacht.

Mit freundlichen Grüßen,
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo,
danke für den Hinweis.

Ich habe den Artikel so verstanden, dass Zschäpe kinderpornographisches Material auf ihrem Computer hatte. Sofern sie selbst dies runtergeladen hat und dadurch eine wie auch immer geartete "Befriedigung" fand, würde das das Bild einer sehr emotional gestörten Frau unterstützen.

Anonym hat gesagt…

Hallo Sven,

danke, das war aufschlussreich. Was allerdings bei den anderen beiden, Mundlos und Böhnhardt, dahintersteckt, ist ja nicht so klar.
Vor allem Böhnhardts Eltern reden viel über ihren Sohn. So steht in einem Artikel: "Es geht in diesem Gespräch um die Liebe der Eltern zu einem Kind, um Verstehen und Verzeihen, um die Suche nach der Ursache, wie aus dem schlaksigen Teenie ein eiskalter Mörder werden konnte. Es geht um Schuld und die Gefühle der Menschen, die Uwe am liebsten hatten ..." (Welt.de)
Gleichzeitig muss er ein schwieriger Junge gewesen sein, mit dem die Eltern irgendwann nicht mehr klarkamen, trotz all der überbordenden Liebe.

Ute

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Ute,

ich habe den Welt-Artikel jetzt auch gelesen.

Das Thema ist im Grunde noch mal einen ganzen Beitrag wert. Letztlich ist der ganze Bereich der Kindesmisshandlung ein Bereich, der von Schweigen und Ausblenden umhüllt ist.

Es ist nicht unwissenschaftlich wenn man sagt, dass viele Eltern, die ihre Kinder sehr schlecht behandeln, nach Außen sehr normal oder gar liebevoll wirken können. Die Fachlitaratur über Kindesmisshandlung ist da voll mit Besprechungen und Fallbeispielen.

D.h. man muss zu Recht vorsichtig und auch misstrauisch gegenüber dem sein, was geäußert wird, wenn es um die häusliche Atmosphäre geht.

Kürzlich sah ich die Doku: "Mein Sohn, der Mörder" http://37grad.zdf.de/ZDF/zdfportal/programdata/4c838ba6-ed58-3a59-b347-4a973ae03531/20141444?generateCanonicalUrl=true

Die Mutter war sehr bemüht, sich zu entlasten und sich zu wundern, wie ihr Sohn nur so hatte werden können.
Bei mir kam das nicht an und es blieb ein komische Gefühl gegenüber dieser Frau. Zudem fielen dann u.a. Nebensätze wie "Sein Vater war streng".

Anonym hat gesagt…

Hi Sven,

das sehe ich auch so. Aber wenn man nur Infos bekommt, die zeigen (sollen), dass doch alles gut und normal war, ist es verwirrend.

In Bezug auf die Doku "Mein Sohn, der Mörder" habe ich das beim 1. Ansehen vor Jahren auch so erlebt. Gerade habe ich sie noch einmal gesehen, und mir dämmert so manches.
Man hat zwar nur die Sichtweise der Eltern gehört. Aber jetzt verstehe ich schon mehr.

Interessant, dass die Mutter zwar anfangs denkt, sie könnte schuld sein, aber zu keinem Ergebnis kommt, worin ihre Schuld liegt, und sich dann halt freispricht. Interessant auch, dass der Psychiater zwar sagt, dass die Kindheit "eine mögliche Ursache" sein könne, aber die Mutter gleich freispricht. Wichtiger ist ihm die Einsortierung in die Schublade Psychopath.

Ute

Sven Fuchs hat gesagt…

Alice Miller hätte geschrieben, dass viele Menschen "verwirrt" sein wollen. D.h. mensch will gar nicht wirklich hinsehen, weil dies auch an der eigenen Betroffenheit und an Abwehrmechanismen rührt. (Aber wem schreibe ich das).

Eltern von Mördern brauchen also nur etwas nett lächeln und sagen, das ihr Kind es doch so gut bei ihnen hatte. Und das WOLLEN wir dann glauben. Die Medien sind da direkt drin verstrickt, weil die Medienmachenden eben auch nur Menschen sind.

Kürzlich las ich bei SPIEGEL Online einen Artikel über einen Profikiller aus Süamerika, der unzählige Menschen ermordet hatte. Gleichzeitig wurde er als liebevoller Familienvater dargestellt, der sich zu Hause gut verstellt. Das diese zwei Dinge gar nicht zusammenpassen hönnen "Massenmörder und liebevoller Vater" kam den Autoren nicht in den Sinn. Genausowenig passt eine liebevolle Kindheit und grausames Morden zusammen.

Anonym hat gesagt…

Hallo Sven,

und noch etwas Interessantes:
http://www.zeit.de/politik/2013-05/extremismus-dschihad-syrien-schueler-lamya-kaddor
(Es geht um muslimische Schüler, die in den Krieg ziehen wollen)

Zitate ihrer Lehrerin:

Ich sehe hier nicht allein ein Versagen der Eltern oder Familien, das wäre zu leicht.

In der Regel werden die Jungs nicht von einem Tag auf den anderen radikal und militant. Erst einmal werden sie sehr gläubig und fromm – und warum sollten die Familien da gleich Alarm schlagen?

Ich würde ihnen sagen, denkt an Eure Familien, warum lasst Ihr sie leiden?

Ute

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Ute,

der Satz "nicht allein ein Versagen der Eltern" sagt ja bereits, dass diese Lehrerin wahrgenommen hat, dass zu Hause einiges schief lief.

Auch ich würde immer sagen, dass das Elternhaus "nicht alleine" dafür verantwortlich ist, wie Menschen später ihre Wege gestalten.

Es kommen immer andere Faktoren dazu. Der Punkt,den ich immer und immer wiederhole, ist dass Menschen, die aus Elternhäusern kommen, wo nicht "elterlich versagt wurde", wo Liebe und Gewaltfreiheit herrschten, nicht freiwillig in einen Krieg in einem fremden Land ziehen würden, wie es diese jungen Männer taten.