Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie die Psychohistorie das Bewusstsein schärft. Das gilt für mich im Alltag und beim Lesen von Medienartikeln (wenn z.B. mal wieder von Feinden als „Krebsgeschwür“ die Rede ist, das man entfernen muss) und aktuell nach einem Beitrag, den ich auf ARTE TV gesehen habe. Dort wurde das Bild "Dame im Bad" von François Clouet (ca. 1571) besprochen. Das Bild zeigt im Vordergrund die adlige Diana von Poitiers:
In dem Bild finden sich gleich zwei wichtige Hinweise bzgl. der Kindererziehung vergangener Zeit.
1. Der Säugling wird von einer Amme gestillt
2. Der Säugling wurde sehr straff eingewickelt
Lloyd DeMause hat vielfach nachgewiesen, dass wohlhabende Frauen in der Geschichte routinemäßig ihre Kinder nicht gestillt haben, sondern zu Ammen gaben. Mehr noch, sie gaben sie wirklich weg. Nach den Ammen kümmerten sich Kindermädchen etc. um sie. Mutter und Kind (der Vater sowieso) wurden so systematisch voneinander entfremdet.
Das sehr straffe (monatelange) Einwickeln von Kindern ist ein Akt von Terror gegen den Säugling und dies kann nicht ohne Folgen bleiben.
DeMause (2005: Das emotionale Leben der Nationen, S. 144) hat darauf hingewiesen, dass die derart eingewickelten Säuglinge (er bezieht sich in dem Fall auf Deutschland) ergänzend oftmals in dunklen Räumen hingelegt wurden und für sich blieben.
Ich denke, man muss sich einmal vorstellen, wie sich dies für einen selbst (als Erwachsener) anfühlen würde. Man stelle sich vor, man würde derart verschnürt, wie auf dem Bild „Dame im Bad“ zu sehen ist. Nur zum Essen würde sich jemand zuwenden, danach würde man so verschnürt für sich bleiben, bis zu nächsten Mahlzeit, das ganze über Monate...
Vor einigen Jahren habe ich einen Bericht aus Afghanistan (leider keine genaue Quellenangabe, weil ich diese vergessen habe) gesehen, wo genau diese Praxis in einem Dorf weiterhin gängig war (inkl. dem Verbleiben des Säuglings alleine in einem dunklen Raum). Eine Entwicklungshelferin versuchte über die Dorfältesten die Praxis vor Ort zu beenden.
Aber schon ein allgemeiner Bericht über das „Wickeln“ auf Wikipedia zeigt, dass diese Praxis so oder so ähnlich auch heute noch nicht ausgestorben ist. Effekt für die Eltern: Die Säuglinge sind ruhiger und schlafen mehr. Über das Empfinden des Säuglings wird sich dabei hinweggesetzt. Die Reaktion des Säuglings wird auf Wikipedia so beschrieben. „Viele wehren sich zunächst gegen das Gewickelt-Werden, geben aber dann schnell auf und werden passiv.“ Was sollen sie auch anderes machen? Sie haben keine andere Wahl. Auch ein Erwachsener, der so eingewickelt würde, würde irgendwann aufgeben und sich psychisch ausschalten.
Wie schön, dass es heute viele Eltern gibt, die sich ganz natürlich darauf einstellen, dass nach der Geburt eines Kindes Unruhe und Schlaflosigkeit auf sie zukommen und die das einfach annehmen und sich kümmern. Ich las einmal eine Geburtsanzeige in einer Zeitung. Darin stand der Name des Kindes und der Eltern (inkl. Bild) und der Satz "Wir sind ab sofort auch nachts zu erreichen!"
Dienstag, 15. Dezember 2015
Freitag, 11. Dezember 2015
Die Menschheit wird immer friedlicher!
Kurz vor Ende des Jahres wird es Zeit für einen positiven Ausblick, trotz aller Abgründe, mit denen ich mich im Blog befasse.
Aktuell hat das Amnesty Journal seiner Ausgabe 01/2016 den schönen Titel "Alles wird gut" gegeben. In dem Heft findet sich auch ein Interview mit Steven Pinker und Statistiken (S. 35-37), die 5 positive Trends eindrücklich aufzeigen. Die Statistiken erfassen
- wie seit 1945 die Rate (pro Jahr) an weltweiten Kriegsopfern pro 100.000 Einwohner wellenartig sinkt und seit Ende der 1980er Jahre tendenziell gegen Null tendiert (mit einer leichten Aufwärtskurve ab 2010 in Richtung ca. 2 Opfern pro 100.000 Einwohner auf der Welt)
- wie die Rate an Opfern von Vergewaltigung und sexueller Gewalt, wie auch Gewalt in der Partnerschaft pro 100.000 Frauen seit 1994 deutlich sinkt
- wie die Hinrichtungsrate in den USA pro 100.000 Einwohner seit 1650 stark sinkt (von ca. 3 auf annähernd Null)
- wie die Mordrate seit dem Jahr 1300 in Europa bahnbrechend gesunken ist (von je nach Land ca. 25 bis über 60 pro 100.000 Einwohner auf annähernd null bis 2000)
- wie Homosexualität seit 1800 stetig entkriminalisiert wurde.
Das Buch "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit" von Steven Pinker hatte ich im Blog bereits besprochen.
Der Zusammenschluss WHO/UNODC/UNDP hat 2014 einen Bericht (Global status report on violence prevention 2014) vorgelegt, der ein weiteres Absinken der weltweiten Mordraten zwischen 2000 und 2012 feststellt. Weltweit ist die jährliche Mordrate (pro 100.000 Einwohner) in diesem Zeitraum um 16 % gefallen: von 8 auf 6,7. In den reichen Ländern fiel sie im selben Zeitraum überdurchschnittlich um 39 %, in Schwellenländern um 13 % und in den armen Ländern um 10 %. (S. 12) (Ergänzende Anmerkung: In Deutschland liegt die Mordrate derzeit bei ca. 0,8 Morden pro 100.000 Einwohnern) Das Besondere an diesem Bericht ist auch, dass ab Seite 85 unzählige Länderberichte aufgeführt sind. Diese gleichen statistisch bzw. per Datenblatt ab, in wie weit Gesetze und Gewaltpräventionsprogramme vorhanden sind, um die Menschen vor Ort zu schützen. Dabei geht es um mehr, als nur um Mord, es geht um alle Formen von Gewalt, um speziellen Kinder-/Jugendschutz wie auch den besonderen Schutz von Frauen vor Partnergewalt oder auch den besonderen Schutz von älteren Menschen. Die UN hat jüngst ja auch ihre "Agenda 2030" vorgestellt.
Es scheint wirklich so, als ob die Weltgemeinschaft es ernst meint. Sie sammelt vergleichbare Daten und Länder, die z.B. kaum etwas gegen Gewalt unternehmen, geraten unter Druck.
Aktuell hat das Amnesty Journal seiner Ausgabe 01/2016 den schönen Titel "Alles wird gut" gegeben. In dem Heft findet sich auch ein Interview mit Steven Pinker und Statistiken (S. 35-37), die 5 positive Trends eindrücklich aufzeigen. Die Statistiken erfassen
- wie seit 1945 die Rate (pro Jahr) an weltweiten Kriegsopfern pro 100.000 Einwohner wellenartig sinkt und seit Ende der 1980er Jahre tendenziell gegen Null tendiert (mit einer leichten Aufwärtskurve ab 2010 in Richtung ca. 2 Opfern pro 100.000 Einwohner auf der Welt)
- wie die Rate an Opfern von Vergewaltigung und sexueller Gewalt, wie auch Gewalt in der Partnerschaft pro 100.000 Frauen seit 1994 deutlich sinkt
- wie die Hinrichtungsrate in den USA pro 100.000 Einwohner seit 1650 stark sinkt (von ca. 3 auf annähernd Null)
- wie die Mordrate seit dem Jahr 1300 in Europa bahnbrechend gesunken ist (von je nach Land ca. 25 bis über 60 pro 100.000 Einwohner auf annähernd null bis 2000)
- wie Homosexualität seit 1800 stetig entkriminalisiert wurde.
Das Buch "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit" von Steven Pinker hatte ich im Blog bereits besprochen.
Der Zusammenschluss WHO/UNODC/UNDP hat 2014 einen Bericht (Global status report on violence prevention 2014) vorgelegt, der ein weiteres Absinken der weltweiten Mordraten zwischen 2000 und 2012 feststellt. Weltweit ist die jährliche Mordrate (pro 100.000 Einwohner) in diesem Zeitraum um 16 % gefallen: von 8 auf 6,7. In den reichen Ländern fiel sie im selben Zeitraum überdurchschnittlich um 39 %, in Schwellenländern um 13 % und in den armen Ländern um 10 %. (S. 12) (Ergänzende Anmerkung: In Deutschland liegt die Mordrate derzeit bei ca. 0,8 Morden pro 100.000 Einwohnern) Das Besondere an diesem Bericht ist auch, dass ab Seite 85 unzählige Länderberichte aufgeführt sind. Diese gleichen statistisch bzw. per Datenblatt ab, in wie weit Gesetze und Gewaltpräventionsprogramme vorhanden sind, um die Menschen vor Ort zu schützen. Dabei geht es um mehr, als nur um Mord, es geht um alle Formen von Gewalt, um speziellen Kinder-/Jugendschutz wie auch den besonderen Schutz von Frauen vor Partnergewalt oder auch den besonderen Schutz von älteren Menschen. Die UN hat jüngst ja auch ihre "Agenda 2030" vorgestellt.
Es scheint wirklich so, als ob die Weltgemeinschaft es ernst meint. Sie sammelt vergleichbare Daten und Länder, die z.B. kaum etwas gegen Gewalt unternehmen, geraten unter Druck.
Montag, 7. Dezember 2015
Terror, Aufstand der Gedemütigten und die Sehnsucht nach dem eigenen Tod
Momentan komme ich kaum dazu, alle Medienberichte zu verarbeiten, die für diesen Blog von Interesse sind. Ich fasse also hiermit einige Details zusammen.
Der Anschlag von San Bernardino (USA) wurde von einem Pärchen verübt, das danach auf der Flucht erschossen wurde. Über den Mann, Seyd F., ist bereits einiges bzgl. seiner Kindheit bekannt geworden.
"Etwas mehr wissen die Behörden über Seyd F. Der 28-Jährige hat ebenfalls pakistanische Eltern, wurde aber in den USA geboren. Er hatte eine schwierige Kindheit, sein Vater war Alkoholiker und quälte die Familie. In den Scheidungspapieren gab seine Mutter an, von ihrem Mann einmal vor ein Auto gestoßen worden zu sein." (Spiegel-Online, 05.12.2015, Anschlag von San Bernardino: Das mysteriöse Terrorpärchen - von Veit Medick)
In diesen kurzen Informationen stecken bereits die Erklärungen dafür, warum Menschen überhaupt zu Massenmördern werden können. Seyd erlebte offensichtlich schwere Gewalt und ergänzend alle Konflikte, die Kinder von Suchtkranken erleiden. Sein Vater ging so weit, dass er die Mutter umbringen oder schwer verletzen wollte, in dem er sie vor ein Auto stieß. Man mag sich entsprechend gar nicht vorstellen, was hinter den Worten „er quälte die Familie“ alles steckte.
Auf die Kindheit einer weiteren Person möchte ich an dieser Stelle eingehen. Hasna Ait Boulahcen kam nach den Terroranschlägen von Paris in ihrem Versteck um. Vorher hatte sie noch mit einer Kalaschnikow auf Spezialkräfte der französischen Polizei geschossen. Sie ist die Cousine von Abdelhamid Abaaoud, dem Drahtzieher der Pariser Terrorserie.
Als Sie noch ein Kleinkind war, trennten sich die Eltern und sie blieb bei der Mutter. „Aber die Mutter war überfordert, sie schlug die Kleine, vernachlässigte sie, wie französische Medien berichteten. Hasna war acht Jahre alt, als sie in eine Pflegefamilie kam.“ (faz.net, 20.11.2015, „Die Terroristin mit den vielen Gesichtern“ - von Michaela Wiegel)
Sie war ca. 14 Jahre alt und klatsche Beifall, als sie am 11. September 2001 vor dem Fernseher saß, erinnert sich ihre Pflegemutter. Das Verhältnis zwischen Pflegemutter und Hasna verschlechterte sich danach Zusehens. „Hasna haute immer häufiger aus der Pflegefamilie ab, verbrachte ihre Nächte woanders.“ (ebd.)
Ulrich Ladurner hat eine interessante Kolumne in der ZEIT geschrieben. Titel: „Die Internationale der Beleidigten“ (07.12.2015). Darin geht es kurz gesagt um das beobachtbare Phänomen, dass sich Staatschefs (von Putin über Holland bis Erdoğan) gedemütigt fühlen und kriegerisch reagieren. Er schreibt zugespitzt: „Unter den selbst ernannten Gedemütigten dieser Welt sind die Terroristen des "Islamischen Staates" jene, die sich am schlimmsten von allen behandelt fühlen. Ihr pubertäres Ego ist so groß, dass ihnen die bestehende Welt wie eine Zwangsweste erscheint. Daraus leiten Sie das Recht zur besonderen Grausamkeit ab.“
Seine Analyse finde ich treffend. Leider hat er nicht die Verknüpfung zu Kindheitserlebnissen gemacht. Dies würde die Analyse rund machen. Die IS-Terroristen fühlen sich in der Tat (pathologisch) schwer gedemütigt. Dies spricht sehr dafür, dass sie auch extreme und häufige Demütigungen in der Kindheit erlebt haben.
Ergänzend erschien ebenfalls in der ZEIT ein interessanter Artikel unter dem Titel „Aus Sicht der Täter“ (03.12.2015). Zwei ehemalige IS-Kämpfer kamen in dem Artikel direkt zu Wort. Einer sagt wörtlich: „Der IS ist ein gottloser Geheimdienststaat unter dem Deckmantel der Religion. Die Ideologen haben uns unseren Krieg gestohlen. Sie sind radikal. Sie kommen, um zu sterben. Sie wollen nicht siegen, sie wollen zu Gott.“
Dieser Satz sollte uns allen zu denken geben! Denn die Aktionen des IS wirken insgesamt betrachtet wie ein einziger angekündigter, kollektiver Suizid, vor dem man noch einmal so viel Gräueltaten anrichten möchte, wie nur irgend möglich. Auch diese Beobachtung macht klar, dass die Ursachen für dieses Verhalten unter Zuhilfenahme der Psychotraumatologie betrachtet werden müssen.
Der Anschlag von San Bernardino (USA) wurde von einem Pärchen verübt, das danach auf der Flucht erschossen wurde. Über den Mann, Seyd F., ist bereits einiges bzgl. seiner Kindheit bekannt geworden.
"Etwas mehr wissen die Behörden über Seyd F. Der 28-Jährige hat ebenfalls pakistanische Eltern, wurde aber in den USA geboren. Er hatte eine schwierige Kindheit, sein Vater war Alkoholiker und quälte die Familie. In den Scheidungspapieren gab seine Mutter an, von ihrem Mann einmal vor ein Auto gestoßen worden zu sein." (Spiegel-Online, 05.12.2015, Anschlag von San Bernardino: Das mysteriöse Terrorpärchen - von Veit Medick)
In diesen kurzen Informationen stecken bereits die Erklärungen dafür, warum Menschen überhaupt zu Massenmördern werden können. Seyd erlebte offensichtlich schwere Gewalt und ergänzend alle Konflikte, die Kinder von Suchtkranken erleiden. Sein Vater ging so weit, dass er die Mutter umbringen oder schwer verletzen wollte, in dem er sie vor ein Auto stieß. Man mag sich entsprechend gar nicht vorstellen, was hinter den Worten „er quälte die Familie“ alles steckte.
Auf die Kindheit einer weiteren Person möchte ich an dieser Stelle eingehen. Hasna Ait Boulahcen kam nach den Terroranschlägen von Paris in ihrem Versteck um. Vorher hatte sie noch mit einer Kalaschnikow auf Spezialkräfte der französischen Polizei geschossen. Sie ist die Cousine von Abdelhamid Abaaoud, dem Drahtzieher der Pariser Terrorserie.
Als Sie noch ein Kleinkind war, trennten sich die Eltern und sie blieb bei der Mutter. „Aber die Mutter war überfordert, sie schlug die Kleine, vernachlässigte sie, wie französische Medien berichteten. Hasna war acht Jahre alt, als sie in eine Pflegefamilie kam.“ (faz.net, 20.11.2015, „Die Terroristin mit den vielen Gesichtern“ - von Michaela Wiegel)
Sie war ca. 14 Jahre alt und klatsche Beifall, als sie am 11. September 2001 vor dem Fernseher saß, erinnert sich ihre Pflegemutter. Das Verhältnis zwischen Pflegemutter und Hasna verschlechterte sich danach Zusehens. „Hasna haute immer häufiger aus der Pflegefamilie ab, verbrachte ihre Nächte woanders.“ (ebd.)
Ulrich Ladurner hat eine interessante Kolumne in der ZEIT geschrieben. Titel: „Die Internationale der Beleidigten“ (07.12.2015). Darin geht es kurz gesagt um das beobachtbare Phänomen, dass sich Staatschefs (von Putin über Holland bis Erdoğan) gedemütigt fühlen und kriegerisch reagieren. Er schreibt zugespitzt: „Unter den selbst ernannten Gedemütigten dieser Welt sind die Terroristen des "Islamischen Staates" jene, die sich am schlimmsten von allen behandelt fühlen. Ihr pubertäres Ego ist so groß, dass ihnen die bestehende Welt wie eine Zwangsweste erscheint. Daraus leiten Sie das Recht zur besonderen Grausamkeit ab.“
Seine Analyse finde ich treffend. Leider hat er nicht die Verknüpfung zu Kindheitserlebnissen gemacht. Dies würde die Analyse rund machen. Die IS-Terroristen fühlen sich in der Tat (pathologisch) schwer gedemütigt. Dies spricht sehr dafür, dass sie auch extreme und häufige Demütigungen in der Kindheit erlebt haben.
Ergänzend erschien ebenfalls in der ZEIT ein interessanter Artikel unter dem Titel „Aus Sicht der Täter“ (03.12.2015). Zwei ehemalige IS-Kämpfer kamen in dem Artikel direkt zu Wort. Einer sagt wörtlich: „Der IS ist ein gottloser Geheimdienststaat unter dem Deckmantel der Religion. Die Ideologen haben uns unseren Krieg gestohlen. Sie sind radikal. Sie kommen, um zu sterben. Sie wollen nicht siegen, sie wollen zu Gott.“
Dieser Satz sollte uns allen zu denken geben! Denn die Aktionen des IS wirken insgesamt betrachtet wie ein einziger angekündigter, kollektiver Suizid, vor dem man noch einmal so viel Gräueltaten anrichten möchte, wie nur irgend möglich. Auch diese Beobachtung macht klar, dass die Ursachen für dieses Verhalten unter Zuhilfenahme der Psychotraumatologie betrachtet werden müssen.
Freitag, 4. Dezember 2015
Wie Extremismus entsteht - "Ich fühle mich wie ein Stück Dreck" versus "diese dreckigen Ungläubigen"
In der ZDF Sendung „Mona Lisa“ vom 28.11.2015 (Die Radikalisierung verhindern „Ich wollte zum IS“) zeigte sich fast in modellhafter Reinform, warum junge Menschen aus Europa in den Bann von Islamisten gezogen werden. Die Prozesse und Kindheitshintergründe gleichen denen, die in Sekten vorherrschen. Labilen jungen Menschen wird Halt, Anerkennung, Gemeinschaft, ja sogar Zugehörigkeit zu einer Elite versprochen. Gleichzeitig werden Feindbilder und Hassobjekte angeboten. Besonders empfänglich für diese Botschaften sind Menschen, die als Kind Demütigungs- und Gewalterfahrungen ausgesetzt waren und die – so würde es Arno Gruen beschreiben – keine eigene Identität aufbauen konnten.
„ Cool, endlich tut mal jemand etwas gegen diese dreckigen Ungläubigen“, so hätte sich „Katrin“ (17 Jahre alt) nach eigenen Angaben noch bis vor Kurzem über die Anschläge in Paris gefreut, ist in dem Mona Lisa Beitrag zu hören.
Über ihre persönliche Biografie sagt sie: „Ich wurde sehr schlecht von meiner Familie behandelt. Regelmäßig wurde ich auch geschlagen. Von meinem Stiefvater so richtig mit blauen Augen, Nase angebrochen und Gehirnerschütterung. Und von meiner Mutter so Watschn ins Gesicht. Ich habe mich sehr erniedrigt gefühlt. Ich habe mich einfach wie ein Stück Dreck gefühlt.“
Erstaunlich. Im selben Beitrag zeigt sich, wie „das Stück Dreck“ (so fühlte sie sich) jetzt die Ungläubigen sind (siehe Zitat oben). Der ganze Hass und Selbsthass wurde von Katrin auf „die Anderen“ projiziert.
Als sie 13 Jahre alt war, wurde sie zudem von der Mutter rausgeworfen. Sie geriet als Jugendliche in eine schwere Krise, fühlte sich allein und fragte nach Sinn. Dann habe sie sich immer mehr mit dem Koran befasst. Ab 2014 habe sie dann übers Internet viele radikale Islamisten kennengelernt, die ihr Gemeinschaft, Anerkennung und eine Familie anboten. Und in der Tat habe sie über den Austausch ein Gefühl von Gemeinschaft verspürt. Eine ihrer besten Freundinnen ging schließlich zum IS nach Syrien, sie Katrin wollte dies Anfang 2015 auch. Dann traf sie aber auf einen Imam, der sie vom Gegenteil überzeugen konnte, sie blieb in Deutschland und brach mit den Radikalen.
Der Islamismus-Experten Ahmad Mansour hat kürzlich der Süddeutschen Zeitung ein Interview unter dem Titel „Radikalisierung ist ein Prozess, der glücklich macht“ (17.11.2015) gegeben. Er selbst hatte sich als junger Mensch radikalisiert und engagiert sich heute gegen Extremismus. Als er sich früher radikalisierte, habe ihn das glücklich gemacht, ihm ein Hochgefühl gegeben.
„Ich war ein Mensch, der endlich Freunde gefunden hatte, der endlich eine Aufgabe hatte. Und eine Möglichkeit, sich von seinem Elternhaus abzugrenzen. Ich gehörte auf einmal zu einer Elite.“
Wovor er sich bzgl. seiner Eltern abgrenzen wollte, bleibt Spekulation. Aber die Gefühle, die er beschreibt, sind enorm wichtig, um Extremismus und entsprechende Rekrutierungsprozesse zu verstehen. „Sie haben zunächst das Gefühl, angekommen zu sein, sich befreit zu haben, neu geboren zu sein.“, sagt Mansour. Auch dies ist ein wichtiger Satz. Das alte Ich wird ausgelöscht, wie neu geboren erhebt sich der Extremist, der nun einer Elite angehört, der endlich eine Identität besitzt.
„Diejenigen, die uns monokausale Erklärungen liefern, haben das Problem nicht verstanden.“, sagt er im Verlauf des Interviews, als er nach wiederkehrenden Motiven für die Radikalisierung gefragt wird. Ich selbst vertrete in der Tat eine monokausale Erklärung, aber andersherum gedacht. Ich glaube, dass als Kind durch Elternfiguren geliebte Menschen, die geborgen und gewaltfrei aufwachsen durften, eine reife und menschliche Identität entwickeln, inkl. einer reichhaltige Gefühlswelt. Diese Menschen spüren kein „Loch in ihrer Seele“, keine Zerrissenheit, keine Sinnlosigkeit, keinen Selbsthass, sie suchen keinen Halt, sondern stehen mit beiden Beinen und geradem Rücken im Leben. Sie kommen auch in sozial schwierigen Zeiten oder starken gesellschaftlichen Veränderungsprozessen nicht bedenklich ins Straucheln. Diese Menschen sind gänzlich unempfänglich für Rekrutierungsversuche oder Anwerbungsversuche durch Sekten oder Ideologen.
Die meisten als Kind gedemütigten Menschen werden ebenfalls nicht zu Extremisten (außer in kollektiven Ausnahmesituationen wie z.B. während der NS-Zeit). Es bedarf weiterer Einflussfaktoren, Zufällen und Bewegungen, Zeitgeist, politischen/sozialen Entwicklungen, persönlichen Ressourcen/Charaktereigenschaften etc. damit sie sich radikalisieren. Insofern glaube auch ich nicht an einen monokausalen Faktor (wie Misshandlungserfahrungen), der alleine zum Extremismus führt. Ich glaube aber an einen Faktor , der die Wahrscheinlichkeit zum Extremisten zu werden gegen Null senkt: Eine glückliche Kindheit. Dies bedeutet wiederum, dass alle Extremisten auf einem Fundament stehen, dass sich als „unglückliche Kindheit“ vereinfacht bezeichnen lässt. Ohne dieses Fundament wären grausame Taten und offener Hass nicht möglich.
„ Cool, endlich tut mal jemand etwas gegen diese dreckigen Ungläubigen“, so hätte sich „Katrin“ (17 Jahre alt) nach eigenen Angaben noch bis vor Kurzem über die Anschläge in Paris gefreut, ist in dem Mona Lisa Beitrag zu hören.
Über ihre persönliche Biografie sagt sie: „Ich wurde sehr schlecht von meiner Familie behandelt. Regelmäßig wurde ich auch geschlagen. Von meinem Stiefvater so richtig mit blauen Augen, Nase angebrochen und Gehirnerschütterung. Und von meiner Mutter so Watschn ins Gesicht. Ich habe mich sehr erniedrigt gefühlt. Ich habe mich einfach wie ein Stück Dreck gefühlt.“
Erstaunlich. Im selben Beitrag zeigt sich, wie „das Stück Dreck“ (so fühlte sie sich) jetzt die Ungläubigen sind (siehe Zitat oben). Der ganze Hass und Selbsthass wurde von Katrin auf „die Anderen“ projiziert.
Als sie 13 Jahre alt war, wurde sie zudem von der Mutter rausgeworfen. Sie geriet als Jugendliche in eine schwere Krise, fühlte sich allein und fragte nach Sinn. Dann habe sie sich immer mehr mit dem Koran befasst. Ab 2014 habe sie dann übers Internet viele radikale Islamisten kennengelernt, die ihr Gemeinschaft, Anerkennung und eine Familie anboten. Und in der Tat habe sie über den Austausch ein Gefühl von Gemeinschaft verspürt. Eine ihrer besten Freundinnen ging schließlich zum IS nach Syrien, sie Katrin wollte dies Anfang 2015 auch. Dann traf sie aber auf einen Imam, der sie vom Gegenteil überzeugen konnte, sie blieb in Deutschland und brach mit den Radikalen.
Der Islamismus-Experten Ahmad Mansour hat kürzlich der Süddeutschen Zeitung ein Interview unter dem Titel „Radikalisierung ist ein Prozess, der glücklich macht“ (17.11.2015) gegeben. Er selbst hatte sich als junger Mensch radikalisiert und engagiert sich heute gegen Extremismus. Als er sich früher radikalisierte, habe ihn das glücklich gemacht, ihm ein Hochgefühl gegeben.
„Ich war ein Mensch, der endlich Freunde gefunden hatte, der endlich eine Aufgabe hatte. Und eine Möglichkeit, sich von seinem Elternhaus abzugrenzen. Ich gehörte auf einmal zu einer Elite.“
Wovor er sich bzgl. seiner Eltern abgrenzen wollte, bleibt Spekulation. Aber die Gefühle, die er beschreibt, sind enorm wichtig, um Extremismus und entsprechende Rekrutierungsprozesse zu verstehen. „Sie haben zunächst das Gefühl, angekommen zu sein, sich befreit zu haben, neu geboren zu sein.“, sagt Mansour. Auch dies ist ein wichtiger Satz. Das alte Ich wird ausgelöscht, wie neu geboren erhebt sich der Extremist, der nun einer Elite angehört, der endlich eine Identität besitzt.
„Diejenigen, die uns monokausale Erklärungen liefern, haben das Problem nicht verstanden.“, sagt er im Verlauf des Interviews, als er nach wiederkehrenden Motiven für die Radikalisierung gefragt wird. Ich selbst vertrete in der Tat eine monokausale Erklärung, aber andersherum gedacht. Ich glaube, dass als Kind durch Elternfiguren geliebte Menschen, die geborgen und gewaltfrei aufwachsen durften, eine reife und menschliche Identität entwickeln, inkl. einer reichhaltige Gefühlswelt. Diese Menschen spüren kein „Loch in ihrer Seele“, keine Zerrissenheit, keine Sinnlosigkeit, keinen Selbsthass, sie suchen keinen Halt, sondern stehen mit beiden Beinen und geradem Rücken im Leben. Sie kommen auch in sozial schwierigen Zeiten oder starken gesellschaftlichen Veränderungsprozessen nicht bedenklich ins Straucheln. Diese Menschen sind gänzlich unempfänglich für Rekrutierungsversuche oder Anwerbungsversuche durch Sekten oder Ideologen.
Die meisten als Kind gedemütigten Menschen werden ebenfalls nicht zu Extremisten (außer in kollektiven Ausnahmesituationen wie z.B. während der NS-Zeit). Es bedarf weiterer Einflussfaktoren, Zufällen und Bewegungen, Zeitgeist, politischen/sozialen Entwicklungen, persönlichen Ressourcen/Charaktereigenschaften etc. damit sie sich radikalisieren. Insofern glaube auch ich nicht an einen monokausalen Faktor (wie Misshandlungserfahrungen), der alleine zum Extremismus führt. Ich glaube aber an einen Faktor , der die Wahrscheinlichkeit zum Extremisten zu werden gegen Null senkt: Eine glückliche Kindheit. Dies bedeutet wiederum, dass alle Extremisten auf einem Fundament stehen, dass sich als „unglückliche Kindheit“ vereinfacht bezeichnen lässt. Ohne dieses Fundament wären grausame Taten und offener Hass nicht möglich.
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