Montag, 29. März 2021

Rechtsextremismus. Kindheit von Ingo Hasselbach.

Die Kindheit des ehemaligen Neonazis Ingo Hasselbach - der von der taz einst „Führer des Ostens" genannt wurde -  weist diverse Belastungen auf, wie sie in ähnlicher Form häufig bei Extremisten zu finden sind. 

Meine Quelle dafür ist: Hasselbach, I. & Reiss, T.  (1996). Führer-Ex. Memoirs of a Former Neo-Nazi. Random House, New York.

Ingo ging aus einer Affäre seines damals verheirateten Vaters hervor. Ingos zunächst alleinerziehende Mutter hatte ihrem Sohn verschwiegen, wer sein Vater war. Dieser kam manchmal zu Besuch und war für ihn Onkel Hans.
Ingo wuchs in Ostberlin auf. Seine Mutter hat viel gearbeitet, so dass er seine ersten Lebensjahre meistens bei seinen Großeltern verbrachte (S. 5).

Als Ingo 4 Jahre alt war, heiratete seine Mutter erneut. Der Stiefvater war sehr autoritär und schlug den Jungen, meist wenn die Mutter abwesend war. Dafür benutzte er u.a. auch Gegenstände wie Gürtel oder Kleiderbügel. Ingo hatte Angst, seiner Mutter von den Schlägen zu berichten. Sein Stiefvater hätte meist ca. 2 Stunden Zeit gehabt, ihn zu terrorisieren, bevor die Mutter nach Hause kam. Wenn sie nach Hause kam, tat der Stiefvater so, als ob nichts passiert wäre. Er habe keinerlei Bindung zum Stiefvater gehabt (S. 7, 10, 12). Die Gewalt des Stiefvaters endete erst, als Ingo ca. 13 Jahre alt war, weil er ab dann zu groß war (S. 23). 

Ingos Mutter arbeitete weiterhin sehr viel, so dass Ingo von Montag bis Freitag in einem Heim untergebracht wurde, das 40 Meilen von der heimischen Wohnung entfernt lag. Ab Freitag wohnte er dann am Wochenende bei seiner Familie. In dem Heim sei es sehr streng zugegangen. Auch Strafen wurden vollzogen. Hasselbach berichtet, dass er damals häufig für eine Stunde in der Ecke stehen musste (S. 10). Seine Mutter bekam zwei weitere Kinder mit ihrem neuen Mann. Der Stiefvater habe seinen eigenen Sohn Jens stets bevorzugt.

Als Ingo fast 7 Jahre alt war, wurde er einmal sehr schwer vom Stiefvater misshandelt. Danach vertraute er sich seiner Großmutter an, mit der er in seinen ersten 12 Lebensjahren ein engeres Verhältnis hatte, als zu seiner eigenen Mutter. (Auffällig an sich ist, dass Hasselbach über die Beziehung zu seiner Mutter fast nichts berichtet!). Die Großmutter sagte ihm daraufhin, dass dieser Mann nicht sein echter Vater sei, dies wäre Onkel Hans. Ingo war daraufhin sehr erleichtert (S. 13). Allerdings erfährt man nichts davon, dass die Großmutter bzgl. der Gewalt interveniert hätte. Der Junge kam ab diesen Zeitpunkt zukünftig nur noch zum Schlafen nach Hause und mied seinen Stiefvater. Ingos Leben spielte sich auf der Straße oder in den Wohnungen anderer Leute ab. Letztere waren u.a. auch eine Gruppe von Hippies. 

In diesem Zusammenhang schreibt Hasselbach, dass er seine erste Freundin im Alter von 11 Jahren hatte. Seine "Freundin" war eine ca. 25 Jahre alte Frau aus der Hippie-Gruppe, mit der er dann auch Sex hatte. "I liked it a lot, and all the other hippies thought it was cute that I was sleeping with Elke. I was like a child for the whole group of them, their little hippie kid. Elke was like my mother or aunt, but my having sex with her didn`t strike anyone as strange" (S. 14). Auch wenn Hasselbach diese Erfahrungen beschönigt (was nicht selten in solchen Konstellationen vorkommt, gerade auch, wenn Jungen von Frauen missbraucht werden!), so ist dies eindeutig als sexueller Missbrauch zu bewerten. Der verlorene, vernachlässigte Junge war ein geeignetes Opfer dafür. Und seine Eltern hatten damals längst die Kontrolle über Ingo verloren. 

Ab dem 11. Lebensjahr wurde aus dem Jungen Stück für Stück auch ein Täter: Er fing häufig Schlägereien an (S. 20).
Weitere Belastungen kamen hinzu. Ingo hatte sehr strenge Lehrer an der Schule. Außerdem lebte er mit seiner Mutter und deren Mann in einem Viertel, in dem mehrheitlich Stasi-Mitarbeiter lebten. Dies hielt Ingo kaum aus. Er rebellierte immer mehr auch gegen den Staat und fand als Jugendlicher seinen Weg zu den Punks. in diesem Kontext verübte er immer wieder auch Gewalttaten, teils auch in schweren Formen (S. 21). 

Ab dem 13. Lebensjahr fing er an, diverse Substanzen zu schnüffeln. Auch Alkohol bestimmte zunehmend sein Leben, genauso wie Diebstähle. Auch die Polizei griff ihn immer wieder auf, genauso wie der Krankenwagen, weil er sich mit Alkohol vergiftet hatte (S. 23).

Später kam Ingo auf Anweisung der Jugendhilfe für einige Zeit zu seinem leiblichen Vater, der ihn dann aber schließlich rausschmiss. Der Weg vom Punk zum Neonazi verlief wohl fließend. Die Punkszene hatte sich Ende der 1980er Jahre gewandelt und die Skinheadkultur wurde zum Trend. Außerdem saß Hasselbach auch einige Zeit im Gefängnis und traf dort u.a. auf bekannte Altnazis, die ihn prägten. 

Ingo Hasselbach baute nach seinem Ausstieg aus der rechten Szene die Aussteigerorganisation EXIT mit auf.

Am 26.08.2020 wurde ein langes Interview mit Ingo Hasselbach veröffentlicht (Campus-Stream | "Wie wird man in der DDR zum Neonazi?"). Ulrike Bieritz (die Interviewpartnerin) fragte immer wieder nach, wie er in die Nazi-Szene hineingeraten ist. Auch das Elternhaus war kurz Thema. Während des über 1 Stunden langen Interviews ging Hasselbach nicht ein einziges Mal auf die o.g. Belastungen in seiner Kindheit ein. Die Zusammenhänge sind ihm entweder unangenehm oder er blendet sie aus. 

Was ich allerdings interessant in dem Interview fand, war folgende Aussage: "Natürlich hat es mit Leuten zu tun, die man trifft (...). Ich hab ja auch immer gesagt: Wären die Hare-Krishnas gekommen, wäre ich vielleicht mit denen mitgegangen" (Minute ca. 10:50). Die Austauschbarkeit der Ideologie, der Einfluss von zufälligen Begegnungen, beides Dinge, die ich so nicht das erste Mal bzgl. Extremisten lese. 


Freitag, 19. März 2021

Kindheit von Eric Rudolph (Bombenanschlag bei den Olympischen Spielen 1996)

Eric Rudolph verübte 1996 einen Bombenanschlag bei den Olympischen Spielen; zwei Menschen starben und über 100 wurden damals verletzt. 

Über seine Kindheit fand ich einige Schlüsselinformationen. Meine Quelle dafür ist:
Vollers, M. (2006): Lone Wolf. Eric Rudolph: Murder, Myth, and the Pursuit of an American Outlaw. Harper Collins, Sydney - Toronto - Auckland - London - New York (Kindle E-Book Version) 

Seine Eltern waren streng und legten viel Wert auf Disziplin. Es gab klare Regeln für die Kinder, wer dagegen verstieß, wurde geschlagen (S. 247f.). Die älteren Kinder hätten eine harte Zeit gehabt, vor allem Erics Bruder Damian, der schließlich die Familie verließ, als er selbst noch ein Teenager war. Eric hielt sich weitgehend an die Regeln, sagte seine Mutter später. „He was a smart cookie, and he avoided getting paddled because he knew what he was gonna get“ (S. 248) 

Eric selbst sagte später aus, dass er von seinen Eltern geschlagen wurde: „Rudolph said he was spanked and whipped as a boy, but not abused. He felt like today`s society wasn`t strict enough. ´Spare the rod and spoil the child`, said Rudolph.“ (S. 199). In diesen Zeilen steckt auch eine starke Identifikation mit dem Aggressor: Die Schläge und Peitschenhieb seien keine Misshandlung und wer die Rute schone verwöhne das Kind… Deutliche Worte!  

1981 starb sein Vater an Krebs. Die Erkrankung wurde wohl Ende der 1970er/Anfang der 1980er entdeckt und die Familie muss den Tod des Vaters auf sich zukommen gesehen haben, mit entsprechender Belastung für die Kinder. Eric war ca. 15 Jahre alt, als sein Vater starb, ein weiteres schweres Trauma. 

In der Schule kam Eric als Teenager nicht gut an. Vor allem seine politischen Überzeugungen (u.a. die Leugnung des Holocaust) machten ihn zu einer Randfigur. In der 9. Klasse ging er in der Stadt Homestead zu Schule, die mehrheitlich von schwarzen und hispanischen Schülern besucht wurde. Er bekam dort viele Probleme und wurde auch von Mitschülern verprügelt (S. 249). Seine Mutter nahm ihn dann schließlich aus der Schule. 

Aufschlussreich für mich ist, dass Eric Rudolph zur U.S. Army ging und eigentlich zu den Special Forces wollte, was allerdings misslang. In meinem Buch habe ich diverse Quellen besprochen, die Zusammenhänge zwischen destruktiven Kindheitserfahrungen und dem Weg zum Militär fanden (siehe ergänzend auch hier im Blog). Vor allem Elitesoldaten waren schwer als Kind belastet. Allerdings agieren diese Leute legal, denn sie sind ja Soldaten. Ihre Gewalt verläuft in „geregelten“ Bahnen. Die etwas provokante Frage ist, ob Eric Rudolph auch zum Attentäter geworden wäre, wenn er Elitesoldat geworden wäre? 

Zusammenfassend zeigt sich ein Bild über seine Kindheit und Jugend, das ich so sehr oft bei solcher Art von Tätern fand: Vor allem Mehrfachbelastungen fallen ins Auge. Insgesamt betrachtet hatte Eric Rudolph eine traumatische Kindheit. 

-----------------------------------------------------

siehe ergänzend auch einen Artikel in der New York Times: A Life Marked by Loyalty, Self-Sufficiency and Deep Hatred. Der Artikel zeigt deutlich auf, dass in dieser Familie so einiges nicht stimmte...


Samstag, 13. März 2021

Studie: Kindheitserfahrungen/Familie und rechtsextreme Einstellungen

Ich habe erneut eine sehr interessante Studie zum Thema Kindheit und Rechtsextremismus gefunden: 

Polis, Gesellschaft für Politik- und Sozialforschung (2001): Rechtsextremismus und Gewalt: Ergebnisse einer Repräsentativbefragung bei Jugendlichen. Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. 

Im Jahr 2000 wurden 1012 Jugendliche (14 bis 25 Jahre) repräsentativ für Nordrhein-Westfalen befragt. (Die Studie zeigte – nebenbei bemerkt – einen deutlichen Rückgang von Gewalterfahrungen im Elternhaus im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 1993: Ohrfeigen gingen von 45 % auf 31 % zurück; häufiges Schlagen von 13 % auf 6 %.)

Ca. 8 % der Befragten zeigten rechtsextreme Einstellungen. Auffällig sind bezogen auf diese Gruppe vor allem Unterschiede bzgl. der Kindheitserfahrungen (Seite 175-177): 

So stimmten 9 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen „voll und ganz“ der Aussage „Ich hatte eine glückliche Kindheit“ zu. Dagegen stimmten dieser Aussage 32 % aller Befragten zu. 

Solche Unterschiede finden sich auch bei anderen Aussagen („voll und ganz“!):

„Meine Eltern haben immer zu mir gehalten“: 29 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 47 % aller Befragten. 

„Meine Eltern verstanden sich ausgesprochen gut“: 12 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 29 % aller Befragten.

„Wenn ich Probleme hatte, waren meine Eltern für mich da“: 23 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 47 % aller Befragten.

„Ich wurde als Kind von meinen Eltern oft gelobt“: 7 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 22 % aller Befragten.

„Meine Eltern hatten nicht viel Zeit für mich“: 24 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 7 % aller Befragten.

„Ich habe mich als Kind oft einsam gefühlt“: 15 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 5 % aller Befragten.

„Wenn ich etwas angestellt habe, dann gab es schon mal Ohrfeigen“: 12 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 6 % aller Befragten.

„Ich wurde als Kind oft geschlagen“: 6 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 2 % aller Befragten.

„Ich wurde ziemlich streng erzogen“: 19 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dagegen 8 % aller Befragten.

Außerdem fand die Studie diverse Unterschiede bzgl. Einstellungen/Ansichten oder persönlichen Gefühlen zwischen rechtsextrem eingestellten Jugendlichen und allen Befragten. Manche Aussagen verwundern wenig: Z.B. sagten nur 14 % der rechtsextrem eingestellten Jugendlichen, dass sie grundsätzlich gegen Gewalt seien, dagegen 53 % aller Befragten (S. 213). 

Insgesamt zeigt die Studie eindrucksvoll und überdeutlich, wie Kindheit und Familie politische Einstellungen prägen können.


Dienstag, 2. März 2021

Zwischeninfo: Blog, Twitter & zukünftige Entwicklung

 Ich spiele mit dem Gedanken, den Blog in eine Homepage zu überführen, innerhalb der ggf. ebenfalls eine Art Blogfunktion eingebaut ist. 

Mittlerweile habe ich derart viele Infos verarbeitet, dass ich manchmal selbst den Überblick verliere. Außerdem gibt es viele Texte, die aktualisiert gehören, z.B. über Hitlers Kindheit. 

Ich stelle mir auch eine bessere Struktur/Inhaltsangabe vor. Und ich stelle mir auch "wachsende" Texte vor, also Grundlagentexte, die wissenschaftlichen Standards entsprechen, aber stetig weiterentwickelt und ergänzt werden. Irgendwann würde ich dann auch mein Buch als eine Art "wachsenden Text" online stellen, aber das ist noch Zukunftsmusik. 

Auf Twitter habe ich innerhalb der letzten 12 Monate über 550 Beiträge produziert. Nun ist dort nicht alles Gold, was glänzt, aber auch hier sehe ich die Notwendigkeit, wichtige Dinge auch zu strukturieren bzw. aktuell zu halten, was auf Twitter nun einmal nicht möglich ist. Twitter ist auf jeden Fall vom zeitlichen Faktor her ein wichtiges Medium für mich: Es kostet deutlich weniger Zeit und Aufwand, dort Infos zu verbreiten, als über Blogbeiträge. 

Ich sehe in den letzten Jahren eine stetige Abnahme von Zitaten von oder Verweisen auf meinen Blog. Das finde ich schade, weil die Qualität nach meinem Eindruck zugenommen hat. Eine Homepage, die gut gestaltet ist, regt evtl. mehr dazu an, wichtige Infos auch zu verlinken. 

Nun, wir werden sehen. 





Montag, 1. März 2021

Hitler: Ein einst misshandeltes Kind. Deutliche Worte in einem neuen Buch

Immer wieder gab es Zweifel, Umdeutungen, Verharmlosungen oder es wurde gar ausgeblendet oder nur nebensächlich kurz erwähnt: Hitlers traumatische Kindheit. In einem neuen Buch findet der Historiker Roman Sandgruber deutliche Worte. Damit ist jetzt im Grunde alles gesagt. 

"Adolf Hitler war ein vom Vater unterdrücktes und geschlagenes Kind" (S. 209) 

Und: „Die Schläge, die wohl deutlich über das damals übliche Maß hinausgingen, sind von mehreren Seiten bezeugt: von den Nachbarn, aber auch von der Schwester Paula, der Halbschwester Angela und dem Halbbruder Alois, von dessen Sohn William Patrick und von seiner irischen Mutter Bridget. Auch das Hitler selbst später immer wieder darauf zu sprechen kam, darf man als Bestätigung sehen“ (S. 210).

Sandgruber, R. (2021). Hitlers Vater: Wie der Sohn zum Diktator wurde. Molden Verlag,  Wien - Graz (Kindle-E-Book Version).