Freitag, 27. August 2021

Studie Nr. 30! Kindheiten von Rechtsextremistinnen

Ab heute komme ich auf eine runde Zahl: 30 Studien und Einzelarbeiten (Befragungen oder Fallbeispiele aus der psychotherapeutischen Praxis) habe ich bisher gefunden, innerhalb derer Kindheiten von rechten Gewalttätern bzw. Rechtsextremisten besprochen wurden.

Meine neuste Entdeckung ist:

Sigl, J. (2013): Lebensgeschichten von Aussteigerinnen aus der extremen Rechten. Genderspezifische Aspekte und mögliche Ansatzpunkte für eine ausstiegsorientierte Soziale Arbeit. In: Radvan, H. (Hrsg.): Gender und Rechtsextremismusprävention. Metropol Verlag, S.273-289.

Johanna Sigl hat 3 ehemalige, weibliche Rechtsextremisten befragt (narrative Interviews). Die Ergebnisse fasst sie an einer Stelle zusammen: „In allen geführten Interviews zeigt sich, dass die Hinwendung zur und der Rückzug aus der extremen Rechten nur unter Einbeziehung des familiären Kontexts nachvollziehbar werden. Fallübergreifend war die Bindungsbeziehung zu den Eltern geprägt von Unsicherheiten, Desinteresse oder von Ablehnung. Die Eltern waren nicht als verlässliche Bezugspersonen wahrnehmbar. Keine der Eltern-Kind-Beziehungen konnte als sicher, unterstützend und damit förderlich für die kindliche Entwicklung rekonstruiert werden. Im Fall von Anna stellt die politische Verortung, zunächst in der extremen Rechten und dann in Teilen der linken Szene eine der wenigen, wenn nicht gar die einzige Möglichkeit dar, eine positive Beziehung zu beiden Elternteilen herzustellen bzw. überhaupt ein Beziehungsinteresse seitens der Eltern zu wecken“ (Sigl 2013, S. 282f.).

Der Fall „Anna“ wird dann auch von der Autorin exemplarisch ausgebreitet (Sigl 2013, S. 279f.). Anna wurde mit einer Erbkrankheit geboren, wodurch sich in den ersten Lebensjahren die körperliche Entwicklung verzögerte. Die Krankheit wurde vom Vater vererbt, der starke Schuldgefühle entwickelte und „die Beziehung zu seiner Tochter emotional verweigert. Eine ähnliche emotionale Verweigerung zeigt sich in der Mutter-Tochter-Beziehung, Annas Mutter scheint der Tochter sehr uninteressiert gegenüberzustehen. Die Bindung zu ihren Eltern lässt sich als unsicher beschreiben, die Eltern scheinen es kaum zu vermögen, ihrer Tochter emotionale Zuwendung zu vermitteln“ (Sigl 2013, S. 279).
Schon früh suchte Anna nach einer Ersatzfamilie und hielt sich viel bei ihrer Patentante auf. Die Suche nach „Wahlverwandtschaft“ habe, so Sigl, auch Bedeutung bei der Zugehörigkeitskonstruktion zur extremen Rechten gehabt. Mit 16 Jahren zog Anna Zuhause aus, da sich die Beziehungssituation – auch im Rahmen ihres Abdriftens in die rechte Szene - weiter zuspitzte. Annas Familie väterlicherseits war durch einen NS-Täterhintergrund geprägt, der allerdings verleugnet wurde. Sigl vermutet auch hier einen Einflussfaktor bzgl. Annas Hinwendung zum Rechtsextremismus. 


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