Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter hat sich in einem Beitrag auf sehr private und offene Weise mit der ehemaligen RAF-Terroristin Birgit Hogefeld befasst:
Richter, H.-E. (2001): Was mich mit einer gewandelten RAF-Gefangenen und ihrem Vater verbindet. In: Wirth, H.-J. (Hrsg.): Hitlers Enkel - oder Kinder der Demokratie? Die 68er-Generation, die RAF und die Fischer-Debatte. Psychosozial-Verlag, Gießen.
Richter betreute nach eigenen Angaben damals über ein halbes Jahr lang Birgit Hogefeld, die im Gefängnis saß. Im Text nennt er sie nur „Brigit“, was seine engere Beziehung zu ihr deutlich macht.
Natürlich ist die RAF ohne den Bezug zur NS-Zeit und zu Verstrickungen der Elterngeneration nicht zu verstehen, was auch Richter in diesem Sinne ausführt (und was auch Hogefeld selbst in einem Beitrag im selben Band deutlich so formuliert). Was sein Text allerdings auch zeigt ist, dass die Kindheit von Birgit Hogefeld sehr belastet war. Somit ist ihre Kindheitsbiografie die 17., die ich bzgl. RAF-TerroristInnen bespreche (siehe Blog-Inhaltsverzeichnis). Alle diese Akteure eint, dass sie eine sehr destruktive Kindheit hatten. Geschichte, Zeitgeist, Generationenkonflikte usw. sind gewichtige Einflussfaktoren, sicher. Aber sich derart zu radikalisieren, dass Mann oder Frau im Terrorismus landet, ist etwas anderes. Dafür bedarf es Prägungen in der Kindheit, die eine Schädigung hinterlassen, die Schwarz-Weiß-Denken fördert und Empathie unterdrückt. Dies zeigen auch meine sonstigen Recherchen über ExtremistInnen und TerroristInnen aus allen Spektren.
Richter schreibt: „Was in Birgits Kindheit und Familiengeschichte mag für ihren späteren Weg in die RAF Bedeutung gehabt haben? Dies interessiert mich natürlich als Psychoanalytiker“ (Richter 2001, S. 77). Richter meint, dass Hogefeld den Vater (unbewusst) habe rächen wollte. Dieser habe jahrelang als Soldat gekämpft und sich vom Staat missbraucht gefühlt. Er sei in tiefe Resignation zurückgezogen gewesen. „Die Mutter, von ihm eher verachtet, bildete mit ihrer eigenen Mutter eine Einheit gegen ihn – und oft auch gegen Birgit. Schläge der Mutter, von der sie zugleich ehrgeizige Erwartungen wie heftige Ablehnung erfuhr, waren keine Seltenheit. Aber auch die Zuneigung des Vaters gewann sie nicht eigentlich als Mädchen, sondern weil sie sich wie ein Junge aufführte und sich auch eher wie ein solcher fühlte“ (Richter 2001, S. 77).
In diesen kurzen Zeilen steckt viel drin: Eine destruktive Beziehung der Eltern, destruktive Eltern-Kind-Beziehungen, mütterliche Gewalt, Leistungsdruck und Demütigungen. Die Vater-Tochter-Beziehung entspreche dem, so Richter, was er als „Eltern, Kind und Neurose“ bezeichnet: „Die Tochter hatte die ihr vom Vater unbewusst übertragene Rolle als Rächerin übernommen, hatte als Substitut seines unerfüllten Ich-Ideals ausgeführt, was er für sich wohl erträumt, aber nie gewagt hatte“ (Richter 2001, S. 78).
Zusammenfassend wird klar, dass diese sehr destruktiven Kindheitshintergründe von Birgit Hogefeld in klassischer Weise meine Grundthese bestätigen: Als Kind geliebte und gewaltfrei aufgewachsene Menschen werden keine TerroristInnen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen