Freitag, 26. Juli 2024

Kindheit von Benjamin Netanyahu. Viele Fragezeichen.

Über die Kindheit von Benjamin Netanyahu fand ich nur einige wenige aufschlussreiche Infos. 

Ich sehe diesen Beitrag insofern nicht als eine abschließende Gewissheit, sondern empfand diese Recherche eher als ein kleines „Lehrstück“ für die Kindheits-Biografieforschung und insofern auf einer allgemeinen Ebene erkenntnisreich.

Oft schon habe ich betont, wie schwierig es ist, die Wahrheit über Kindheitserlebnisse herauszufinden bzw. ein deutliches Bild zu bekommen. Erwachsene neigen oftmals dazu, ihre Kindheit zu beschönigen und negative Erlebnisse auszuklammern. Eltern bleiben idealisiert. Das Grundproblem ist immer auch, dass das, was man selbst als Kind Zuhause erlebt hat, für einen Menschen nun mal „normal“ war und ist. 

Laut dem Biografen Anshel Pfeffer scheint in der Familie Netanyahu eine gewisse Strenge geherrscht zu haben. „From their childhood friends` recollections, it is clear that the boys chafed under the strict discipline of their household” (Pfeffer 2018, S. 60).
Zu dieser Strenge gehörten demnach auch Körperstrafen. Der ältere Bruder Yoni wurde von seiner Mutter Tzila geschlagen. „Headstrong Yoni was forever testing the boundaries. Friends remember Tzila slapping him when she discovered that as a prank he had purloined a stamp collection that belonged to one of the neighbors. Bibi was always more obedient and was less likely than his older brother to break the rules” (Pfeffer 2018, S. 60). 

Zischen 14 und 16 Uhr waren Zuhause keine Freunde erlaubt, die Zeit war reserviert für Hausaufgaben und Lesen. „It was also the only time of the day in which the boys had their father`s attention” (Pfeffer 2018, S. 56). Bibi erinnert sich dem Biografen nach an diese Zeit in der Form, dass der Vater vor allem über Geschichte unterrichtete. Die Mutter sei aber die meiste Zeit über die Axe der Familie gewesen und habe die Kinder erzogen. Der Vater hätte ihnen zumindest Schachspielen beigebracht.

Benjamin Netanyahu selbst schreibt in seiner Autobiografie: „My parents have often been portrayed as harsh disciplinarians. Nothing could be further from the truth. Far from disciplining us, they let us wield a degree of independence virtually unimaginable today. If discipline was in order, it was usually provided by Yoni, who intervened to keep the peace between Iddo and me” (Netanyahu 2022, S. 14).

Netanyahu beschreibt eine Szene, die bei mir gewisse Fragezeichen hinterließ:
At times, when my brothers and I got too raucous even for her, she tried in vain to harness my father's paternal authority, I was often the source of the problem, being known in my childhood as the akshan, or the `stubborn one`(Netanyahu 2022, S. 16). Seine Mutter hätte dann den Vater aufgefordert, die Dinge zu regeln:
My father dutifully got up from the sofa to discipline me. Alarmed, I ran to the other side of the room and suddenly turned and faced him, a five-year-old with arms akimbo. ´Just because you're bigger than me doesn't mean you have the right to hit me,` I lectured him (…)” (Netanyahu 2022, S. 16). Der Vater hätte sich dann einer Frau zugewandt und gesagt, dass der Junge Recht habe und „excused himself from a task he wasn't planning to undertake anyway“ (ebd.). 

Wir haben hier also zwei komplett unterschiedliche Einschätzungen über den Erziehungsstil der Eltern. Was ist nun wahr, was nicht?

Der Biograf war nicht dabei und ist auf seine Quellen angewiesen. Benjamin Netanyahu unterliegt dagegen den psychischen Prozessen, die im Rückblick auf die eigene Kindheit bei jedem Menschen wirken. 

Ich möchte jetzt eigene Interpretationen hinzufügen. Netanyahu rechnete in der rückblickend erinnerten Szene mit einer durch die Mutter an den Vater delegierten körperlichen Bestrafung durch Schläge. Der Vater hätte nicht das Recht ihn zu schlagen, habe er verkündet und tat es dann auch nicht. Der Fünfjährige steht in diesem Bericht als selbstbewusstes Kind dar, das früh seine Meinung sagte. Warum aber rechnet ein fünfjähriges Kind mit Schlägen, wenn es – angeblich – vorher keine harten Erziehungsmethoden in der Familie gab? 

Außerdem hat Netanyahu seine Mutter in dieser Szene ausgeblendet. Sie habe delegiert und erwartete Strenge vom Vater. Über den Erziehungsstil seiner Mutter und ob sie Gewalt ausübte oder nicht berichtet Netanyahu dagegen nicht. Er verehrte sie und hat bzgl. beider Eltern bestritten, dass diese „harsh disciplinarians“ gewesen wären. Mehr erfahren wir dazu nicht von ihm.
Der Biograf Anshel Pfeffer betonte dagegen, dass die Mutter die Haupterziehungsaufgaben übernahm und erwähnte wie oben beschrieben mütterliche Schläge gegen den Bruder. 

Wir sehen also, wie man in der Kindheits-Biografieforschung immer wieder auch Widersprüche findet und leider auch etwas interpretieren und deuten muss. 

Ich lasse an dieser Stelle viele Fragezeichen über die Kindheit von „Bibi“ im Raum stehen. 
Für mich bringt dieser Beitrag im Grunde vor allem Erkenntnisse über die Probleme der Kindheits-Biografieforschung.

Der Lebensweg von Benjamin Netanjahu wird ergänzend durch den gewaltsamen Tod seines Bruders, seine eigene militärische Prägung/Ausbildung (u.a. in einer Spezialeinheit), entsprechende Kampferlebnisse und die unfassbar komplizierte und konfliktreiche Lebenssituation in der Region geprägt sein. 


Verwendete Quellen:

Netanyahu, B. (2022). Bibi: My Story. Thereshold Editions, New York. 

Pfeffer, A. (2018). Bibi: The Turbulent Life and Times of Benjamin Netanyahu. Hurst & Company, London. 

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