Oder: Wie ich nicht verstanden werden möchte
Meine Erfahrung bei diesem Thema ist, dass als erste Reaktion oftmals erst mal abgewehrt wird (teils auch mit sehr emotionalen oder manchmal auch wütenden Reaktionen). Das ist auch verständlich, u.a. deswegen, weil die meisten Menschen Verletzungen in ihrer eigenen Kindheit erfahren mussten. Wenn dann Zusammenhänge zu eigenem späteren Gewaltverhalten aufgezeigt werden, wird das oft in die Richtung gedeutete: "Dann hätte aus mir ja auch ein Gewalttäter werden müssen, dann bin ich mit diesem Hinweis auch gemeint, eine solche Äußerung verletzt mich sehr!" Eine solche Pauschalisierung liegt mir natürlich fern!
Viele Menschen haben auch Angst davor, auf Grund ihrer Kindheitserfahrungen stigmatisiert oder auf diese reduziert zu werden, gerade auch, wenn diese Erfahrungen von erheblicher Gewalt und schwerem Missbrauch geprägt waren. Auch eine Stigmatisierung oder Reduzierung von Menschen liegt mir fern! Wir müssen Menschen immer nach ihrem Verhalten beurteilen.
Eine weitere Angst fiel mir bei Diskussionen auf. Die Angst davor, dass das zerstörerische Verhalten von TäterInnen durch die Analyse ihrer destruktiven Kindheiten entschuldigt oder gar gerechtfertigt würde. Auch dies liegt mir fern. Einem Opfer kann es natürlich herzlich egal sein, was ein Täter als Kind erlitten hat. Ein Richter sollte den einen Täter vor dem Gesetz nicht anders behandeln, als den anderen, nur weil es dem einen „als Kind schlechter erging“. Und ein Therapeut kann zusammen mit einem Täter vielleicht vieles analysieren, was für dessen Heilung auch wichtig ist, wenn es aber zu Rechtfertigungen kommt, muss eine klare Grenze gezogen werden. Niemand hat das Recht, die Würde eines anderen Menschen zu verletzen, Punkt. Und: Als Menschen haben wir immer auch die Wahl und tragen Verantwortung für unser Handeln und unsere Entscheidungen.
Nichts desto Trotz finde ich in den Texten hier deutliche Worte und Zusammenhänge zwischen destruktiven Kindheiten und destruktiven Verhaltensweisen. Ich befinde mich dabei allerdings auch auf der Analyseebene, das bitte ich zu verstehen. Mir geht es dabei insbesondere um die Prävention von Gewalt und um die Schaffung von einem Bewusstsein dafür, wie entscheidend uns alle die Kindheit prägt. Ich persönlich sehe mich dabei eher als Vermittler des Themas. Es gibt (Fach-)Menschen, die wesentlich mehr Ahnung von dem Thema haben und bessere Worte finden, als ich. Mir persönlich hilft dieser Blog, einige Gedanken zu ordnen. Und ich meine, dass gar nicht genug auf dieses Thema hingewiesen werden kann.
Mir wurde schon einmal vorgeworfen, dass aus meinem Grundlagentext nur ein Entweder/Oder, ein hier „die guten nicht-misshandelten“ und dort die „bösen misshandelten Menschen“ hervorgehen würde. Ich sehe die Gefahr, dass eine solch schwarz-weiße Deutung je nach dem, wie der Text individuell verstanden und empfunden wird möglich ist. Allerdings möchte ich auch auf die „Grautöne“ im Text verweisen: Stichworte z.B. „Helfender Zeuge“, unterschiedliche Formen und Auswirkungen der Gewalterfahrungen, Einfluss gesellschaftlicher Prozesse wie sie z.B. der „Hamburger Ansatz“ beschreibt.
Wichtig ist mir hier zu sagen, dass meinem Empfinden nach unsere Welt auch kompliziert, ungerecht, herausfordernd und manches mal auch unglücklich machend bleiben würde, wenn die meisten Menschen als Kind Liebe und Achtung erfahren hätten. Ich behaupte nicht, dass das Leben einfach ist (was es ja auch so spannend macht :-) ) Außerdem sind wir nun mal Menschen, wir machen Fehler. Ich glaube aber in der Tat, dass so etwas enorm destruktives wie Krieg nicht mehr entstehen würde, wenn ein bedeutender Teil der Menschheit liebevoll und ohne Gewalt heranwachsen dürfte. Ich bin dabei im Grunde auch Optimist. Es wird noch so einige Generationen dauern, aber es zeichnet sich im historischen Rückblick ab, dass sich die Kindererziehung von Generation zu Generation verbessert und die Menschen dadurch immer emphatischer werden. Nie zuvor in der Geschichte wurden Kinder zu gut behandelt, hatten Kinder so viele Rechte und wurde Kindern und ihrer Entwicklung so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie heute (trotz aller immer noch erschreckender Zahlen, die vorliegen). Es ist somit nur eine Frage von Zeit. Haltet mich für verrückt: Ich bin mir sicher, dass spätere Generationen mit dem gleichen Erschrecken und Unverständnis in die Geschichte auf Kriege blicken werden, wie wir dies heute in Europa tun, wenn wir uns z.B. mit der mittelalterlichen Hexenverbrennung oder der mittelalterlichen Medizin beschäftigen. Kriege werden für spätere Generationen nicht mal mehr theoretisch vorstellbar sein.
Weitere Gedanken zu möglicher Kritik habe ich mir hier gemacht
Sonntag, 2. November 2008
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