...das sagt zumindest der deutsche Ethnologe Günther Schlee in einem sehr interessanten Interview.
Seine Grundthese lässt sich an Hand eines Zitats verdeutlichen:
„Die These vom Kampf der Kulturen besagt: Je größer der Unterschied, desto höher das Konfliktpotential. Aber schauen Sie sich pluriethnische oder multikulturelle postkoloniale Gesellschaften mit Gruppen von Menschen afrikanischen, europäischen, asiatischen und indischen Ursprungs an. Die kulturelle Verschiedenheit korreliert nicht mit der Konflikthäufigkeit. Auf der anderen Seite finden wir häufig Konflikte gerade zwischen kulturell besonders ähnlichen Gruppen. Als grobe Faustregel kann man sagen: Zwischen Menschen mit völlig unterschiedlichen Kulturen ist die Konfliktwahrscheinlichkeit geringer.“
Konflikte und Kriege haben nach Schlee häufig eine ethnische oder religiöse Ausdrucksform, die eigentlichen Ursachen sieht er allerdings woanders. Insbesondere meint er, dass es um materielle Ressourcen oder auch um Machtpositionen oder Posten ginge. Die ethnische Zugehörigkeit sei nur ein wichtiges Mobilisierungselement für bestimmte Akteursgruppen (Eliten), die den Konflikt wollten und davon profitierten. Entsprechend würden sich bei Konflikten, die als ethnisch oder religiös bezeichnet werden, erst im Verlauf des Konfliktes ein entsprechendes Bewusstsein oder eine Verhärtung dieser Identitäten herausbilden.
Schlee gibt einige Beispiele:
„In Darfur zum Beispiel haben große Teile der nicht arabischen Bevölkerung eine lange islamische Tradition, und zu den arabischen Reitermilizen gehören auch Schwarze. In den Medien wird das zu einfach dargestellt.“
„Schauen Sie sich die beklagenswerteste Gruppe der Opfer des Dritten Reiches an: Die Juden, die ja noch nicht einmal eine Konfliktpartei waren. Die Nazis mussten sie aus dem deutschen Volk herausdefinieren. Sie waren ja als Juden meist gar nicht erkennbar. Viele hatten als deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg gekämpft. Es kam zu einer künstlichen Abgrenzung der Mehrheit der Deutschen von einer Minderheit anderer Deutscher.“
Bzgl. dem Krieg in Jugoslawien sagt Schlee, dass z.B. viele bosnische Muslime gar nicht religiös waren. Schon deshalb scheide Religion als Begründung des Konflikts aus. Viele Menschen in dieser Region hatten z.B. auch einen serbischen Vater und eine kroatische Mutter. Erst im Verlauf des Konfliktes mussten sie sich für eine Identität entscheiden.
In Nordirland, wo Katholiken und Protestanten streiten, sind sich beide Parteien so ähnlich, wie es unterscheidbare Gruppen überhaupt sein können. Selbst in ihren Paraden gleichen sie sich, so Schlee weiter.
Ich finde es wichtig und sehr spannend, wie ein genaues Hinschauen oftmals andere Ergebnisse bringen kann. Sehr schnell wird immer wieder auf den Kriegsgrund Ethnie oder Religion verwiesen. Schlee hat seine Thesen in dem Buch „Wie Feindbilder entstehen: Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte“ weiter ausgeführt. Bei Zeiten werde ich mir das Buch durchlesen und sicherlich nochmal auf das Thema zurückkommen.
Ich teile seine Ansicht, dass so etwas wie Religion oder Ethnie letztlich nur die Oberfläche kriegerischer Konflikte aufzeigt. Die tieferen Ursachen liegen woanders. Meiner Meinung nach allerdings nicht im Machtstreben von Eliten oder dem Streben nach Ressourcen. Kriege bringen keinen Gewinn, dass lehrt uns die Geschichte. In den beiden Texten über das „Märchen vom Krieg ums Öl“ habe ich auch die „Krieg für Öl“ These widerlegt (Teil 1, Teil 2). (Schlee dazu bzgl. des Irak-Krieges: "Dass für alle Beteiligten Öl eine große Rolle spielte, lässt sich wohl kaum leugnen.") Ich sehe die Ursachen vor allem in den Emotionen und destruktiven Kindheiten. Selbst wenn Machtstreben von Eliten einen wichtigen Hintergrund von Kriegen darstellen würde, erklärt dies nicht, warum sich die Massen so bereitwillig diesem Machtstreben und entsprechenden Manipulationen hingeben, warum sie andere Menschen bereitwillig töten. Und auch das Machtstreben der Eliten wäre emotional zu beleuchten. Ein emotional gesunder und lebendiger Mensch, würde niemals über Leichen gehen, um für sich ökonomische Vorteile zu sichern. Nur Menschen, deren Emotionen gestört sind, können so handeln. Machtstreben (destruktiver Ziele Willens) folgt nicht rationalen Mustern, sondern vor allem emotionalen.
Donnerstag, 17. März 2011
Konflikte und Kriege haben keinen ethnischen oder religiösen Hintergrund
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