In der Winterausgabe der EMMA berichtete „Kim“ im Artikel „Der Traum vom Porno-Star“ über ihre Zeit als Pornodarstellerin. Ihre Schilderungen sind sehr schockierend und zeigen die menschenunwürdigen Bedingungen, die in dieser Branche herrschen. (Kim über ihre Pornoerfahrungen: „Scheiße wird besser behandelt, die wird das Klo runtergespült. Die ist dann weg. Aber man selbst liegt noch da.“) Der EMMA Text ist unbedingt lesenswert und darüberhinaus Pflicht, wenn dieser Beitrag von mir hier richtig verstanden werden soll. Denn mir geht es hier jetzt um etwas anderes, als die Pornoszene.
Kim ist ganz offensichtlich in ihrer Kindheit und ihrer Familie schwer traumatisiert worden. Sie deutet dies direkt an: „Ich hab mich schlecht gefühlt, aber es kam so viel Anerkennung von wildfremden Menschen, das hatte ich in meiner eigenen Familie so noch nicht gehabt. (…) Wenn ich zu den Sets gefahren bin, habe ich aber immer stärker nach dieser Anerkennung gelechzt.“ An anderer Stelle wird sie noch deutlicher, bezieht ihre Aussagen allerdings nur auf Dritte (ich vermute allerdings sehr stark, dass sie damit auch sich selbst meint): „Und alle diese Mädchen (…) alle, alle, alle hatten eine schlimme Erfahrung gemacht. Oder mehrere. Ob es der Missbrauch durch den Vater war, die drogenabhängige Mutter oder Heimkinder. Und eigene Drogenerfahrungen, die ja auch irgendwoher gerührt haben. Es waren alles Mädchen mit einer Geschichte dahinter. (…) Viele kamen auf der Suche nach Anerkennung und Bestätigung (…)“
An einigen Stellen des Berichtes fielen mir auch mögliche Verbindungen zu traumatischen Erfahrungen auf. So z.B. als Kim berichtet, wie sie während der „Sets“ aus ihrem Körper rausgeht und woanders ist (etwas, dass in ähnlicher Weise sehr oft als Kind sexuell missbrauchte Menschen berichten.). Oder auch grundsätzlich, in der Art, wie sie sich selbst gar nicht als eigenständige Person wahrnimmt, sondern als jemanden, mit dem mann macht, der nicht entscheiden kann, der den Dingen hilflos ausgeliefert ist. Ein Beispiel dazu: Kim wurde von einem „Klaus“ das erste mal für einen Porno-Dreh vermittelt. Sie berichtet: „Er kam einen Abend vorher zu mir und hat prompt auch bei mir geschlafen und mir „schon mal ein paar Sachen gezeigt“. Ich wär’ ne ganz Tolle, hat er dann gesagt. Ich hätte ein ganz enges Loch, das würde ganz viel Spaß bringen mit mir.“ Wo ist hier der Mensch „Kim“, der sich und seine Würde verteidigt? „Klaus“ wertet über sie, er trifft die Entscheidungen. Der Mensch Kim ist…tja..irgendwo anders. Dieses Gefühl, nicht Herr bzw. Frau im eigenen Haus zu sein, mit sich Dinge geschehen zu lassen, Eigenverantwortung abzugeben, anderen absolute Macht über sich zu geben, ist typisch für Menschen, die als Kind kein eigenes Selbst aufbauen durften und schon früh massiv in ihrer Würde verletzt wurden. (Studien über Prostituierte - vgl. Zumbeck, 2001 - zeigen, dass diese sehr oft als Kind misshandelt und/oder sexuell missbraucht wurden. Ähnliche Ergebnisse würde man sicherlich auch bei PornodarstellerInnen vorfinden.)
Das Milgram-Experiment: Um mir große Erläuterungen dazu zu ersparen, verweise ich an diese Stelle auf den entsprechenden Wiki-Beitrag, der das ganze gut erklärt. Das Experiment zeigte, das Testpersonen („ganz normale Menschen“) unter bestimmten Bedingungen bereit sind, Befehle ggf. bedingungslos zu befolgen. Im Kernexperiment wurde eine vermeintliche andere Testperson (die eigentlich Schauspieler war) in einem Nebenraum durch die eigentliche Testperson auf Befehl des Experimentleiters (z.B. als Arzt aufgemacht) mit Stromstößen bestraft, wenn auf eine Frage falsche Antwort gegeben wurde. Die Mehrheit der Testpersonen waren bereit, Stromschläge bis zum Maximum (450 Volt) zu verabreichen, was den fiktiven Tod oder schwerste Verletzungen der anderen Testperson bedeutete. Keine Testperson blieb unter der 300-Volt-Grenze, vor dieser Phase (bei 200 Volt) waren noch schlimme Schreie des „Schauspielers“ zu hören. Ich selbst habe als Student an meiner Uni eine deutsche Variante dieses Experiments auf Video gesehen. Wenn man den Ablauf bildlich sieht und die Schreie hört, ist das Experiment und sein Ergebnis um so erschütternder.
Nur ganz ganz wenige Forscher wie Arno Gruen oder Lloyd deMause haben dieses Experiment mit traumatischen, von Gewalt geprägten Kindheitserfahrungen in Verbindung gebracht. Der Grundtenor all der anderen Forschenden lässt sich in etwa so zusammenfassen: Unter bestimmten Rahmenbedingungen scheinen fast alle ganz normalen Menschen zu grausamen Verhalten in der Lage zu sein.
Ich meine, dass es Menschen wie z.B. Kim sind, die in solchen Versuchen alle Verantwortung abgeben und blind dem Befehl von Autoritäten folgen. Viele Testpersonen im Milgram-Experiment zeigten dabei starke körperliche Reaktionen, Zeichen von großer Anspannung und Nervosität usw.
Ein Wiki-Zitat: „Ich beobachtete einen reifen und anfänglich selbstsicher auftretenden Geschäftsmann, der das Labor lächelnd und voller Selbstvertrauen betrat. Innerhalb von 20 Minuten war aus ihm ein zuckendes, stotterndes Wrack geworden, das sich rasch einem Nervenzusammenbruch näherte. Er zupfte dauernd an seinem Ohrläppchen herum und rang die Hände. An einem Punkt schlug er sich mit der Faust gegen die Stirn und murmelte: ‚Oh Gott lass uns aufhören‘. Und doch reagierte er weiterhin auf jedes Wort des Versuchsleiters und gehorchte bis zum Schluss.“ Im Grunde zeigt dies, dass sie sich auf der einen Seite darüber im Klaren waren, etwas falsches, gar Verbrecherisches zu tun. Trotzdem machten sie weiter. Warum ist das so?
Der Versuchsaufbau stellte – obwohl von den Experimentleitern wahrscheinlich gar nicht bewusst gewollt – die Kindheitserlebnisse vieler Menschen wieder her. Übermächtige Eltern bestraften ihre Kinder bei Vergehen oder aus Spaß. Bedingungsloser Gehorsam wurde von den Kindern verlangt, absolute Ohnmacht erlebt. (Man bedenke auch: Das Experiment wurde in den 60er Jahren durchgeführt. Die Kindheit der VersuchsteilnehmerInnen lag entsprechend in der Zeit der „schwarzen Pädagogik“.) Eigene Empfindungen, Sicht und Empathie wurden dadurch schon früh als etwas fremdes psychisch abgespalten. (Ich habe diesen Prozess sehr ausführlich auch hier beschrieben) Die alte Ohnmacht aus der Kindheit taucht unter den Bedingungen des Experimentes wieder auf. Ohnmächtig wird das getan, was die Autorität verlangt. Diese Seite, diese Folgen von Kindesmisshandlung und –missbrauch sind meiner Meinung nach sehr bedeutsam für die Gewaltursachenforschung. Trotz innerer Widerstände waren die VersuchsteilnehmerInnen nicht in der Lage, eigenständige, verantwortliche, auf Mitgefühl bauende Entscheidungen zu treffen oder besser gesagt einfach „Nein!“ zu sagen, “ Nein! Das mache ich nicht mit“. Auch Kim konnte dies (sehr lange) nicht, konnte nicht „Nein! Das will ich nicht, das mache ich nicht mehr mit!“ sagen, obwohl sie nicht zu den Pornodrehs gezwungen worden war, sondern Verträge unterschrieben hatte, die sie jederzeit hätte auflösen können. Auch die VersuchsteilnehmerInnen hätten den Versuch jederzeit abbrechen können. Viele taten dies nicht. Das Milgram-Experiment wird klassisch dazu herangezogen, Hitler-Deutschland zu erklären. Das ist auf eine Art meiner Meinung nach auch richtig. Allerdings sind es weniger die Umstände, die die Menschen lenken, als deren gewaltvolle Kindheitserfahrungen. Leider wird das auch heute noch immer nicht wirklich erkannt.
Heute würde das Milgram Experiment aus ethischen Prinzipien der Zeit nicht mehr durchgeführt werden. Allerdings bin ich sicher: Heute würde das Experiment etwas andere Ergebnisse bringen, da sich die Kindererziehungspraxis in den letzten Jahrzehnten enorm verbessert hat.
Sonntag, 10. April 2011
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3 Kommentare:
Sie irren, wenn Sie Menschen, die in ihrer Kindheit Gewalt erlebt haben, unter den Generalverdacht stellen, diese Gewalt weiterzugeben. Mich ärgert dieses Vorurteil. Ja, ich wurde als Kind schwer misshandelt, schlimm genug. Aber das ist kein Grund, deswegen mit dem Finger auf mich zu zeigen und mich als "Täter von morgen" vorzuverurteilen. Ich habe genug Gewalt erlebt, um zu wissen, wie fatal ihre Folgen sind, um sie in jeder Form abzulehnen.
Es ist nicht erlittene Gewalt, die Menschen zu Tätern macht, es ist die gedankenlose Einstellung zu Gewalt. Und ich muss sagen, Ihre Einstellung zu diesem Thema ist, wenn auch auf einem hohen intellektuellen Niveau, auch ein wenig gedankenlos.
Hallo "Anonym",
dies ist ein Missverständnis. Ich stelle einst misshandelte Menschen nicht als Täter von Morgen hin. Meine Grundthese ist allerdings, dass Täter (ob in der einen oder anderen Form) immer einst misshandelte Kinder sind und dass nicht-misshandelte, wirklich geliebte Kinde rnicht zu Gewalttätern werden.
Was ich aus Erfahrung mit unzähligen Menschen allerdings weiß, ist, dass keine Gewalterfahrung in der Kindheit (gerade, wenn diese besonders schwer war) ohne Folgen bleibt. D.H. das sich die Schatten der Kindheit auf die eine oder andere weise im Erwachsenenleben auswirken, solange diese nicht aufgearbeitet wurden. Das bedeutet kein Täterverhalten gegenüber anderen menschen, aber oftmals viele Probleme im eigenen leben.
"Behandele andere so, wie du selbst gerne behandelt werden möchtest (oder worden wärst), und wenn's schwer ist, versuche es wenigstens", das ist für mich die einzig mögliche Option. Ich war lange verzweifelt, warum ich so wenige andere traf, die ebenso denken. Ihre Texte helfen mir, das einzuordnen. Und Sie machen mir Hoffnung.
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