Mittwoch, 26. Juni 2013

Kindererziehung und Politik in Frankreich

Frankreich plant derzeit oder liefert bereits (zusammen mit Großbritannien und den USA) Waffen an die syrischen „Rebellen“. Carsten Luther hat für die ZEIT  sehr schön argumentiert, wie sinnlos ein solches Vorhaben ist. Mehr noch: Wie viele Risiken es birgt. Und im Grunde muss man auch kein Experte sein, um zu verstehen, dass Waffen nur noch mehr Tote bringen und dass die feindlichen Lager in Syrien nicht in die „Bösen dort“ und die „Guten“ hier zu unterteilen sind, sondern die Dinge und der Wahnsinn dort komplexer sind. Hat sich der Präsident Frankreichs eigentlich einmal Fotos von den Rebellen angeschaut? Es reichen da 5-6 Bilder und man würde sehr schnell merken: Denen gebe ich lieber nicht noch mehr Waffen. Der Waffenlieferungsplan erscheint mir derart unlogisch, dass emotionale Beweggründe hier eine Rolle spielen müssen.

Frankreich fiel vor nicht all zu langer Zeit auch durch seine Kriegslust im Libyen-Konflikt auf. Man wollte Gaddafi unbedingt wegbomben bzw. ihn „Staub fressen lassen“, wie Nicolas Sarkozy es formulierte.  (Über die möglichen destruktiven Folgen des Einsatzes, die sich heute immer mehr abzeichnen, dachte wohl keiner nach)

Ach ja, der NATO Einsatz in Libyen befeuerte nach Medienangaben  in der Folge die kriegerischen Auseinandersetzungen im Norden Malis. „Die nomadisch lebenden Tuareg, von denen viele in den neunziger Jahren bei Gaddafi als Söldner angeheuert hatten, kehrten nach dessen Sturz 2011 mit den Waffen des Diktators ausgerüstet in ihre Heimatländer zurück. Eines davon ist Mali. Anders als in den Nachbarländern, sind die Tuareg hier nicht entwaffnet worden. So liefen viele der Milizionäre mit starker Ausrüstung zu den Islamisten über.“, schreibt die ZEIT.  Und Frankreich reagierte wiederum mit Militärgewalt und marschierte mit seinen Truppen im Norden Malis ein.

Im aktuellen „World Peace Index“ belegt Frankreich entsprechend Platz 53 von 162 Ländern, eine nicht wirklich vorzeigbare Platzierung für ein westeuropäisches Land.

Wer es „verdient“, wer als „böse“ geortet wird, der wird militärisch bestraft, so erscheint mir aktuell die Außenpolitik Frankreichs. Aber auch nach dem Ersten Weltkrieg war Frankreich in einige Kriege und militärische Auseinandersetzungen verwickelt. Der größte und verlustreichste Krieg (auch mit den meisten Kriegsverbrechen) war der in Algerien, der bis 1962 andauerte.

Ich bin kein Frankreich-Kenner. Welche weiteren politischen Probleme das Land durchmacht und durchgemacht hat, habe ich nicht wirklich verfolgt (was ich wahrgenommen habe ist, dass so manche Stadtbezirke in Frankreich sich in Ghettos verwandelt haben und dass Frankreich wohl ein deutliches Problem mit Schülergewalt gegen andere Schüler und auch Lehrkräfte hat. Zudem passt Frankreichs berühmter Zentralismus gut zur verbreiteten Kindererziehungspraxis: Die zentrale Autorität bestimmt, wo es lang geht, ohne Widerspruch zu dulden). Wahrscheinlich würde sich hier bei einer genauen Analyse einiges finden lassen, dass legen zumindest Zahlen über die weite Verbreitung von Elterngewalt gegen Kinder nahe, denn diese hat Folgen.

Frankreich weist im (west/nord-)europäischen Vergleich die höchsten Gewaltraten gegen Kinder innerhalb der Familie auf und führt fast durchweg auch bei den schwereren Gewaltformen die Rangliste an. Ausgesuchte Zahlen (Befragung von 1000 französischen Eltern im Jahr 2007): 87,2 % schlagen ihre Kinder auf den Po, 50,5 % verabreichen eine Tracht Prügel (schwerere Gewalt) auf die selbe Stelle, 71,5 % schlagen leicht ins Gesicht, 32,3 % wenden schallende Ohrfeigen an, 4,5 % schlagen mit Gegenständen und 11,6 % misshandeln ihre Kinder schwer. (Bussmann, K.-D., Erthal, C., & Schroth, A. (2009). The Effect of Banning Corporal Punishment in Europe: A Five-Nation Comparison. Halle-Wittenberg: Martin-Luther-Universität. S. 6) Auch nach einer im SPIEGEL zitierten Umfrage  der "Organisation des Familles en Europe" gaben 87 Prozent der französischen Eltern an, eine Tracht Prügel gehöre zu ihren Praktiken. Und 53 Prozent sprachen sich gegen ein Prügelverbot aus.
Wer zudem etwas über Frankreichs Krippensystem recherchiert, wird herausfinden, dass dort sehr viele Eltern kein Problem damit haben, wenige Monate alte Säuglinge einige Stunden fremd unterzubringen. Auch dies wird Folgen haben.

Laut Europarat gibt es in Frankreich auch kein ausdrückliches Verbot der körperlichen Bestrafung in Einrichtungen für Kinder.  Ob und in wie weit Kinder in schulischen Einrichtungen durch Lehrkräfte geschlagen werden, ist mir nicht bekannt.

Auch Tagesmütter und Babysitter haben in Frankreich - neben den Eltern - das Recht, Kinder körperlich zu züchtigen (wie es so "schön" heißt). Dies steht u.a. in einer Klageschrift der „Association for the Protection of All Children“, die seit Februar 2013 vor dem „European Committee of Social Rights“ Frankreich auf Grund des unzureichenden Schutzes von französischen Kinder vor Gewalt verklagt (und damit hoffentlich Erfolg hat). Außerdem wurden in der Klageschrift Zahlen genannt, die ich hier bereits vorgestellt habe.

Über Frankreichs führende politischen Köpfe habe ich im Internet nicht all zu viel finden können. Aber vielleicht sind folgende Infos doch etwas erhellend:
Es gibt ein Kapitel, über das Hollande wenig spricht: seine Kindheit.“, schreibt der SPIEGEL in einem Artikel. „1954 in Rouen geboren, litt er laut seinem Biografen Serge Raffy unter seinem autoritären Vater, einem Arzt, der sich bei Lokalwahlen für rechtsextreme Listen aufstellen ließ und vor dem er sich ducken musste. Sein Lächeln, seine Witze hätten ihm schon damals geholfen, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sagt Raffy.

Der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy scheint ebenfalls eine belastete Kindheit gehabt zu haben.
„ (…) der Vater sollte sich als Lebemann erweisen, der die Mutter sitzenließ und sich nur sporadisch für die Söhne interessierte. Die Scheidung wurde vollzogen, als Nicolas fünf Jahre alt war. Seine Kindheit sei keine "wirklich glückliche Zeit" gewesen, sagte Sarkozy einmal zum Entsetzen seiner Mutter.“ (FAZ, 15.09.2004)

Der Vater diente außerdem als Fremdenlegionär für Frankreich, wie der SPIEGELberichtet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein so militärisch getrimmter Mensch (der als Söldner arbeitete) nicht wirklich herzlich und emotional zu Kindern sein konnte.

Erwähnt werden muss auch noch Dominique Strauss-Kahn, der mit hoher Wahrscheinlichkeit die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen hätte. Diverse bewiesene und nicht-bewiesene Vorwürfe gegen ihn zeigen ein Bild von meinem Mann, der alles andere als empathisch und rücksichtsvoll ist und der vor allem ein sehr gestörtes Verhältnis Frauen gegenüber zu haben scheint. Über seine Kindheit habe ich nichts gefunden, die Vermutung liegt aber nahe, dass es in dieser auch einige weite Schatten gab.

Abschließend noch der Hinweis, dass die o.g. Studie von Bussmann auch einen stetigen Rückgang der Gewalt gegen Kinder in Frankreich nachwies. In der Studie wurden außerdem nicht die Häufigkeit des Gewalthandelns und die direkten körperlichen Folgen erfasst. Ich vermute stark, dass sich hier starke Unterschiede im Vergleich zu z.B. afrikanischen oder arabischen Ländern finden lassen, in denen ebenfalls häufig um die 90 % der Kinder körperliche Gewalt erleben, dies aber auch häufiger und schwerwiegender.

1 Kommentar:

Sven Fuchs hat gesagt…

Ein sehr guter Artikel zum Thema Kindererziehung in Frankreich: https://www.zeit.de/2013/37/frankreich-kinder-staatliche-fruehfoerderung/komplettansicht