Endlich, endlich, ja endlich einmal hat eine junge muslimische Frau und Feministin deutliche Worte gefunden! Dafür war es höchste Zeit. In meinem vorletzten Beitrag (Islamistischer Terror und Gewalt. Die notwendige Modernisierung der muslimischen Familie) hatte ich ja bereits den Versuch unternommen, die Ursachen für soziale Unruhen/Probleme und Gewalt in muslimischen Gesellschaften zu analysieren und lenkte den Blick auf die traditionelle Familie. Die ehemalige Femen-Aktivistin Zana Ramadani hat der Welt (14.01.2016, "Seid wütend auf die muslimischen Frauen!" von Kathrin Spoerr) jetzt ein Interview gegeben, das ich für geradezu bahnbrechend halte. Ich verfolge die Diskussion um Probleme in der muslimischen Welt schon länger intensiv, die sich nach den Ereignissen in Köln ja derzeit zuspitzt. So deutliche Worte habe ich noch nirgends gelesen. Erst recht nicht von einer muslimischen Frau. Letztlich muss mensch einfach das ganze Interview lesen!
Im Zentrum der Aufregung steht doch stets der muslimische Mann und das Patriarchat. Aktuell hat z.B. die ZEIT (Nr. 3 / 2016) groß getitelt: "Wer ist der arabische Mann?" Frauen bleiben meist unsichtbar und werden - wenn überhaupt - höchstens als Opfer kurz sichtbar. Es ist kaum ein ZEIT Titel vorstellbar mit der Frage: "Wer ist die arabische Frau?"
Zana Ramadani nimmt nun die muslimischen Frauen in die Verantwortung, denn diese sind hauptsächliche für die Kindererziehung zuständig. Im Interview kritisiert sie zunächst die traditionellen islamischen Werte, die Frauen systematisch unterdrücken würden. "Frauen sind Bedienstete. Frauen sind Sklavinnen. Wir sind Ware. Wir haben uns züchtig zu benehmen." Gleichzeitig sagt sie sehr richtig, dass in der islamischen Welt nicht nur ein schlimmes Frauenbild vorherrscht, sondern auch ein schlimmes Männerbild. Letzteres beinhalte, dass Männer derart triebgesteuert seien, dass Frauen sich zu verhüllen haben und sich "anständig" zu verhalten hätten, ansonsten würden die Männer über sie herfallen. Dies sei frauen- und männerfeindlich.
"Im islamischen Kulturkreis ist es so, dass noch immer fast ausschließlich Frauen erziehen. Die Frauen haben die Werte, unter denen sie selbst oft gelitten haben, so verinnerlicht, dass sie sie sowohl an ihre Söhne als auch an ihre Töchter weitergeben. Die Jungs werden schon von klein auf als Prinzen behandelt und verhätschelt. Die Mädchen werden vor allem zur Tugendhaftigkeit angeleitet. Sie müssen von Anfang an im Haushalt arbeiten und der Mutter helfen, die Männer der Familie zu verziehen." (Dabei möchte ich anmerken, dass als Kinder auch die muslimischen Jungs sehr häufig elterliche Gewalt erleben. Danach oder zusätzlich werden sie verhätschelt und mit Macht über Frauen ausgestattet, was ich für besonders gewaltfördernd halte, wie in meinem oben verlinkten Blogbeitrag bereits beschrieben.)
Ramadani sagt weiter, dass sie selbst als Kind sehr streng durch ihre Mutter erzogen wurde. Sie wurde von der Mutter als "Dreck" oder "Hure" beschimpft, wenn sie sich zum Spielen nach draußen mit Freunden der Familie entzog. Wenn sie gegen ihre Eltern rebellierte, wurde sie geprügelt (nur von ihrer Mutter, nie von ihrem Vater, wie sie betont), so hart, dass sie oft tagelang nicht sitzen konnte.
An der sexuellen Unterdrückung von Frauen und der strengen islamischen Werterziehung seien - das ist der eigentliche Tabubruch, den ich in dem Interview sehe - Frauen (vor allem als Mütter) deutlich mitverantwortlich. Wenn ich von Gewalt in muslimischen Familien lese, wird i.d.R. auf den Vater geschaut. Die Psychohistorie weist schon seit Jahrzehnten darauf hin, dass Frauen historisch routinemäßig ihnen anvertraute Kinder misshandelt, gedemütigt, oft auch getötet haben. Ich selbst konnte empirisch nachweisen, dass Mütter - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung - auch heute noch in vielen Teilen der Welt häufiger ihre Kinder schlagen, als Väter. Im Welt-Interview wurde Ramadani gleich am Anfang gefragt, auf wen man nach den Exzessen von Köln wütend sein soll. Sie antwortete: "Nicht nur auf muslimischen Männer, auch auf die muslimische Frauen, vor allem auf die muslimischen Mütter." Das ist der eigentliche Tabubruch: Die Verantwortung und den Einfluss von Frauen aufzuzeigen und auch noch zu sagen, man solle auch wütend auf diese sein.
Am Ende des Interviews plädiert sie dafür, einen Wertewandel in den Köpfen der Muslime einzuleiten, ja diesen geradezu zu fordern, vor allem auch von Musliminnen und sie plädiert für ein Ende der falschen Toleranz. Ich selbst hatte es in meinem Beitrag so formuliert: Notwendig ist eine Modernisierung der islamischen Familie.
Freitag, 15. Januar 2016
Samstag, 9. Januar 2016
Basiswissen für die Kriminologie direkt aus dem Gefängnis: Das Kindheitsleid der Täter
Dank der Leserin Heike wurde ich auf einen Text aufmerksam, der mich wirklich schwer beeindruckt hat. Ich muss sagen, dass ich nach der Lektüre des Textes innerlich richtig gebrannt habe. Solche Texte geben mir Kraft, weil sie exakt und authentisch beschreiben, um was es geht und die auch wieder mal klar machen, dass es sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit für das Thema hier bedarf.
Der Text stammt von Jens Söring, der seit 1986 inhaftiert ist (die meiste Zeit davon in den USA). Söring ist wegen Mordes verurteilt worden, beteuert allerdings seine Unschuld. Wer mag kann in deutschen Medien oder übersichtlich auf Wikipedia viel über diesen Fall nachlesen, der auch die deutsche Politik beschäftigt hat. Ich möchte hier nicht seinen Fall besprechen, sondern rein das, was er am 23.11.2011 unter dem Titel „Das Geheimnis, das niemand wissen will“ in seinem Blog geschrieben hat.
Dieser Text sollte in jedem Grundkurs für Kriminologie zur Standartlektüre werden!! Er ist auf Grund dreier Dinge besonders:
1. Der Inhalt und die Aussagen
2. Der Autor ist hoch intelligent (u.a. auch Autor einiger Bücher) und verfügt offensichtlich über eine gute Beobachtungsgabe und auch Fähigkeiten, mit Menschen in tieferen Kontakt zu treten.
3. Jens Söring ist selbst seit über 25 Jahren inhaftiert, hat mit Mördern und Sexualverbrechern zu tun, ist „offiziell“ einer von ihnen und beobachtet/berichtet also aus einer Perspektive heraus, die mit normalen wissenschaftlichen Mitteln nicht möglich wäre.
Mit einem Zitat wird bereits deutlich, um was es geht. Söring schreibt: :
„Ich kann Ihnen sagen: Ich war in den vergangenen (fast) 25 Jahren mit hunderten Häftlingen mehr oder weniger gut befreundet – gut genug, um gelegentlich ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Und ich kann Ihnen sagen: Jeder Gefangene, mit dem ich etwas befreundet war, wurde als Kind sexuell oder körperlich misshandelt. Jeder, ohne Ausnahme, in (fast) 25 Jahren! Natürlich könnte das ein Zufall sein, aber das glaube ich nicht.
Warum soll das wichtig sein, weshalb schreibe ich darüber einen Blogeintrag? Weil ich einen direkten Zusammenhang sehe zwischen der Misshandlung und der Kriminalität.“
(Übrigens fügt Söring im Text an, dass es eine Ausnahme im Gefängnis geben würde: Er selbst sei als Kind nicht misshandelt worden, aber er sei ja auch unschuldig und kein Mörder. An dieser Stelle muss man fast schon etwas schmunzeln, denn in der Tat würde beides zusammen Sinn machen.)
Söring bestätigt auch etwas, was Forschende bereits beschrieben haben. Es geht nicht um vereinzelte Gewalterfahrungen in der Kindheit oder seltene Misshandlungen. Das, was die Gefangenen als Kind erlitten haben, scheint eher unter dem Begriff Folter (diesen Begriff benutzt er auch direkt, ergänzend spricht er von „Quälerei“ oder „entsetzlichen Gewaltverbrechen“ gegen die Kinder) zu fallen, als unter Misshandlung. Und – das ist besonders wichtig - die Gewalt gegen die Kinder (die die Straftäter einst waren) fand in den allermeisten Fällen über große Zeiträume hinweg statt, über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Söring schreibt bzgl. der Formen der Gewalt: „Das Auspeitschen mit dicken Ledergürteln ist noch das Mindeste. Absichtliches Verbrennen mit Bügeleisen oder kochendem Wasser kommen überraschend häufig vor. Auch das stundenlange Knien auf scharfen Steinen. Und Stöcke – nun ja, genug davon!“
Er bringt auch zwei konkrete Fallbeispiele:
„Zum Beispiel wurde ein ziemlich guter Freund von mir – der übrigens vor einigen Jahren Selbstmord beging – als 8-jähriges Kind von seiner älteren Schwester zum wiederholten Drogenkonsum verleitet; anfänglich gegen seinen Willen. Natürlich wurde er abhänig, und natürlich landete er letzlich im geschlossenen Vollzug für besonders junge Straftäter, wegen Beschaffungskriminalität. Dort wurde er von den anderen Jugendlichen sexuell und körperlich gefoltert (das Wort "misshandelt" reicht einfach nicht – es hatte mit Besenstielen zu tun), und natürlich von den Wächtern auch. Dann wurde er etwas älter, etwas stärker, und stieg in der Hierachie auf – bis er selber jüngere Kinder foltern konnte. (…) Ein anderer Freund von mir wuchs ohne Eltern auf, er wurde vom Sozialamt von einer Pflege-Familie zur nächsten geschickt. Viele der Pflegeeltern waren anscheinend Sadisten, die besonders heißes Duschen als bevorzugtes Strafmittel einsetzten – weil das keine Wunden hinterlässt. Auch wurde regelmässig zur Strafe das Essen gekürzt oder völlig vorenthalten “ Letzt genannter überlebte, in dem er die Mülleimer von Restaurants plünderte. Der Autor weist ergänzend auch auf das besondere Tabu der sexuelle Gewalt hin (gerade auch innerhalb von Gefängnissen).
Bzgl. der Schwierigkeit, Gewalterfahrungen in der Kindheit von Strafgefangenen umfassend aufzudecken, beschreibt Söring vier wichtige Dinge:
1. Starkes Misstrauen gegen GefängnispsychologInnen und ähnlichen Akteuren. „Denn gerade für Gefangene ist es besonders schwer, irgendeine Schwäche zuzugeben – vor allem gegenüber Außenseitern wie Psychologen, die plötzlich in den Knast hereinrauschen, Fragebögen verteilen und äußerst persönliche Informationen wissen wollen. Grundsätzlich werden solche Typen erst einmal belogen, denn man kann ja nie wissen, wem sie die Fragebögen dann geben! Knastpsychologen haben sowieso einen besonders schlechten Ruf unter Häftlingen, selbst ich würde denen nichts wirklich Wichtiges anvertrauen.“
2. Die meisten Gefangenen würden Misshandlungen, die ihnen zugefügt worden sind, nicht als solche definieren. Es passierte halt, gehörte halt dazu bis hin zu es war richtig und ich würde meine Kinder heute auch so erziehen. (Stichwort: Identifikation mit dem Aggressor“)
3. Das besondere Tabu der sexuellen Gewalt gegen Jungen/Männer. Dazu: „Ich will gar nicht schätzen, wie viele Häftlinge mir gestanden haben, dass sie sexuell misshandelt wurden – und hinzuzufügten, dass ich der erste Mensch sei, dem sie das sagen. Solche Zwischenfälle hat es besonders in den letzten acht Jahren gegeben, nach der Veröffentlichung meines ersten Buches.“
4. Besonders ungewöhnliche Misshandlungsformen (z.B. knien auf scharfen Steinen, heißes abduschen) oder Täterpersonenkreise außerhalb von Eltern/Stiefeltern (Geschwister, Jugendliche in Heimen oder Jugendarrest)
Ich möchte an dieser Stelle ergänzend an den Fall Anders Breivik erinnern. Wäre dieser Massenmörder als Kleinkind nicht ca. 3 Wochen stationär psychiatrisch begutachtet worden, die ganze Welt würde heute glauben, er sei ein ganz normales Kind der höheren Mittelschicht gewesen, obwohl er schwer traumatisiert wurde.
Im Blog habe ich ja bereits die Arbeit von Jonathan H. Pincus besprochen, der im Lauf der Zeit über 150 Mörder in den USA untersucht hat. Pincus berichtet, dass von allen Mördern, die er befragt hat, zunächst zwei Drittel sagten, dass sie keine Kindesmisshandlung erlebt hätten. Wenn er diese Fälle nicht weiter untersucht hätte (z.B. durch Befragung von Anwälten und Familienmitgliedern), so Pincus, wäre er wohl nicht darauf gekommen, dass Misshandlungserfahrungen besonders weit unter Gewalttätern verbreitet sind. Er erklärt sich die ersten Antworten der Befragten damit, dass viele sich nicht an die erlebte Gewalt erinnern können oder wollen und zusätzlich auch weiterhin Angst haben, darüber zu sprechen. Er fand schließlich bei fast allen langjährige und besonders schwere Gewalterfahrungen in der Kindheit; Täter waren meist Eltern und Elternfiguren. Er fast an einer Stelle eindrücklich zusammen: „It has been amazing to discover that the quality and the amount of „discipline“ these individuals have experienced are more like that of a prisoner in a concentration camp than a child at home.“
All dies muss zum Basiswissen für alle werden, die sich mit Straftätern/Mördern befassen!
Ein Kerngedanke ist dabei besonders wichtig und dabei leider gleichzeitig unwissenschaftlich:
Wenn die Kindheit von Mördern unauffällig erscheint und alle - inkl. der Familie - beteuern, sie wüssten nicht, wie der Junge zum grausamen Mörder werden konnte, ihm hätte es doch an nichts gefehlt, dann heißt das nicht, dass nicht unglaubliche Abgründe hinter dieser Fassade lauern können. All das oben Aufgezeigte zeigt, dass man mit einem gesunden Misstrauen Schilderungen von Mördern entgegen muss, falls sie - so wie Anders Breivik in seinem "Manifest" - behaupten: "I haven´t really had any negative experiences in my childhood in any way."
Ergänzend:
- Kindliche Gewalterfahrungen von Sexualstraftätern (und von asiatischen Männern im Allgemeinen)
- James Gilligan: Gewalt. (und die tieferen Ursachen)
Der Text stammt von Jens Söring, der seit 1986 inhaftiert ist (die meiste Zeit davon in den USA). Söring ist wegen Mordes verurteilt worden, beteuert allerdings seine Unschuld. Wer mag kann in deutschen Medien oder übersichtlich auf Wikipedia viel über diesen Fall nachlesen, der auch die deutsche Politik beschäftigt hat. Ich möchte hier nicht seinen Fall besprechen, sondern rein das, was er am 23.11.2011 unter dem Titel „Das Geheimnis, das niemand wissen will“ in seinem Blog geschrieben hat.
Dieser Text sollte in jedem Grundkurs für Kriminologie zur Standartlektüre werden!! Er ist auf Grund dreier Dinge besonders:
1. Der Inhalt und die Aussagen
2. Der Autor ist hoch intelligent (u.a. auch Autor einiger Bücher) und verfügt offensichtlich über eine gute Beobachtungsgabe und auch Fähigkeiten, mit Menschen in tieferen Kontakt zu treten.
3. Jens Söring ist selbst seit über 25 Jahren inhaftiert, hat mit Mördern und Sexualverbrechern zu tun, ist „offiziell“ einer von ihnen und beobachtet/berichtet also aus einer Perspektive heraus, die mit normalen wissenschaftlichen Mitteln nicht möglich wäre.
Mit einem Zitat wird bereits deutlich, um was es geht. Söring schreibt: :
„Ich kann Ihnen sagen: Ich war in den vergangenen (fast) 25 Jahren mit hunderten Häftlingen mehr oder weniger gut befreundet – gut genug, um gelegentlich ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Und ich kann Ihnen sagen: Jeder Gefangene, mit dem ich etwas befreundet war, wurde als Kind sexuell oder körperlich misshandelt. Jeder, ohne Ausnahme, in (fast) 25 Jahren! Natürlich könnte das ein Zufall sein, aber das glaube ich nicht.
Warum soll das wichtig sein, weshalb schreibe ich darüber einen Blogeintrag? Weil ich einen direkten Zusammenhang sehe zwischen der Misshandlung und der Kriminalität.“
(Übrigens fügt Söring im Text an, dass es eine Ausnahme im Gefängnis geben würde: Er selbst sei als Kind nicht misshandelt worden, aber er sei ja auch unschuldig und kein Mörder. An dieser Stelle muss man fast schon etwas schmunzeln, denn in der Tat würde beides zusammen Sinn machen.)
Söring bestätigt auch etwas, was Forschende bereits beschrieben haben. Es geht nicht um vereinzelte Gewalterfahrungen in der Kindheit oder seltene Misshandlungen. Das, was die Gefangenen als Kind erlitten haben, scheint eher unter dem Begriff Folter (diesen Begriff benutzt er auch direkt, ergänzend spricht er von „Quälerei“ oder „entsetzlichen Gewaltverbrechen“ gegen die Kinder) zu fallen, als unter Misshandlung. Und – das ist besonders wichtig - die Gewalt gegen die Kinder (die die Straftäter einst waren) fand in den allermeisten Fällen über große Zeiträume hinweg statt, über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Söring schreibt bzgl. der Formen der Gewalt: „Das Auspeitschen mit dicken Ledergürteln ist noch das Mindeste. Absichtliches Verbrennen mit Bügeleisen oder kochendem Wasser kommen überraschend häufig vor. Auch das stundenlange Knien auf scharfen Steinen. Und Stöcke – nun ja, genug davon!“
Er bringt auch zwei konkrete Fallbeispiele:
„Zum Beispiel wurde ein ziemlich guter Freund von mir – der übrigens vor einigen Jahren Selbstmord beging – als 8-jähriges Kind von seiner älteren Schwester zum wiederholten Drogenkonsum verleitet; anfänglich gegen seinen Willen. Natürlich wurde er abhänig, und natürlich landete er letzlich im geschlossenen Vollzug für besonders junge Straftäter, wegen Beschaffungskriminalität. Dort wurde er von den anderen Jugendlichen sexuell und körperlich gefoltert (das Wort "misshandelt" reicht einfach nicht – es hatte mit Besenstielen zu tun), und natürlich von den Wächtern auch. Dann wurde er etwas älter, etwas stärker, und stieg in der Hierachie auf – bis er selber jüngere Kinder foltern konnte. (…) Ein anderer Freund von mir wuchs ohne Eltern auf, er wurde vom Sozialamt von einer Pflege-Familie zur nächsten geschickt. Viele der Pflegeeltern waren anscheinend Sadisten, die besonders heißes Duschen als bevorzugtes Strafmittel einsetzten – weil das keine Wunden hinterlässt. Auch wurde regelmässig zur Strafe das Essen gekürzt oder völlig vorenthalten “ Letzt genannter überlebte, in dem er die Mülleimer von Restaurants plünderte. Der Autor weist ergänzend auch auf das besondere Tabu der sexuelle Gewalt hin (gerade auch innerhalb von Gefängnissen).
Bzgl. der Schwierigkeit, Gewalterfahrungen in der Kindheit von Strafgefangenen umfassend aufzudecken, beschreibt Söring vier wichtige Dinge:
1. Starkes Misstrauen gegen GefängnispsychologInnen und ähnlichen Akteuren. „Denn gerade für Gefangene ist es besonders schwer, irgendeine Schwäche zuzugeben – vor allem gegenüber Außenseitern wie Psychologen, die plötzlich in den Knast hereinrauschen, Fragebögen verteilen und äußerst persönliche Informationen wissen wollen. Grundsätzlich werden solche Typen erst einmal belogen, denn man kann ja nie wissen, wem sie die Fragebögen dann geben! Knastpsychologen haben sowieso einen besonders schlechten Ruf unter Häftlingen, selbst ich würde denen nichts wirklich Wichtiges anvertrauen.“
2. Die meisten Gefangenen würden Misshandlungen, die ihnen zugefügt worden sind, nicht als solche definieren. Es passierte halt, gehörte halt dazu bis hin zu es war richtig und ich würde meine Kinder heute auch so erziehen. (Stichwort: Identifikation mit dem Aggressor“)
3. Das besondere Tabu der sexuellen Gewalt gegen Jungen/Männer. Dazu: „Ich will gar nicht schätzen, wie viele Häftlinge mir gestanden haben, dass sie sexuell misshandelt wurden – und hinzuzufügten, dass ich der erste Mensch sei, dem sie das sagen. Solche Zwischenfälle hat es besonders in den letzten acht Jahren gegeben, nach der Veröffentlichung meines ersten Buches.“
4. Besonders ungewöhnliche Misshandlungsformen (z.B. knien auf scharfen Steinen, heißes abduschen) oder Täterpersonenkreise außerhalb von Eltern/Stiefeltern (Geschwister, Jugendliche in Heimen oder Jugendarrest)
Ich möchte an dieser Stelle ergänzend an den Fall Anders Breivik erinnern. Wäre dieser Massenmörder als Kleinkind nicht ca. 3 Wochen stationär psychiatrisch begutachtet worden, die ganze Welt würde heute glauben, er sei ein ganz normales Kind der höheren Mittelschicht gewesen, obwohl er schwer traumatisiert wurde.
Im Blog habe ich ja bereits die Arbeit von Jonathan H. Pincus besprochen, der im Lauf der Zeit über 150 Mörder in den USA untersucht hat. Pincus berichtet, dass von allen Mördern, die er befragt hat, zunächst zwei Drittel sagten, dass sie keine Kindesmisshandlung erlebt hätten. Wenn er diese Fälle nicht weiter untersucht hätte (z.B. durch Befragung von Anwälten und Familienmitgliedern), so Pincus, wäre er wohl nicht darauf gekommen, dass Misshandlungserfahrungen besonders weit unter Gewalttätern verbreitet sind. Er erklärt sich die ersten Antworten der Befragten damit, dass viele sich nicht an die erlebte Gewalt erinnern können oder wollen und zusätzlich auch weiterhin Angst haben, darüber zu sprechen. Er fand schließlich bei fast allen langjährige und besonders schwere Gewalterfahrungen in der Kindheit; Täter waren meist Eltern und Elternfiguren. Er fast an einer Stelle eindrücklich zusammen: „It has been amazing to discover that the quality and the amount of „discipline“ these individuals have experienced are more like that of a prisoner in a concentration camp than a child at home.“
All dies muss zum Basiswissen für alle werden, die sich mit Straftätern/Mördern befassen!
Ein Kerngedanke ist dabei besonders wichtig und dabei leider gleichzeitig unwissenschaftlich:
Wenn die Kindheit von Mördern unauffällig erscheint und alle - inkl. der Familie - beteuern, sie wüssten nicht, wie der Junge zum grausamen Mörder werden konnte, ihm hätte es doch an nichts gefehlt, dann heißt das nicht, dass nicht unglaubliche Abgründe hinter dieser Fassade lauern können. All das oben Aufgezeigte zeigt, dass man mit einem gesunden Misstrauen Schilderungen von Mördern entgegen muss, falls sie - so wie Anders Breivik in seinem "Manifest" - behaupten: "I haven´t really had any negative experiences in my childhood in any way."
Ergänzend:
- Kindliche Gewalterfahrungen von Sexualstraftätern (und von asiatischen Männern im Allgemeinen)
- James Gilligan: Gewalt. (und die tieferen Ursachen)
Donnerstag, 7. Januar 2016
Islamistischer Terror und Gewalt. Die notwendige Modernisierung der muslimischen Familie.
Die Ursachenanalyse bzgl. islamistischem Terrorismus und Gewalt in der muslimischen Welt ist wichtig, weil nur mit dem Wissen um die Ursachen nachhaltig wirksame Präventionsmaßnahmen ergriffen werden können. Das Wissen um die eigentlichen Ursachen ist auch wichtig, um politisch gegen militärische Lösungen argumentieren zu können. Durch den Abwurf von tausenden Bomben im Nahen Osten wird das Problem bekanntlich verschärft, nicht gelöst.
Im Grunde bin ich wie so oft bei dem Thema erstaunt, wie deutlich in einigen Arbeiten/Artikeln die Ursachen und auch Präventionsmaßnahmen bereits analysiert worden sind. Dem gegenüber stehen die häufigen Fragezeichen in den Medien, ausschweifende und wenig erkenntnisreiche Diskussionsrunden im Fernsehen, wie auch wenig förderliche Reden und Aktionen von PolitikerInnen (inkl. dem militärischen Aktionsmus).
Eine einzige wissenschaftliche Expertise im Auftrag des Familienministeriums hat in meinen Augen bereits wesentliche Ursachen wie auch Präventionsmaßnahmen zusammengefasst:
Toprak, Ahmet & Nowacki, Katja (2010). Gewaltphänomene bei männlichen, muslimischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Präventionsstrategien. Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften, Fachhochschule Dortmund.
Das Papier liest sich wie ein umfassender Handlungskatalog für die Politik in Deutschland, die dies nach meiner Wahrnehmung allerdings nicht angenommen zu haben scheint (große Budgets für Sozialarbeit hätten eröffnet werden müssen, was meines Wissen nach nicht der Fall war).
Die Expertise bezieht sich rein auf in Deutschland lebende Muslime, sie hat aber mit ihrem Ansatz Kernprobleme beschrieben, die in meinen Augen auch zu einem wesentlichen Teil bzgl. der arabischen Welt gelten. Die Arbeit behandelt nicht explizit das Thema Extremismus oder Terrorismus, sondern Ursachen von Gewaltverhalten von jungen, muslimischen Männern an sich.
Geringe Schul- und Berufsausbildung, problematische soziale Rahmenbedingungen, Diskriminierungserfahrungen u.ä. werden als gewaltfördernde Indikatoren ausgemacht. Die Arbeit neigt – trotz ihres multiplen Ansatzes - aber zu einem Schwerpunkt: Der Problematisierung der traditionellen männlichen Sozialisation in muslimischen Familien. Nachfolgend einige Auszüge, die ich besonders wichtig finde:
„Während die deutschen Jugendlichen in der Erziehung ermuntert werden, selbstbewusst und selbständig zu sein, wird bei den muslimischen Jugendlichen Loyalität und Gehorsam gegenüber den Erziehungsberechtigten gefördert und gefordert. Gehorsamkeit gegenüber den Erziehungsberechtigten impliziert, dass das Kind/der Jugendliche das tut und ausführt, was der Erziehungsberechtigte von ihm verlangt, und zwar ohne Widerrede. Es/ er muss sich fügen, seine Blicke nach unten richten und den Erziehungsberechtigten nicht direkt in die Augen schauen. Denn ein direkter Augenkontakt bedeutet „gleiche Augenhöhe“ und wird von den Eltern als Aufsässigkeit und Herausforderung interpretiert.“ (Toprak & Nowacki 2010, S. 9)
In der Expertise wird auch auf die verhältnismäßig häufigere Gewaltbetroffenheit von muslimischen Kindern eingegangen: „Auch heute noch ist die Gewaltanwendung in der Erziehung ein gängiges Mittel, um Kinder und Jugendliche zu disziplinieren.“ (ebd., S. 10)
„Die meisten Studien über die muslimischen Familien bestätigen, dass die Jungen in Deutschland anders erzogen werden als die Mädchen. Während die Erziehung des Mädchens rigide und straff erfolgt, machen die Eltern beim Jungen viele Ausnahmen. Das Mädchen muss ohne Widerrede und Gegenwehr alle Anforderungen der Eltern erfüllen. Der Junge kann sich den Anforderungen der Eltern, vor allem denen der Mutter, widersetzen, weil die Eltern in der Erziehung immer an den Willen des Jungen appellieren. Der Junge erfährt viele Freiheiten, ist nach außen orientiert und sein Verhalten wird von den Eltern nur dann reglementiert, wenn es um Fragen der zentralen Lebensplanung geht. Das Mädchen dagegen erfährt diese Freiheiten nicht, und sie ist nach innen, d.h. in den Bereich des Hauses, orientiert und darf für Freizeitzwecke das Haus viel seltener verlassen als der Junge. Insgesamt besteht in vielen Familien ein inkohärenter Erziehungsstil, der einerseits, wie erläutert aus Disziplinarmaßnahmen wie Schlägen besteht, andererseits die männlichen Jugendlichen bereits früh auf eine dominante Rolle vorbereitet, was zu einer Überforderung führen kann.“ (ebd., S. 10)
„Wenn sich die Jungen beim Spielen verletzen und dabei weinend zur Mutter gehen, werden sie unter Umständen bestraft, da das Weinen die weibliche Rolle und damit Schwäche impliziert. Darüber hinaus wird oft von Jugendlichen zum Ausdruck gebracht, dass Schläge zum Erziehungsauftrag der Eltern gehören, damit aus dem Jungen ein richtiger Mann wird.“ (ebd., S. 13)
„Die Erziehungsziele der muslimischen Eltern in der Migration unterscheiden sich in vielen Fällen von denen der deutschen Eltern. Auch in der zweiten und dritten Generation wird Wert auf die Erziehungsziele „Respekt vor Autoritäten“, „Ehrenhaftigkeit“ „Zusammengehörigkeit“ und „Lernen und Leistungsstreben“ gelegt. Diese Erziehungsziele werden betont an die Kinder weitervermittelt. Erziehungsziele wie Individualität, Selbstverwirklichung, Selbständigkeit, die von den meisten deutschen Eltern angestrebt werden, finden bei muslimischen Eltern wenig Beachtung.“ (ebd., S. 16)
Der Psychologe Ahmad Mansour hat für die ZEIT (27.02.2013) unter dem Titel "Wenn mein Bruder mich schlägt, härtet mich das ab" die traditionelle muslimische Erziehung (die natürlich in unterschiedlichen starken Ausprägungen besteht!) folgendermaßen beschrieben:
„Die Erziehung baut auf den Begriff "Respekt". Dahinter steht jedoch ein System aus Angst und Gehorsam. Eigene Stärken und Schwächen, geschweige denn die eigene Sexualität entdecken – das darf es in der so genannten traditionellen, muslimischen Erziehung nicht geben. Mit Gewalt wird in die Schranken gewiesen, wer sich geistig, emotional, sexuell, kreativ "anders" verhält. Ein gesundes Selbstbewusstsein kann sich so nicht entwickeln. Deshalb ist Furcht allgegenwärtig und alles bestimmend.“
Die oben zitierten Auszüge zeigen deutlich die klassische männliche Sozialisation im patriarchal System auf (die einst auch in Europa galt bzw. auch hierzulande natürlich noch nachwirkt), die letztlich ursprünglich zum Ziel hatte, Krieger zu produzieren. Der Mix aus Unterwerfung, absoluten Gehorsamsforderungen und Gewalt gegen das (vor allem kleine) Kind und gleichzeitiger Erziehung der Jungen zum (potenziellen) „Helden“, zum dominanten, starken Mann, der mehr wert ist, als Mutter und Schwestern (wodurch im Kern ein Denken in oben und unten, in wertig und minderwertig gefördert wird, was sich auch in anderen Kontexten übertragen wird z.B. in Abwertung von Juden) und viele Sonderfreiheiten (vor allem, je älter er wird) genießt ist besonders gefährlich und gewaltfördernd. Dieser Mix ist das eigentliche Übel, die Grundursache für soziale Probleme und Gewalt in der muslimischen Welt. (Und dies ist dort so deutlich sichtbar, weil die Intensität dieses Mixes dort immer noch so stark ausgeprägt ist, worauf ich unten noch zurückkommen werde) Ähnlich macht es letztlich auch das Militär nach dem Motto: „Zuerst brechen wir Dich, danach bauen wir Dich wieder auf und Du wirst ein starker, furchtloser Held und Kämpfer“.
Das Problem ist nur, dass einst als Kind gebrochene und zum Gehorsam erzogene Männer nicht wirklich stark sind (im Sinne von selbstbewusst, feste Identität, reichhaltige Gefühlswelt, hohe Frustrationstoleranz, Denken in Grautönen statt in Schwarz-Weiß usw.), sondern sich nur durch Kitt aufrechterhalten können und ihre Ohnmachtsgefühle verbergen müssen. Dieser Kitt ist dann häufig ein dominanter, traditioneller Männlichkeitsentwurf, der als übergestülpte Identität zu verstehen ist.
Diese traditionelle Männlichkeit bezieht sich auch auf starke Solidarität und Loyalität innerhalb des Freundeskreises und bedingungsloser Verteidigung der weiblichen Familienmitglieder nach Außen (Toprak & Nowacki 2010, S. 12) „In den Anti-Aggressivitäts-Trainings (...) mit straffälligen Jugendlichen wird festgestellt, dass nicht nur türkeistämmige Jugendliche, sondern auch die arabischen und albanischen Jugendlichen aufgrund ihres Ehrbegriffes zu Straftaten bereit sind. Dazu gehört ihr bedingungsloses Verständnis von Freundschaft. Sie setzen sich auch ohne die Situation zu hinterfragen und auf die Gefahr hin, dass sie verletzt werden, für den Freund ein. Sie ist eine tief verankerte Verhaltensnorm, über die nicht nachgedacht und die auch nicht in Frage gestellt wird. Wenn das geschähe, wäre nicht nur die Freundschaft, sondern auch die Ehre und Männlichkeit des Jugendlichen gefährdet.“ (ebd.)
Ein solches Konzept von Männlichkeit und Freundschaft zeigt bereits das Gefährdungspotential auf. Wenn Einzelne aus dem Freundeskreis in eine islamistische Radikalisierung abdriften, stehen die Freunde in einem starken Loyalitätskonflikt. Sollten sie sich dann gemeinsam Stück für Stück radikalisieren baut die neue extremistische Gruppierung letztlich genau auf die Gruppenbindungsstrukturen auf, die die jungen Männer auch vorher schon gelebt und gekannt haben.
Dazu kommt, um wieder auf das Männlichkeitskonzept zurückzukommen, dass die Lebensrealität logischerweise nicht immer automatisch bedeutet, dass Mann ein erfolgreicher, gesellschaftlich aufsteigender „Held“ wird, der alles unter Kontrolle hat (das gilt erst Recht für Migranten). Leben bedeutet oftmals auch, dass Mann scheitert, dass Mann durch Täler gehen muss und manchmal auch, dass Mann am Rand steht. Anspruch und Wirklichkeit passen also nicht zusammen und Jungen/Männer werden überfordert. Und plötzlich ist da der Dschihad, man kann zu einer (scheinbaren) Elite gehören, wieder „ganz Mann“ sein, einfache Antworten auf das Leben finden und eine Aufgabe bekommen.
Gleichzeitig bedeutet der Dschihadismus aber auch – zumindest gilt das für die Kämpfer, die aus dem Westen heraus in den Krieg ziehen – eine Art Rebellion gegen die Eltern. Der Vater von Abdelhamid Abaaoud - dem Drahtzieher der Pariser Anschläge – bezeichnete seinen Sohn als „Teufel“ und „Psychopathen“. Der Vater zeigte sich erleichtert über den Tod seines Sohnes. (focus, 20.11.2015, „Vater von Drahtzieher Abaaoud spricht erstmals über seinen Sohn“ ) Der Vater von Fouad Aggad – einem weiteren Attentäter bei den Pariser Anschlägen – sagte: „Hätte ich gewusst, dass er eines Tages so etwas macht, hätte ich ihn vorher getötet.“ (welt.de, 09.12.2015, „Vater des Bataclan-Mörders hätte seinen Sohn getötet“) Krasser können muslimische Väter wohl kaum den Bruch mit ihren Söhnen ausdrücken (sie verraten dabei außerdem bereits etwas über sich selbst, aber das nur nebenbei). Dieser krasse Bruch mit den Eltern, besonders mit dem Vater, ist im Grunde aus der Sicht der traditionellen muslimischen Familie eine Entehrung und absolute, nicht wieder gut zu machende Ungeheuerlichkeit.
In der Analyse des Dschihadismus in Europa weisen einzelne Autoren auf die „Pop- oder Jugendkultur“ dieser Bewegung hin. (DIE ZEIT, 12.02.2015, „Die Lust am Krass-Sein“ - von Moritz von Uslar) Der Extremismusforscher Peter Neumann sagte in einem Interview mit der ZEIT (17.11.2015, „Der Terrorismus ist eine Jugendkultur“): „Der islamistische Terrorismus ist eine Jugendkultur. Viele der Kämpfer sind Anfang oder Mitte zwanzig. In dem Alter durchleben die meisten eine rebellische Phase. Sie wollen, dass die Gesellschaft sie ablehnt. Und was ist das Verrückteste, was du heute machen kannst? Womit kannst du deine Eltern, deine Lehrer, alle Autoritäten gegen dich aufbringen? Vor 30 Jahren wärst du vielleicht Punk geworden, vor 20 Jahren Neonazi, heute wirst du Islamist. In Amerika gab es schon Leute, die waren erst Nazis, dann Dschihadisten. Das sind Sinnsucher.“
Er trifft es damit nicht ganz richtig, wie ich meine. Sinnsucher? Ja, bestimmt auch. Rebellion gegen die Eltern? Ja, ganz sicher auch. Doch es steckt noch weit mehr dahinter. Die Dschihadisten sind vor allem auch „Hasssucher“ und Selbstzerstörer. Der Zeitgeist beeinflusst die Hassobjekte und die Ausdrucksformen von Hass. 1914 wären diese jungen Männer in Europa ganz traditionell und mit Jubeltönen in den Weltkrieg gezogen. Die Ideologie ist nur die Farbe. Die Ursachen liegen heute wie auch 1914 in einengenden, destruktiven Familiensystemen, in Gewalthandlungen gegen Kinder, in Gehorsamsforderungen und Nicht-Anerkennung des Kindes so wie es ist, sondern die Verformung des Kindes in das, was es dem Willen der Eltern nach (auch entsprechend traditioneller Vorstellungen) sein sollte.
Genau diese Art von Erziehung führt zu einem inneren Fremdsein, was Arno Gruen ausführlich in seinen Arbeiten (u.a. "Der Fremde in uns") beschrieben hat. Wer keine eigene Identität aufbauen konnte und von Fremdsein bestimmt ist, der sucht u.U. und je nach sozialen Rahmenbedingungen im Außen „Fremde“, die er als Feinde bekämpfen kann. Auch hier kommt es auf die Intensität der elterlichen Gewalt und destruktiven Erziehung an. Je destruktiver die Erziehung, je mehr Demütigungen und Verformungen gegenüber dem Kind stattfinden, desto mehr steigt der (Selbst-)Hass. Diejenigen, die sich selbst in die Luft sprengen sind demnach die Spitze des Eisberges. Ihr Hass auf sich und die Welt ist grenzenlos, Erlösung bringt nur noch der Tod. Der Eisberg unter ihnen aber besteht in unterschiedlichen Formen und Intensitäten aus genau dem Stoff, der auch sie hervorgebracht hat.
An dieser Stelle möchte ich ergänzend den Psychologen Ahmad Mansour zitieren, der sich gegen islamistische Radikalisierungen engagiert und aktuell der EMMA (01/02.2016) ein Interview gegeben hat: „Wir müssen viel früher anfangen, nämlich bei einem problematischen Islamverständnis. Ich spreche von Geschlechtertrennung und Tabuisierung der Sexualität, von Buchstabengläubigkeit und von Angstpädagogik, von einem patriarchalen Gott, der genauso funktioniert wie der Vater: Er straft und lässt nicht mit sich diskutieren. Da gibt es keinen Platz für Zweifel und Selbstentfaltung. Ich rede von einem Opferdiskurs und von Feindbildern: Der Islam ist nur Opfer, der Westen und die Juden sind die Täter.“
Necla Kelek schrieb in einem FAZ-Gastbeitrag (09.02.2008, „Gehorsam und Erziehung zur Gewalt“ ) über Religion und eine Erziehung zur Gewalt in Migrantenfamilien. Gehorsam (auch vor den Lehren der Religion), elterliche Kontrolle und (Selbst-)Disziplinierung seien im islamischen Sinne zentrale Elemente in der islamischen Werteerziehung. „Diese im Kern auf Gehorsam, Nichtinfragestellen von religiösen und weltlichen Autoritäten, auf Vergeltung und nicht auf Vergebung gerichtete Weltsicht prägt die Sozialisation der Kinder. Heute, hier, mitten in Deutschland. Und sie ist das Erziehungsmuster in den muslimischen Familien, in Koranschulen, in den Moscheen. Auch die Islamverbände vertreten diese autoritären Erziehungsziele und geben sie in der Öffentlichkeit als Integrationsarbeit aus.“ Religion, Tradition und Erziehung sind in diesem Sinne also eng miteinander verknüpft. Kelek schreibt noch einen sehr wesentlichen Satz: „Das muslimische Weltbild in Kombination mit den archaisch-patriarchalen Traditionen großer Teile der türkischen Community widerspricht durch seine Orientierung an Gehorsam den Anforderungen einer emanzipierten und auf mündige Bürger angewiesenen Gesellschaft.“
Dieser Satz beinhaltet ein Kernproblem. Die Welt hat sich gewandelt und wandelt sich immer schneller (inkl. einem ständigen Mehr an Freiheit und Gleichstellung von Frauen). In modernen High-Tech-Gesellschaften wie Deutschland gilt dies eh, aber auch die ganze Welt wird immer weiter in diesen Entwicklungssog gezogen. Ständige Veränderungen und Freiheiten machen vor allem jenen Angst, die straffe Regeln, einfache Weltbilder und Gehorsam gewohnt sind. Auf der anderen Seite stehen in vielen westlichen Regionen Erziehungsstile (darauf wurde oben schon teils eingegangen), die sich immer fortschrittlicher gestalten. Martin Dornes (2012) hat in seinem Buch mit dem prägnanten Titel „Die Modernisierung der Seele“ postuliert, dass sich die Eltern-Kind-Beziehungen in Deutschland stark demokratisiert haben, gekennzeichnet durch stabile Verbundenheit, elterliche Wärme, zugewandtes, aber auch grenzensetzendes Erziehungserhalten (Dornes 2012, S. 315), was wiederum eine neue Psychostruktur - er spricht von „postheroischer Persönlichkeit“ - hervorgebracht hätte (Dornes 2012, S. 320), die sehr autonom und bestens gerüstet sei für eine sich ständig wandelnde und entwickelnde Gesellschaft. Andersherum gedacht sind rigide und autoritär erzogene Menschen später entsprechend mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter gerüstet für die Herausforderungen der Zeit.
Ich komme noch einmal auf den vorgenannten Artikel von Necla Kelek zurück. Sie schreibt, dass die Gewalt von muslimischen Männern kein soziales und auch kein Bildungsproblem sei. "Es sind andere Werte und Ziele, nach denen gelebt wird. Ich nenne dieses System „Vaters Staat“, gegen das wir uns gemeinsam zur Wehr setzen müssen. Es ist falsch, die Ursachen der Gewalt zu relativieren und (...) die kulturelle und islamische Erziehung in Migrantenfamilien zu ignorieren, als hätte diese nicht großen Einfluss auf ihr Handeln." (FAZ, 09.02.2008, „Gehorsam und Erziehung zur Gewalt“ )
An dieser Stelle ist es sicher aufschlussreich anzumerken, dass untersuchte palästinensische Selbstmordattentäter einen besseren ökomischen Status sowie eine höhere Schulbildung aufwiesen, als die sie umgebende Bevölkerung und dass in den meisten terroristischen Organisationen gesellschaftliche Eliten überrepräsentiert sind. (Leygraf, Norbert (2014). Zur Phänomenologie islamistisch-terroristischer Straftäter. In: Forens Psychiatr Psychol Kriminol 8:237-245, S. 238)
Auch ein anderer Bericht, der sich mit einigen wissenschaftlichen Untersuchungen bzgl. des Themas befasst, zeigt auf, dass Terroristen eher aus bessergestellten und höher gebildeten Kreisen kommen. (Rötzer, Florian (auf heise online), 01.08.2002. "Armut ist keine Ursache für den Terrorismus")
Letztlich lassen dieses Zitat wie auch meine obigen Ausführungen nur einen Schluss zu:
Der islamistische Terror (wie auch soziale Probleme und Gewaltphänomene in islamischen Gesellschaften an sich) kann langfristig nur dadurch besiegt werden, in dem sich die traditionelle muslimische Familie modernisiert. Dieses veraltete Familiensystem ist die eigentliche Keimzelle der Gewalt (was nicht bedeutet, dass nicht auch weitere Einflussfaktoren den Weg zur Gewalt mit ausgestalten!). Wir in Deutschland haben viel Erfahrungen mit diesem Modernisierungsprozess, denn noch um 1900 war auch hierzulande die Familie ähnlich patriarchal strukturiert und von Gewalt und Gehorsamsforderungen beherrscht. Es geht also nicht darum, sich gegenüber Muslimen als "besser" darzustellen, sondern zu zeigen: Unsere eigene (Familien-)Geschichte (in Europa) gleicht der Euren, wir wollen helfen, dass ihr mit uns zusammen lernt, denn wir kennen unsere eigenen Fehler von damals. An sich denke ich, wäre es das Beste, wenn moderne Muslime finanziell, wissenschaftlich und sozial unterstützt werden, um in ihren Kreisen Veränderungsprozesse herbeizuführen. Menschen wie Ahmad Mansour sind da Vorbilder! Letztlich bin ich kein Experte für Sozialarbeit, das müssen andere in die Hand nehmen.
Einige wenige muslimische Experten haben übrigens auch sehr deutliche Worte gefunden: "Terroristen haben oft vor allem in ihrer Kindheit schlimme Gewalt erlebt. Sie brauchen unsere Hilfe." sagte beispielsweise in einem Interview (ZEIT LEO 2/2015, "Welcher Gott will das?", S. 49) Prof. Dr. Mouhanad Khorchide - Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Professor für Islamische Religionspädagogik und Stellv. Direktor des Centrums für religionsbezogene Studien in Münster. (Wobei man sich wundert, dass nur in einem Magazin für Kinder, was das ZEIT LEO Magazin ist, so offene Worte zu finden sind. Ergänzend möchte ich anmerken, dass Terroristen Hilfe brauchen, nachdem man sie gestoppt und inhaftiert hat und das man früher anfangen muss, nämlich direkt bei den Kindern.) Und der Politologe und Terrorismusforscher Asiem El Difraoui sagte aktuell in einem Interview mit der faz über die europäischen Dschihadisten:
„Man weiß nicht viel über sie, außer, dass ihre Radikalisierung wohl weniger mit Ideologie und Religion zu tun hat als mit psychologischen, familiären Traumata und mit ganz allgemeiner Sinnsuche, mit dem Finden einer neuen Gemeinde. Wobei das Erstaunliche ist, dass die spirituellen Elemente dabei nicht so wichtig scheinen: Es geht gar nicht darum, Muslim zu werden und in der Spiritualität des Islams auf Sinnsuche zu gehen. Sondern man wird gleich Dschihadist.“
(faz.net, 16.11.2015, „Warum gerade Frankreich angegriffen wurde“)
Die o.g. Expertise von Toprak & Nowacki (2010) hat vielfältige Präventionsmaßnahmen für die deutsche Gesellschaft vorgeschlagen, die ich alle samt für sinnvoll halte und die von der Politik dringend umgesetzt werden müssten. Ins Zentrum sollte allerdings das Familiensystem an sich rücken, wie ich meine. Denn: „Verhaltensweisen werden in der frühkindlichen Entwicklungsphase geprägt, weshalb eine zielgerichtete Elternarbeit unabdingbar ist.“ (Toprak & Nowacki 2010, S. 19) Ganz einfache Maßnahmen wären der Expertise folgend bereits, das Recht auf gewaltfreie Erziehung, das in Deutschland gilt, wie auch das „Gewaltschutzgesetz“, das Frauen vor häuslicher Gewalt schützen soll (Rechtsgrundlage „Wer schlägt, der geht.“), in muslimischen Kreisen zu verbreiten (auch – so fordern die AutorInnen - zentral über türkisch- und arabischsprachige Medien, die in Deutschland genutzt werden), da beides meist unbekannt sei.
An dieser Stelle möchte ich jetzt den Blick von Deutschland/Europa weg in Richtung Naher Osten richten. Das Grundproblem in dieser Region ist nämlich, dass es kaum Gesetzte zum Schutz der Kinder vor Gewalt gibt. Einzig Israel und Tunesien haben Gewalt gegen Kinder in allen erdenklichen Kontexten gesetzlich verboten (wobei man an den u.g. Zahlen sieht, dass Tunesien noch einen weiten Weg vor sich hat...). In allen anderen Ländern des Mittleren Ostens und in Nordafrika ist es legal, dass Eltern ihre Kinder schlagen. In Ägypten, Iran, Irak, Libanon, Katar, Saudi-Arabien, Syrien und Westsahara ist es im Jahr 2015 weiterhin legal, wenn Lehrkräfte ihre SchülerInnen schlagen. (Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children (Dez 2015). Progress towards prohibiting all corporal punishment in the Middle East and North Africa.)
Die große UNICEF (2014) Studie „Hidden in Plain Sight“ hat herausgestellt, dass im Nahen Osten wie auch in Afrika die weltweit verglichen höchsten Raten von Kindesmisshandlung zu finden sind. Die Studie habe ich ausführlich besprochen. Die Zahlen sind kaum zu fassen... Kinder, die keine elterliche Gewalt erleben, sind dort die absolute Ausnahme! Diese Regionen brauchen dringend ein durch die UN gesteuertes umfassendes Kinderschutzprogramm! Auch wenn ich die Zahlen im Blog schon mehrfach vorgestellt habe, auch in diesem Text möchte ich die Oberflächendaten aufzeigen.
Hier nun die ausgesuchten Zahlen (gilt für Kinder im Altern von 2 bis 14 Jahren und Gewalterleben innerhalb innerhalb eines Monats vor der Befragung, also nicht für die gesamte Kindheit, diese Zahlen dürften nochmal entsprechend höher sein; entnommen Tabelle 5.2 auf Seite 97 und Tabelle ab Seite 196)
Yemen,
körperliche und/oder psychische Gewalt: 95 %
körperliche Gewalt: 86 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 43 %
psychische Gewalt: 92 %
Ägypten
körperliche und/oder psychische Gewalt: 91 %
körperliche Gewalt: 82 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 42 %
psychische Gewalt: 83 %
Afghanistan
körperliche und/oder psychische Gewalt: 74 %
körperliche Gewalt: 69 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 38 %
psychische Gewalt: 62 %
Tunesien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 93 %
körperliche Gewalt: 74 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 32 %
psychische Gewalt: 90 %
Irak
körperliche und/oder psychische Gewalt: 79 %
körperliche Gewalt: 63 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 27 %
psychische Gewalt: 75 %
Staat Palästina
körperliche und/oder psychische Gewalt: 93 %
körperliche Gewalt: 76 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 27 %
psychische Gewalt: 90 %
Algerien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 88 %
körperliche Gewalt: 75 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 25 %
psychische Gewalt: 84 %
Marokko
körperliche und/oder psychische Gewalt: 91 %
körperliche Gewalt: 67 %
besonders schwere körperliche Gewalt: Ca. 24 %
psychische Gewalt: 89 %
Syrien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 89 %
körperliche Gewalt: 78 %
besonders schwere körperliche Gewalt: Ca. 24 %
psychische Gewalt: 84 %
Jordanien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 90 %
körperliche Gewalt: 67 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 22 %
psychische Gewalt: 88 %
Noch eines: Ergänzend möchte ich auch auf kumulative Effekte (in Form von traumatischen Erlebnissen) Hinweisen, wie sie ganz sicher für den Irak gelten. Das Bayrische Landesministerium für politische Bildung schreibt:
„Seit 1991 sind nach Schätzungen internationaler humanitärer Organisationen rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, den Folgen dieser Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen - durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Das entspricht rund sieben Prozent der irakischen Bevölkerung. Hans Graf von Sponeck, Leiter des UN-Hilfsprogramms für den Irak, trat im Februar 2000 aus Protest gegen die Folgen der Wirtschaftssanktionen von diesem Posten zurück. Er warf den Vereinten Nationen sogar Völkermord vor.“ (Der Irak nach dem Krieg; siehe ergänzend auch den Artikel „Der vergessene Krieg gegen Iraks Zivilbevölkerung“, welt.de, 22.09.2010) Die heute 20 bis 30-jährigen Kämpfer des IS oder anderer Terrorgruppen im Irak entstammen ca. den Geburtsjahrgängen 1985-1995. Es sind exakt die Männer, die als Kind ihre Brüder und Schwestern, ihre Freunde und Nachbarn, teils auch Elternteile oder Verwandte auf Grund der Sanktionen haben sterben sehen! Wie viel Leid erträgt ein Mensch, bevor er in Hass abgleitet und selbst zum Täter wird? Das ist die Kernfrage. In der öffentlichen Diskussion über die Ursachen der Misere im Irak werden weder die hohen Raten von Kindesmisshandlung, noch das Kindheitsleid verursacht durch die Sanktionen thematisiert!
Sehr interessant finde ich auch die Gedanken von der Psychiaterin Daphne Burdman (01.10.2006: "Hatred of the Jews as a Psychological Phenomenon in Palestinian Society", Jewish Political Studies Review 18:3-4) Sie beschreibt in ihrem Bericht ausführlich die Destruktivität in der traditionellen arabischen Kindererziehung. Darauf möchte ich gar nicht weiter eingehen. An einer Stelle schreibt sie: "In Arab society, because of its strongly collectivist and patriarchal nature, the individual characteristically does not criminally act out against the mores of family and society. Instead, the buried emotions of childhood trauma are handled by the psychological defense mechanism of splitting, whereby antagonistic feelings toward the parent, and toward the individual himself, continue as a dammed-up source of predominantly subconscious anger. Later, this is discharged by projection outward onto a socially endorsed target-in this case, Jews and Israel."
In der Tat zeigt eine Übersicht, dass arabische Länder eher verhältnismäßig geringe Mordraten aufweisen, die tendenziell zwischen europäischem und US-amerikanischem Niveau liegen (einzig die plästinensischen Autonomiegebiete liegen mit 7,4 Morden pro 100.000 Einwohner verhältnismäßig höher). Die These von Burdman ist wie oben zitiert, dass der Hass - bedingt durch destruktive Kindererziehungspraktiken - sich in der arabischen Welt - kulturbedingt - nicht in Kriminalität ausdrückt, sondern in auf äußere Gruppen/Feinde (u.a. vor allem Juden) projizierten Hass. Ich würde ergänzen, dass er sich nach Innen in Form von Kindesmisshandlung (siehe Daten oben) und Hass auf und Unterdrückung von Frauen ausdrückt und aktuell in unruhigen Zeiten und in Anbetracht des Zerfalls von politischen Systemen durch Bürgerkriege und Terror.
Wer sich diese Dinge alle samt vor Augen führt, wird zu dem Schluss kommen, dass wir heute beginnen müssen, bei der jetzigen Kindergeneration, wenn wir Gewalt, Bürgerkriege und Terror verhindern wollen! Leider findet bisher öffentlich noch nicht einmal eine Diskussion über Erziehungspraktiken in muslimischen Familien statt, auch wenn es erste Stimmen gibt, die ich oben zitiert habe.
Ergänzend wichtige (!) Beiträge, die ich oben auch hätte mit zitieren können, aus Zeitgründen aber an dieser Stelle auf diese verweise:
- Terror. Biografien der Vorhölle (extern)
- Die Ursprünge des Terrorismus in der Kindheit (von Llyod deMause - extern)
- Forschungsprojekt im Libanon: Islamistische Terroristen hatten furchtbare Kindheiten
- Studie "Die Sicht der Anderen". Wie Extremismus entsteht
- Anschlag auf Charlie Hebdo. Die Kindheit der Täter
- Kindheit von Zacarias Moussaoui
- Kindheit von Omar Bin Laden (als Indiz für Osamas eigene Kindheit)
- Terror, Aufstand der Gedemütigten und die Sehnsucht nach dem eigenen Tod
- Wie Extremismus entsteht - "Ich fühle mich wie ein Stück Dreck" versus "diese dreckigen Ungläubigen"
- Zum Terroristen wird man nicht geboren (extern)
- Über den Ursprung von Fanatismus, Faschismus und Terrorismus (extern)
- Necla Kelek über die "verlorenen Söhne"
Ergänzende Anmerkung:
Bei der Recherche zum Thema bin ich auf folgenden Beitrag gestoßen:
Leygraf, Norbert (2014). Zur Phänomenologie islamistisch-terroristischer Straftäter. In: Forens Psychiatr Psychol Kriminol 8:237-245
Ich ging mit großem Interesse an diesen Beitrag heran, weil der deutsche Gutachter Norbert Leygraf insgesamt seit dem Jahr 2000 29 Männer untersucht hat, denen islamistisch motivierte Straftaten vorgeworfen wurden. Doch sein Bericht enttäuschte.
Er kommt weitgehend zu dem Schluss, dass es keine übermäßigen psychiatrische Auffälligkeiten bei den Untersuchten gab, was auch andere Studien bzgl. Terroristen nahelegen, die er kurz bespricht. Islamistische Terroristen sind also vordergründig erst einmal ganz normale Männer. Das an sich verwundert mich nicht! Was mich enttäuschte war, dass der Gutachter so gut wie gar nicht auf die Kindheiten der untersuchten Männer einging. Einzig über zwei Straftäter berichtet er kurz. Über den Libanesen Youssef Mohamad E. H. D. aus Kiel schreibt er kurz, dass dieser in einer "streng konservativen und gewaltbereiten islamischen Familie" groß geworden sei. (Leygraf 2014, S. 242) Besonders erstaunt hat mich sein Bericht über Arid Uka, der am 02.03.2011 den ersten islamistisch motivierten Mordanschlag in Deutschland begangen hat. Er schreib: "Die Familie stammt aus dem Kosovo, wobei die familiären Verhältnisse in seiner Kindheit ausgesprochen verworren waren. Auch die spätere Situation im Elternhaus war erheblich konfliktbelastet." (ebd., S. 244) Ab dem 16. Lebensjahr litt er unter zeitweiligen Depressionen und Suizidgedanken, schreibt der Gutachter weiter. Interessant ist, dass Leygraf vor Gericht ausgesagt hat, Arid sei im Alter von 7 Jahren in einem Park von einem Fremden sexuell missbraucht worden. (Frankfurter Rundschau, 19.12.2011, "Flughafen-Attentäter ist voll schuldfähig") Arid hatte in seinem Geständnis ausgesagt, er habe mit seiner Tat Vergewaltigungen an afghanischen Frauen durch US-Soldaten verhindern wollen.
In dem vorgenannten Artikel von Leygraf (2014) findet sich kein Wort über diesen sexuellen Missbrauch. Dieser Sachverhalt rundet das Bild ab. Leygraf scheint kein besonderes Augenmerk auf die Kindheit der Täter zu haben. Erstaunlich.
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