Endlich, endlich, ja endlich einmal hat eine junge muslimische Frau und Feministin deutliche Worte gefunden! Dafür war es höchste Zeit. In meinem vorletzten Beitrag (Islamistischer Terror und Gewalt. Die notwendige Modernisierung der muslimischen Familie) hatte ich ja bereits den Versuch unternommen, die Ursachen für soziale Unruhen/Probleme und Gewalt in muslimischen Gesellschaften zu analysieren und lenkte den Blick auf die traditionelle Familie. Die ehemalige Femen-Aktivistin Zana Ramadani hat der Welt (14.01.2016, "Seid wütend auf die muslimischen Frauen!" von Kathrin Spoerr) jetzt ein Interview gegeben, das ich für geradezu bahnbrechend halte. Ich verfolge die Diskussion um Probleme in der muslimischen Welt schon länger intensiv, die sich nach den Ereignissen in Köln ja derzeit zuspitzt. So deutliche Worte habe ich noch nirgends gelesen. Erst recht nicht von einer muslimischen Frau. Letztlich muss mensch einfach das ganze Interview lesen!
Im Zentrum der Aufregung steht doch stets der muslimische Mann und das Patriarchat. Aktuell hat z.B. die ZEIT (Nr. 3 / 2016) groß getitelt: "Wer ist der arabische Mann?" Frauen bleiben meist unsichtbar und werden - wenn überhaupt - höchstens als Opfer kurz sichtbar. Es ist kaum ein ZEIT Titel vorstellbar mit der Frage: "Wer ist die arabische Frau?"
Zana Ramadani nimmt nun die muslimischen Frauen in die Verantwortung, denn diese sind hauptsächliche für die Kindererziehung zuständig. Im Interview kritisiert sie zunächst die traditionellen islamischen Werte, die Frauen systematisch unterdrücken würden. "Frauen sind Bedienstete. Frauen sind Sklavinnen. Wir sind Ware. Wir haben uns züchtig zu benehmen." Gleichzeitig sagt sie sehr richtig, dass in der islamischen Welt nicht nur ein schlimmes Frauenbild vorherrscht, sondern auch ein schlimmes Männerbild. Letzteres beinhalte, dass Männer derart triebgesteuert seien, dass Frauen sich zu verhüllen haben und sich "anständig" zu verhalten hätten, ansonsten würden die Männer über sie herfallen. Dies sei frauen- und männerfeindlich.
"Im islamischen Kulturkreis ist es so, dass noch immer fast ausschließlich Frauen erziehen. Die Frauen haben die Werte, unter denen sie selbst oft gelitten haben, so verinnerlicht, dass sie sie sowohl an ihre Söhne als auch an ihre Töchter weitergeben. Die Jungs werden schon von klein auf als Prinzen behandelt und verhätschelt. Die Mädchen werden vor allem zur Tugendhaftigkeit angeleitet. Sie müssen von Anfang an im Haushalt arbeiten und der Mutter helfen, die Männer der Familie zu verziehen." (Dabei möchte ich anmerken, dass als Kinder auch die muslimischen Jungs sehr häufig elterliche Gewalt erleben. Danach oder zusätzlich werden sie verhätschelt und mit Macht über Frauen ausgestattet, was ich für besonders gewaltfördernd halte, wie in meinem oben verlinkten Blogbeitrag bereits beschrieben.)
Ramadani sagt weiter, dass sie selbst als Kind sehr streng durch ihre Mutter erzogen wurde. Sie wurde von der Mutter als "Dreck" oder "Hure" beschimpft, wenn sie sich zum Spielen nach draußen mit Freunden der Familie entzog. Wenn sie gegen ihre Eltern rebellierte, wurde sie geprügelt (nur von ihrer Mutter, nie von ihrem Vater, wie sie betont), so hart, dass sie oft tagelang nicht sitzen konnte.
An der sexuellen Unterdrückung von Frauen und der strengen islamischen Werterziehung seien - das ist der eigentliche Tabubruch, den ich in dem Interview sehe - Frauen (vor allem als Mütter) deutlich mitverantwortlich. Wenn ich von Gewalt in muslimischen Familien lese, wird i.d.R. auf den Vater geschaut. Die Psychohistorie weist schon seit Jahrzehnten darauf hin, dass Frauen historisch routinemäßig ihnen anvertraute Kinder misshandelt, gedemütigt, oft auch getötet haben. Ich selbst konnte empirisch nachweisen, dass Mütter - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung - auch heute noch in vielen Teilen der Welt häufiger ihre Kinder schlagen, als Väter. Im Welt-Interview wurde Ramadani gleich am Anfang gefragt, auf wen man nach den Exzessen von Köln wütend sein soll. Sie antwortete: "Nicht nur auf muslimischen Männer, auch auf die muslimische Frauen, vor allem auf die muslimischen Mütter." Das ist der eigentliche Tabubruch: Die Verantwortung und den Einfluss von Frauen aufzuzeigen und auch noch zu sagen, man solle auch wütend auf diese sein.
Am Ende des Interviews plädiert sie dafür, einen Wertewandel in den Köpfen der Muslime einzuleiten, ja diesen geradezu zu fordern, vor allem auch von Musliminnen und sie plädiert für ein Ende der falschen Toleranz. Ich selbst hatte es in meinem Beitrag so formuliert: Notwendig ist eine Modernisierung der islamischen Familie.
Freitag, 15. Januar 2016
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6 Kommentare:
Das alles hat aber auch schon Necla Kelek in "Die fremde Braut" dargestellt.
Ute
Danke für den Hinweis. Habe gerade einiges über das Buch gelesen und finde es hoch interessant.
Nur: Ist es in dem buch wirklich so, dass islamische Mütter an sich kritisiert werden und auch gesagt wird: "Seid wütend auf sie."?
Die Unterdrückung der Frauen in der islamischen Welt wurde ja von etlichen Autorinnen beschrieben. Mir geht es um dieses Neue (oder zumindest nach meiner Wahrnehmung neue): Eine die Mütter anklagende muslimische Tochter, die sie auch in die Verantwortung nimmt.
Ich weiß nicht mehr, ob Necla Kelek dazu aufruft, wütend zu sein (allerdings wurde sie selbst ja mal von Hamed Abdel-Samad als wütende Türkin bezeichnet). Die Rolle der Mütter beschreibt sie aber sehr genau, sowohl in "Die fremde Braut" als auch in anderen Büchern. In "Die fremde Braut" geht es darum, dass Mütter oft ihre importierten Schwiegertöchter unterdrücken, einfach weil sie die Macht haben, das zu tun, weil sie weitergeben, was sie selbst erfahren haben. Die Art der Erziehung (vor allem seitens der Mütter) - Jungs werden zu Machos erzogen, Mädchen zu angepassten Menschen, gehorsamen Ehefrauen und Müttern - ist ein wesentliches Thema bei Kelek, und der Grund dafür, dass sie von vielen Muslimen angefeindet wird, liegt eben darin, dass sie dieses Familiensystem offengelegt hat.
Ute
Hallo Sven,
von der Frauenforschung wurde schon vor längerer Zeit der Begriff der "Mittäterschaft" geprägt.
Zitat:
"Der Begriff Mittäterschaft wurde Anfang der 1980er Jahre in die feministische Theoriedebatte eingebracht (vgl. Thürmer-Rohr 1983). Er kennzeichnet die Mitbeteiligung von Frauen an der institutionalisierten Herrschaft des Patriarchats mit seiner historisch verankerten und technologisch hoch entwickelten Zerstörungskraft (vgl. Thürmer-Rohr 1987/1999, 1989). Mittäterschaft geht von der These aus, dass Frauen in der patriarchalen Kultur Werkzeuge entwickeln und sich zu Werkzeugen machen lassen, mit denen sie das System stützen und zu dessen unentbehrlichen Bestandteil werden können."
Siehe:http://link.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-531-91972-0_11
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LG, Heike
Hallo Heike,
ich kann dem Begriff "Mittäterschaft" innerhalb der feministischen Theorie verstehen und auch stehen lassen. Wenn es aber um Gewalt und Demütigungen gegenüber Kindern geht, sehe ich eher die Perspektive des Kindes. Für ein Kind, dass durch die Mutter Gewalt erlebt und/oder destruktive Erziehungspraktiken ist die Mutter zu aller erst eine Täterin (auch wenn die meisten Kinder das irgendwann verdrängen). In diesem Kontext gesehen dürfen die später Erwachsenen auch wütend auf diese Täterinnen sein und auch öffentlich werden. Das wirst du sicher auch so sehen.
In der muslimischen Kultur ist Wut gegen die Eltern nicht erlaubt. Sie führt ggf. zum Ausstoß aus der gesamten Familie. Deswegen fand ich es bahnbrechend, was die o.g. junge Frau im Interview sagte.
Viele Grüße
Sven
Zana Ramadani bei Markus Lanz: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2638528/Markus-Lanz-vom-20.-Januar-2016#/beitrag/video/2638528/Markus-Lanz-vom-20.-Januar-2016
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