Ich mache mir derzeit viel Gedanken über die Entwicklungen in der Welt. Ich versuche die Dinge zu ordnen und in einen größeren Zusammenhang zu bringen. Dabei kann ich hier nicht all zu sehr auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen, ausgenommen natürlich die der Psychohistorie. Insofern schreibe ich einfach mal frei drauf los.
Heute las ich im Stern (Nr. 7, 11.02.2016, S. 8) das Ergebnis einer Umfrage bzgl. der Angst vor Zika-Viren (die Medien berichten derzeit stark darüber). 16 % der Deutschen machen sich große oder sehr große Sorgen bzgl. des Virus. Interessant war dabei für mich die Aufteilung nach Altersgruppen:
Die jüngste Gruppe der 18 bis 29 Jährigen machte sich nur zu 9 % Sorgen. Die 30 – 44 Jährigen zu 12 %, die 45-59 Jährigen zu 16 % und die 60+ Generation zu 20 %.
Ich finde Stimmungen und Ängste bzgl. Viren und Krankheiten besonders interessant, wenn sie – nach meiner Wahrnehmung – 1. mehr irrational sind, als rational und sie 2. kurz vor oder während gesellschaftlicher Krisen oder Kriegen auftauchen. (siehe dazu z.B. meinen früheren Beitrag „Der aktuelle Feind ist ein Keim namens EHEC“)
Die o.g. Ängste scheinen mir deutlich irrationaler Natur. Denn schwerwiegende mögliche Folgen werden laut den Berichten vor allem für Schwangere und deren Fötus erwartet. Diejenigen, die davon am meisten betroffen wären, sofern der Virus überhaupt in Deutschland Fuss fassen würde, wäre die junge Generation, die potentiell Nachwuchs erwarten könnte. Diese hat aber am wenigsten Sorgen. Mir ist bisher keine Studie bekannt, die einmal belastende Kindheitserfahrungen in einen Zusammenhang mit Ängsten vor Viren und Krankheiten gebracht hätte. Dabei wäre dies ganz einfach quantitativ abfragbar. Nun wissen wir ja, dass belastende Kindheitserfahrungen und vor allem auch Gewalt gegen Kinder in Deutschland stetig abgenommen hat und weiter abnimmt. Die 20 % der besonders Besorgten über 60 Jährigen sind also auch statistisch am meisten von Gewalt in der Kindheit betroffen. Ist das jetzt Zufall oder besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen und irrationalen Ängsten? Ich persönlich würde auf Letzteres tippen. (Zudem regt der aktuelle Virus ja auch Fantasien und Ängste bzgl. des Fötus an!, was ja an sich schon ein Faden zur Kindheit bildet)
Ich glaube, dass solche Ängste wie die genannten nur ein Part eines Puzzles sind. Speziell in Deutschland kommt u.a. das Erstarken der AFD, Pegida & Co., so wie fremdenfeindliche Übergriffe und Anschläge hinzu. Bzgl. zu paranoidem Denken neigende einzelnen Menschen aus meinem Umfeld (keine Freunde oder Bekannte !!) ist mir aufgefallen, dass eine Ablehnung von seriösen Medien wie auch des deutschen Staates und der EU an sich sich seit einiger Zeit verstärkt, obwohl diese Leute nicht politisch sind oder waren. Sie fühlen sich verfolgt, ausgebeutet, nicht gesehen und wollen dem Staat so wenig wie möglich geben. (Nebenbei bemerkt finde ich zwei Ausschläge bei googel-Trends interessant. Einmal bzgl. des Begriffs "Feind" gibt es ab 2015 starke Ausschläge nach oben und im Englischen gibt es ebenfalls einen großen Ausschlag bzgl. des Begriffs "fear" (Angst) im Jahr 2015. Ich weiß nur nicht, wie ich das genau einordnen soll und ob dies Zufall ist, möchte es aber hier erwähnen.)
Dazu kommen ähnliche Entwicklungen in Europa mit dem Erstarken rechter/nationalistischer Parteien (Frankreich, Polen, Ungarn, Niederlande usw.), die alle samt Ängste schüren wie auch einfangen und für sich nutzen. In den USA erleben wir seit Monaten das „Phänomen Donald Trump“, das sprachlos macht. Trumps deutliche Hasssprache ist unüberhörbar und mündet neben dem Gutheißen von Folter in dem Satz „Ich könnte wen erschießen und würde trotzdem keine Wähler verlieren.“. Trump spricht vor allem die niederen Emotionen der Menschen oder besser gesagt das Opfer in den Menschen an, das sich klein, verunsichert und gedemütigt fühlt und sich wieder sicher und stark fühlen möchte + einen äußeren Feind braucht.
Diese abenteuerlichen Entwicklungen in der westlichen Welt können meiner Meinung nach nicht getrennt gesehen werden von den kriegerischen und terroristischen Entwicklungen vor allem in Afrika und im Nahen Osten.
DeMause (in anderem Wortlaut auch jemand wie Arno Gruen) hat eindrücklich viel über „Wachstumspanik“ geschrieben, auf die ich hier gar nicht zu tief eingehen möchte sondern auf einen Beitrag von mir verweise, in dem ich dieses Thema bereits besprochen habe. Mein damaliger Beitrag erscheint mir heute wieder aktueller denn je zu sein: „9. Der gesellschaftstheoretische „Hamburger Ansatz“ der Kriegsursachenforschung und die fehlende Verknüpfung mit der Psychohistorie“
Die Geschwindigkeit, mit der sich unsere Welt verändert, nimmt immer mehr zu. Digitale und technische Revolutionen finden nicht mehr als ein „Großereignis“ statt, sondern schleichen sich beständig in den Alltag. Und über die digitalen Medien werden auch Menschen in entlegenen Regionen der Welt mit der Modernisierung und auch westlicher Lebenswelt konfrontiert, die noch vor 10 Jahren nichts davon mitbekommen haben. Der Kampf um Rechte von Frauen, Kindern oder Homosexuellen verbreitete sich bis in die letzten Winkel der Welt (u.a. die UN erhöht mit ihren Zielformulierungen den Druck). Gleichzeitig müssen die Menschen immer flexibler werden. U.a. auch bzgl. ihrer Zugehörigkeit zu einer scheinbar homogenen Gruppe. Gerade in Deutschland erleben wir, dass die Welten und Kulturen sich mischen. Wenn ich Berichte über nordafrikanische Länder sehe, wird mir persönlich auch immer bewusster, wie auch dort sich die Extreme und Widersprüche zuspitzen. Vor allem in Bezug auf Geschlechtsrollen. Mittelalterliche Weltbilder bestehen in der selben Stadt, der selben Straße neben modernen, neben z.B. jungen Frauen die sich schminken und nachts Party machen oder jungen arabischen Männern, die Hardrock-Musik live spielen. Das alles ist schwer mit Worten zusammenzufassen. Ich denke aber, dass der geneigte Leser, die geneigte Leserin versteht, was ich grundsätzlich meine.
Dieser steigende Druck, der durch gesellschaftliche Prozesse entsteht (und nicht aufzuhalten ist), wirkt sich allerdings regional unterschiedlich aus. Und zwar je nach der Verteilung von Kindererziehungspraktiken. In West/Nordeuropa haben wir die weltweit verglichen größten Schritte bzgl. der Kindererziehung gemacht. Bevölkerungsteile, die z.B. besonders schwere elterliche Gewalt häufig erlebt haben, sind hierzulande vergleichsweise selten, während in Afrika oder im Nahen Osten weltweit verglichen am meisten Kinder misshandelt werden.
Ich glaube, dass Pegida & Co. hierzulande vor allem von Menschen getragen wird, die als Kind sehr viel Destruktivität erlebt haben. (Nur hat das noch keiner abgefragt.) Sicherlich müssen weitere Faktoren einbezogen werden, aber die Kindheit wird leider bisher stark unterschätzt beim Wirken innerhalb solcher Bewegungen. Diese Bewegungen sind aber nur Ausläufer der weltweiten „Wachstumspanik“, die ihr Zentrum derzeit in der arabischen Welt hat. Das alles muss eingeordnet werden, ist aber auch schwer zu fassen. Deutschland wird dieses „Aufflammen“ verschütteter Kindheitsängste und von Paranoia verkraften. Die Kindheit ist hierzulande zu weit entwickelt, als das sich dieser Trend zu sehr entflammen könnte, trotz derzeitigen Umfragehochs der AFD.
Die Traumatherapeutin und Vorsitzende der Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation hat in ihrem Buch „Der Feind im Inneren. Psychotherapie mit Täterintrojekten.“ (2013 erschienen in
Junfermannsche Verlagsbuchhandlung, Kindle Version) folgendes geschrieben:
„(…) Täterintrojekte werden nicht nur durch Situationen auf den Plan gerufen, die dem ursprünglichem Trauma ähneln; und nicht nur, indem die Original-Täterinnen sie `rufen`. Sondern Täterintrojekte melden sich sehr nachdrücklich auch dann, wenn die Persönlichkeit Fort-Schritte macht. Nämliche Schritte fort von dem, was die Original-TäterIn akzeptabel fände. Nehmen wir als Beispiel eine KlientIn, deren Täter ihr nie erlaubt hätte, eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto oder andere Formen von Unabhängigkeit zu haben. Dann sind im Inneren prompt die Täterintrojekte zur Stelle, sobald die Persönlichkeit ernsthafte Anstrengungen unternimmt, eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto … zu bekommen.“ (Position 2077 – 2084, Kapitel 9.2.2)
(Täterintrojekte sind verkürzt gesagt Persönlichkeits-Anteile, die in einem Mensch (vor allem wenn Kinder Opfer werden) verborgen wirken und vom ursprünglichen Täter/Täterin (in großer persönlichen Not des Opfers) übernommen wurden, ohne dass den Betroffenen dies bewusst ist. Es gibt verschiedene Arten, diese Wirkung von traumatischen Erfahrungen zu beschreiben. Arno Gruen hat z.B. vom „Fremden ins uns“ gesprochen und von der „Identifikation mit dem Aggressor“. )
Menschen, die durch Fortschritte und starke gesellschaftliche Veränderungen (die ihnen auch von Außen aufgezwungen werden oder sie gefühlt bedrohen) "getriggert" werden, unternehmen mehr oder weniger unbewusst alles (bzw. ihr Täterintrojekt übernimmt das Ruder), damit es wieder Rückschläge gibt, damit Fortschritt ausgebremst, Wachstum reduziert wird. Das gilt für den (noch verhältnismäßig harmlosen) Pegida-Demonstranten in Deutschland genauso wie für den Kämpfer und Mörder in Syrien.
Jemand wie DeMause hat diese Erkenntnis aus dem vorgenannten Zitat aus der Traumatologie auch politisch gedeutet und mit gesellschaftlichen Veränderungen und Fortschritt verknüpft.
„Der Großteil der Welt ist immer noch am Sprung in die Moderne, wird gerade erst frei, demokratisch und wohlhabend, ist aber hinsichtlich Kindererziehung noch nicht modern – insofern durchlaufen diese Nationen nun den gleichen schweren Wachstumspanikprozess, den Deutschland in der Mitte des 20. Jahrhunderts durchmachte. Wir können deshalb in den kommenden Jahrzehnten höhere Todesraten durch Krieg und Demozid in den sich entwickelnden Ländern erwarten.“ (DeMause 2005., S. 164ff) Genau das erleben wir gerade.
Donnerstag, 11. Februar 2016
Psychohistorische Einordnung weltweiter Ängste und destruktiver Prozesse
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1 Kommentar:
Zika lässt bei Kontakt das Gehirn schrumpfen. Na ja. Wir Deutschen leben seit mehreren Jahren mit RTL und das macht in etwa das Selbe. Da hat aber keiner Angst vor.
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