Dienstag, 2. Juli 2019

Filmkritik "Elternschule"


Morgen, am Mittwoch den 03.07.2019, wird der umstrittene Film „Elternschule“ erstmals im Fernsehen in der ARD ausgestrahlt. Ich habe den ganzen Film bereits kürzlich gesehen. Vorher hatte ich mir fest vorgenommen, trotz einiger Artikel (u.a. diesen hier in der ZEIT), die ich über den Film gelesen hatte, möglichst unvoreingenommen an den Film heranzugehen (Mir ist z.B. bewusst, dass hoch traumatisierte Kinder anders ticken und – je nach Einzelfall-  deutlichere Grenzen brauchen, als unbelastete Kinder. Ich rechnete also damit, dass dies evtl. ein Grund für den strikteren Umgang in der Klinik sein könnte.). Im Vorfeld entzündete sich z.B. die Kritik an dem Film heftig alleine schon auf Grund des kurzen Trailers. Kritik kann man aber nur äußern, wenn man das Werk, um das es geht, komplett gesehen hat. Außerdem las ich, bevor ich mir den Film angesehen habe, einen Artikel in der Süddeutschen, der auch etwas die Perspektive der Filmemacher und den enormen Shitstorm, den sie erlebt haben, beschreibt.

Mein Gesamtfazit zum Film lautet wie folgt: Der Film ist eine einzige Werbung dafür, dieser gezeigten Abteilung der Klinik niemals Kinder anzuvertrauen!

Ich könnte jetzt den Film Stück für Stück ausführlich besprechen, aber diese Arbeit kann ich mir sparen, denn der Kinderarzt Herbert Renz-Polster hat den Film und die Arbeit der Klinik am 28.06.2019 bereits ausführlich und fachmännisch kommentiert: Elternschule“ jetzt im Fernsehen. Roter Teppich für eine umstrittene Therapie?

Warum ich mich zu diesem Film äußere, ist meine Sorge darum, dass der Film von verunsicherten Eltern oder allgemein von für Kinder Zuständigen und Betreuungspersonen, die vielleicht manches Mal eh in ihrem Herzen für eine autoritäre Erziehung sind, dazu genutzt wird, den Umgang mit Kindern entsprechend anzupassen oder zu rechtfertigen.

Ein wenig werde ich zum Film also noch anmerken. Hervorgehoben wird regelmäßig, dass die Filmemacher den Film nicht kommentieren, sondern einfach zeigen, was ist. Sie also quasi "neutral" wären. Das stimmt so aber nicht! Der Titel des Films – „Elternschule“ – suggeriert bereits, dass es um eine generelle Anleitung für Erziehung geht. Dabei ist die Situation vor Ort die, dass dort Kinder mit massiven Problemen und Verhaltensstörungen behandelt werden. Viele der dort gezeigten Eltern wirken zudem nach meinem Eindruck stark in ihrer Grundpersönlichkeit verunsichert, teils fallen auch sehr destruktive Eltern auf, z.B. eine Mutter, die gleich im Erstgespräch dem Leiter trotzig erklärt, dass sie ihr Kind in ein Kinderheim geben wird, wenn sich kein Erfolg durch die Behandlung einstellt. Der Film ist zudem in Schwerpunkte aufgeteilt. Nach den gezeigten Szenen wird immer wieder „entspannte, friedliche“ Musik eingespielt, teils mit unterlegten Szenen in Zeitlupe von spielenden Kindern in der Klinik oder Eltern, die ihre Kinder streicheln. Diese Zwischenszenen mildern unterbewusst das ab, was man zuvor gesehen hat. Sie suggerieren: „Alles ist gut, den Kindern geht es gut.“ Am Ende des Films wird eine Luftsicht auf ein Labyrinth gezeigt. Eine Familie geht durch das Labyrinth und kommt ans Ziel. Der Film endet dann. Auch hier wird deutlich suggeriert, dass die Methoden der Klinik zum Erfolg führen. Von Neutralität der Filmemacher kann also keine Rede sein.

Durch den o.g. Kommentar von Renz-Polster habe ich einige Hintergrundinfos erhalten, die bei der unkommentierten Variante der „Elternschule“ natürlich fehlen, aber von großer Bedeutung sind. So war mir beim Sehen des Films z.B. nicht klar, dass die gezeigten ärztlichen Untersuchungen der Kinder täglich stattfinden, auch ohne medizinischen Grund.  Laut Renz-Polster (siehe oben verlinken Text) sind dies gezielte Maßnahmen zur Stressauslösung. „Man muss sich das einmal vorstellen: Da werden Säuglinge und Kleinkinder von einem Arzt körperlich untersucht und vom Personal dazu auf der Untersuchungsliege festgehalten – und das nicht etwa, weil der Arzt wissen will, ob die Kinder krank sind. Sondern um sie unter Stress zu setzen. Denn so würden sie sich an den Stress allmählich gewöhnen. Die von Kindern so gehasste Halsuntersuchung etwa findet dann nicht statt um zu sehen, ob die Mandeln geschwollen oder der Hals entzündet ist – sondern als „Therapie“. Als Arzt bin ich darüber so schockiert, dass ich eigentlich nicht weiter begründen muss, warum ich zum Thema „Elternschule“ immer wieder Stellung bezogen habe.“

Besonders krass fand ich im Film eine Szene, in der eine „Kinderschwester“ ein Kleinkind lieblos und steril auf ihrem Schoß festhält und immer wieder eine Milchflasche in den Mund des Kindes einführt. Das Kind wehrt sich dabei, jammert und versucht den Kopf wegzudrehen. Für das Kind könnte dies, so mein Eindruck, evtl. eine Erstickungsbedrohung bedeutet haben. Denn schließlich wurde ihm offensichtlich eine Flüssigkeit in den Mund gestopft oder dies versucht. Ca. 5 Minuten ging dieser Kampf, berichtete die Schwester später im Kollegium. Krass fand ich auch, wie einem Kleinkind, dass bereits durch die Trennung zur Mutter verunsichert war, einfach der Schnuller aus dem Mund gezogen wurde, Tür zu und weg. Das Kind fing natürlich massiv an zu weinen. Oder ein Kleinkind, das vorher wohl nicht alleine geschlafen hatte. Es wurde einfach in ein Gitterbett gesetzt, alleine in einem sterilen Krankenzimmer, Licht aus, Tür zu und weg. Oder der psychologische Leiter, der als letztlich fremder, großer Mann alleine mit einem Mädchen zum joggen in den Park geht. Trotz Weinen und Widerstand fordert er immer wieder, dass das Joggen fortgesetzt wird, zerrt einmal sogar an den Armen des Mädchens. Oder die bewusst ausdruckslose Mimik und Gesichter der Betreuunungspersonen, was wohl zum Konzept gehöhrt. Oder oder oder….

Letztlich ist extrem auffällig, dass im Film gänzlich die wohlwollenden Worte und Gesten gegenüber den Kindern fehlen (außer, wenn sie endlich so sind und sich so verhalten, wie es gewollt ist). Oder um erneut Renz-Polster zu zitieren: „Und deshalb will ich zum Schluss das benennen, was mich an dem Film am meisten stört: Nämlich, dass darin die gütigen Worte fehlen. Dass es immer nur um Stärke geht, um Überlegenheit und „Führung“ der Kinder („Das Kind muss Führung körperlich spüren“, so heißt es in dem Film).“ Besser kann man es nicht zusammenfassen!

3 Kommentare:

Sven Fuchs hat gesagt…

Und hier noch eine Ergänzung: https://medwatch.de/2019/07/03/doku-elternschule-in-der-ard-im-sinne-der-kinder-halten-wir-es-fuer-bedenklich/

Sven Fuchs hat gesagt…

Mit „schwarzer Pädagogik“ habe das Gezeigte nichts zu tun, sagte Jörg Fegert, Direktor der Ulmer Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Therapieinhalte seien „lege artis – entsprechen also den Regeln der „ärztlichen beziehungsweise psychotherapeutischen Kunst“. Doch gelte dies unter der Voraussetzung, „dass die Interaktionen im Kontext mit der Schwere der Krankheitsbilder zu sehen sind. Die Methoden sind das letzte Mittel, bevor sich die Kinder massiv selbst schädigen und in Lebensgefahr geraten oder Eltern drohen, die Selbstkontrolle zu verlieren und es zu Misshandlungen kommen könnte“. Haben die Kritiker nicht doch recht? „Nicht“, sagt der Jugendpsychiater Jörg Fegert, „wenn man das Ganze als Krankenbehandlung sieht – schon, wenn man das als allgemeine Elternschule oder Erziehungsempfehlung ansieht.“
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/der-dokumentarfilm-elternschule-im-ersten-16265367-p2.html

1. Ist es also, dass belastete Kinder mit Problemen ein anderes Recht auf Würde haben, als Kinder, die keine Probleme haben?
2. In dem Film wurden nicht nur Kinder gezeigt, die dabei waren, sich massiv zu schädigen. Es gab Kinder, die einfach kaum schliefen. Das massive Problem hatten dadurch deren Eltern. Gäbe es da keine anderen Möglichkeiten und Hilfen (z.B. eine Familienhilfe, die die Eltern entlastet hätte?)
3. Das ist überhaupt die Kardinalsfrage: Gibt es denn keine anderen Hilfen und Methoden für solche Fälle? Ich bin sicher, dass es diese gibt.
4. Es gab ein Kind, das nur Chicken Nuggets und Pommes aß. Das ist keine gute Ernährung, die auf Dauer sicher auch schädigend. Aber ist dies so ein Notfall, dass mit dieser massiven Drucktherapie darauf geantwortet werden muss?

Das nur als Fragen zum Nachdenken

Anonym hat gesagt…

Spontanien, 25.07.2019

Hierzu nur ein Zitat als denkwürdige Antwort:

"Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind."
ALBERT EINSTEIN
( 1879 - 1955 )