Beim Thema Frauengewalt gegen Kinder und Jugendliche stört mich vor allem die fehlende öffentliche Klarheit bezogen auf die Daten und Fakten. Bereits im Jahr 2012 hatte ich hier im Blog den Beitrag „Kindesmisshandlung: Mütter als Täterinnen“ verfasst. Und in meinem Buch habe ich dem Thema ein eigenes, kurzes Kapitel gewidmet, weil es einfach wichtig ist, um die Realitäten zu wissen. Die Realität ist, dass nachweisbar in vielen Ländern dieser Welt häusliche, körperliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mehrheitlich von Frauen ausgeht (in Deutschland ist das Gewaltverhältnis in etwa ausgeglichen). Das soll die Männergewalt nicht gering reden und relativieren! Es ist einfach eine Feststellung, um die Mann und Frau wissen muss, damit Prävention auch greifen kann.
Gewaltverhalten an sich und Gewalt gegen Kinder insbesondere steht nachweisbar in einem starken Zusammenhang zu eigenen Gewalterfahrungen (vor allem in der Kindheit). Insofern wäre es schon ein Wunder, wenn Frauen, die ja stark von Gewalt in vielen Kontexten betroffen sind, die Gewalt nicht in der einen oder anderen Form an Menschen, über die sie viel Macht haben, weitergeben. Und als Mütter/Stiefmütter verfügen Frauen naturgemäß über viel Macht über Kinder und Jugendliche.
Ich möchte den Blick hiermit auf mütterliche Gewalt gegen junge Frauen/Jugendliche im Alter zwischen 15 und 19 Jahren richten. Meine Quelle dafür ist:
United Nations Children’s Fund (UNICEF) (2014): A Statistical Snapshot of Violence against Adolescent Girls. UNICEF, New York.
UNICEF hat vergleichbare Daten für insgesamt 33 Länder (keine Industrienationen!) erfasst. Die meiste körperliche Gewalt gegen junge Frauen ging von Intim-Partnern UND Elternteilen aus. Wobei in dieser Lebensphase Gewalt durch Elternteile oftmals häufiger vorkommt, als Gewalt durch Intim-Partner.
Von den 33 Ländern erlebten in 27 Ländern die jungen Frauen mehr Gewalt durch die Mutter/Stiefmutter als durch den Vater. In 2 Ländern war das Gewaltverhältnis gleichmäßig verteilt. Nur in 4 Ländern übten die Väter/Stiefväter mehr Gewalt aus, als die Mütter/Stiefmütter.
Bezogen auf die oben erwähnten 27 Länder, habe ich die durchschnittliche TäterInnennennung ausgerechnet. Im Schnitt erlebten 35,5 % der jungen Frauen Gewalt durch Mütter/Stiefmütter und 23 % durch Väter/Stiefväter in den Ländern, in denen mehrheitlich Mütter/Stiefmütter Gewalt ausüben. Ausgeklammert bleibt wohlgemerkt das Gewalterleben vor dem 14. Lebensjahr, das erfahrungsgemäß deutlich höher ausfällt, als im Jugendalter.
In manchen Ländern sind die Unterschiede im Gewaltverhalten zwischen Müttern/Stiefmüttern und Vätern/Stiefvätern besonders groß. In Kambodscha beispielsweise übten 63% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen nur 30 % der Väter. In Indien (einem sehr bevölkerungsreichem Land) übten 41% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen nur 18 % der Väter. In anderen Ländern wiederum waren die Unterschiede nicht ganz so groß: In Uganda übten beispielsweise 26% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen 21 % der Väter. Auf den Philippinen übten 33% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen 28 % der Väter.
Ein Land aus den 4 oben erwähnten Ländern, in denen mehr Gewalt durch Väter/Stiefväter ausgeht, fällt ganz besonders aus der Reihe: Ägypten. In Ägypten übten 48% der Väter/Stiefväter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen nur 26 % der Mütter. Dieser Sachverhalt ist erklärungsbedürftig, da andere Studien ein sehr hohes Ausmaß von Gewalt gegen Kinder in Ägypten an sich feststellten und auch die große Mehrheit der Mütter (ebenso wie die Väter) Gewalt gegen Kinder ausübten. Vermutlich wird den Männern in den (weiterhin stark) patriarchalen Familien Ägyptens mehr Gewalt speziell gegen ältere Kinder zugestanden, als den Müttern. Dies ist aber nur eine Vermutung.
Die gezeigten Daten machen klar, dass die Welt ein Problem auch mit Frauengewalt hat! Elterliche Gewalt gegen Kinder/Jugendliche ist die häufigste Form zwischenmenschlicher Gewalt überhaupt. Gewalt gegen Kinder ist zudem besonders folgenreich. Und bei dieser Gewaltform machen Frauen kräftig mit. Darum muss die Welt wissen und dagegen muss die Welt gezielt Präventions-Programme auffahren.
1 Kommentar:
Ich denke auch, das Verhalten der Mütter zu ihren Kindern sollte in der Forschung eine größere Rolle spielen. Es gibt nämlich manche Phänomene, wo eine "seltsame Mutter Kind Bindung" meistens sehr auffällig ist. 2 Beispiele, die mir spontan einfallen, sind Autismus (da ist zwar die Kühlschrankmutter These falsifiziert, aber wenn man genau guckt, findet man sehr häufig sehr abnorme Mutter - Kind Bindungen. Christine Weston Chandler ist nur ein Beispiel. Oft trifft bei Müttern von autistischen Söhnen auch sehr der Begriff "Jocasta Komplex".), und einmal das Incel Phänomen. Letzteres konvergiert natürlich stark mit dem Autismus Thema. Aber egal ob harmloser Freak, oder Amokläufer. Man findet ständig auch extrem dominante Mütter bei solchen Fällen. (Und mein Eindruck ist, sehr viele Mütter von berühmten Incels zeigen Anzeichen von unterdrückter Wut auf den Kindsvater.)
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