Montag, 14. Februar 2022

Studie "Canadian Male Street Skinheads" und entsprechende Kindheitshintergründe

Für eine Studie aus Kanada wurden 14 männliche Skinheads (Alter zwischen 15 und 22 Jahre) befragt:

Baron, S. W. (1997). Canadian Male Street Skinheads: Street Gang or Street Terrorists? Canadian Review of Sociology and Anthropology. Volume 34, Issue 2, S. 125-154.

Alle Befragten waren ohne festen Wohnsitz und schlugen sich irgendwie durch. Acht Befragte waren innerhalb von 12 Monaten vor der Befragung eine Zeit lang inhaftiert. Alle Befragten waren häufig in Gewalthandlungen verstrickt. Darüber hinaus waren sie auch in anderer Hinsicht kriminell, vor allem bzgl. Drogendelikten. Neun Befragte waren in den Handel mit Drogen verstrickt. Alle Befragten nahmen verschiedene Rauschmittel zu sich. 

Politische Einstellungen / Rassismus

In dem Sample gab es ca. drei bis sechs Skinheads (je nach Fragestellung wird dies nicht eindeutig klar), die im Prinzip apolitisch waren. Sechs Skinheads waren extreme Rassisten (einer machte deutlich: „Kill everything that`s not white. Kill all the niggers“ (S. 145) ). Die anderen (wie wohl auch die Unpolitischen) waren offensichtlich hauptsächlich wegen der Gewaltevents in der Gruppe. Neun aller Befragten befürworteten allerdings auch einen gewaltsamen Systemsturz, um z.B. Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Insofern ist die Gruppe bzgl. ihrer Ansichten und politischen Einstellungen nicht homogen, die rechten Tendenzen und Neigung zu extremen Denken wird allerdings deutlich. Es ist nicht ganz einfach, alle 14 Befragte eindeutig zu kategorisieren. 

Der Autor betont (auch an Hand anderer Forschungsarbeiten), dass es Überschneidungen der Skinheadszene mit organisierten Rechtsextremnisten gibt. Das verbindende Element wäre der Rassismus und die Gewaltbereitschaft. Aus diesem Sample wurde nur bei einem Skinhead eine reger Austausch und eine Verbindung zu rechten, rassistischen Organisationen festgestellt. 

Familie und Kindheit (S. 134-136)

  • Nur drei Befragte kamen aus intakten Familien mit beiden biologischen Eltern. Ca. 78,5 % (n = 11) kamen entsprechend aus nicht-intakten Familien. 
  • 12 (85,7 %)  Befragte erlebten regelmäßig körperliche Gewalt in ihrer Familie. 
  • 10 (71,4 %) Befragte berichteten von erlittenen schweren körperlichen Misshandlungen durch Erziehungspersonen, die u.a. zu Brüchen und Blutungen führten. 
  • 4 (28,6 %) Befragte berichteten von „leichteren“ Formen von sexuellem Missbrauch 
  • 2 (14,3%) Befragte berichteten von schwerem sexuellen Missbrauch

Together the responses provide overwhelming evidence that these youths have been severely victimized by their parents” (S. 135). 

Einige Auszüge aus den Aussagen und weitere Belastungen in der Kindheit: 

My parent´s didn`t want me so I left. My parents beat the shit out of me so I thought, if they don`t want me, I´ll go with my friends” (S. 135)

There were lots of beating, always. I remember a lot of beatings, parties. Locked in my room at night so I couldn`t get out” (S. 135).

I just don´t get along with my Mom. I tried to kill her. My Mom hated me because I remind her of my father, who is in jail for a couple of murders he committed” (S. 136)

Auch manche andere Befragte äußerten Tötungsfantasien gegenüber Elternteilen. In den genannten Einzelaussagen wird auch deutlich, dass psychische Gewalt bzw. weitere Belastungen hinzukamen (Ablehnung des Kindes, Einschließen in den Raum, Inhaftierung von Elternteilen). Dies ist zahlenmäßig leider nicht in der Studie erfasst worden. 


Donnerstag, 10. Februar 2022

Kindheit des schwedischen Neo-Nazis, Söldners und Mörders X. Eine Fallstudie.

Jessica Eve Stern hat einen schwedischen Neo-Nazi ausführlich befragt: 

Stern, J. E. (2014). X: A Case Study of a Swedish Neo-Nazi and His Reintegration into Swedish SocietyBehavioral Sciences and the Law. 32(3), S. 440-453. 

X ist seit 1999 inhaftiert. Er hat zusammen mit zwei weiteren Nazis eine Reihe von Morden an Migranten verübt. Außerdem haben sie u.a. Banken ausgeraubt. Wir haben es hier also mit einem Schwerverbrecher zu tun. 

Bereits im Alter von 10 oder 11 schloss er sich der schwedischen Neo-Nazi Szene an, die ihn sehr faszinierte. Als er 18 Jahre alt war, ging er zum schwedischen Militär, war aber sehr frustriert, als er dies nach 10 Monaten wieder verlassen musste. Vor allem sah er in Schweden keine Perspektive dafür, real an einem Krieg teilnehmen zu können. Er wurde anschließend Söldner für Kroatien und machte diverse Kriegserfahrungen und tötete viele Menschen. Auch Folterhandlungen oder das Erschießen von verwundeten gegnerischen Soldaten gab er zu. Letzteres hätte er wegen dem Adrenalin und der Aufregung getan. 

Seine Kindheitsgeschichte wird nur kurz ausgeführt, allerdings deutlich. „Like many people who become violent in later life, X was beaten as a child. (…) His parents beat him, he said, from when he was five years old until he was 11” (Stern 2014, S. 447). Interessant ist hier, dass die Schläge offensichtlich in dem Alter aufhörten, als sich X den Neo-Nazis anschloss! War die Gruppe also auch eine Art Schutzschild gegen die gewalttätigen Eltern?
Es waren zudem nicht seine biologischen Eltern, sie hatten ihn adoptiert. Insofern lassen sich hier auch weitere schwere Belastungen in der frühen Kindheit im Rahmen seiner Herkunftsfamilie vermuten. Die Trennung von den biologischen Eltern wird an sich traumatisch gewesen sein. Genaueres dazu wird im Text leider nicht ausgeführt. 

Auf der einen Seite berichtete X, dass er seinen Adoptiveltern und auch seinem Bruder gegenüber Nahe stand. Auf der anderen Seite sagte er: „I don`t feel connected with anyone. I´ve always felt I don`t belong anywhere. I have always felt I have nowhere to live or to breathe” (Stern 2014, S. 447).

X wirkt auf mich, den Schilderungen folgend, wie ein Psychopath. Er suchte die Aufregung im Kampf. Krieg und Gewalt war für ihn wie eine Droge, wie er sagte. 

Wir sehen hier erneut eine ganz klassische Kindheitsbiografie eines Nazis und Mörders. Sie reiht sich ein in all die anderen Kindheitsbiografien, die ich bisher recherchiert habe. 


Mittwoch, 9. Februar 2022

Pink-Panther, Terror und Gewalt: das ängstliche Kind im Täter

Dr. James Garbarino beginnt gleich auf der ersten Seite seines eindrucksvollen Buches „Listening to Killers. Lessons Learned from My 20 Years as a Psychological Expert Witness in Murder Cases“ (2015) mit Schilderungen über den Fall „Danny Samson“ (einem Mehrfach-Mörder). „Danny“ ist ein derart bedrohlicher Mann, dass er vor Gericht von sechs Wachleuten begleitet wurde, weil man davon ausging, er könne jederzeit gewalttätig werden. Seit seinem 15. Lebensjahr verbrachte dieser Mann sein Leben abwechselnd in Freiheit und im Gefängnis. Garbarino fragte ihn, was er über sich erzählen könne, das andere Leute sehr überraschen würde. Dannys Antwort: „I cry myself to sleep at night“ (Garbarino 2015, S. 1). Garbarino kommentiert: „Afterwards, I check out his story: he does. Inside this big, scary, dangerous man is a frightened and hurt little child. You wouldn`t know by seeing him“ (ebd., S. 1).

Garbarino bringt ein weiteres Beispiel: 

Billy Bob, like many inmates, had arms that were covered with prison tattoos—skulls, crosses, women, lightning bolts. But when he opened his shirt, I saw for the first time what might be called his "private collection," tattoos. I had not seen six years earlier, tattoos that are not so often seen in public, sometimes to protect tender feelings in an otherwise brutal world.  Among them, in the middle of his chest, was the clue I had been looking for without knowing it. A tattoo of the Pink Panther, his stuffed animal from childhood. For me, this image represented the mostly invisible connection between Billy Bob the killer who sat on death row and Billy Bob the abused and neglected child who had suffered so much. lt all fit: there really was an untreated traumatized child living within this man who had brutally murdered Connie Kerry. It didn't excuse what he did, but it helped to validate why compassion for this killer was not a ridiculous bit of softhearted, wishful  thinking on my part, but rather a "scientific" perspective on him and his life, a recognition that within the scary adult was a child, a scared child whose trauma had never been addressed and had never healed” (ebd., S.48) Die extrem traumatische Kindheit von Billy Bob beschreibt Garbarino ebenfalls, diese Kindheitsbiografie macht sprachlos. 

Ich muss bei diesen Schilderungen zwangsläufig an das Bekennervideo des Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) denken: Im Mittelpunkt des Films steht die Cartoonfigur Paulchen Panther!

 „Es ist ein zynisches Dokument des Triumphes: In einem 15 Minuten langen Film feierten die rechtsextremistischen Terroristen aus Zwickau ihre Verbrechen, verhöhnten ihre Opfer, spotteten über machtlose Ermittler (…) Es gibt diese Szene, 10 Minuten und 38 Sekunden Wahnsinn sind schon vorbei, da zündet Paulchen Panther eine Rakete, die er auf dem Rücken trägt, die Musik im Hintergrund ist heiter und beschwingt, und auf dem Geschoss, das Paulchen mit einer Zündschnur in die Luft jagt, steht: "Bombenstimmung in der Keupstraße".“ schreibt der SPEIEGEL

Auch Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt hatten beide nachweisbar eine traumatische Kindheit!

Ein Teil in der Psyche dieser Leute blieb offenbar durch die Traumaerfahrungen quasi „eingefroren“ und in einem kindlichen Status. Dieser Teil konnte sich nicht entwickeln und zu einem reifen Erwachsenen-Ich formen. Das „traumatisierte Kind“ von damals drückt sich in solchen kindlichen Bildern wie oben geschildert aus. Die Öffentlichkeit schockiert es sehr, wenn eine Terrororganisation solche Kindercartoons für ein Bekennervideo nutzt. Mich verwundert dieser „kindliche“ Bezug überhaupt nicht. 

Patrick King ist einer der Organisatoren des „Tucker Freedom Convoy“ in Kanada, der sich gegen die Corona-Politik/Beschränkungen richtet. King ist ganz offensichtlich auch Rassist. Eine kurze Videozusammenfassung über seine Aussagen brachte mich überhaupt auf die Idee, diesen gesamten Beitrag hier zu verfassen. Träume von einer Revolution mit Waffengewalt sind darin u.a. zu hören. In einem Teil macht er sich offensichtlich um „Überfremdung“ sorgen und kommentiert rassistisch wie folgt: 



Das sind genau die Verhaltensweisen, um die es mir auch hier im Beitrag geht. Wir sehen einen offensichtlich gewaltbereiten, rassistischen Mann (den ich nicht mit den NSU-Terroristen gleichsetzen möchte! Mir geht es hier nur um die gezeigten Verhaltensweisen), der plötzlich in dem Videoauszug "wie ein Kind" spricht und sich darüber köstlich amüsiert, obwohl seine Aussagen widerwärtig sind. Das sind diese kindlichen Anteile, die hier im Fokus stehen und uns hellhörig machen sollten. 

Ich selbst habe 15 Monate lang meinen Zivildienst in einer Drogentherapieeinrichtung abgeleistet. Die meisten der „Klienten“ waren auch Kriminelle: Überfälle, Erpressung, Diebstahl, Urkundenfälschung, Zuhälterei/Menschenhandel usw.  Manche hatten lange Haftstrafen hinter sich. Was mir immer wieder auffiel war, dass so manche „Klienten“ teils und phasenweise kindlich wirkten (und manchmal geradezu Beschützerinstinkte bei mir auslösten). Manche erwachsene Männer hatten auch Phasen, wo sie wie pubertierende Jugendliche wirkten. Ich kann schwer beschreiben, woran ich das festmache. Ich traf damals einmal einen Zivi aus einer anderen Drogentherapieeinrichtung. Wir kamen im Gesprächsverlauf auf diese Ausfälligkeit der kindlichen Verhaltensweisen zu sprechen. Er bestätigte mir die gleiche Beobachtung! Mir tat es damals sehr gut, dies so zu hören. In einer solchen Einrichtung macht man viele Erfahrungen, die man schwer einordnen kann. Dass es nicht nur mir so ging, war eine Wohltat. 

Ich erinnere mich auch noch an eine Szene im Winter, wo einer der Psychotherapeuten mit einem Klienten um einige Autos herum fangen spielte. Der erwachsene Klient quietschte dabei wie ein Kind.  Später in der internen Therapeutenrunde berichtete der Therapeut, dass er dies bzgl. diesem Klienten bewusst hin und wieder so mache, weil er das Gefühl hatte, dieser bräuchte einige Erlebnisse, die er als Kind so nicht gehabt hätte. Ob dies nun der richtige therapeutische Weg war sei dahingestellt. 

Was bringen nun diese meine Ausführungen? Nun, sie ändern nichts an der Gefährlichkeit dieser Leute. Auch die von mir beobachteten Klienten konnten ganz normal sein oder ihre kindlichen, bedürftigen Anteile zeigen. Am nächsten Tag kam ich dann in die Einrichtung und es hieß „Klient X.“ sei heute von der Polizei mitgenommen worden, weil er die Büroeinrichtung der Therapeuten zerstört und Mitarbeiter bedroht hätte...

Ich sehe den Nutzen eher bzgl. der Analyse von Taten und Tatursachen. Wenn sich solche kindlichen Anteile von Gewalttätern offenbaren, dann – da bin ich ganz bei James Garbarino – zeigt sich das traumatisierte, bedürftige Kind im Erwachsenen. Mit solchen Menschen muss therapeutisch gearbeitet werden, so es die Möglichkeit dafür gibt. Besser noch ist, vorne anzufangen: beim Kinderschutz!