Donnerstag, 3. März 2022

Kindheit von SoldatInnen (auch mit Blick auf den aktuellen Krieg in der Ukraine)

Bei der besonderen Gruppe der Soldaten und Soldatinnen findet die Forschung regelmäßig ein sehr hohes Ausmaß von belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, ACEs). In meinem Buch habe ich zu dem Thema ein eigenes Kapitel verfasst! 

Die aktuelle Kriegssituation in der Ukraine bringt das Thema „Soldatentum“ und „Befehl + Gehorsam“ mit einem bösen Paukenschlag auf die Tagesordnung. Ohne tausende SoldatenInnen, die auf Befehl Putins in den Krieg ziehen (trotz wohl auch nicht selten innerer Widerstände, laut Medienberichten), wäre Putin eine reine Lachnummer. 

Ich habe aktuell eine weitere Studie gefunden, die ein hohes Ausmaß von ACEs bei Militärs fand. 

Gottschall, S., Lee, J. E. C. & McCuaig Edge, H. J. (2022). Adverse childhood experiences and mental health in military recruits: Exploring gender as a moderator. Journal of Traumatic Stress

50.603 kanadische Rekruten / Offizieranwärter wurden befragt. 

Belastende Kindheitserfahrungen (ACEs) / Ergebnis für die Männer:

  • psychisch misshandelt: 58,1%
  • körperlich misshandelt: 37,2 %
  • sexuell misshandelt: 2,5%
  • Miterleben von häuslicher Gewalt: 21,9%
  • Haushaltsmitglied depressiv oder psychisch krank: 15,4%
  • Haushaltsmitglied Alkoholmissbrauch oder Alkoholiker: 14,6%
  • irgendeine dieser Belastungen: 70%

Belastende Kindheitserfahrungen (ACEs) / Ergebnis für die Frauen:

  • psychisch misshandelt: 56,5%
  • körperlich misshandelt: 36,1%
  • sexuell misshandelt: 10%
  • Miterleben von häuslicher Gewalt: 25,5%
  • Haushaltsmitglied depressiv oder psychisch krank: 21,7%
  • Haushaltsmitglied Alkoholmissbrauch oder Alkoholiker: 19,5%
  • irgendeine dieser Belastungen: 71%

Befragungen von US-Kriegsveteranen zeigten sogar noch höheren Misshandlungsraten, wie hier im Blog bereits besprochen. 

Auch andere Studien zeigten ein enorm hohes Ausmaß von Kindesmisshandlung bzw. ACEs bei Militärs:

Studien aus Russland liegen dazu nicht vor. Aber es ist naheliegend, ähnliche Zahlen in dieser Population zu finden. 

Zugespitzt lässt sich sagen, dass das Militär vor allem als Kind gedemütigte und verletzte Seelen in seinen Bann zieht. Das kann kein Zufall sein! In sich schlummernde Hass- und Rachegefühle, fehlendes Empathievermögen, geringeres Selbstbewusstsein, Neigung zu Schwarz-Weiß-Denken, Neigung zu Verdrängung oder Abspaltung von belastenden Erlebnissen usw. all dies sind mögliche Folgen von belastenden Kindheitserfahrungen. Auf eine Art „passen“ diese Folgen zu dem Soldatenberuf und dessen besondere Anforderungen. 

Wir sehen also mal wieder: Die Kindheit ist politisch!


6 Kommentare:

Michael Kumpmann hat gesagt…

Den Bericht lobe ich SEHR. Auch eine Sache: Das wusste Ich zwar schon lange, aber gerade hebe ich das mal gesondert hervor. Danke, dass Du, obwohl Du scheinbar die Grünen sehr magst, nicht deren Symphatie für die USA als kriegerischen Weltpolizisten teilst, sondern beim grundlegenden Pazifismus bleibst, den die deutsche Linke mal auszeichnete. (DAS ist ganz ehrlich einer der Hauptpunkte, warum Ich die Grünen nicht sonderlich leiden kann. Unsere deutsche Linke war mal, wie die Japanische, grundsätzlich gegen Krieg. Nur die Grünen haben seit Yugoslawien ihre Meinung stark geändert.

Ich finde es einfach nur traurig, dass man von "Krieg und Militär ist grundsätzlich was Schlechtes" ab kam, und stattdessen beklatscht, wenn das Militär jetzt auch Transgender aufnimmt. Ich hab nichts gegen Transgender. ABER: Es ist ein moralischer verfall, von "Krieg ist grundsätzlich was Schlechtes" zu "Wir müssen dafür sorgen, dass Transgender ins Militär kommen" zu kommen." Ganz ehrlich.)

Und danke, dass Du da gerade nicht wie so viele Leute in Propagandafallen tappst und was vom bösen Russen sprichst, sondern Dich Grundsätzlich gegen Krieg aussprichst.
totaler Applaus von meiner Seite.

(Ganz ehrlich. Den "Pazifismus" der Bundesregierung, Joe Bidens etc. gerade, den halte ich für Heuchelei und denke, die wollen eigentlich das Gegenteil sagen. Das, was die machen, ist im Namen des Pazifismus eine "bellum iustum" Propaganda zu fahren, und eine Ausweitung des Krieges orzubereiten. Insbesondere Friedrich Merz glänzt extrem an Scheinheiligkeit. Für mich sieht das gerade so aus, als ob die Regierung im Namen der "bellum iustum" Theorie probiert, im Namen des Pazifismus und der Friedfertigkeit, die Leute auf einen Krieg gegen RUssland einzuschwören.

Du machst mir im Gegensatz dazu den Eindruck, dass Du zur Minderheit gehörst, die gegen Krieg sind, und dies auch Ernst meinen.)

Michael Kumpmann hat gesagt…

Nur muss ich eingeschränkt leider sagen, totaler Pazifismus halte ich zwar für EXTREM edel, aber in der Politik leider für unrealistisch. (Es ist trotzdem eine Position, die ich immens respektiere.)

Ich glaube, totaler Pazifismus kann man eher auf religiöser Seite leben. In letzter Zeit haben mich insbesondere die Altgläubigen der russisch orthodoxen Kirche beeindruckt, wie die wirklich jegliche Art Gewalt ablehnen. Laut denen war selbst ein Angriff auf Leute, die sie verfolgt und unterdrückt haben, nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar. Stattdessen sind die meist in entlegene Gebiete in Sibirien gezogen, wo der Rest der Welt sie nicht mehr finden konnte. (Siehe z.B. die Familie Lykow.)

Sowas finde ich irgendwie toll. Ganz ehrlich.

AcesTooHigh hat gesagt…

Interessanter Artikel über die Kindheit Putins - auf AcesTooHigh ... bitte auf den Begriff klicken .. LG Peter aus Wien

Sven Fuchs hat gesagt…

Michael, Danke für das Lob. Ich mag die GRÜNEN in der Tat für ihre Umweltpolitik, aber ich neige nicht dazu, mich absolut irgendwelchen politischen Parteien zuzuordnen.

Peter, ein wichtiger Artikel, den jeder/jede lesen sollte!

Michael Kumpmann hat gesagt…

Deren Umweltpolitik ist auch eines der Dinge, wo ich eher dafür als dagegen bin. (Was mich da stört, sind ein paar Detailfragen, aber die Richtung generell ist gut.)

Das Einzige was mir bei der grünen Umweltpolitik doch etwas stört, ist oft deren Management Denke. Diese US Linksliberale Schiene macht absolut alles, egal ob Umwelt oder Rassismus/Diskriminierung zum BWL Kennzahlen Problem. Das wird so nicht funktionieren. Als Mensch muss man grundlegend umdenken. Man kann nicht allein dadurch umweltfreundlicher werden,dass man ein paar CO2 Werte in die Gleichungen der Controlling Abteilung integriert. Dieser "Humanismus", der seit dem 19. Jahrhundert dominant ist, und sagt, die Natur ist dazu da, um durch die Menschen genutzt und "ausgeschlachtet" zu werden, ist nämlich mit ein Problem dabei. Er war schon gut, in dem Sinne, dass er dem Menschen eine unabänderliche Würde zusprach.

Aber dann zusagen, mit Tier und Umwelt kann man machen, was man will. Das war eher ungut. (Zeigte sich auch sehr gut darin, dass dieses humanistische "Dilemma on manchen Staaten dadurch gelöst wurde, dass man unerwünschten Personen direkt oder indirekt den Status "Mensch" aberkannt hat.)

Das ist leider quasi die Schattenseite so mancher Humanisten. Es klappt nicht, dem Mensch eine Würde zu zu sprechen, und gleichzeitig die Natur zu "damit könnt ihr machen was ihr wollt" zu erklären. Wahrscheinlich klappt Menschenwürde nur durch Respekt für die Umwelt und auch für das Tier.

Sven Fuchs hat gesagt…

Passend dazu eine neue Studie:

Clarifying the association between adverse childhood experiences and postdeployment posttraumatic stress disorder symptom severity: A meta-analysis and large-sample investigation

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/jts.22940