(aktualisiert am 02.08.2022)
Ich habe bis heute keinen einzigen Diktator finden können, der nachweisbar eine glückliche und unbelastete Kindheit hatte! Auch die Kindheit des nordkoreanischen Diktators Kim Il-sung, der bis zu seinem Tod 1994 an der Macht war, zeigt deutliche Schatten.
Kim Il-sung wurde am 15. April 1912 geboren. Die Familie war arm. „To be sure, his parents were ordinary people who sufferd the poverty and oppression of the time and died early without giving much education or assistance to their children” (Suh 1988, S. 5). Der Vater von Kim hatte als Fünfzehnjähriger geheiratet, seine Braut war damals siebzehn Jahre alt (Stichwort: Kinderehe!). Bei der Geburt von Kim war sein Vater siebzehn und seine Mutter zwanzig Jahre alt. Obwohl der Vater so jung war, starb er früh.
„His father died early in 1926 when Kim was only fourteen. In the spring of 1930, when he was released from jail, he began to follow various bands of guerrillas, leaving his widowed mother and two brothers behind” (Suh 1988, S. 3). Es gibt einen Bericht durch eine mit Kims Vater bekannte Person. Demnach wurde Kims Vater durch Kommunisten umgebracht (Un 1982, S. 253). Dies würde eine andere Art von Belastung für ein Kind bedeuten, als ein natürlicher oder krankheitsbedingter Tod. Ob diese Geschichte stimmt, kann ich nicht beurteilen. Die verwendete Quelle selbst stellt dies nicht als absolute Tatsache dar.
Kim Il-sung selbst beschreibt eine schwere Erkrankung des Vaters nach dessen Flucht vor Inhaftierung bei Kälte und anschließende Erfrierungen. Diese Folgeschäden hätten später seinen frühen, krankheitsbedingten Tod verursacht (Il Sung 1992, S. 116, 126ff.). Über seine Gefühle zum Tod des Vaters schreibt er: "His death was a heavy blow to me. The irreparable loss left a hollow in my heart. At times I would go and sit alone in tears on the riverside gazing at the far-off sky of the homeland" (Il Sung 1992, S. 132).
Eine andere Quelle beschreibt genauer die Umstände von Kims eigener, oben erwähnter Inhaftierung:
"He attended elementary school in Manchuria and, while still a student, joined a communist youth organization. He was arrested and jailed for his activities with the group in 1929–30” (Britannica, The Editors of Encyclopaedia 2022). Kim musste also schon als Jugendlicher Inhaftierungserfahrungen machen.
Ähnlich war es wohl auch seinem Vater ergangen und Kim musste dies in der frühen Kindheit miterleben: “... still only five, the young Kim has a further political awakening, visiting his father in a Japanese prison. Quick to learn who and how to hate, he recalls how, `the physical wounds to my father made me feel to the marrow of my bones how fiendish was Japanese imperialism`” (Richardson 2015). Der Quelle nach folgte später sogar eine erneute Inhaftierung des Vaters.
Da Kim Il-sung seine Familiengeschichte und Biografie rückblickend verklärt hat (siehe dazu Un 1982, S. 250ff.), ist allerdings auch eine gewisse Vorsicht geboten, wenn er darüber berichtet. In seinen eigenen Erinnerungen fängt Kim Il-sung (1992) unzählige Sätze mit "My father" an. Der Vater nimmt zentral Raum in seinen Erinnerungen ein und erscheint omnipräsent. Er beschreibt seinen Vater als Helden und Revolutionär von hoher Bedeutung und Wichtigkeit. Un (1982) bezweifelt dagegen die Bedeutsamkeit des Vaters.
Laut Kim Il-sung war sein Vater beständig in revolutionäre Tätigkeiten gegen die japanische Besatzung verwickelt. Dies war auch der Grund für die erste Inhaftierung des Vaters, als Kim sechs Jahre alt war (Il Sung 1992, S. 32f.; Hinweis: Richardson gibt stattdessen, wie zuvor zitiert, das Alter von fünf Jahren an). Anfangs durfte er seinen Vater nicht besuchen. Die Inhaftierung hätte ihn damals schockiert. Im Herbst 1918 wurde der Vater entlassen, Kim war zu der Zeit immer noch sechs Jahre alt.
An einer anderen Stelle beschreibt er, dass der Vater ca. ein Jahr abwesend war. Auch dies um das Jahr 2018 herum (Il Sung 1992, S. 48; hier klingt es aber so, dass diese Abwesenheit nichts mit der Inhaftierung zu tun hatte).
Bezogen auf seine Mutter meint er, dass sie einige Härten im Leben durchstehen musste: "When father criticized her once in a while, she never answered back. She would apologize for having done wrong and promise not to do it again. (...) She sheldom lived in comfort with her husband, because he was always away from home working for independence of the country" (Il Sung 1992, S. 105). In diesem Sinne wird auch das Kind Kim den Vater oft abwesend erlebt haben. Außerdem wird hier die starke Dominanz und Autorität des Vaters gegenüber der Mutter deutlich.
Gepaart mit der häufigen Abwesenheit kam eine weitere Belastung für das Kind hinzu: häufige Umzüge. "As my father often moved the centre of his activities, we had to move house many times. When I was five years old I left my birthplace for the first time" (Il Sung 1992, S. 56).
Laut Kim wurde sein Vater später erneut von der Polizei verfolgt. Die Familie war gezwungen, nach China zu fliehen. Dies sei damals sein vierter Umzug als Kind gewesen (Il Sung 1992, S. 61). Auch ein Onkel wurde verfolgt und später langjährig inhaftiert (Il Sung 1992, S. 66f.).
1923 kam der Vater im chinesischen Exil auf den Gedanken, seinen Sohn zurück in die Heimat zu schicken. Kim war elf Jahre alt, als er alleine auf eine Reise von 250 Meilen geschickt wurde. Er kam dann für zwei Jahre bei seinen Großeltern in Korea unter und war von seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder getrennt (Il Sung 1992, S. 80ff.).
Kim selbst hat auch berichtet, dass er als Kind die Ermordung von Menschen mit ansehen musste:
“I, then seven years old, also joined the ranks of demonstrators in my worn-out shoes and went as far as the Pothong Gate, cheering (…) when the adults cheered for independence, I joined them. The enemy used swords and guns indiscriminately against the masses (… ) many people were killed (...) This was the first time I saw one man killing another” (Il Sung 1992, S. 39). Wenn dies stimmten sollte, dann ist das eine höchst traumatische Erfahrung für ein Kind.
1932 starb Kims Mutter im Alter von nur vierzig Jahren. Kim war zu der Zeit zwanzig Jahre alt. Für den jungen Mann, der schon früh den Vater verloren hatte, muss dieses Ereignis ein erneuter Schlag gewesen sein.
Über seine Mutter hat er in seinen Erinnerungen viel weniger berichtet, als über den Vater. Am Ende des Kapitels über sie beschreibt er zunächst ihre Sorgen um die Verfolgung der Familie und ihre Überlegungen, die Kinder woanders hinzuschicken. Er schließt mit: "No love in the world can be so warm, so true and so eternal as maternal love. Even if a mother scolds or beats her children, she does not hurt them, she loves them. Her love can bring down a star from the sky if it is for her children" (Il Sung 1992, S. 110). Schläge und Schelte gegen die Kinder werden hier mit Liebe gleichgesetzt! Ich halte es entsprechend für höchst wahrscheinlich, dass er mütterliche Gewalt erlebt hat, wenn er seine Erinnerungen an seine Mutter so schließt. Kim war ein sehr belastetes und häufig verlassenes Kind. Auch seine Mutter idealisiert er hier stark. Der früh verstorbene Vater wird gleichsam fast gottgleich verehrt. Und als gottgleicher Führer und Retter/"Vater" der Nation inszenierte sich später Kim als Diktator Nordkoreas.
Quellen:
Britannica, The Editors of Encyclopaedia (2022, 11. April). Kim Il-Sung. https://www.britannica.com/biography/Kim-Il-Sung
Il Sung, K. (1992). Kim Il Sung. Reminiscences. With the Century Vol. 1. Foreign Languages Publishing House, Pyongyang.
Richardson, C. (2015, 31. Jan.). Hagiography of the Kims & the Childhood of Saints: Kim Il-sung. Sino-NK.
Suh, D.-S. (1988). Kim Il Sung. The North Korean Leader. Columbia University Press, New York.
Un, L. (1982). The Founding of a Dynasty in North Korea. An Authentic Biography of Kim Il-song. Jiyu-sha, Tokyo.
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