Mittwoch, 7. September 2022

Kindheit von fünf jugendlichen Rechtsextremisten

Erneut habe ich eine Arbeit gefunden, innerhalb der die Kindheitsbiografie von Rechtsextremisten besprochen wird: 

Hardtmann, G. (2007). 16, männlich, rechtsradikal: Rechtsextremismus - seine gesellschaftlichen und psychologischen Wurzeln. Patmos Verlag, Düsseldorf. 

Die Professorin und Psychoanalytikerin Gertrud Hardtmann gibt ihre sozialpädagogische Arbeit mit rechten Jugendlichen aus Berlin wieder. Die Gespräche mit den Jugendlichen waren unstrukturiert und spontan. Trotzdem (oder vielleicht auch gerade deswegen) konnte sie einiges über die Kindheitshintergründe herausfinden. 

An eine Stelle im Buch formuliert sie:
Die Wuzeln für ihre Radikalisierung liegen bei jugendlichen Rechtsextremisten in der frühen Kindheit“ (S. 90). 

Die Vaterlosigkeit ist eine besondere Auffälligkeit bei den untersuchten Jugendlichen, was sie wie folgt zusammenfasst: „Den von mit beobachteten Jugendlichen fehlten väterliche Angebote zur Information, Bildung und Weiterbildung. Die aus der brüchigen männlichen Identifikation entstandene Leere wurde mit rechtsextremistischer Ideologie gefüllt. Die damit unvermeidliche Frustration provozierte Gewalt. Nach außen demonstrierten die Jugendlichen Macht anstelle tatsächlicher innerer Ohnmacht. Die Unterwerfung unter einen Führer und die Abhängigkeit von einer Gruppe sollten die fehlende verinnerlichte Repräsentanz eines starken Vaters ersetzen. Dies gelang nicht und führte die Jugendlichen immer tiefer in die regressive Sackgasse von Abhängigkeit und Fremdbestimmung.“ (S. 93). 

In ihrem Buch hat sie vier Fällen ein eigenes Kapitel gewidmet: Peter, Detlef, Michael und Marc. Nach diesen Fallbeispielen geht sie im Text aber auch noch auf den Fall „Kurt“ ein. Insofern gehe ich hier von fünf Fallbeispielen aus. 

Der Fall „Peter“ (S. 67-69, 95) :

Peter wuchs in einem autoritären Elternhaus auf. Die Eltern waren sehr links eingestellt und der Junge fügte sich lange Jahre gehorsam ihren Einstellungen und Erwartungen. „Peter lebte seinen spätpubertären Protest gegen die autoritären Eltern provozierend aus und radikalisierte sich in der exakt entgegengesetzten politischen Richtung. Er fand in der Gruppe die Unterstützung und Anerkennung, die ihm immer gefehlt hatten“ (S. 95). „Seinen Eltern äußerlich gesehen so unähnlich, glich er ihnen doch in seiner autoritären Struktur und war nicht bereit, sich selbst kritisch zu hinterfragen“ (S. 68). 

Der Fall „Detlef“ (S. 69-71):

Der Verlust des Vaters durch die Scheidung der Eltern, als er acht Jahre alt war, hatte Detlef traumatisiert. Schlimm für ihn war nicht die Trennung als solche, sondern der Krieg, den die Mutter in der Folgezeit gegen den Vater führte. Sie führte ein strenges Regiment zu Hause, hatte das alleinige Sorgerecht und diktierte nicht nur die Besuchsregelung, sondern auch die Bewertung dessen, was der Vater dem Jungen bedeutet hatte und ihm in Zukunft hätte geben können“ (S. 69).
Männer brauchen wir nicht“, entgegnete die Mutter ihrem Sohn, als er von früheren guten Erfahrungen mit seinem Vater berichten wollte (S. 69). „Detlef war dem Kampf mit der sehr aggressiven, Männer hassenden Mutter und dem Verlust des Vaters im Alter von acht Jahren nicht gewachsen“ (S. 70f.) Detlefs „Lösung“ war ein innerer Rückzug und eine Fantasiewelt, in der die Welt von Männern dominiert wird und Frauen keine Rolle spielen. 
Seine Mutter war zudem ausländerfeindlich eingestellt, was ihr Sohn offensichtlich übernahm. 

Der Fall „Michael“ (S. 72-76):

Michael hatte von Beginn an nie eine gute Beziehung zu seinem Vater erlebt. Der Junge interessierte sich auch nicht für Basteleien und Heimwerkern, so wie sein Vater. „Michael reagierte auf seinen Vater mit aggressiver Ablehnung“ (S. 72). Der Mutter nach habe sich der Vater vollkommen aus der Erziehung zurückgezogen. Michael fing früh an zu provozieren: Schuleschwänzen, Diebstähle, Überfälle und Körperverletzung. Der Großvater übernahm ein Stück weit die Vaterrolle, „vergiftete“ seinen Enkel aber auch „mit NS-Ideologie, Fremdenhass und faszinierenden Heldengeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg“ (S. 72). 

Der Fall „Marc“ (S. 76-77):

Marc hatte früh im Alter von drei Jahren den Vater durch die Scheidung der Eltern verloren. Der Vater kümmerte sich auch in der Folgezeit nicht um seinen Sohn. Die allein erziehende Mutter tat ihr Bestes, verstarb aber plötzlich an einer unheilbaren Krankheit, als der Junge vierzehn Jahre alt war. Äußerlich versorgt mit allem was er brauchte, fand Marc für seine Traurigkeit keinen Ansprechpartner. Er fühlte sich verlassen und allein, hatte auch Angst vor Einsamkeit und suchte in der Gruppe nicht nur Anschluss, sondern auch die Möglichkeit, seine Niedergeschlagenheit erfolgreich zu verleugnen und die Verlassenheitsgefühle nicht zu spüren. Er hätte tatsächlich auch in einer anderen Gruppe eine Heimat finden können, sobald diese ihm nur Anschluss und Halt geboten hätte“ (S. 76f.).  Marc war zudem depressiv (S. 95). 

Der Fall „Kurt“ (S. 96):

Kurt wurde von der Autorin wie bereits geschildert kein eigenes Kapitel gewidmet, was verwundert, denn er wird innerhalb eines Rückblicks auf die oben besprochen Fälle eingereiht und erwähnt. Hardtmann fasst seine Kindheit wie folgt zusammen. „Kurts Vater trank, war alkoholabhängig und hatte sich nie um die Familie gekümmert, oder wenn, dann nur in negativer Weise, randalierend. Die Mutter war nicht in der Lage, dem Vater Grenzen zu setzen. Unterstützung auf dem schwierigen Weg zum Erwachsenwerden war von ihm nicht zu erwarten. Er war auch kein Vorbild, an dem man sich orientieren konnte (…)“ (S. 96). 

Anmerkung

Bei allen fünf Fällen werden diverse Problemlagen in der Kindheit deutlich. Die Autorin fokussiert sehr auf die Väter. Auf Grund der Konfliktlagen mit diesen ist dies auch nachvollziehbar und sinnvoll. Mir fehlt trotzdem der Blick auch auf die Mütter. Da die Autorin keine strukturierten Interviews geführt hat, vermute ich an sich weitere Belastungslagen und evtl. auch Gewalterfahrungen in der Kindheit, die durch das freie Erzählen und den sozialpädagogischen Kontext nicht ermittelt werden können.  


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