Donnerstag, 7. Januar 2016
Islamistischer Terror und Gewalt. Die notwendige Modernisierung der muslimischen Familie.
Die Ursachenanalyse bzgl. islamistischem Terrorismus und Gewalt in der muslimischen Welt ist wichtig, weil nur mit dem Wissen um die Ursachen nachhaltig wirksame Präventionsmaßnahmen ergriffen werden können. Das Wissen um die eigentlichen Ursachen ist auch wichtig, um politisch gegen militärische Lösungen argumentieren zu können. Durch den Abwurf von tausenden Bomben im Nahen Osten wird das Problem bekanntlich verschärft, nicht gelöst.
Im Grunde bin ich wie so oft bei dem Thema erstaunt, wie deutlich in einigen Arbeiten/Artikeln die Ursachen und auch Präventionsmaßnahmen bereits analysiert worden sind. Dem gegenüber stehen die häufigen Fragezeichen in den Medien, ausschweifende und wenig erkenntnisreiche Diskussionsrunden im Fernsehen, wie auch wenig förderliche Reden und Aktionen von PolitikerInnen (inkl. dem militärischen Aktionsmus).
Eine einzige wissenschaftliche Expertise im Auftrag des Familienministeriums hat in meinen Augen bereits wesentliche Ursachen wie auch Präventionsmaßnahmen zusammengefasst:
Toprak, Ahmet & Nowacki, Katja (2010). Gewaltphänomene bei männlichen, muslimischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Präventionsstrategien. Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften, Fachhochschule Dortmund.
Das Papier liest sich wie ein umfassender Handlungskatalog für die Politik in Deutschland, die dies nach meiner Wahrnehmung allerdings nicht angenommen zu haben scheint (große Budgets für Sozialarbeit hätten eröffnet werden müssen, was meines Wissen nach nicht der Fall war).
Die Expertise bezieht sich rein auf in Deutschland lebende Muslime, sie hat aber mit ihrem Ansatz Kernprobleme beschrieben, die in meinen Augen auch zu einem wesentlichen Teil bzgl. der arabischen Welt gelten. Die Arbeit behandelt nicht explizit das Thema Extremismus oder Terrorismus, sondern Ursachen von Gewaltverhalten von jungen, muslimischen Männern an sich.
Geringe Schul- und Berufsausbildung, problematische soziale Rahmenbedingungen, Diskriminierungserfahrungen u.ä. werden als gewaltfördernde Indikatoren ausgemacht. Die Arbeit neigt – trotz ihres multiplen Ansatzes - aber zu einem Schwerpunkt: Der Problematisierung der traditionellen männlichen Sozialisation in muslimischen Familien. Nachfolgend einige Auszüge, die ich besonders wichtig finde:
„Während die deutschen Jugendlichen in der Erziehung ermuntert werden, selbstbewusst und selbständig zu sein, wird bei den muslimischen Jugendlichen Loyalität und Gehorsam gegenüber den Erziehungsberechtigten gefördert und gefordert. Gehorsamkeit gegenüber den Erziehungsberechtigten impliziert, dass das Kind/der Jugendliche das tut und ausführt, was der Erziehungsberechtigte von ihm verlangt, und zwar ohne Widerrede. Es/ er muss sich fügen, seine Blicke nach unten richten und den Erziehungsberechtigten nicht direkt in die Augen schauen. Denn ein direkter Augenkontakt bedeutet „gleiche Augenhöhe“ und wird von den Eltern als Aufsässigkeit und Herausforderung interpretiert.“ (Toprak & Nowacki 2010, S. 9)
In der Expertise wird auch auf die verhältnismäßig häufigere Gewaltbetroffenheit von muslimischen Kindern eingegangen: „Auch heute noch ist die Gewaltanwendung in der Erziehung ein gängiges Mittel, um Kinder und Jugendliche zu disziplinieren.“ (ebd., S. 10)
„Die meisten Studien über die muslimischen Familien bestätigen, dass die Jungen in Deutschland anders erzogen werden als die Mädchen. Während die Erziehung des Mädchens rigide und straff erfolgt, machen die Eltern beim Jungen viele Ausnahmen. Das Mädchen muss ohne Widerrede und Gegenwehr alle Anforderungen der Eltern erfüllen. Der Junge kann sich den Anforderungen der Eltern, vor allem denen der Mutter, widersetzen, weil die Eltern in der Erziehung immer an den Willen des Jungen appellieren. Der Junge erfährt viele Freiheiten, ist nach außen orientiert und sein Verhalten wird von den Eltern nur dann reglementiert, wenn es um Fragen der zentralen Lebensplanung geht. Das Mädchen dagegen erfährt diese Freiheiten nicht, und sie ist nach innen, d.h. in den Bereich des Hauses, orientiert und darf für Freizeitzwecke das Haus viel seltener verlassen als der Junge. Insgesamt besteht in vielen Familien ein inkohärenter Erziehungsstil, der einerseits, wie erläutert aus Disziplinarmaßnahmen wie Schlägen besteht, andererseits die männlichen Jugendlichen bereits früh auf eine dominante Rolle vorbereitet, was zu einer Überforderung führen kann.“ (ebd., S. 10)
„Wenn sich die Jungen beim Spielen verletzen und dabei weinend zur Mutter gehen, werden sie unter Umständen bestraft, da das Weinen die weibliche Rolle und damit Schwäche impliziert. Darüber hinaus wird oft von Jugendlichen zum Ausdruck gebracht, dass Schläge zum Erziehungsauftrag der Eltern gehören, damit aus dem Jungen ein richtiger Mann wird.“ (ebd., S. 13)
„Die Erziehungsziele der muslimischen Eltern in der Migration unterscheiden sich in vielen Fällen von denen der deutschen Eltern. Auch in der zweiten und dritten Generation wird Wert auf die Erziehungsziele „Respekt vor Autoritäten“, „Ehrenhaftigkeit“ „Zusammengehörigkeit“ und „Lernen und Leistungsstreben“ gelegt. Diese Erziehungsziele werden betont an die Kinder weitervermittelt. Erziehungsziele wie Individualität, Selbstverwirklichung, Selbständigkeit, die von den meisten deutschen Eltern angestrebt werden, finden bei muslimischen Eltern wenig Beachtung.“ (ebd., S. 16)
Der Psychologe Ahmad Mansour hat für die ZEIT (27.02.2013) unter dem Titel "Wenn mein Bruder mich schlägt, härtet mich das ab" die traditionelle muslimische Erziehung (die natürlich in unterschiedlichen starken Ausprägungen besteht!) folgendermaßen beschrieben:
„Die Erziehung baut auf den Begriff "Respekt". Dahinter steht jedoch ein System aus Angst und Gehorsam. Eigene Stärken und Schwächen, geschweige denn die eigene Sexualität entdecken – das darf es in der so genannten traditionellen, muslimischen Erziehung nicht geben. Mit Gewalt wird in die Schranken gewiesen, wer sich geistig, emotional, sexuell, kreativ "anders" verhält. Ein gesundes Selbstbewusstsein kann sich so nicht entwickeln. Deshalb ist Furcht allgegenwärtig und alles bestimmend.“
Die oben zitierten Auszüge zeigen deutlich die klassische männliche Sozialisation im patriarchal System auf (die einst auch in Europa galt bzw. auch hierzulande natürlich noch nachwirkt), die letztlich ursprünglich zum Ziel hatte, Krieger zu produzieren. Der Mix aus Unterwerfung, absoluten Gehorsamsforderungen und Gewalt gegen das (vor allem kleine) Kind und gleichzeitiger Erziehung der Jungen zum (potenziellen) „Helden“, zum dominanten, starken Mann, der mehr wert ist, als Mutter und Schwestern (wodurch im Kern ein Denken in oben und unten, in wertig und minderwertig gefördert wird, was sich auch in anderen Kontexten übertragen wird z.B. in Abwertung von Juden) und viele Sonderfreiheiten (vor allem, je älter er wird) genießt ist besonders gefährlich und gewaltfördernd. Dieser Mix ist das eigentliche Übel, die Grundursache für soziale Probleme und Gewalt in der muslimischen Welt. (Und dies ist dort so deutlich sichtbar, weil die Intensität dieses Mixes dort immer noch so stark ausgeprägt ist, worauf ich unten noch zurückkommen werde) Ähnlich macht es letztlich auch das Militär nach dem Motto: „Zuerst brechen wir Dich, danach bauen wir Dich wieder auf und Du wirst ein starker, furchtloser Held und Kämpfer“.
Das Problem ist nur, dass einst als Kind gebrochene und zum Gehorsam erzogene Männer nicht wirklich stark sind (im Sinne von selbstbewusst, feste Identität, reichhaltige Gefühlswelt, hohe Frustrationstoleranz, Denken in Grautönen statt in Schwarz-Weiß usw.), sondern sich nur durch Kitt aufrechterhalten können und ihre Ohnmachtsgefühle verbergen müssen. Dieser Kitt ist dann häufig ein dominanter, traditioneller Männlichkeitsentwurf, der als übergestülpte Identität zu verstehen ist.
Diese traditionelle Männlichkeit bezieht sich auch auf starke Solidarität und Loyalität innerhalb des Freundeskreises und bedingungsloser Verteidigung der weiblichen Familienmitglieder nach Außen (Toprak & Nowacki 2010, S. 12) „In den Anti-Aggressivitäts-Trainings (...) mit straffälligen Jugendlichen wird festgestellt, dass nicht nur türkeistämmige Jugendliche, sondern auch die arabischen und albanischen Jugendlichen aufgrund ihres Ehrbegriffes zu Straftaten bereit sind. Dazu gehört ihr bedingungsloses Verständnis von Freundschaft. Sie setzen sich auch ohne die Situation zu hinterfragen und auf die Gefahr hin, dass sie verletzt werden, für den Freund ein. Sie ist eine tief verankerte Verhaltensnorm, über die nicht nachgedacht und die auch nicht in Frage gestellt wird. Wenn das geschähe, wäre nicht nur die Freundschaft, sondern auch die Ehre und Männlichkeit des Jugendlichen gefährdet.“ (ebd.)
Ein solches Konzept von Männlichkeit und Freundschaft zeigt bereits das Gefährdungspotential auf. Wenn Einzelne aus dem Freundeskreis in eine islamistische Radikalisierung abdriften, stehen die Freunde in einem starken Loyalitätskonflikt. Sollten sie sich dann gemeinsam Stück für Stück radikalisieren baut die neue extremistische Gruppierung letztlich genau auf die Gruppenbindungsstrukturen auf, die die jungen Männer auch vorher schon gelebt und gekannt haben.
Dazu kommt, um wieder auf das Männlichkeitskonzept zurückzukommen, dass die Lebensrealität logischerweise nicht immer automatisch bedeutet, dass Mann ein erfolgreicher, gesellschaftlich aufsteigender „Held“ wird, der alles unter Kontrolle hat (das gilt erst Recht für Migranten). Leben bedeutet oftmals auch, dass Mann scheitert, dass Mann durch Täler gehen muss und manchmal auch, dass Mann am Rand steht. Anspruch und Wirklichkeit passen also nicht zusammen und Jungen/Männer werden überfordert. Und plötzlich ist da der Dschihad, man kann zu einer (scheinbaren) Elite gehören, wieder „ganz Mann“ sein, einfache Antworten auf das Leben finden und eine Aufgabe bekommen.
Gleichzeitig bedeutet der Dschihadismus aber auch – zumindest gilt das für die Kämpfer, die aus dem Westen heraus in den Krieg ziehen – eine Art Rebellion gegen die Eltern. Der Vater von Abdelhamid Abaaoud - dem Drahtzieher der Pariser Anschläge – bezeichnete seinen Sohn als „Teufel“ und „Psychopathen“. Der Vater zeigte sich erleichtert über den Tod seines Sohnes. (focus, 20.11.2015, „Vater von Drahtzieher Abaaoud spricht erstmals über seinen Sohn“ ) Der Vater von Fouad Aggad – einem weiteren Attentäter bei den Pariser Anschlägen – sagte: „Hätte ich gewusst, dass er eines Tages so etwas macht, hätte ich ihn vorher getötet.“ (welt.de, 09.12.2015, „Vater des Bataclan-Mörders hätte seinen Sohn getötet“) Krasser können muslimische Väter wohl kaum den Bruch mit ihren Söhnen ausdrücken (sie verraten dabei außerdem bereits etwas über sich selbst, aber das nur nebenbei). Dieser krasse Bruch mit den Eltern, besonders mit dem Vater, ist im Grunde aus der Sicht der traditionellen muslimischen Familie eine Entehrung und absolute, nicht wieder gut zu machende Ungeheuerlichkeit.
In der Analyse des Dschihadismus in Europa weisen einzelne Autoren auf die „Pop- oder Jugendkultur“ dieser Bewegung hin. (DIE ZEIT, 12.02.2015, „Die Lust am Krass-Sein“ - von Moritz von Uslar) Der Extremismusforscher Peter Neumann sagte in einem Interview mit der ZEIT (17.11.2015, „Der Terrorismus ist eine Jugendkultur“): „Der islamistische Terrorismus ist eine Jugendkultur. Viele der Kämpfer sind Anfang oder Mitte zwanzig. In dem Alter durchleben die meisten eine rebellische Phase. Sie wollen, dass die Gesellschaft sie ablehnt. Und was ist das Verrückteste, was du heute machen kannst? Womit kannst du deine Eltern, deine Lehrer, alle Autoritäten gegen dich aufbringen? Vor 30 Jahren wärst du vielleicht Punk geworden, vor 20 Jahren Neonazi, heute wirst du Islamist. In Amerika gab es schon Leute, die waren erst Nazis, dann Dschihadisten. Das sind Sinnsucher.“
Er trifft es damit nicht ganz richtig, wie ich meine. Sinnsucher? Ja, bestimmt auch. Rebellion gegen die Eltern? Ja, ganz sicher auch. Doch es steckt noch weit mehr dahinter. Die Dschihadisten sind vor allem auch „Hasssucher“ und Selbstzerstörer. Der Zeitgeist beeinflusst die Hassobjekte und die Ausdrucksformen von Hass. 1914 wären diese jungen Männer in Europa ganz traditionell und mit Jubeltönen in den Weltkrieg gezogen. Die Ideologie ist nur die Farbe. Die Ursachen liegen heute wie auch 1914 in einengenden, destruktiven Familiensystemen, in Gewalthandlungen gegen Kinder, in Gehorsamsforderungen und Nicht-Anerkennung des Kindes so wie es ist, sondern die Verformung des Kindes in das, was es dem Willen der Eltern nach (auch entsprechend traditioneller Vorstellungen) sein sollte.
Genau diese Art von Erziehung führt zu einem inneren Fremdsein, was Arno Gruen ausführlich in seinen Arbeiten (u.a. "Der Fremde in uns") beschrieben hat. Wer keine eigene Identität aufbauen konnte und von Fremdsein bestimmt ist, der sucht u.U. und je nach sozialen Rahmenbedingungen im Außen „Fremde“, die er als Feinde bekämpfen kann. Auch hier kommt es auf die Intensität der elterlichen Gewalt und destruktiven Erziehung an. Je destruktiver die Erziehung, je mehr Demütigungen und Verformungen gegenüber dem Kind stattfinden, desto mehr steigt der (Selbst-)Hass. Diejenigen, die sich selbst in die Luft sprengen sind demnach die Spitze des Eisberges. Ihr Hass auf sich und die Welt ist grenzenlos, Erlösung bringt nur noch der Tod. Der Eisberg unter ihnen aber besteht in unterschiedlichen Formen und Intensitäten aus genau dem Stoff, der auch sie hervorgebracht hat.
An dieser Stelle möchte ich ergänzend den Psychologen Ahmad Mansour zitieren, der sich gegen islamistische Radikalisierungen engagiert und aktuell der EMMA (01/02.2016) ein Interview gegeben hat: „Wir müssen viel früher anfangen, nämlich bei einem problematischen Islamverständnis. Ich spreche von Geschlechtertrennung und Tabuisierung der Sexualität, von Buchstabengläubigkeit und von Angstpädagogik, von einem patriarchalen Gott, der genauso funktioniert wie der Vater: Er straft und lässt nicht mit sich diskutieren. Da gibt es keinen Platz für Zweifel und Selbstentfaltung. Ich rede von einem Opferdiskurs und von Feindbildern: Der Islam ist nur Opfer, der Westen und die Juden sind die Täter.“
Necla Kelek schrieb in einem FAZ-Gastbeitrag (09.02.2008, „Gehorsam und Erziehung zur Gewalt“ ) über Religion und eine Erziehung zur Gewalt in Migrantenfamilien. Gehorsam (auch vor den Lehren der Religion), elterliche Kontrolle und (Selbst-)Disziplinierung seien im islamischen Sinne zentrale Elemente in der islamischen Werteerziehung. „Diese im Kern auf Gehorsam, Nichtinfragestellen von religiösen und weltlichen Autoritäten, auf Vergeltung und nicht auf Vergebung gerichtete Weltsicht prägt die Sozialisation der Kinder. Heute, hier, mitten in Deutschland. Und sie ist das Erziehungsmuster in den muslimischen Familien, in Koranschulen, in den Moscheen. Auch die Islamverbände vertreten diese autoritären Erziehungsziele und geben sie in der Öffentlichkeit als Integrationsarbeit aus.“ Religion, Tradition und Erziehung sind in diesem Sinne also eng miteinander verknüpft. Kelek schreibt noch einen sehr wesentlichen Satz: „Das muslimische Weltbild in Kombination mit den archaisch-patriarchalen Traditionen großer Teile der türkischen Community widerspricht durch seine Orientierung an Gehorsam den Anforderungen einer emanzipierten und auf mündige Bürger angewiesenen Gesellschaft.“
Dieser Satz beinhaltet ein Kernproblem. Die Welt hat sich gewandelt und wandelt sich immer schneller (inkl. einem ständigen Mehr an Freiheit und Gleichstellung von Frauen). In modernen High-Tech-Gesellschaften wie Deutschland gilt dies eh, aber auch die ganze Welt wird immer weiter in diesen Entwicklungssog gezogen. Ständige Veränderungen und Freiheiten machen vor allem jenen Angst, die straffe Regeln, einfache Weltbilder und Gehorsam gewohnt sind. Auf der anderen Seite stehen in vielen westlichen Regionen Erziehungsstile (darauf wurde oben schon teils eingegangen), die sich immer fortschrittlicher gestalten. Martin Dornes (2012) hat in seinem Buch mit dem prägnanten Titel „Die Modernisierung der Seele“ postuliert, dass sich die Eltern-Kind-Beziehungen in Deutschland stark demokratisiert haben, gekennzeichnet durch stabile Verbundenheit, elterliche Wärme, zugewandtes, aber auch grenzensetzendes Erziehungserhalten (Dornes 2012, S. 315), was wiederum eine neue Psychostruktur - er spricht von „postheroischer Persönlichkeit“ - hervorgebracht hätte (Dornes 2012, S. 320), die sehr autonom und bestens gerüstet sei für eine sich ständig wandelnde und entwickelnde Gesellschaft. Andersherum gedacht sind rigide und autoritär erzogene Menschen später entsprechend mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter gerüstet für die Herausforderungen der Zeit.
Ich komme noch einmal auf den vorgenannten Artikel von Necla Kelek zurück. Sie schreibt, dass die Gewalt von muslimischen Männern kein soziales und auch kein Bildungsproblem sei. "Es sind andere Werte und Ziele, nach denen gelebt wird. Ich nenne dieses System „Vaters Staat“, gegen das wir uns gemeinsam zur Wehr setzen müssen. Es ist falsch, die Ursachen der Gewalt zu relativieren und (...) die kulturelle und islamische Erziehung in Migrantenfamilien zu ignorieren, als hätte diese nicht großen Einfluss auf ihr Handeln." (FAZ, 09.02.2008, „Gehorsam und Erziehung zur Gewalt“ )
An dieser Stelle ist es sicher aufschlussreich anzumerken, dass untersuchte palästinensische Selbstmordattentäter einen besseren ökomischen Status sowie eine höhere Schulbildung aufwiesen, als die sie umgebende Bevölkerung und dass in den meisten terroristischen Organisationen gesellschaftliche Eliten überrepräsentiert sind. (Leygraf, Norbert (2014). Zur Phänomenologie islamistisch-terroristischer Straftäter. In: Forens Psychiatr Psychol Kriminol 8:237-245, S. 238)
Auch ein anderer Bericht, der sich mit einigen wissenschaftlichen Untersuchungen bzgl. des Themas befasst, zeigt auf, dass Terroristen eher aus bessergestellten und höher gebildeten Kreisen kommen. (Rötzer, Florian (auf heise online), 01.08.2002. "Armut ist keine Ursache für den Terrorismus")
Letztlich lassen dieses Zitat wie auch meine obigen Ausführungen nur einen Schluss zu:
Der islamistische Terror (wie auch soziale Probleme und Gewaltphänomene in islamischen Gesellschaften an sich) kann langfristig nur dadurch besiegt werden, in dem sich die traditionelle muslimische Familie modernisiert. Dieses veraltete Familiensystem ist die eigentliche Keimzelle der Gewalt (was nicht bedeutet, dass nicht auch weitere Einflussfaktoren den Weg zur Gewalt mit ausgestalten!). Wir in Deutschland haben viel Erfahrungen mit diesem Modernisierungsprozess, denn noch um 1900 war auch hierzulande die Familie ähnlich patriarchal strukturiert und von Gewalt und Gehorsamsforderungen beherrscht. Es geht also nicht darum, sich gegenüber Muslimen als "besser" darzustellen, sondern zu zeigen: Unsere eigene (Familien-)Geschichte (in Europa) gleicht der Euren, wir wollen helfen, dass ihr mit uns zusammen lernt, denn wir kennen unsere eigenen Fehler von damals. An sich denke ich, wäre es das Beste, wenn moderne Muslime finanziell, wissenschaftlich und sozial unterstützt werden, um in ihren Kreisen Veränderungsprozesse herbeizuführen. Menschen wie Ahmad Mansour sind da Vorbilder! Letztlich bin ich kein Experte für Sozialarbeit, das müssen andere in die Hand nehmen.
Einige wenige muslimische Experten haben übrigens auch sehr deutliche Worte gefunden: "Terroristen haben oft vor allem in ihrer Kindheit schlimme Gewalt erlebt. Sie brauchen unsere Hilfe." sagte beispielsweise in einem Interview (ZEIT LEO 2/2015, "Welcher Gott will das?", S. 49) Prof. Dr. Mouhanad Khorchide - Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Professor für Islamische Religionspädagogik und Stellv. Direktor des Centrums für religionsbezogene Studien in Münster. (Wobei man sich wundert, dass nur in einem Magazin für Kinder, was das ZEIT LEO Magazin ist, so offene Worte zu finden sind. Ergänzend möchte ich anmerken, dass Terroristen Hilfe brauchen, nachdem man sie gestoppt und inhaftiert hat und das man früher anfangen muss, nämlich direkt bei den Kindern.) Und der Politologe und Terrorismusforscher Asiem El Difraoui sagte aktuell in einem Interview mit der faz über die europäischen Dschihadisten:
„Man weiß nicht viel über sie, außer, dass ihre Radikalisierung wohl weniger mit Ideologie und Religion zu tun hat als mit psychologischen, familiären Traumata und mit ganz allgemeiner Sinnsuche, mit dem Finden einer neuen Gemeinde. Wobei das Erstaunliche ist, dass die spirituellen Elemente dabei nicht so wichtig scheinen: Es geht gar nicht darum, Muslim zu werden und in der Spiritualität des Islams auf Sinnsuche zu gehen. Sondern man wird gleich Dschihadist.“
(faz.net, 16.11.2015, „Warum gerade Frankreich angegriffen wurde“)
Die o.g. Expertise von Toprak & Nowacki (2010) hat vielfältige Präventionsmaßnahmen für die deutsche Gesellschaft vorgeschlagen, die ich alle samt für sinnvoll halte und die von der Politik dringend umgesetzt werden müssten. Ins Zentrum sollte allerdings das Familiensystem an sich rücken, wie ich meine. Denn: „Verhaltensweisen werden in der frühkindlichen Entwicklungsphase geprägt, weshalb eine zielgerichtete Elternarbeit unabdingbar ist.“ (Toprak & Nowacki 2010, S. 19) Ganz einfache Maßnahmen wären der Expertise folgend bereits, das Recht auf gewaltfreie Erziehung, das in Deutschland gilt, wie auch das „Gewaltschutzgesetz“, das Frauen vor häuslicher Gewalt schützen soll (Rechtsgrundlage „Wer schlägt, der geht.“), in muslimischen Kreisen zu verbreiten (auch – so fordern die AutorInnen - zentral über türkisch- und arabischsprachige Medien, die in Deutschland genutzt werden), da beides meist unbekannt sei.
An dieser Stelle möchte ich jetzt den Blick von Deutschland/Europa weg in Richtung Naher Osten richten. Das Grundproblem in dieser Region ist nämlich, dass es kaum Gesetzte zum Schutz der Kinder vor Gewalt gibt. Einzig Israel und Tunesien haben Gewalt gegen Kinder in allen erdenklichen Kontexten gesetzlich verboten (wobei man an den u.g. Zahlen sieht, dass Tunesien noch einen weiten Weg vor sich hat...). In allen anderen Ländern des Mittleren Ostens und in Nordafrika ist es legal, dass Eltern ihre Kinder schlagen. In Ägypten, Iran, Irak, Libanon, Katar, Saudi-Arabien, Syrien und Westsahara ist es im Jahr 2015 weiterhin legal, wenn Lehrkräfte ihre SchülerInnen schlagen. (Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children (Dez 2015). Progress towards prohibiting all corporal punishment in the Middle East and North Africa.)
Die große UNICEF (2014) Studie „Hidden in Plain Sight“ hat herausgestellt, dass im Nahen Osten wie auch in Afrika die weltweit verglichen höchsten Raten von Kindesmisshandlung zu finden sind. Die Studie habe ich ausführlich besprochen. Die Zahlen sind kaum zu fassen... Kinder, die keine elterliche Gewalt erleben, sind dort die absolute Ausnahme! Diese Regionen brauchen dringend ein durch die UN gesteuertes umfassendes Kinderschutzprogramm! Auch wenn ich die Zahlen im Blog schon mehrfach vorgestellt habe, auch in diesem Text möchte ich die Oberflächendaten aufzeigen.
Hier nun die ausgesuchten Zahlen (gilt für Kinder im Altern von 2 bis 14 Jahren und Gewalterleben innerhalb innerhalb eines Monats vor der Befragung, also nicht für die gesamte Kindheit, diese Zahlen dürften nochmal entsprechend höher sein; entnommen Tabelle 5.2 auf Seite 97 und Tabelle ab Seite 196)
Yemen,
körperliche und/oder psychische Gewalt: 95 %
körperliche Gewalt: 86 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 43 %
psychische Gewalt: 92 %
Ägypten
körperliche und/oder psychische Gewalt: 91 %
körperliche Gewalt: 82 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 42 %
psychische Gewalt: 83 %
Afghanistan
körperliche und/oder psychische Gewalt: 74 %
körperliche Gewalt: 69 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 38 %
psychische Gewalt: 62 %
Tunesien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 93 %
körperliche Gewalt: 74 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 32 %
psychische Gewalt: 90 %
Irak
körperliche und/oder psychische Gewalt: 79 %
körperliche Gewalt: 63 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 27 %
psychische Gewalt: 75 %
Staat Palästina
körperliche und/oder psychische Gewalt: 93 %
körperliche Gewalt: 76 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 27 %
psychische Gewalt: 90 %
Algerien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 88 %
körperliche Gewalt: 75 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 25 %
psychische Gewalt: 84 %
Marokko
körperliche und/oder psychische Gewalt: 91 %
körperliche Gewalt: 67 %
besonders schwere körperliche Gewalt: Ca. 24 %
psychische Gewalt: 89 %
Syrien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 89 %
körperliche Gewalt: 78 %
besonders schwere körperliche Gewalt: Ca. 24 %
psychische Gewalt: 84 %
Jordanien
körperliche und/oder psychische Gewalt: 90 %
körperliche Gewalt: 67 %
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 22 %
psychische Gewalt: 88 %
Noch eines: Ergänzend möchte ich auch auf kumulative Effekte (in Form von traumatischen Erlebnissen) Hinweisen, wie sie ganz sicher für den Irak gelten. Das Bayrische Landesministerium für politische Bildung schreibt:
„Seit 1991 sind nach Schätzungen internationaler humanitärer Organisationen rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, den Folgen dieser Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen - durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Das entspricht rund sieben Prozent der irakischen Bevölkerung. Hans Graf von Sponeck, Leiter des UN-Hilfsprogramms für den Irak, trat im Februar 2000 aus Protest gegen die Folgen der Wirtschaftssanktionen von diesem Posten zurück. Er warf den Vereinten Nationen sogar Völkermord vor.“ (Der Irak nach dem Krieg; siehe ergänzend auch den Artikel „Der vergessene Krieg gegen Iraks Zivilbevölkerung“, welt.de, 22.09.2010) Die heute 20 bis 30-jährigen Kämpfer des IS oder anderer Terrorgruppen im Irak entstammen ca. den Geburtsjahrgängen 1985-1995. Es sind exakt die Männer, die als Kind ihre Brüder und Schwestern, ihre Freunde und Nachbarn, teils auch Elternteile oder Verwandte auf Grund der Sanktionen haben sterben sehen! Wie viel Leid erträgt ein Mensch, bevor er in Hass abgleitet und selbst zum Täter wird? Das ist die Kernfrage. In der öffentlichen Diskussion über die Ursachen der Misere im Irak werden weder die hohen Raten von Kindesmisshandlung, noch das Kindheitsleid verursacht durch die Sanktionen thematisiert!
Sehr interessant finde ich auch die Gedanken von der Psychiaterin Daphne Burdman (01.10.2006: "Hatred of the Jews as a Psychological Phenomenon in Palestinian Society", Jewish Political Studies Review 18:3-4) Sie beschreibt in ihrem Bericht ausführlich die Destruktivität in der traditionellen arabischen Kindererziehung. Darauf möchte ich gar nicht weiter eingehen. An einer Stelle schreibt sie: "In Arab society, because of its strongly collectivist and patriarchal nature, the individual characteristically does not criminally act out against the mores of family and society. Instead, the buried emotions of childhood trauma are handled by the psychological defense mechanism of splitting, whereby antagonistic feelings toward the parent, and toward the individual himself, continue as a dammed-up source of predominantly subconscious anger. Later, this is discharged by projection outward onto a socially endorsed target-in this case, Jews and Israel."
In der Tat zeigt eine Übersicht, dass arabische Länder eher verhältnismäßig geringe Mordraten aufweisen, die tendenziell zwischen europäischem und US-amerikanischem Niveau liegen (einzig die plästinensischen Autonomiegebiete liegen mit 7,4 Morden pro 100.000 Einwohner verhältnismäßig höher). Die These von Burdman ist wie oben zitiert, dass der Hass - bedingt durch destruktive Kindererziehungspraktiken - sich in der arabischen Welt - kulturbedingt - nicht in Kriminalität ausdrückt, sondern in auf äußere Gruppen/Feinde (u.a. vor allem Juden) projizierten Hass. Ich würde ergänzen, dass er sich nach Innen in Form von Kindesmisshandlung (siehe Daten oben) und Hass auf und Unterdrückung von Frauen ausdrückt und aktuell in unruhigen Zeiten und in Anbetracht des Zerfalls von politischen Systemen durch Bürgerkriege und Terror.
Wer sich diese Dinge alle samt vor Augen führt, wird zu dem Schluss kommen, dass wir heute beginnen müssen, bei der jetzigen Kindergeneration, wenn wir Gewalt, Bürgerkriege und Terror verhindern wollen! Leider findet bisher öffentlich noch nicht einmal eine Diskussion über Erziehungspraktiken in muslimischen Familien statt, auch wenn es erste Stimmen gibt, die ich oben zitiert habe.
Ergänzend wichtige (!) Beiträge, die ich oben auch hätte mit zitieren können, aus Zeitgründen aber an dieser Stelle auf diese verweise:
- Terror. Biografien der Vorhölle (extern)
- Die Ursprünge des Terrorismus in der Kindheit (von Llyod deMause - extern)
- Forschungsprojekt im Libanon: Islamistische Terroristen hatten furchtbare Kindheiten
- Studie "Die Sicht der Anderen". Wie Extremismus entsteht
- Anschlag auf Charlie Hebdo. Die Kindheit der Täter
- Kindheit von Zacarias Moussaoui
- Kindheit von Omar Bin Laden (als Indiz für Osamas eigene Kindheit)
- Terror, Aufstand der Gedemütigten und die Sehnsucht nach dem eigenen Tod
- Wie Extremismus entsteht - "Ich fühle mich wie ein Stück Dreck" versus "diese dreckigen Ungläubigen"
- Zum Terroristen wird man nicht geboren (extern)
- Über den Ursprung von Fanatismus, Faschismus und Terrorismus (extern)
- Necla Kelek über die "verlorenen Söhne"
Ergänzende Anmerkung:
Bei der Recherche zum Thema bin ich auf folgenden Beitrag gestoßen:
Leygraf, Norbert (2014). Zur Phänomenologie islamistisch-terroristischer Straftäter. In: Forens Psychiatr Psychol Kriminol 8:237-245
Ich ging mit großem Interesse an diesen Beitrag heran, weil der deutsche Gutachter Norbert Leygraf insgesamt seit dem Jahr 2000 29 Männer untersucht hat, denen islamistisch motivierte Straftaten vorgeworfen wurden. Doch sein Bericht enttäuschte.
Er kommt weitgehend zu dem Schluss, dass es keine übermäßigen psychiatrische Auffälligkeiten bei den Untersuchten gab, was auch andere Studien bzgl. Terroristen nahelegen, die er kurz bespricht. Islamistische Terroristen sind also vordergründig erst einmal ganz normale Männer. Das an sich verwundert mich nicht! Was mich enttäuschte war, dass der Gutachter so gut wie gar nicht auf die Kindheiten der untersuchten Männer einging. Einzig über zwei Straftäter berichtet er kurz. Über den Libanesen Youssef Mohamad E. H. D. aus Kiel schreibt er kurz, dass dieser in einer "streng konservativen und gewaltbereiten islamischen Familie" groß geworden sei. (Leygraf 2014, S. 242) Besonders erstaunt hat mich sein Bericht über Arid Uka, der am 02.03.2011 den ersten islamistisch motivierten Mordanschlag in Deutschland begangen hat. Er schreib: "Die Familie stammt aus dem Kosovo, wobei die familiären Verhältnisse in seiner Kindheit ausgesprochen verworren waren. Auch die spätere Situation im Elternhaus war erheblich konfliktbelastet." (ebd., S. 244) Ab dem 16. Lebensjahr litt er unter zeitweiligen Depressionen und Suizidgedanken, schreibt der Gutachter weiter. Interessant ist, dass Leygraf vor Gericht ausgesagt hat, Arid sei im Alter von 7 Jahren in einem Park von einem Fremden sexuell missbraucht worden. (Frankfurter Rundschau, 19.12.2011, "Flughafen-Attentäter ist voll schuldfähig") Arid hatte in seinem Geständnis ausgesagt, er habe mit seiner Tat Vergewaltigungen an afghanischen Frauen durch US-Soldaten verhindern wollen.
In dem vorgenannten Artikel von Leygraf (2014) findet sich kein Wort über diesen sexuellen Missbrauch. Dieser Sachverhalt rundet das Bild ab. Leygraf scheint kein besonderes Augenmerk auf die Kindheit der Täter zu haben. Erstaunlich.
Dienstag, 15. Dezember 2015
Bewusstsein für die Geschichte der Kindheit: Beispiel "straffes Wickeln"
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie die Psychohistorie das Bewusstsein schärft. Das gilt für mich im Alltag und beim Lesen von Medienartikeln (wenn z.B. mal wieder von Feinden als „Krebsgeschwür“ die Rede ist, das man entfernen muss) und aktuell nach einem Beitrag, den ich auf ARTE TV gesehen habe. Dort wurde das Bild "Dame im Bad" von François Clouet (ca. 1571) besprochen. Das Bild zeigt im Vordergrund die adlige Diana von Poitiers:
In dem Bild finden sich gleich zwei wichtige Hinweise bzgl. der Kindererziehung vergangener Zeit.
1. Der Säugling wird von einer Amme gestillt
2. Der Säugling wurde sehr straff eingewickelt
Lloyd DeMause hat vielfach nachgewiesen, dass wohlhabende Frauen in der Geschichte routinemäßig ihre Kinder nicht gestillt haben, sondern zu Ammen gaben. Mehr noch, sie gaben sie wirklich weg. Nach den Ammen kümmerten sich Kindermädchen etc. um sie. Mutter und Kind (der Vater sowieso) wurden so systematisch voneinander entfremdet.
Das sehr straffe (monatelange) Einwickeln von Kindern ist ein Akt von Terror gegen den Säugling und dies kann nicht ohne Folgen bleiben.
DeMause (2005: Das emotionale Leben der Nationen, S. 144) hat darauf hingewiesen, dass die derart eingewickelten Säuglinge (er bezieht sich in dem Fall auf Deutschland) ergänzend oftmals in dunklen Räumen hingelegt wurden und für sich blieben.
Ich denke, man muss sich einmal vorstellen, wie sich dies für einen selbst (als Erwachsener) anfühlen würde. Man stelle sich vor, man würde derart verschnürt, wie auf dem Bild „Dame im Bad“ zu sehen ist. Nur zum Essen würde sich jemand zuwenden, danach würde man so verschnürt für sich bleiben, bis zu nächsten Mahlzeit, das ganze über Monate...
Vor einigen Jahren habe ich einen Bericht aus Afghanistan (leider keine genaue Quellenangabe, weil ich diese vergessen habe) gesehen, wo genau diese Praxis in einem Dorf weiterhin gängig war (inkl. dem Verbleiben des Säuglings alleine in einem dunklen Raum). Eine Entwicklungshelferin versuchte über die Dorfältesten die Praxis vor Ort zu beenden.
Aber schon ein allgemeiner Bericht über das „Wickeln“ auf Wikipedia zeigt, dass diese Praxis so oder so ähnlich auch heute noch nicht ausgestorben ist. Effekt für die Eltern: Die Säuglinge sind ruhiger und schlafen mehr. Über das Empfinden des Säuglings wird sich dabei hinweggesetzt. Die Reaktion des Säuglings wird auf Wikipedia so beschrieben. „Viele wehren sich zunächst gegen das Gewickelt-Werden, geben aber dann schnell auf und werden passiv.“ Was sollen sie auch anderes machen? Sie haben keine andere Wahl. Auch ein Erwachsener, der so eingewickelt würde, würde irgendwann aufgeben und sich psychisch ausschalten.
Wie schön, dass es heute viele Eltern gibt, die sich ganz natürlich darauf einstellen, dass nach der Geburt eines Kindes Unruhe und Schlaflosigkeit auf sie zukommen und die das einfach annehmen und sich kümmern. Ich las einmal eine Geburtsanzeige in einer Zeitung. Darin stand der Name des Kindes und der Eltern (inkl. Bild) und der Satz "Wir sind ab sofort auch nachts zu erreichen!"
In dem Bild finden sich gleich zwei wichtige Hinweise bzgl. der Kindererziehung vergangener Zeit.
1. Der Säugling wird von einer Amme gestillt
2. Der Säugling wurde sehr straff eingewickelt
Lloyd DeMause hat vielfach nachgewiesen, dass wohlhabende Frauen in der Geschichte routinemäßig ihre Kinder nicht gestillt haben, sondern zu Ammen gaben. Mehr noch, sie gaben sie wirklich weg. Nach den Ammen kümmerten sich Kindermädchen etc. um sie. Mutter und Kind (der Vater sowieso) wurden so systematisch voneinander entfremdet.
Das sehr straffe (monatelange) Einwickeln von Kindern ist ein Akt von Terror gegen den Säugling und dies kann nicht ohne Folgen bleiben.
DeMause (2005: Das emotionale Leben der Nationen, S. 144) hat darauf hingewiesen, dass die derart eingewickelten Säuglinge (er bezieht sich in dem Fall auf Deutschland) ergänzend oftmals in dunklen Räumen hingelegt wurden und für sich blieben.
Ich denke, man muss sich einmal vorstellen, wie sich dies für einen selbst (als Erwachsener) anfühlen würde. Man stelle sich vor, man würde derart verschnürt, wie auf dem Bild „Dame im Bad“ zu sehen ist. Nur zum Essen würde sich jemand zuwenden, danach würde man so verschnürt für sich bleiben, bis zu nächsten Mahlzeit, das ganze über Monate...
Vor einigen Jahren habe ich einen Bericht aus Afghanistan (leider keine genaue Quellenangabe, weil ich diese vergessen habe) gesehen, wo genau diese Praxis in einem Dorf weiterhin gängig war (inkl. dem Verbleiben des Säuglings alleine in einem dunklen Raum). Eine Entwicklungshelferin versuchte über die Dorfältesten die Praxis vor Ort zu beenden.
Aber schon ein allgemeiner Bericht über das „Wickeln“ auf Wikipedia zeigt, dass diese Praxis so oder so ähnlich auch heute noch nicht ausgestorben ist. Effekt für die Eltern: Die Säuglinge sind ruhiger und schlafen mehr. Über das Empfinden des Säuglings wird sich dabei hinweggesetzt. Die Reaktion des Säuglings wird auf Wikipedia so beschrieben. „Viele wehren sich zunächst gegen das Gewickelt-Werden, geben aber dann schnell auf und werden passiv.“ Was sollen sie auch anderes machen? Sie haben keine andere Wahl. Auch ein Erwachsener, der so eingewickelt würde, würde irgendwann aufgeben und sich psychisch ausschalten.
Wie schön, dass es heute viele Eltern gibt, die sich ganz natürlich darauf einstellen, dass nach der Geburt eines Kindes Unruhe und Schlaflosigkeit auf sie zukommen und die das einfach annehmen und sich kümmern. Ich las einmal eine Geburtsanzeige in einer Zeitung. Darin stand der Name des Kindes und der Eltern (inkl. Bild) und der Satz "Wir sind ab sofort auch nachts zu erreichen!"
Freitag, 11. Dezember 2015
Die Menschheit wird immer friedlicher!
Kurz vor Ende des Jahres wird es Zeit für einen positiven Ausblick, trotz aller Abgründe, mit denen ich mich im Blog befasse.
Aktuell hat das Amnesty Journal seiner Ausgabe 01/2016 den schönen Titel "Alles wird gut" gegeben. In dem Heft findet sich auch ein Interview mit Steven Pinker und Statistiken (S. 35-37), die 5 positive Trends eindrücklich aufzeigen. Die Statistiken erfassen
- wie seit 1945 die Rate (pro Jahr) an weltweiten Kriegsopfern pro 100.000 Einwohner wellenartig sinkt und seit Ende der 1980er Jahre tendenziell gegen Null tendiert (mit einer leichten Aufwärtskurve ab 2010 in Richtung ca. 2 Opfern pro 100.000 Einwohner auf der Welt)
- wie die Rate an Opfern von Vergewaltigung und sexueller Gewalt, wie auch Gewalt in der Partnerschaft pro 100.000 Frauen seit 1994 deutlich sinkt
- wie die Hinrichtungsrate in den USA pro 100.000 Einwohner seit 1650 stark sinkt (von ca. 3 auf annähernd Null)
- wie die Mordrate seit dem Jahr 1300 in Europa bahnbrechend gesunken ist (von je nach Land ca. 25 bis über 60 pro 100.000 Einwohner auf annähernd null bis 2000)
- wie Homosexualität seit 1800 stetig entkriminalisiert wurde.
Das Buch "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit" von Steven Pinker hatte ich im Blog bereits besprochen.
Der Zusammenschluss WHO/UNODC/UNDP hat 2014 einen Bericht (Global status report on violence prevention 2014) vorgelegt, der ein weiteres Absinken der weltweiten Mordraten zwischen 2000 und 2012 feststellt. Weltweit ist die jährliche Mordrate (pro 100.000 Einwohner) in diesem Zeitraum um 16 % gefallen: von 8 auf 6,7. In den reichen Ländern fiel sie im selben Zeitraum überdurchschnittlich um 39 %, in Schwellenländern um 13 % und in den armen Ländern um 10 %. (S. 12) (Ergänzende Anmerkung: In Deutschland liegt die Mordrate derzeit bei ca. 0,8 Morden pro 100.000 Einwohnern) Das Besondere an diesem Bericht ist auch, dass ab Seite 85 unzählige Länderberichte aufgeführt sind. Diese gleichen statistisch bzw. per Datenblatt ab, in wie weit Gesetze und Gewaltpräventionsprogramme vorhanden sind, um die Menschen vor Ort zu schützen. Dabei geht es um mehr, als nur um Mord, es geht um alle Formen von Gewalt, um speziellen Kinder-/Jugendschutz wie auch den besonderen Schutz von Frauen vor Partnergewalt oder auch den besonderen Schutz von älteren Menschen. Die UN hat jüngst ja auch ihre "Agenda 2030" vorgestellt.
Es scheint wirklich so, als ob die Weltgemeinschaft es ernst meint. Sie sammelt vergleichbare Daten und Länder, die z.B. kaum etwas gegen Gewalt unternehmen, geraten unter Druck.
Aktuell hat das Amnesty Journal seiner Ausgabe 01/2016 den schönen Titel "Alles wird gut" gegeben. In dem Heft findet sich auch ein Interview mit Steven Pinker und Statistiken (S. 35-37), die 5 positive Trends eindrücklich aufzeigen. Die Statistiken erfassen
- wie seit 1945 die Rate (pro Jahr) an weltweiten Kriegsopfern pro 100.000 Einwohner wellenartig sinkt und seit Ende der 1980er Jahre tendenziell gegen Null tendiert (mit einer leichten Aufwärtskurve ab 2010 in Richtung ca. 2 Opfern pro 100.000 Einwohner auf der Welt)
- wie die Rate an Opfern von Vergewaltigung und sexueller Gewalt, wie auch Gewalt in der Partnerschaft pro 100.000 Frauen seit 1994 deutlich sinkt
- wie die Hinrichtungsrate in den USA pro 100.000 Einwohner seit 1650 stark sinkt (von ca. 3 auf annähernd Null)
- wie die Mordrate seit dem Jahr 1300 in Europa bahnbrechend gesunken ist (von je nach Land ca. 25 bis über 60 pro 100.000 Einwohner auf annähernd null bis 2000)
- wie Homosexualität seit 1800 stetig entkriminalisiert wurde.
Das Buch "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit" von Steven Pinker hatte ich im Blog bereits besprochen.
Der Zusammenschluss WHO/UNODC/UNDP hat 2014 einen Bericht (Global status report on violence prevention 2014) vorgelegt, der ein weiteres Absinken der weltweiten Mordraten zwischen 2000 und 2012 feststellt. Weltweit ist die jährliche Mordrate (pro 100.000 Einwohner) in diesem Zeitraum um 16 % gefallen: von 8 auf 6,7. In den reichen Ländern fiel sie im selben Zeitraum überdurchschnittlich um 39 %, in Schwellenländern um 13 % und in den armen Ländern um 10 %. (S. 12) (Ergänzende Anmerkung: In Deutschland liegt die Mordrate derzeit bei ca. 0,8 Morden pro 100.000 Einwohnern) Das Besondere an diesem Bericht ist auch, dass ab Seite 85 unzählige Länderberichte aufgeführt sind. Diese gleichen statistisch bzw. per Datenblatt ab, in wie weit Gesetze und Gewaltpräventionsprogramme vorhanden sind, um die Menschen vor Ort zu schützen. Dabei geht es um mehr, als nur um Mord, es geht um alle Formen von Gewalt, um speziellen Kinder-/Jugendschutz wie auch den besonderen Schutz von Frauen vor Partnergewalt oder auch den besonderen Schutz von älteren Menschen. Die UN hat jüngst ja auch ihre "Agenda 2030" vorgestellt.
Es scheint wirklich so, als ob die Weltgemeinschaft es ernst meint. Sie sammelt vergleichbare Daten und Länder, die z.B. kaum etwas gegen Gewalt unternehmen, geraten unter Druck.
Montag, 7. Dezember 2015
Terror, Aufstand der Gedemütigten und die Sehnsucht nach dem eigenen Tod
Momentan komme ich kaum dazu, alle Medienberichte zu verarbeiten, die für diesen Blog von Interesse sind. Ich fasse also hiermit einige Details zusammen.
Der Anschlag von San Bernardino (USA) wurde von einem Pärchen verübt, das danach auf der Flucht erschossen wurde. Über den Mann, Seyd F., ist bereits einiges bzgl. seiner Kindheit bekannt geworden.
"Etwas mehr wissen die Behörden über Seyd F. Der 28-Jährige hat ebenfalls pakistanische Eltern, wurde aber in den USA geboren. Er hatte eine schwierige Kindheit, sein Vater war Alkoholiker und quälte die Familie. In den Scheidungspapieren gab seine Mutter an, von ihrem Mann einmal vor ein Auto gestoßen worden zu sein." (Spiegel-Online, 05.12.2015, Anschlag von San Bernardino: Das mysteriöse Terrorpärchen - von Veit Medick)
In diesen kurzen Informationen stecken bereits die Erklärungen dafür, warum Menschen überhaupt zu Massenmördern werden können. Seyd erlebte offensichtlich schwere Gewalt und ergänzend alle Konflikte, die Kinder von Suchtkranken erleiden. Sein Vater ging so weit, dass er die Mutter umbringen oder schwer verletzen wollte, in dem er sie vor ein Auto stieß. Man mag sich entsprechend gar nicht vorstellen, was hinter den Worten „er quälte die Familie“ alles steckte.
Auf die Kindheit einer weiteren Person möchte ich an dieser Stelle eingehen. Hasna Ait Boulahcen kam nach den Terroranschlägen von Paris in ihrem Versteck um. Vorher hatte sie noch mit einer Kalaschnikow auf Spezialkräfte der französischen Polizei geschossen. Sie ist die Cousine von Abdelhamid Abaaoud, dem Drahtzieher der Pariser Terrorserie.
Als Sie noch ein Kleinkind war, trennten sich die Eltern und sie blieb bei der Mutter. „Aber die Mutter war überfordert, sie schlug die Kleine, vernachlässigte sie, wie französische Medien berichteten. Hasna war acht Jahre alt, als sie in eine Pflegefamilie kam.“ (faz.net, 20.11.2015, „Die Terroristin mit den vielen Gesichtern“ - von Michaela Wiegel)
Sie war ca. 14 Jahre alt und klatsche Beifall, als sie am 11. September 2001 vor dem Fernseher saß, erinnert sich ihre Pflegemutter. Das Verhältnis zwischen Pflegemutter und Hasna verschlechterte sich danach Zusehens. „Hasna haute immer häufiger aus der Pflegefamilie ab, verbrachte ihre Nächte woanders.“ (ebd.)
Ulrich Ladurner hat eine interessante Kolumne in der ZEIT geschrieben. Titel: „Die Internationale der Beleidigten“ (07.12.2015). Darin geht es kurz gesagt um das beobachtbare Phänomen, dass sich Staatschefs (von Putin über Holland bis Erdoğan) gedemütigt fühlen und kriegerisch reagieren. Er schreibt zugespitzt: „Unter den selbst ernannten Gedemütigten dieser Welt sind die Terroristen des "Islamischen Staates" jene, die sich am schlimmsten von allen behandelt fühlen. Ihr pubertäres Ego ist so groß, dass ihnen die bestehende Welt wie eine Zwangsweste erscheint. Daraus leiten Sie das Recht zur besonderen Grausamkeit ab.“
Seine Analyse finde ich treffend. Leider hat er nicht die Verknüpfung zu Kindheitserlebnissen gemacht. Dies würde die Analyse rund machen. Die IS-Terroristen fühlen sich in der Tat (pathologisch) schwer gedemütigt. Dies spricht sehr dafür, dass sie auch extreme und häufige Demütigungen in der Kindheit erlebt haben.
Ergänzend erschien ebenfalls in der ZEIT ein interessanter Artikel unter dem Titel „Aus Sicht der Täter“ (03.12.2015). Zwei ehemalige IS-Kämpfer kamen in dem Artikel direkt zu Wort. Einer sagt wörtlich: „Der IS ist ein gottloser Geheimdienststaat unter dem Deckmantel der Religion. Die Ideologen haben uns unseren Krieg gestohlen. Sie sind radikal. Sie kommen, um zu sterben. Sie wollen nicht siegen, sie wollen zu Gott.“
Dieser Satz sollte uns allen zu denken geben! Denn die Aktionen des IS wirken insgesamt betrachtet wie ein einziger angekündigter, kollektiver Suizid, vor dem man noch einmal so viel Gräueltaten anrichten möchte, wie nur irgend möglich. Auch diese Beobachtung macht klar, dass die Ursachen für dieses Verhalten unter Zuhilfenahme der Psychotraumatologie betrachtet werden müssen.
Der Anschlag von San Bernardino (USA) wurde von einem Pärchen verübt, das danach auf der Flucht erschossen wurde. Über den Mann, Seyd F., ist bereits einiges bzgl. seiner Kindheit bekannt geworden.
"Etwas mehr wissen die Behörden über Seyd F. Der 28-Jährige hat ebenfalls pakistanische Eltern, wurde aber in den USA geboren. Er hatte eine schwierige Kindheit, sein Vater war Alkoholiker und quälte die Familie. In den Scheidungspapieren gab seine Mutter an, von ihrem Mann einmal vor ein Auto gestoßen worden zu sein." (Spiegel-Online, 05.12.2015, Anschlag von San Bernardino: Das mysteriöse Terrorpärchen - von Veit Medick)
In diesen kurzen Informationen stecken bereits die Erklärungen dafür, warum Menschen überhaupt zu Massenmördern werden können. Seyd erlebte offensichtlich schwere Gewalt und ergänzend alle Konflikte, die Kinder von Suchtkranken erleiden. Sein Vater ging so weit, dass er die Mutter umbringen oder schwer verletzen wollte, in dem er sie vor ein Auto stieß. Man mag sich entsprechend gar nicht vorstellen, was hinter den Worten „er quälte die Familie“ alles steckte.
Auf die Kindheit einer weiteren Person möchte ich an dieser Stelle eingehen. Hasna Ait Boulahcen kam nach den Terroranschlägen von Paris in ihrem Versteck um. Vorher hatte sie noch mit einer Kalaschnikow auf Spezialkräfte der französischen Polizei geschossen. Sie ist die Cousine von Abdelhamid Abaaoud, dem Drahtzieher der Pariser Terrorserie.
Als Sie noch ein Kleinkind war, trennten sich die Eltern und sie blieb bei der Mutter. „Aber die Mutter war überfordert, sie schlug die Kleine, vernachlässigte sie, wie französische Medien berichteten. Hasna war acht Jahre alt, als sie in eine Pflegefamilie kam.“ (faz.net, 20.11.2015, „Die Terroristin mit den vielen Gesichtern“ - von Michaela Wiegel)
Sie war ca. 14 Jahre alt und klatsche Beifall, als sie am 11. September 2001 vor dem Fernseher saß, erinnert sich ihre Pflegemutter. Das Verhältnis zwischen Pflegemutter und Hasna verschlechterte sich danach Zusehens. „Hasna haute immer häufiger aus der Pflegefamilie ab, verbrachte ihre Nächte woanders.“ (ebd.)
Ulrich Ladurner hat eine interessante Kolumne in der ZEIT geschrieben. Titel: „Die Internationale der Beleidigten“ (07.12.2015). Darin geht es kurz gesagt um das beobachtbare Phänomen, dass sich Staatschefs (von Putin über Holland bis Erdoğan) gedemütigt fühlen und kriegerisch reagieren. Er schreibt zugespitzt: „Unter den selbst ernannten Gedemütigten dieser Welt sind die Terroristen des "Islamischen Staates" jene, die sich am schlimmsten von allen behandelt fühlen. Ihr pubertäres Ego ist so groß, dass ihnen die bestehende Welt wie eine Zwangsweste erscheint. Daraus leiten Sie das Recht zur besonderen Grausamkeit ab.“
Seine Analyse finde ich treffend. Leider hat er nicht die Verknüpfung zu Kindheitserlebnissen gemacht. Dies würde die Analyse rund machen. Die IS-Terroristen fühlen sich in der Tat (pathologisch) schwer gedemütigt. Dies spricht sehr dafür, dass sie auch extreme und häufige Demütigungen in der Kindheit erlebt haben.
Ergänzend erschien ebenfalls in der ZEIT ein interessanter Artikel unter dem Titel „Aus Sicht der Täter“ (03.12.2015). Zwei ehemalige IS-Kämpfer kamen in dem Artikel direkt zu Wort. Einer sagt wörtlich: „Der IS ist ein gottloser Geheimdienststaat unter dem Deckmantel der Religion. Die Ideologen haben uns unseren Krieg gestohlen. Sie sind radikal. Sie kommen, um zu sterben. Sie wollen nicht siegen, sie wollen zu Gott.“
Dieser Satz sollte uns allen zu denken geben! Denn die Aktionen des IS wirken insgesamt betrachtet wie ein einziger angekündigter, kollektiver Suizid, vor dem man noch einmal so viel Gräueltaten anrichten möchte, wie nur irgend möglich. Auch diese Beobachtung macht klar, dass die Ursachen für dieses Verhalten unter Zuhilfenahme der Psychotraumatologie betrachtet werden müssen.
Freitag, 4. Dezember 2015
Wie Extremismus entsteht - "Ich fühle mich wie ein Stück Dreck" versus "diese dreckigen Ungläubigen"
In der ZDF Sendung „Mona Lisa“ vom 28.11.2015 (Die Radikalisierung verhindern „Ich wollte zum IS“) zeigte sich fast in modellhafter Reinform, warum junge Menschen aus Europa in den Bann von Islamisten gezogen werden. Die Prozesse und Kindheitshintergründe gleichen denen, die in Sekten vorherrschen. Labilen jungen Menschen wird Halt, Anerkennung, Gemeinschaft, ja sogar Zugehörigkeit zu einer Elite versprochen. Gleichzeitig werden Feindbilder und Hassobjekte angeboten. Besonders empfänglich für diese Botschaften sind Menschen, die als Kind Demütigungs- und Gewalterfahrungen ausgesetzt waren und die – so würde es Arno Gruen beschreiben – keine eigene Identität aufbauen konnten.
„ Cool, endlich tut mal jemand etwas gegen diese dreckigen Ungläubigen“, so hätte sich „Katrin“ (17 Jahre alt) nach eigenen Angaben noch bis vor Kurzem über die Anschläge in Paris gefreut, ist in dem Mona Lisa Beitrag zu hören.
Über ihre persönliche Biografie sagt sie: „Ich wurde sehr schlecht von meiner Familie behandelt. Regelmäßig wurde ich auch geschlagen. Von meinem Stiefvater so richtig mit blauen Augen, Nase angebrochen und Gehirnerschütterung. Und von meiner Mutter so Watschn ins Gesicht. Ich habe mich sehr erniedrigt gefühlt. Ich habe mich einfach wie ein Stück Dreck gefühlt.“
Erstaunlich. Im selben Beitrag zeigt sich, wie „das Stück Dreck“ (so fühlte sie sich) jetzt die Ungläubigen sind (siehe Zitat oben). Der ganze Hass und Selbsthass wurde von Katrin auf „die Anderen“ projiziert.
Als sie 13 Jahre alt war, wurde sie zudem von der Mutter rausgeworfen. Sie geriet als Jugendliche in eine schwere Krise, fühlte sich allein und fragte nach Sinn. Dann habe sie sich immer mehr mit dem Koran befasst. Ab 2014 habe sie dann übers Internet viele radikale Islamisten kennengelernt, die ihr Gemeinschaft, Anerkennung und eine Familie anboten. Und in der Tat habe sie über den Austausch ein Gefühl von Gemeinschaft verspürt. Eine ihrer besten Freundinnen ging schließlich zum IS nach Syrien, sie Katrin wollte dies Anfang 2015 auch. Dann traf sie aber auf einen Imam, der sie vom Gegenteil überzeugen konnte, sie blieb in Deutschland und brach mit den Radikalen.
Der Islamismus-Experten Ahmad Mansour hat kürzlich der Süddeutschen Zeitung ein Interview unter dem Titel „Radikalisierung ist ein Prozess, der glücklich macht“ (17.11.2015) gegeben. Er selbst hatte sich als junger Mensch radikalisiert und engagiert sich heute gegen Extremismus. Als er sich früher radikalisierte, habe ihn das glücklich gemacht, ihm ein Hochgefühl gegeben.
„Ich war ein Mensch, der endlich Freunde gefunden hatte, der endlich eine Aufgabe hatte. Und eine Möglichkeit, sich von seinem Elternhaus abzugrenzen. Ich gehörte auf einmal zu einer Elite.“
Wovor er sich bzgl. seiner Eltern abgrenzen wollte, bleibt Spekulation. Aber die Gefühle, die er beschreibt, sind enorm wichtig, um Extremismus und entsprechende Rekrutierungsprozesse zu verstehen. „Sie haben zunächst das Gefühl, angekommen zu sein, sich befreit zu haben, neu geboren zu sein.“, sagt Mansour. Auch dies ist ein wichtiger Satz. Das alte Ich wird ausgelöscht, wie neu geboren erhebt sich der Extremist, der nun einer Elite angehört, der endlich eine Identität besitzt.
„Diejenigen, die uns monokausale Erklärungen liefern, haben das Problem nicht verstanden.“, sagt er im Verlauf des Interviews, als er nach wiederkehrenden Motiven für die Radikalisierung gefragt wird. Ich selbst vertrete in der Tat eine monokausale Erklärung, aber andersherum gedacht. Ich glaube, dass als Kind durch Elternfiguren geliebte Menschen, die geborgen und gewaltfrei aufwachsen durften, eine reife und menschliche Identität entwickeln, inkl. einer reichhaltige Gefühlswelt. Diese Menschen spüren kein „Loch in ihrer Seele“, keine Zerrissenheit, keine Sinnlosigkeit, keinen Selbsthass, sie suchen keinen Halt, sondern stehen mit beiden Beinen und geradem Rücken im Leben. Sie kommen auch in sozial schwierigen Zeiten oder starken gesellschaftlichen Veränderungsprozessen nicht bedenklich ins Straucheln. Diese Menschen sind gänzlich unempfänglich für Rekrutierungsversuche oder Anwerbungsversuche durch Sekten oder Ideologen.
Die meisten als Kind gedemütigten Menschen werden ebenfalls nicht zu Extremisten (außer in kollektiven Ausnahmesituationen wie z.B. während der NS-Zeit). Es bedarf weiterer Einflussfaktoren, Zufällen und Bewegungen, Zeitgeist, politischen/sozialen Entwicklungen, persönlichen Ressourcen/Charaktereigenschaften etc. damit sie sich radikalisieren. Insofern glaube auch ich nicht an einen monokausalen Faktor (wie Misshandlungserfahrungen), der alleine zum Extremismus führt. Ich glaube aber an einen Faktor , der die Wahrscheinlichkeit zum Extremisten zu werden gegen Null senkt: Eine glückliche Kindheit. Dies bedeutet wiederum, dass alle Extremisten auf einem Fundament stehen, dass sich als „unglückliche Kindheit“ vereinfacht bezeichnen lässt. Ohne dieses Fundament wären grausame Taten und offener Hass nicht möglich.
„ Cool, endlich tut mal jemand etwas gegen diese dreckigen Ungläubigen“, so hätte sich „Katrin“ (17 Jahre alt) nach eigenen Angaben noch bis vor Kurzem über die Anschläge in Paris gefreut, ist in dem Mona Lisa Beitrag zu hören.
Über ihre persönliche Biografie sagt sie: „Ich wurde sehr schlecht von meiner Familie behandelt. Regelmäßig wurde ich auch geschlagen. Von meinem Stiefvater so richtig mit blauen Augen, Nase angebrochen und Gehirnerschütterung. Und von meiner Mutter so Watschn ins Gesicht. Ich habe mich sehr erniedrigt gefühlt. Ich habe mich einfach wie ein Stück Dreck gefühlt.“
Erstaunlich. Im selben Beitrag zeigt sich, wie „das Stück Dreck“ (so fühlte sie sich) jetzt die Ungläubigen sind (siehe Zitat oben). Der ganze Hass und Selbsthass wurde von Katrin auf „die Anderen“ projiziert.
Als sie 13 Jahre alt war, wurde sie zudem von der Mutter rausgeworfen. Sie geriet als Jugendliche in eine schwere Krise, fühlte sich allein und fragte nach Sinn. Dann habe sie sich immer mehr mit dem Koran befasst. Ab 2014 habe sie dann übers Internet viele radikale Islamisten kennengelernt, die ihr Gemeinschaft, Anerkennung und eine Familie anboten. Und in der Tat habe sie über den Austausch ein Gefühl von Gemeinschaft verspürt. Eine ihrer besten Freundinnen ging schließlich zum IS nach Syrien, sie Katrin wollte dies Anfang 2015 auch. Dann traf sie aber auf einen Imam, der sie vom Gegenteil überzeugen konnte, sie blieb in Deutschland und brach mit den Radikalen.
Der Islamismus-Experten Ahmad Mansour hat kürzlich der Süddeutschen Zeitung ein Interview unter dem Titel „Radikalisierung ist ein Prozess, der glücklich macht“ (17.11.2015) gegeben. Er selbst hatte sich als junger Mensch radikalisiert und engagiert sich heute gegen Extremismus. Als er sich früher radikalisierte, habe ihn das glücklich gemacht, ihm ein Hochgefühl gegeben.
„Ich war ein Mensch, der endlich Freunde gefunden hatte, der endlich eine Aufgabe hatte. Und eine Möglichkeit, sich von seinem Elternhaus abzugrenzen. Ich gehörte auf einmal zu einer Elite.“
Wovor er sich bzgl. seiner Eltern abgrenzen wollte, bleibt Spekulation. Aber die Gefühle, die er beschreibt, sind enorm wichtig, um Extremismus und entsprechende Rekrutierungsprozesse zu verstehen. „Sie haben zunächst das Gefühl, angekommen zu sein, sich befreit zu haben, neu geboren zu sein.“, sagt Mansour. Auch dies ist ein wichtiger Satz. Das alte Ich wird ausgelöscht, wie neu geboren erhebt sich der Extremist, der nun einer Elite angehört, der endlich eine Identität besitzt.
„Diejenigen, die uns monokausale Erklärungen liefern, haben das Problem nicht verstanden.“, sagt er im Verlauf des Interviews, als er nach wiederkehrenden Motiven für die Radikalisierung gefragt wird. Ich selbst vertrete in der Tat eine monokausale Erklärung, aber andersherum gedacht. Ich glaube, dass als Kind durch Elternfiguren geliebte Menschen, die geborgen und gewaltfrei aufwachsen durften, eine reife und menschliche Identität entwickeln, inkl. einer reichhaltige Gefühlswelt. Diese Menschen spüren kein „Loch in ihrer Seele“, keine Zerrissenheit, keine Sinnlosigkeit, keinen Selbsthass, sie suchen keinen Halt, sondern stehen mit beiden Beinen und geradem Rücken im Leben. Sie kommen auch in sozial schwierigen Zeiten oder starken gesellschaftlichen Veränderungsprozessen nicht bedenklich ins Straucheln. Diese Menschen sind gänzlich unempfänglich für Rekrutierungsversuche oder Anwerbungsversuche durch Sekten oder Ideologen.
Die meisten als Kind gedemütigten Menschen werden ebenfalls nicht zu Extremisten (außer in kollektiven Ausnahmesituationen wie z.B. während der NS-Zeit). Es bedarf weiterer Einflussfaktoren, Zufällen und Bewegungen, Zeitgeist, politischen/sozialen Entwicklungen, persönlichen Ressourcen/Charaktereigenschaften etc. damit sie sich radikalisieren. Insofern glaube auch ich nicht an einen monokausalen Faktor (wie Misshandlungserfahrungen), der alleine zum Extremismus führt. Ich glaube aber an einen Faktor , der die Wahrscheinlichkeit zum Extremisten zu werden gegen Null senkt: Eine glückliche Kindheit. Dies bedeutet wiederum, dass alle Extremisten auf einem Fundament stehen, dass sich als „unglückliche Kindheit“ vereinfacht bezeichnen lässt. Ohne dieses Fundament wären grausame Taten und offener Hass nicht möglich.
Freitag, 27. November 2015
Wie Fachmann an Kränkungen in der Kindheit vorbeisehen kann
Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller hat Welt-Online (26.11.2015, "Die zerstörerische Macht der Kränkung") ein Interview gegeben. Anlass war sein neues Buch „Die Macht der Kränkung“. Haller hat bereits viel über „das Böse“, Serientäter und Verbrechen veröffentlicht.
Ich schreibe nicht oft etwas über JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und andere Fachmenschen, die die Kindheitseinflüsse bei der Analyse von Gewalt außen vor lassen, denn dann würde ich kaum noch dazu kommen, anderes zu schreiben. Bzgl. Haller möchte ich jetzt aber einiges anmerken.
In dem Interview geht er auf Massenmörder wie Anders Breivik ein, aber auch auf Adolf Hitler und einzelne Attentäter. Kränkungen sieht er als wesentliches Motiv für deren Taten. Allerdings geht er nicht auf Kränkungen, Demütigungen und Gewalterfahrungen in der Familie ein. In dem Interview sagt Reinhard Haller einen für mich unglaublichen Satz: „Adolf Hitler war schwer gekränkt, weil er als Straßenmaler verspottet wurde und im Arbeiterwohnheim leben musste. Aus dieser Jämmerlichkeit sprießt dann das Überkompensatorische wie das Tausendjährige Reich, der Übermensch et cetera.“ Danach geht er noch ergänzend auf die Kränkung durch den „Versailler Vertrag“ ein. Es ist unglaublich, dass ein Psychiater ernsthaft annimmt, solche Erlebnisse würden ausreichen, um zum Massenmörder zu werden! Zudem: Jeder, der einmal bei googel „Kindheit von Adolf Hitler“ eingibt, sollte innerhalb von 10 Minuten etwas über die täglichen Misshandlungen und ständigen Demütigungen seitens des Vaters in Hitlers Kindheit erfahren. Auch über Anders Breivik gibt es eindeutige Nachweise für eine unglaublich traumatische Kindheit. Dazu kam aber kein Wort vom Fachmann.
Für mich ist auf eine Art ein wenig verständlich, dass mit psychiatrischen Themen unerfahrene Fachmenschen wie PolitologInnen oder HistorikerInnen das Thema Kindheit außen vor lassen. Besonders erstaunt mich immer wieder, dass auch psychiatrische Fachleute oder PsycholgInnen an dem Thema vorbeischauen, Haller ist da nur einer von vielen.
Natürlich haben Kränkungen von Jugendlichen und Erwachsenen eine kumulative Wirkung oder auch tatauslösenden Charakter. Hallers Arbeit scheint also mehr zu beschreiben, dass als Kind durch Elternfiguren Gedemütigte später besonders reizbar sind (ohne dass er sich dessen bewusst zu sein scheint). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch ein Ergebnis aus der Hirnforschung. „Wer aufgrund früherer, meist in den Kinderjahren erlittener Verletzungen keine tiefe Verbundenheit mit anderen Menschen fühlen kann, hat als Erwachsener bei schwierigen Alltagssituationen schneller als andere das Gefühl, abgelehnt oder verachtet zu werden. Er (oder sie) wird häufiger als andere Menschen eine »gefühlte Zurückweisung« erleben. Entsprechend schneller ist bei solchen Personen die Schmerzgrenze erreicht, und entsprechend steigt das Risiko einer aggressiven Reaktion.“ (siehe meine Buchbesprechung von Joachim Bauer, „Schmerzgrenze“)
Ich schreibe nicht oft etwas über JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und andere Fachmenschen, die die Kindheitseinflüsse bei der Analyse von Gewalt außen vor lassen, denn dann würde ich kaum noch dazu kommen, anderes zu schreiben. Bzgl. Haller möchte ich jetzt aber einiges anmerken.
In dem Interview geht er auf Massenmörder wie Anders Breivik ein, aber auch auf Adolf Hitler und einzelne Attentäter. Kränkungen sieht er als wesentliches Motiv für deren Taten. Allerdings geht er nicht auf Kränkungen, Demütigungen und Gewalterfahrungen in der Familie ein. In dem Interview sagt Reinhard Haller einen für mich unglaublichen Satz: „Adolf Hitler war schwer gekränkt, weil er als Straßenmaler verspottet wurde und im Arbeiterwohnheim leben musste. Aus dieser Jämmerlichkeit sprießt dann das Überkompensatorische wie das Tausendjährige Reich, der Übermensch et cetera.“ Danach geht er noch ergänzend auf die Kränkung durch den „Versailler Vertrag“ ein. Es ist unglaublich, dass ein Psychiater ernsthaft annimmt, solche Erlebnisse würden ausreichen, um zum Massenmörder zu werden! Zudem: Jeder, der einmal bei googel „Kindheit von Adolf Hitler“ eingibt, sollte innerhalb von 10 Minuten etwas über die täglichen Misshandlungen und ständigen Demütigungen seitens des Vaters in Hitlers Kindheit erfahren. Auch über Anders Breivik gibt es eindeutige Nachweise für eine unglaublich traumatische Kindheit. Dazu kam aber kein Wort vom Fachmann.
Für mich ist auf eine Art ein wenig verständlich, dass mit psychiatrischen Themen unerfahrene Fachmenschen wie PolitologInnen oder HistorikerInnen das Thema Kindheit außen vor lassen. Besonders erstaunt mich immer wieder, dass auch psychiatrische Fachleute oder PsycholgInnen an dem Thema vorbeischauen, Haller ist da nur einer von vielen.
Natürlich haben Kränkungen von Jugendlichen und Erwachsenen eine kumulative Wirkung oder auch tatauslösenden Charakter. Hallers Arbeit scheint also mehr zu beschreiben, dass als Kind durch Elternfiguren Gedemütigte später besonders reizbar sind (ohne dass er sich dessen bewusst zu sein scheint). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch ein Ergebnis aus der Hirnforschung. „Wer aufgrund früherer, meist in den Kinderjahren erlittener Verletzungen keine tiefe Verbundenheit mit anderen Menschen fühlen kann, hat als Erwachsener bei schwierigen Alltagssituationen schneller als andere das Gefühl, abgelehnt oder verachtet zu werden. Er (oder sie) wird häufiger als andere Menschen eine »gefühlte Zurückweisung« erleben. Entsprechend schneller ist bei solchen Personen die Schmerzgrenze erreicht, und entsprechend steigt das Risiko einer aggressiven Reaktion.“ (siehe meine Buchbesprechung von Joachim Bauer, „Schmerzgrenze“)
Freitag, 20. November 2015
Attentat auf Henriette Reker. Die Kindheit des Täters.
In letzter Zeit habe ich mich in meinem Blog viel mit Rechtsextremismus befasst. Heute erfuhr ich etwas über die Kindheit von Frank S., der einen lebensgefährlichen Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ausgeführt und auch weitere Menschen verletzt hat. Die Tat wurde als rechtsextrem eingestuft.
Frank S. ist als Kind von seinen Eltern schwer misshandelt und vernachlässigt worden, berichtet seine frühere Pflegemutter. Seine Hand war verbrannt, so die Frau, weil seine Eltern ein Bügeleisen auf ihn gepresst hatten. Er kam dann in ein Heim, später zu einer Pflegefamilie. "Auch seine Pflegefamilie hatte es den Schilderungen zufolge anfangs nicht leicht mit ihm. Laut der Pflegemutter soll er anfangs in ihrem Wagen randaliert und in der Familie jeden angespuckt haben." (Focus.de, 26.10.2015, "Freunde hatte er nie": So war die Kindheit von Reker-Attentäter Frank S.)
Die Kindheitshintergründe entschuldigen nichts (!), sie erklären aber den Hass und den Wahn des Täters. Solche Menschen fühlen sich durch Stimmungen in der Großgruppe berufen, etwas zu unternehmen. Wenn eine Gesellschaft zu einem beträchtlichem Teil aus Menschen besteht, die als Kind schwere Gewalt durch Elternfiguren erlebt haben (wie in Nah Ost oder in Afrika), dann kann unter bestimmten Umständen daraus mehr entstehen. Wenn sich Feindbilder finden, die emotional die meisten einst Gedemütigten ansprechend und sie sich emotional auf eine Art verbinden, steigt die Gefahr hin zu Krieg und Terror. Zu den Feindbildern müssen dann meist auch emotionale Bilder vom Opfer dazukommen. Ein Gefühl, "Opfer" der Feinde zu sein und sich wehren zu müssen. Aber auch ein "Opferkult", also das "Versprechen", dass man selbst auch umkommen könnte, für ein höheres Ziel und als ein Akt der Erlösung. Auch Frank S. war selbstmordgefährdet, ist in den Medien zu lesen. Selbsthass und Hass auf Andere sind zwei Seiten der selben Medaille. Ohne Selbsthass gibt es keinen Hass auf andere Menschen.
(Übrigens: Laut Medienberichten soll Frank S. gerufen haben "Ich tue es für Eure Kinder!". Vor den o.g. Hintergründen macht dieser Satz nochmal besonders nachdenklich.)
Frank S. ist als Kind von seinen Eltern schwer misshandelt und vernachlässigt worden, berichtet seine frühere Pflegemutter. Seine Hand war verbrannt, so die Frau, weil seine Eltern ein Bügeleisen auf ihn gepresst hatten. Er kam dann in ein Heim, später zu einer Pflegefamilie. "Auch seine Pflegefamilie hatte es den Schilderungen zufolge anfangs nicht leicht mit ihm. Laut der Pflegemutter soll er anfangs in ihrem Wagen randaliert und in der Familie jeden angespuckt haben." (Focus.de, 26.10.2015, "Freunde hatte er nie": So war die Kindheit von Reker-Attentäter Frank S.)
Die Kindheitshintergründe entschuldigen nichts (!), sie erklären aber den Hass und den Wahn des Täters. Solche Menschen fühlen sich durch Stimmungen in der Großgruppe berufen, etwas zu unternehmen. Wenn eine Gesellschaft zu einem beträchtlichem Teil aus Menschen besteht, die als Kind schwere Gewalt durch Elternfiguren erlebt haben (wie in Nah Ost oder in Afrika), dann kann unter bestimmten Umständen daraus mehr entstehen. Wenn sich Feindbilder finden, die emotional die meisten einst Gedemütigten ansprechend und sie sich emotional auf eine Art verbinden, steigt die Gefahr hin zu Krieg und Terror. Zu den Feindbildern müssen dann meist auch emotionale Bilder vom Opfer dazukommen. Ein Gefühl, "Opfer" der Feinde zu sein und sich wehren zu müssen. Aber auch ein "Opferkult", also das "Versprechen", dass man selbst auch umkommen könnte, für ein höheres Ziel und als ein Akt der Erlösung. Auch Frank S. war selbstmordgefährdet, ist in den Medien zu lesen. Selbsthass und Hass auf Andere sind zwei Seiten der selben Medaille. Ohne Selbsthass gibt es keinen Hass auf andere Menschen.
(Übrigens: Laut Medienberichten soll Frank S. gerufen haben "Ich tue es für Eure Kinder!". Vor den o.g. Hintergründen macht dieser Satz nochmal besonders nachdenklich.)
Montag, 16. November 2015
Ein Kommentar zu den Terroranschlägen in Paris
Mein Kommentar zum aktuellen Terroranschlag in Paris nimmt Bezug auf zwei Artikel in der Onlineausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Der Politologe und Terrorismusforscher Asiem El Difraoui sagte aktuell in einem Interview mit der faz über die europäischen Dschihadisten:
„Man weiß nicht viel über sie, außer, dass ihre Radikalisierung wohl weniger mit Ideologie und Religion zu tun hat als mit psychologischen, familiären Traumata und mit ganz allgemeiner Sinnsuche, mit dem Finden einer neuen Gemeinde. Wobei das Erstaunliche ist, dass die spirituellen Elemente dabei nicht so wichtig scheinen: Es geht gar nicht darum, Muslim zu werden und in der Spiritualität des Islams auf Sinnsuche zu gehen. Sondern man wird gleich Dschihadist.“
(faz.net, 16.11.2015, „Warum gerade Frankreich angegriffen wurde“)
El Difraoui beschreibt hier ganz selbstverständlich, dass „familiäre Traumata“, wie er es nennt, eine psychische Grundlage oder Antriebskraft für islamische Extremisten sind. Erstaunlich ist es entsprechend eigentlich nicht, dass Religion oder „spirituelle Elemente“ kaum oder keine Rolle spielen. Es sind Menschen, die bereits voller (Selbst)Hass sind, die von Hass-Gruppen angezogen werden.
Einen Tag vor diesem Interview las ich ebenfalls in der faz einen Kommentar unter dem Titel "Im Weltkrieg" des faz-Herausgebers Berthold Kohler. Der Kommentar hat mich sehr aufgeschreckt. Er ist durchzogen von einem Bild, dass deMause regelmäßig in Zusammenhang mit Kriegen psychohistorisch analysiert hat: Einem Ungeheuer mit Tentakeln, gepaart mit einer Fantasie von der Geburt dieses Wesens. Diese Bilder drücken – nach deMause – ein Aufflammen traumatischer Kindheitserlebnisse (auch des Fötus) aus und legen den Grund, für kriegerische Aktionen (siehe dazu etwas ausführlicher hier). Sie zeigen vor allem auch auf, dass der verortete Feind ein legitimes Ziel ist, den man bedingungslos bekämpfen kann. Gut und Böse ist klar definiert, wenn man den Feind als „Ungeheuer“ ähnlich der Medusa oder einer Meeresbestie sieht. Der Autor schreibt:
„In der muslimischen Welt ist ein Ungeheuer herangewachsen, das seine Tentakel um die ganze Welt schlingen möchte. Man kann kontrovers darüber diskutieren, aus welchem Schoß es kroch, wer es gezeugt hat und wer es immer noch füttert. Doch sollte man nicht glauben, es zöge sich friedlich zurück in seine Höhle, wenn man es nur nicht mehr reizte – es also nicht mehr mit Waffengewalt daran zu hindern suchte, ganze Volksgruppen zu massakrieren, Städte zu zerstören und Kulturen auszulöschen. Das Ungeheuer hat viele Köpfe und Arme, die immerfort nachzuwachsen scheinen, wenn man sie abschlägt. Es trägt wechselnde Namen.“ (faz.net, 15.11.2015, "Im Weltkrieg")
Im weiteren Textverlauf fällt dann auch noch nachfolgender Satz (der ursprünglich übrigens im Untertitel bzw. der dickgedruckten Kopfzeile des Artikels stand, die nachträglich verändert wurde) „Ohne Opfer wird dieser epochale Kampf nicht zu bestehen sein.“
Glücklicherweise sind die Berichte in den Medien nach den Anschlägen extrem vielschichtig (auch wenn hier und da von Krieg die Rede ist). Europa ist emotional nicht mehr das Europa, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts war. Traumatische Kindheitserfahrungen nahmen stetig ab. Insofern bin ich zuversichtlich, dass Europa sich emotional nicht den Bildern anpasst, die im benannten Artikel heraufbeschworen wurden. Denn das wäre fatal, man würde kaum noch rational agieren, sondern in große Gefahr geraten, selbst zum Täter zu werden.
Der Politologe und Terrorismusforscher Asiem El Difraoui sagte aktuell in einem Interview mit der faz über die europäischen Dschihadisten:
„Man weiß nicht viel über sie, außer, dass ihre Radikalisierung wohl weniger mit Ideologie und Religion zu tun hat als mit psychologischen, familiären Traumata und mit ganz allgemeiner Sinnsuche, mit dem Finden einer neuen Gemeinde. Wobei das Erstaunliche ist, dass die spirituellen Elemente dabei nicht so wichtig scheinen: Es geht gar nicht darum, Muslim zu werden und in der Spiritualität des Islams auf Sinnsuche zu gehen. Sondern man wird gleich Dschihadist.“
(faz.net, 16.11.2015, „Warum gerade Frankreich angegriffen wurde“)
El Difraoui beschreibt hier ganz selbstverständlich, dass „familiäre Traumata“, wie er es nennt, eine psychische Grundlage oder Antriebskraft für islamische Extremisten sind. Erstaunlich ist es entsprechend eigentlich nicht, dass Religion oder „spirituelle Elemente“ kaum oder keine Rolle spielen. Es sind Menschen, die bereits voller (Selbst)Hass sind, die von Hass-Gruppen angezogen werden.
Einen Tag vor diesem Interview las ich ebenfalls in der faz einen Kommentar unter dem Titel "Im Weltkrieg" des faz-Herausgebers Berthold Kohler. Der Kommentar hat mich sehr aufgeschreckt. Er ist durchzogen von einem Bild, dass deMause regelmäßig in Zusammenhang mit Kriegen psychohistorisch analysiert hat: Einem Ungeheuer mit Tentakeln, gepaart mit einer Fantasie von der Geburt dieses Wesens. Diese Bilder drücken – nach deMause – ein Aufflammen traumatischer Kindheitserlebnisse (auch des Fötus) aus und legen den Grund, für kriegerische Aktionen (siehe dazu etwas ausführlicher hier). Sie zeigen vor allem auch auf, dass der verortete Feind ein legitimes Ziel ist, den man bedingungslos bekämpfen kann. Gut und Böse ist klar definiert, wenn man den Feind als „Ungeheuer“ ähnlich der Medusa oder einer Meeresbestie sieht. Der Autor schreibt:
„In der muslimischen Welt ist ein Ungeheuer herangewachsen, das seine Tentakel um die ganze Welt schlingen möchte. Man kann kontrovers darüber diskutieren, aus welchem Schoß es kroch, wer es gezeugt hat und wer es immer noch füttert. Doch sollte man nicht glauben, es zöge sich friedlich zurück in seine Höhle, wenn man es nur nicht mehr reizte – es also nicht mehr mit Waffengewalt daran zu hindern suchte, ganze Volksgruppen zu massakrieren, Städte zu zerstören und Kulturen auszulöschen. Das Ungeheuer hat viele Köpfe und Arme, die immerfort nachzuwachsen scheinen, wenn man sie abschlägt. Es trägt wechselnde Namen.“ (faz.net, 15.11.2015, "Im Weltkrieg")
Im weiteren Textverlauf fällt dann auch noch nachfolgender Satz (der ursprünglich übrigens im Untertitel bzw. der dickgedruckten Kopfzeile des Artikels stand, die nachträglich verändert wurde) „Ohne Opfer wird dieser epochale Kampf nicht zu bestehen sein.“
Glücklicherweise sind die Berichte in den Medien nach den Anschlägen extrem vielschichtig (auch wenn hier und da von Krieg die Rede ist). Europa ist emotional nicht mehr das Europa, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts war. Traumatische Kindheitserfahrungen nahmen stetig ab. Insofern bin ich zuversichtlich, dass Europa sich emotional nicht den Bildern anpasst, die im benannten Artikel heraufbeschworen wurden. Denn das wäre fatal, man würde kaum noch rational agieren, sondern in große Gefahr geraten, selbst zum Täter zu werden.
Donnerstag, 12. November 2015
Sendung: Wenn Eltern ihre Kinder schlagen
Ich habe kürzlich folgenden Beitrag gesehen:
WDR, 05.11.2015 (Sendereihe „Menschen hautnah“), „Nur ein Klaps auf den Po? - Wenn Eltern ihre Kinder schlagen“ (ein Film von Erika Fehse)
Eindrücklich wie auch erschreckend ist ein Ausschnitt, in dem SchülerInnen (viele mit Migrationshintergrund) verschiedener Altersgruppen aus einer Gesamtschule in Gelsenkirchen zusammen mit der zuständigen Sozialpädagogin das Thema Gewalt gegen Kinder besprechen. Alle anwesenden Kinder haben schon mal „einen Klaps“ von ihren Eltern bekommen. Die Mehrheit bewertet dies aber nicht als Gewalt. Als Gewalt wird von den SchülerInnen eher das bezeichnet, was man allgemein unter dem Begriff „Misshandlung“ (also schwere körperliche Gewalt) kennt. Einige SchülerInnen betonen, dass elterliche Gewalt etwas sei, was Folgen wie Prellungen, Blutungen u.ä. bewirken würde. Alles andere wäre keine Gewalt.
Eine Schülerin sagt wörtlich: „Ich habe ziemlich oft einen Klaps bekommen, aber das ist auch gerechtfertigt gewesen von meinen Eltern, weil ich wirklich meine Grenzen überschritten habe.“
Ein Schüler sagt: „Ich finde das o.k. Es ist unsere Schuld, wenn wir einen Klaps bekommen“ und eine neben ihm sitzende Schülerin stimmt zu. Ein Junge sagt: „Die Eltern wollen ja auch den Kindern nicht schaden, wollen das ja nur machen, damit die aufhören und später gut sind.“
Diese Kinder haben ihre Lektion gelernt. Man sieht fast ihre Eltern hinter ihnen stehen wie sie den Kindern eintrichtern: „Du bist schuld!“ „Das ist notwendig!“ „Das ist keine Gewalt, sondern meine Pflicht als Vater/Mutter, weil wir Dich ja lieben““ „Wir wollen nur Dein Bestes““. Die Kinder wiederholen quasi automatisiert diese klassische elterliche Lektion, die in Wahrheit eine Verdrehung der Wirklichkeit ist. Denn in Wahrheit ist ein „Klaps“ natürlich Gewalt und ein „häufiger Klaps“ ist „häufige Gewalt“. Dass diese Formen von Gewalt, die unterhalb der Misshandlung liegen, nicht folgenlos bleiben, zeigen die Aussagen der Kinder. Ist die Wirklichkeit eines Kindes erst einmal verdreht worden, ist sie vernebelt, dann wirkt dies auch später in anderen Kontexten. Beim Partner, Arbeitgeber oder auch „politischen Führer“, an dem man festhält, obwohl er einen schlecht behandelt, weil „der meint das doch nicht so, der ist nicht schlecht“. Dafür gibt es auch einen Fachbegriff „Identifikation mit dem Aggressor“. Natürlich ist auch die Gefahr groß, dass diese Kinder später, wenn sie selbst Eltern werden, Gewalt gegen ihre eigenen Kinder anwenden, weil dies ja – so haben sie leider gelernt – keine Gewalt sei, sondern eine erzieherische Notwendigkeit zum angeblichen Wohle des Kindes. Um so wichtiger finde ich es, dass diese Schule solche Kurse mit Kindern macht und versucht, die Vernebelung etwas aufzulösen.
Besonders eindrucksvoll fand ich einen Bericht im hinteren Teil des Films. In einem Kinderschutzteam wurde der Fall eines neun Jahre alten Jungen besprochen. Dieser sei bereits im Alter von drei Jahren von seinem Vater schwer misshandelt worden, bis hin zu Knochenbrüchen. Eine Fachfrau trägt vor, dass sie bei der Diagnostik diesem Jungen die Frage gestellt habe, was er machen würde, wenn er König von Deutschland wäre. Der Junge habe aufgeschrieben:
„Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich mir alle Pistolen der Welt kaufen, dann könnten Soldaten ausgebildet werden und dann könnten die mich beschützen vor denen, die mich angreifen.“
Diese Aussage ist erschütternd... Sie zeigt allerdings, warum es auch aus politischen Gesichtspunkten heraus wichtig ist, Kinder vor Gewalt zu schützen. Menschen, die als Kind sicher und geborgen aufwachsen durften, brauchen keine Waffen und Soldaten, um sich sicher zu fühlen.
Dagegen: Erwachsene, die einst verängstigte Kinder waren, „vergessen“ dies meist auf die eine oder andere Weise. Trotzdem wirkt – solange nicht therapeutisch aufgearbeitet – die alte Angst weiter und begünstigt destruktive oder gar schlimmstenfalls paranoid anmutende Entscheidungen oder Verhaltensweisen.
WDR, 05.11.2015 (Sendereihe „Menschen hautnah“), „Nur ein Klaps auf den Po? - Wenn Eltern ihre Kinder schlagen“ (ein Film von Erika Fehse)
Eindrücklich wie auch erschreckend ist ein Ausschnitt, in dem SchülerInnen (viele mit Migrationshintergrund) verschiedener Altersgruppen aus einer Gesamtschule in Gelsenkirchen zusammen mit der zuständigen Sozialpädagogin das Thema Gewalt gegen Kinder besprechen. Alle anwesenden Kinder haben schon mal „einen Klaps“ von ihren Eltern bekommen. Die Mehrheit bewertet dies aber nicht als Gewalt. Als Gewalt wird von den SchülerInnen eher das bezeichnet, was man allgemein unter dem Begriff „Misshandlung“ (also schwere körperliche Gewalt) kennt. Einige SchülerInnen betonen, dass elterliche Gewalt etwas sei, was Folgen wie Prellungen, Blutungen u.ä. bewirken würde. Alles andere wäre keine Gewalt.
Eine Schülerin sagt wörtlich: „Ich habe ziemlich oft einen Klaps bekommen, aber das ist auch gerechtfertigt gewesen von meinen Eltern, weil ich wirklich meine Grenzen überschritten habe.“
Ein Schüler sagt: „Ich finde das o.k. Es ist unsere Schuld, wenn wir einen Klaps bekommen“ und eine neben ihm sitzende Schülerin stimmt zu. Ein Junge sagt: „Die Eltern wollen ja auch den Kindern nicht schaden, wollen das ja nur machen, damit die aufhören und später gut sind.“
Diese Kinder haben ihre Lektion gelernt. Man sieht fast ihre Eltern hinter ihnen stehen wie sie den Kindern eintrichtern: „Du bist schuld!“ „Das ist notwendig!“ „Das ist keine Gewalt, sondern meine Pflicht als Vater/Mutter, weil wir Dich ja lieben““ „Wir wollen nur Dein Bestes““. Die Kinder wiederholen quasi automatisiert diese klassische elterliche Lektion, die in Wahrheit eine Verdrehung der Wirklichkeit ist. Denn in Wahrheit ist ein „Klaps“ natürlich Gewalt und ein „häufiger Klaps“ ist „häufige Gewalt“. Dass diese Formen von Gewalt, die unterhalb der Misshandlung liegen, nicht folgenlos bleiben, zeigen die Aussagen der Kinder. Ist die Wirklichkeit eines Kindes erst einmal verdreht worden, ist sie vernebelt, dann wirkt dies auch später in anderen Kontexten. Beim Partner, Arbeitgeber oder auch „politischen Führer“, an dem man festhält, obwohl er einen schlecht behandelt, weil „der meint das doch nicht so, der ist nicht schlecht“. Dafür gibt es auch einen Fachbegriff „Identifikation mit dem Aggressor“. Natürlich ist auch die Gefahr groß, dass diese Kinder später, wenn sie selbst Eltern werden, Gewalt gegen ihre eigenen Kinder anwenden, weil dies ja – so haben sie leider gelernt – keine Gewalt sei, sondern eine erzieherische Notwendigkeit zum angeblichen Wohle des Kindes. Um so wichtiger finde ich es, dass diese Schule solche Kurse mit Kindern macht und versucht, die Vernebelung etwas aufzulösen.
Besonders eindrucksvoll fand ich einen Bericht im hinteren Teil des Films. In einem Kinderschutzteam wurde der Fall eines neun Jahre alten Jungen besprochen. Dieser sei bereits im Alter von drei Jahren von seinem Vater schwer misshandelt worden, bis hin zu Knochenbrüchen. Eine Fachfrau trägt vor, dass sie bei der Diagnostik diesem Jungen die Frage gestellt habe, was er machen würde, wenn er König von Deutschland wäre. Der Junge habe aufgeschrieben:
„Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich mir alle Pistolen der Welt kaufen, dann könnten Soldaten ausgebildet werden und dann könnten die mich beschützen vor denen, die mich angreifen.“
Diese Aussage ist erschütternd... Sie zeigt allerdings, warum es auch aus politischen Gesichtspunkten heraus wichtig ist, Kinder vor Gewalt zu schützen. Menschen, die als Kind sicher und geborgen aufwachsen durften, brauchen keine Waffen und Soldaten, um sich sicher zu fühlen.
Dagegen: Erwachsene, die einst verängstigte Kinder waren, „vergessen“ dies meist auf die eine oder andere Weise. Trotzdem wirkt – solange nicht therapeutisch aufgearbeitet – die alte Angst weiter und begünstigt destruktive oder gar schlimmstenfalls paranoid anmutende Entscheidungen oder Verhaltensweisen.
Freitag, 6. November 2015
Neue KFN-Studie. Ein Plädoyer für gewaltfreie Erziehung, um Gesellschaften voranzubringen
Diese Studie muss man lesen! Das ist das Erste, was mir dazu einfällt.
Dass Christian Pfeiffer dieses Jahr in die USA gereist ist, um sich für eine gewaltfreie Erziehung einzusetzen und um die destruktiven Folgen von gewaltvoller Erziehung wissenschaftlich aufzuzeigen, hatte ich ja bereits berichtet. Jetzt hat er – auf englisch – einen entsprechenden Forschungsbericht verfasst. Und der hat es in sich.
Pfeiffer, C. (2015): The Abolition of the Parental Right to Corporal Punishment in Sweden, Germany and other European Countries. A Model for the United States and other Democracies? Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachen e.V.
Ich fasse nur kurz zusammen:
In dem Forschungsbericht wird u.a. aufgezeigt, wie stark (körperliche und sexuelle) Gewalt gegen Kinder in Deutschland rückläufig ist und wie elterliche Zuwendung ansteigt. Entsprechende Studien hatte ich hier im Blog bereits besprochen.
Ich möchte vor allem auf die Tabelle 1 auf Seite 17 hinweisen. Dort zeigt sich eindrucksvoll, wie sich die Wahrscheinlichkeit für diverse menschliche, destruktive Phänomene wie Gewaltverhalten, Drogen/Alkoholkonsum, Suizidgedanken oder auch den Wunsch, eine Waffe zu tragen durch schwere körperliche Gewalt und einer geringen elterlichen Zuwendung erhöht. Und umgekehrt zeigt sich, dass Gewaltfreiheit (wobei nur körperliche Gewalt gemessen wurde!) und elterliche Zuwendung ein positives Lebensgefühl/Vertrauen und Toleranz deutlich erhöht, während elterliche Gewalt diese Faktoren deutlich absenkt.
Das ganz Neue an diesem Forschungsbericht ist das, was die Grafiken ab Seite 28 zeigen. Die Grafiken und gezeigten Zusammenhänge lassen den Schluss zu, dass die körperliche Bestrafung von Kindern eine Auswirkung auf das Strafbedürfnis einer Gesellschaft hat. Die Zahlen von Strafgefangenen pro 100.000 Einwohnern und Exekutionen nehmen entsprechend den körperlichen Strafen an US-Schulen bzw. der entsprechenden Legalität von schulischen Körperstrafen zu. (Wobei die schulischen Körperstrafen bzw. die Rechtslage vermutlich auch Rückschlüsse auf das Strafverhalten zu Hause zulassen.) Ich will dies nicht weiter kommentieren, mensch lese bitte selbst in der Studie nach.
Die Studie versteht sich – so lese ich es deutlich heraus – als ein direkter Aufruf an die USA, ihre Erziehungspraxis grundlegend zu verändern, um positive Effekte auf die Gesellschaft zu bewirken.
Dass Christian Pfeiffer dieses Jahr in die USA gereist ist, um sich für eine gewaltfreie Erziehung einzusetzen und um die destruktiven Folgen von gewaltvoller Erziehung wissenschaftlich aufzuzeigen, hatte ich ja bereits berichtet. Jetzt hat er – auf englisch – einen entsprechenden Forschungsbericht verfasst. Und der hat es in sich.
Pfeiffer, C. (2015): The Abolition of the Parental Right to Corporal Punishment in Sweden, Germany and other European Countries. A Model for the United States and other Democracies? Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachen e.V.
Ich fasse nur kurz zusammen:
In dem Forschungsbericht wird u.a. aufgezeigt, wie stark (körperliche und sexuelle) Gewalt gegen Kinder in Deutschland rückläufig ist und wie elterliche Zuwendung ansteigt. Entsprechende Studien hatte ich hier im Blog bereits besprochen.
Ich möchte vor allem auf die Tabelle 1 auf Seite 17 hinweisen. Dort zeigt sich eindrucksvoll, wie sich die Wahrscheinlichkeit für diverse menschliche, destruktive Phänomene wie Gewaltverhalten, Drogen/Alkoholkonsum, Suizidgedanken oder auch den Wunsch, eine Waffe zu tragen durch schwere körperliche Gewalt und einer geringen elterlichen Zuwendung erhöht. Und umgekehrt zeigt sich, dass Gewaltfreiheit (wobei nur körperliche Gewalt gemessen wurde!) und elterliche Zuwendung ein positives Lebensgefühl/Vertrauen und Toleranz deutlich erhöht, während elterliche Gewalt diese Faktoren deutlich absenkt.
Das ganz Neue an diesem Forschungsbericht ist das, was die Grafiken ab Seite 28 zeigen. Die Grafiken und gezeigten Zusammenhänge lassen den Schluss zu, dass die körperliche Bestrafung von Kindern eine Auswirkung auf das Strafbedürfnis einer Gesellschaft hat. Die Zahlen von Strafgefangenen pro 100.000 Einwohnern und Exekutionen nehmen entsprechend den körperlichen Strafen an US-Schulen bzw. der entsprechenden Legalität von schulischen Körperstrafen zu. (Wobei die schulischen Körperstrafen bzw. die Rechtslage vermutlich auch Rückschlüsse auf das Strafverhalten zu Hause zulassen.) Ich will dies nicht weiter kommentieren, mensch lese bitte selbst in der Studie nach.
Die Studie versteht sich – so lese ich es deutlich heraus – als ein direkter Aufruf an die USA, ihre Erziehungspraxis grundlegend zu verändern, um positive Effekte auf die Gesellschaft zu bewirken.
Freitag, 30. Oktober 2015
Ursachen von Rechtsextremismus nach Hajo Funke
Sehr aufschlussreich bzgl. der Ursachen von Rechtsextremismus fand ich die Arbeit von Prof. Dr. Hajo Funke (2001): Rechtsextremismus 2001. Eine Zwischenbilanz. Verwahrlosung und rassistisch aufgeladene Gewalt – Zur Bedeutung von Familie, Schule und sozialer Integration. In: Eckert, Roland et al.: Demokratie lernen und leben – Eine Initiative gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Band 1. Weinheim: Freudenberg Stiftung.
Funke selbst hat gewalttätige Rechtsextremisten befragt, bezieht in seinem Beitrag aber auch andere Studien (vor allem aus Ostdeutschland) mit ein. Er stellt fest, dass problematische Erfahrungen in der Kindheit (mangelnde Zuwendung und Beachtung, restriktive Erziehung, wie auch elterliche Gewalt) etwas zur rechtsextremen Orientierung beitragen.
Als Einstieg beschreibt Funke die Biografien von drei rechtsextremen jungen Männern, die 2000/2001 befragt wurden. Ich ziehe dabei besonders die Informationen bzgl. Kindheit und elterlicher Erziehung heraus.
Der Fall „Walter“
Walter ist nach schweren Konflikten mit seiner Stiefmutter und seinem Vater aus der elterlichen Wohnung rausgeworfen worden. Als Walter ca. 12 Jahre alt war, starb seine Mutter nach vorherigem jahrelangem schweren (krankheitsbedingtem) Leiden. Auch mit seiner Mutter scheint er einen konfliktreichen Kontakt gehabt zu haben. Sein Vater habe ihn systematisch gekränkt, er tauge nichts, nur sein Bruder sei etwas wert, was der Vater „hundertfach wiederholt habe“. (S. 62)
Walters „Berichte über das soziale Leben sind voll von Angst vor sanktionierenden Instanzen, sei es Gefängnis, Heim oder auch dem Kindergarten. (….) Walter wirkt labil. Es fehlt in seiner Lebensgeschichte offenkundig eine emotional reichhaltige Beziehung mit einer erwachsenen Bezugsperson; dominierend erscheinen dagegen anhaltende Abweisungserfahrungen.“ (S. 62)
Der Fall „Christoph“
Christoph erinnert sich „wie er mit etwa 4 Jahren einem schlagenden, tobenden Stiefvater gegenüber steht und hilflos mit ansehen muss, wie er seine Mutter, die geschlagen wird, nicht schützen kann und die auch ihn nicht schützen kann. Nach quälenden vier Jahren wiederholter schwerer Misshandlungserfahrungen verlässt der Stiefvater endlich seine Mutter. (…) In der Kindheit schwer und wiederholt misshandelt, schlägt er zu, ehe er geschlagen wird.“ (S. 63)
Nach weiteren Konflikten zieht er schließlich zu Hause aus und kommt bei seiner Großmutter unter.
Erst durch die rechtsextreme Clique erfährt Christoph den Eindruck einer „zweiten Familie“, schreibt Funke. (S. 63) Bereits im Alter von 14 Jahren trägt Christoph das Wort „Hass“ eintätowiert auf seinen Fingern.
Der Fall „Adolph“
Adolph ist von seiner Mutter geschlagen worden und musste sich um seine kleinen Brüder kümmern, weil die Mutter faul war, wie er sagte (bzw. ihm diese Aufgabe vermutlich aufbürdete). Adolph selbst war früh gewalttätig und kam schließlich auf eine „Hilfsschule“, von seiner Mutter wurde ihm mitgeteilt, er sei eine Null. Seine Mutter wertet ihn systematisch ab, was – so kommentiert Funke – offenkundig vom Vater nicht kompensiert wurde. (S. 65) Mit 18 Jahren wurde er von der Mutter sofort vor die Tür gesetzt. Anerkennung suchte er in der rechtsextremen Szene Ostberlins.
In allen drei Fällen gab es auch im sozialen Umfeld keine oder kaum kompensatorische Angebote oder „aufwertende Nachsozialisation (…), „stattdessen gerieten alle drei in eine Spirale wachsender Verwahrlosung.“ (S. 66)
Der Risikofaktor „destruktive Kindheit“ führt natürlich nicht zwangsläufig oder monokausal zum Rechtsextremismus. Funke schreibt: „Die Gewalt- und Abwesenheitserfahrungen in der Kindheit dürften für Ausländerfeindlichkeit dann von Bedeutung sein, wenn andere Bedingungen hinzutreten.“ (S. 99) Deutlicher: „Reale gesellschaftliche Angst vor sozialem Ausschluss und traumatische Angsterfahrungen fusionieren in der Gruppe zum mobilisierten Gefühl der Paranoia, aus der heraus man schlägt. Es ist also weder die Realangst vor sozialem Ausschluss noch allein die traumatischen Erfahrungen im Elternhaus, die zur gefährlichen Gewaltkarriere in der Jugendclique beitragen, sondern beides zusammen. Die rechten Kader (Parteien) und Netzwerke haben damit Chancen zur Instrumentalisierung dieser Jugendlichen, wenn Angst vor sozialem Ausschluss und Gewalterfahrungen in den Herkunftsfamilien zusammenkommen. Diese geschädigten Kinder sind ideale Kandidaten für den Terror (…) und die braune Identität (…).“ (S. 103)
Funke spricht von „kumulativen Effekten der Demoralisierung“ (S. 105). Also beispielsweise das Zusammenkommen von strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland, Transformationskrise nach dem Zusammenbruch der DDR, gesellschaftliche Missachtungserfahrungen und belastete Sozialisation im Elternhaus.
Funke schreibt an einer Stelle aber auch: „Ohne innere Entwicklung der Persönlichkeit entsteht ein um sich schlagender Sozialneid, der selbst dann wirkt, wäre er befriedigt. Das Motiv, mehr und alles haben zu wollen, ist selbst dann endlos, wenn es erfüllt wäre, da es die destruktive Sehnsucht repräsentiert, anerkannt zu sein und sich über Traditionen einer Untertanenkultur als autoritäre Aggression gegen Schwächere Luft macht.“ (S. 83)
Interessant finde ich auch, dass Funke die Reinheits- und Schmutzvorstellungen von Rechtsextremisten beschreibt. „Zum Abwerten gehört offenbar neben der Ohnmacht, die man am Opfer bekämpft, auch die Assoziation von Dreck, Schmutz, Gift und Unreinem.“ (S. 81) In der rechtsextremen Clique sei eine besondere Wut „gegen den Schmutz und den Dreck der Anderen“ auffällig ebenso wie die Vorstellung von einem „Bild von Reinheit und Homogenität des ethisch-gesäuberten und national befreiten eigenen `Volkskörpers`, des eigenen deutschen Territoriums, des national befreiten, ausländerfreien Reviers (...)“ (S. 81)
Dies passt zusammen mit den psychohistorischen Arbeiten von Lloyd deMause, der starke Ängste vor Vergiftung und Verschmutzung im Vorfeld von Kriegen wahrgenommen hat und dies als Gruppenfantasie deutet, die auf traumatischen Kindheitserfahrungen wie auch Verletzungen des Fötus (fötales Drama“) beruhen.
In Funkes Arbeit werden weitere Studienergebnisse besprochen, die ich hier nicht wiedergeben kann. Eindeutig bewertet er den Einfluss von destruktiven Kindheitserfahrung bei der Genese zum rechtsextremen Gewalttäter als hoch, verweist aber auch – sinnvoller Weise – auf die Notwendigkeit des Zusammentreffens mit anderen sozialen Einflüssen, wie oben bereits kurz beschrieben.
Funke selbst hat gewalttätige Rechtsextremisten befragt, bezieht in seinem Beitrag aber auch andere Studien (vor allem aus Ostdeutschland) mit ein. Er stellt fest, dass problematische Erfahrungen in der Kindheit (mangelnde Zuwendung und Beachtung, restriktive Erziehung, wie auch elterliche Gewalt) etwas zur rechtsextremen Orientierung beitragen.
Als Einstieg beschreibt Funke die Biografien von drei rechtsextremen jungen Männern, die 2000/2001 befragt wurden. Ich ziehe dabei besonders die Informationen bzgl. Kindheit und elterlicher Erziehung heraus.
Der Fall „Walter“
Walter ist nach schweren Konflikten mit seiner Stiefmutter und seinem Vater aus der elterlichen Wohnung rausgeworfen worden. Als Walter ca. 12 Jahre alt war, starb seine Mutter nach vorherigem jahrelangem schweren (krankheitsbedingtem) Leiden. Auch mit seiner Mutter scheint er einen konfliktreichen Kontakt gehabt zu haben. Sein Vater habe ihn systematisch gekränkt, er tauge nichts, nur sein Bruder sei etwas wert, was der Vater „hundertfach wiederholt habe“. (S. 62)
Walters „Berichte über das soziale Leben sind voll von Angst vor sanktionierenden Instanzen, sei es Gefängnis, Heim oder auch dem Kindergarten. (….) Walter wirkt labil. Es fehlt in seiner Lebensgeschichte offenkundig eine emotional reichhaltige Beziehung mit einer erwachsenen Bezugsperson; dominierend erscheinen dagegen anhaltende Abweisungserfahrungen.“ (S. 62)
Der Fall „Christoph“
Christoph erinnert sich „wie er mit etwa 4 Jahren einem schlagenden, tobenden Stiefvater gegenüber steht und hilflos mit ansehen muss, wie er seine Mutter, die geschlagen wird, nicht schützen kann und die auch ihn nicht schützen kann. Nach quälenden vier Jahren wiederholter schwerer Misshandlungserfahrungen verlässt der Stiefvater endlich seine Mutter. (…) In der Kindheit schwer und wiederholt misshandelt, schlägt er zu, ehe er geschlagen wird.“ (S. 63)
Nach weiteren Konflikten zieht er schließlich zu Hause aus und kommt bei seiner Großmutter unter.
Erst durch die rechtsextreme Clique erfährt Christoph den Eindruck einer „zweiten Familie“, schreibt Funke. (S. 63) Bereits im Alter von 14 Jahren trägt Christoph das Wort „Hass“ eintätowiert auf seinen Fingern.
Der Fall „Adolph“
Adolph ist von seiner Mutter geschlagen worden und musste sich um seine kleinen Brüder kümmern, weil die Mutter faul war, wie er sagte (bzw. ihm diese Aufgabe vermutlich aufbürdete). Adolph selbst war früh gewalttätig und kam schließlich auf eine „Hilfsschule“, von seiner Mutter wurde ihm mitgeteilt, er sei eine Null. Seine Mutter wertet ihn systematisch ab, was – so kommentiert Funke – offenkundig vom Vater nicht kompensiert wurde. (S. 65) Mit 18 Jahren wurde er von der Mutter sofort vor die Tür gesetzt. Anerkennung suchte er in der rechtsextremen Szene Ostberlins.
In allen drei Fällen gab es auch im sozialen Umfeld keine oder kaum kompensatorische Angebote oder „aufwertende Nachsozialisation (…), „stattdessen gerieten alle drei in eine Spirale wachsender Verwahrlosung.“ (S. 66)
Der Risikofaktor „destruktive Kindheit“ führt natürlich nicht zwangsläufig oder monokausal zum Rechtsextremismus. Funke schreibt: „Die Gewalt- und Abwesenheitserfahrungen in der Kindheit dürften für Ausländerfeindlichkeit dann von Bedeutung sein, wenn andere Bedingungen hinzutreten.“ (S. 99) Deutlicher: „Reale gesellschaftliche Angst vor sozialem Ausschluss und traumatische Angsterfahrungen fusionieren in der Gruppe zum mobilisierten Gefühl der Paranoia, aus der heraus man schlägt. Es ist also weder die Realangst vor sozialem Ausschluss noch allein die traumatischen Erfahrungen im Elternhaus, die zur gefährlichen Gewaltkarriere in der Jugendclique beitragen, sondern beides zusammen. Die rechten Kader (Parteien) und Netzwerke haben damit Chancen zur Instrumentalisierung dieser Jugendlichen, wenn Angst vor sozialem Ausschluss und Gewalterfahrungen in den Herkunftsfamilien zusammenkommen. Diese geschädigten Kinder sind ideale Kandidaten für den Terror (…) und die braune Identität (…).“ (S. 103)
Funke spricht von „kumulativen Effekten der Demoralisierung“ (S. 105). Also beispielsweise das Zusammenkommen von strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland, Transformationskrise nach dem Zusammenbruch der DDR, gesellschaftliche Missachtungserfahrungen und belastete Sozialisation im Elternhaus.
Funke schreibt an einer Stelle aber auch: „Ohne innere Entwicklung der Persönlichkeit entsteht ein um sich schlagender Sozialneid, der selbst dann wirkt, wäre er befriedigt. Das Motiv, mehr und alles haben zu wollen, ist selbst dann endlos, wenn es erfüllt wäre, da es die destruktive Sehnsucht repräsentiert, anerkannt zu sein und sich über Traditionen einer Untertanenkultur als autoritäre Aggression gegen Schwächere Luft macht.“ (S. 83)
Interessant finde ich auch, dass Funke die Reinheits- und Schmutzvorstellungen von Rechtsextremisten beschreibt. „Zum Abwerten gehört offenbar neben der Ohnmacht, die man am Opfer bekämpft, auch die Assoziation von Dreck, Schmutz, Gift und Unreinem.“ (S. 81) In der rechtsextremen Clique sei eine besondere Wut „gegen den Schmutz und den Dreck der Anderen“ auffällig ebenso wie die Vorstellung von einem „Bild von Reinheit und Homogenität des ethisch-gesäuberten und national befreiten eigenen `Volkskörpers`, des eigenen deutschen Territoriums, des national befreiten, ausländerfreien Reviers (...)“ (S. 81)
Dies passt zusammen mit den psychohistorischen Arbeiten von Lloyd deMause, der starke Ängste vor Vergiftung und Verschmutzung im Vorfeld von Kriegen wahrgenommen hat und dies als Gruppenfantasie deutet, die auf traumatischen Kindheitserfahrungen wie auch Verletzungen des Fötus (fötales Drama“) beruhen.
In Funkes Arbeit werden weitere Studienergebnisse besprochen, die ich hier nicht wiedergeben kann. Eindeutig bewertet er den Einfluss von destruktiven Kindheitserfahrung bei der Genese zum rechtsextremen Gewalttäter als hoch, verweist aber auch – sinnvoller Weise – auf die Notwendigkeit des Zusammentreffens mit anderen sozialen Einflüssen, wie oben bereits kurz beschrieben.
Freitag, 23. Oktober 2015
Arno Gruen ist gestorben
Wie ich leider heute lesen musste, ist Arno Gruen diese Woche im Alter von 92 Jahren gestorben.
Noch im August diesen Jahres hatte ich erstmals Kontakt zu ihm aufgenommen. Ich wollte ihm unbedingt ein Erlebnis mitteilen, dass ich an der Uni Hamburg hatte. Ich habe dies Erlebnis im Nachwort zu meinem "Grundlagentext" festgehalten. Es hatte mit seinem Buch "Der Fremde in uns" zu tun. Ich bekam auch Antwort von ihm und er legte mir auch eines seiner Bücher darin bei, was mich sehr erstaunte und auch freute. Daraufhin schrieb ich ihm noch mal ausführlich und legte meinerseits eine Kopie meines Arbeitspapiers "Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an" bei. Ich wollte ihm gegenüber (der er in meinen Augen Kulturpessimist war) auch etwas Optimismus ausdrücken und verwies in meinem Schreiben an ihn u.a. auf die Studie "Die Modernisierung der Seele", die Entwicklung von Kindheit und Jugend in Deutschland sehr positiv sieht. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass die Welt auf Grund der enorm verbesserten Kindererziehung - gerade auch in Deutschland - eine bessere Welt werden wird und so etwas wie die NS-Zeit hierzulande nicht mehr möglich sein wird, weil ebenso wie Gewalt gegen Kinder auf der anderen Seite auch Gewaltfreiheit, Fürsorge und Liebe gegenüber Kindern gesellschaftlich nicht ohne Folgen bleibt.
Ich muss gestehen, dass ich auf eine Antwort von ihm gewartet habe, die nicht mehr kam. Meinen Text wird er sicherlich erhalten haben. Vielleicht konnte ich ihm so kurz vor seinem Tod noch etwas von dem Optimismus mitgeben, wie er sich zwangsläufig aus den vorliegenden Daten zur Kindheit hierzulande ergibt. Ich weiß es nicht.
Wie schon nach dem Tod von Alice Miller bin ich gespannt, wie die Medien diese Nachricht jetzt verarbeiten? Werden sie dem Anliegen und Denken von Arno Gruen ausführlich nachgehen? Wird dies nachhaltig sein? Wir werden sehen.
Noch im August diesen Jahres hatte ich erstmals Kontakt zu ihm aufgenommen. Ich wollte ihm unbedingt ein Erlebnis mitteilen, dass ich an der Uni Hamburg hatte. Ich habe dies Erlebnis im Nachwort zu meinem "Grundlagentext" festgehalten. Es hatte mit seinem Buch "Der Fremde in uns" zu tun. Ich bekam auch Antwort von ihm und er legte mir auch eines seiner Bücher darin bei, was mich sehr erstaunte und auch freute. Daraufhin schrieb ich ihm noch mal ausführlich und legte meinerseits eine Kopie meines Arbeitspapiers "Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an" bei. Ich wollte ihm gegenüber (der er in meinen Augen Kulturpessimist war) auch etwas Optimismus ausdrücken und verwies in meinem Schreiben an ihn u.a. auf die Studie "Die Modernisierung der Seele", die Entwicklung von Kindheit und Jugend in Deutschland sehr positiv sieht. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass die Welt auf Grund der enorm verbesserten Kindererziehung - gerade auch in Deutschland - eine bessere Welt werden wird und so etwas wie die NS-Zeit hierzulande nicht mehr möglich sein wird, weil ebenso wie Gewalt gegen Kinder auf der anderen Seite auch Gewaltfreiheit, Fürsorge und Liebe gegenüber Kindern gesellschaftlich nicht ohne Folgen bleibt.
Ich muss gestehen, dass ich auf eine Antwort von ihm gewartet habe, die nicht mehr kam. Meinen Text wird er sicherlich erhalten haben. Vielleicht konnte ich ihm so kurz vor seinem Tod noch etwas von dem Optimismus mitgeben, wie er sich zwangsläufig aus den vorliegenden Daten zur Kindheit hierzulande ergibt. Ich weiß es nicht.
Wie schon nach dem Tod von Alice Miller bin ich gespannt, wie die Medien diese Nachricht jetzt verarbeiten? Werden sie dem Anliegen und Denken von Arno Gruen ausführlich nachgehen? Wird dies nachhaltig sein? Wir werden sehen.
Donnerstag, 22. Oktober 2015
Studie: Die Psychologie des Nationalsozialismus
Ich möchte die sehr eindrucksvolle Studie "Warum folgten sie Hitler? Die Psychologie des Nationalsozialismus" von Stephan Marks (3. Aufl. 2014, erschienen im Patmos Verlag, Ostfildern) besprechen, die sehr viele Gemeinsamkeiten mit psychohistorischen Ansätzen hat.
Für das Forschungsprojekt (das Forschungsteam bestand aus 10 Personen der ersten Nachkriegsgeneration und unterschiedlicher meist aber psychologisch-pädagogischer Berufsfelder, ergänzend wurden auch durch 11 junge Studierende Interviews mit NS-Anhängern geführt, um zu vergleichen, wie sich der Generationsabstand auf die Interviews auswirkt) wurden 19 Frauen und 24 Männer (Geburtsjahrgänge zwischen 1906 und 1926), die NS-Anhänger waren, ausführlich im Rahmen von Interviews im Zeitraum zwischen 19998 und 2001 befragt. Ergänzend wurden zu Vergleichszwecken 11 Gruppengespräche, an denen jeweils 25 Personen aus verschiedenen Generationen teilnahmen, durchgeführt. Das Projekt wurde durch ständige Supervision begleitet.
Es wurde also viel Aufwand betrieben, um den tieferen Ursachen der NS-Zeit auf den Grund zu gehen.
Sehr beeindruckt haben mich die Schilderungen über die Ergebnisse der Supervision. Ich möchte diese hier gleich zu Beginn der Besprechung etwas ausführlicher wiedergeben:
„Eine eindrückliche Erfahrung bestand darin, dass viele der Interview-Transkripte zunächst wenig informativ zu sein schienen – verglichen mit den emotionalen Botschaften zwischen den Zeilen und den Gefühlen, die wir während und nach den Interviews erlebten. Diese Reaktionen, die wir in dieser Wucht nicht erwartet hatten, werden in der Psychoanalyse als Gegenübertragungen bezeichnet. Oft fühlten wir, die Interviewer, uns im Laufe eines Gespräches wie totgeredet, überrollt oder mundtot gemacht. Verwirrt, müde, passiv, dumm, unklar, wie hypnotisiert oder ´besoffen geredet`. Oder wir spürten nach einem Interview ein merkwürdiges, starkes Verlangen nach Zucker. Oft konnten wir mit `dem Thema` nicht aufhören. Oder wir empfanden Scham, etwa darüber, von dem jeweiligen Interviewten manipuliert, `über den Tisch gezogen`, `eingewickelt`, benutzt, überrannt, plattgemacht oder emotional missbraucht worden zu sein (und die Scham darüber, dies zugelassen zu haben). Auch Scham darüber, es nicht geschafft zu haben, dem Interviewten gegenüber authentisch, `männlich`, `stark`, `standhaft`, geblieben zu sein; oder zu leichtgläubig, naiv, unaufmerksam, `feige`, unterlegen, `minderwertig`, `zu intellektuell`, ungenügend `gewappnet`´ oder `zu schwach` gewesen zu sein. Wir fühlten uns häufig, wie wenn etwas Fremdes, Bösartiges in uns hineingestopft worden wäre, etwas, das mit unserem Anliegen als Interviewer nichts zu tun hatte. In der Nacht nach den Interviews tauchten nicht selten Alpträume auf, z.B. dass jemand in die eigene Wohnung eindringt und sie mit Blut besudelt. Ich träumte einmal nach einem Interview, dass ich Massengräber zu öffnen und die halbverwesten Leichen umzubetten hatte.“ (Marks 2014, S. 182)
Dieser Auszug zeigt schon einmal deutlich, in welche Richtung das Buch geht: Es geht um die emotionale Welt und entsprechend um emotionale Erklärungsansätze bzgl. der NS-Zeit. In dem Buch werden sechs Kernthesen durchgearbeitet und durch die qualitativen Interviews empirisch nachgewiesen. Die Befunde (Marks 2014, S. 20+21,52+53, 167+168):
1. Das nationalsozialistische Bewusstsein war regressiv und magisch, das heißt als ein Zustand, der entwicklungspsychologisch einer frühen Phase entspricht. Entsprechend ergaben sich Vorstellungen von einem gottähnlichem Führer, vom heiligen Reich, Zauberkräften usw.
2. Der nationalsozialistische Bewusstseinszustand lässt sich als hypnotische Trance verstehen. Demzufolge war der Fokus der Aufmerksamkeit eingeengt und gefesselt von einer Person (Adolf Hitler) bzw. einer Sache (Dritte Reich), unter Ausblendung großer Teile der Wirklichkeit. Dieser Zustand ist auch mit Regression (siehe Punkt 1.) verbunden.
3. Der Nationalsozialismus bezog seine psychosoziale Dynamik u.a. aus Schamgefühlen, deren Abwehr er anbot und legitimierte.
4. Der Nationalsozialismus speiste sich auch aus den narzisstischen Defiziten seiner Anhänger, die er auszufüllen versprach.
5. Der Nationalsozialismus erwuchs aus der Abwehr der Traumata des Ersten Weltkrieges; die Abwehrmechanismen Derealisierung, Gefühlskälte, Heroismus und Idealisierung wurden zum politischen Programm gemacht.
6. Der Nationalsozialismus nutzte die Suchtdynamik der deutschen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Die Beziehung zwischen dem Nationalsozialismus und seinen Anhängern hatte den Charakter von Suchmittelabhängigkeit, wobei Adolf Hitler und das `Dritte Reich` das stoffgebundene Suchtmittel waren. Diese Abhängigkeit bedeutete ein unabweichbares Verlangen nach einem bestimmten Gefühls-, Erlebens und Bewusstseinszustandes, den das NS-Programm beschaffte. Gemäß der Suchtdynamik wurde die sogenannte „Stunde Null“ wie ein Entzug erlebt.
Den gemeinsamen Nenner dieser sechs Befunde beschreibt Stephan Marks wie folgt:
„Der Nationalsozialismus zielte nicht darauf, die Menschen kognitiv zu überzeugen, sondern sie emotional einzubinden: Er lebte von der narzisstischen Bedürftigkeit und Abhängigkeit seiner Anhänger, von ihren Schamgefühlen, Kriegstraumata und frühkindlichen Erlösungsphantasien.“ (Marks 2014, S. 168) An anderer Stelle des Buches formuliert er ebenso zusammenfassend:
„Meine These ist, dass das intellektuelle Niveau des NSDAP-Programms und der nationalsozialistischen Schriften, Reden, Filme usw. völlig unerheblich ist – wenn es darum geht, ihren Erfolg bei ihren Anhängern zu erklären. Denn die Nazi-Propaganda zielte von vornherein gar nicht darauf ab, die Menschen kognitiv zu überzeugen, sondern darauf, sie in ganz anderen psychischen Schichten anzusprechen. Sie suchte nicht primär das (entwicklungspsychologisch betrachtet) reife, erwachsene, verantwortungsbewusste und rationale Ich-Bewusstsein des modernen, mentalen Menschen anzusprechen, sondern frühe Erfahrungen und Schichten in der Psyche der Menschen.“ (Marks 2014, S. 42+43)
Ich muss an dieser Stelle gleich erwähnen, dass mich die Arbeit von Stephan Marks stark an das Buch „Schmerzgrenze“ von Joachim Bauer und meine entsprechende Kritik erinnert. Marks hat wie Bauer sehr konkret leidvolle Kindheitserfahrungen als Ursache für Gewalt und Extremismus erkannt und benannt (darauf gehe ich gleich ein). Er hat dieses Themenfeld aber nicht ins Rampenlicht geholt, hat es nicht entsprechend gewichtet. Das Thema Kindheit geht im Verlauf des Buches entsprechend unter. Dies verwundert.
Das Buch von Stephan Marks ist ganz dicht an der Psychohistorie dran (so dicht wie kaum ein anderes Buch außerhalb der Psychohistorie), obwohl er sich offensichtlich nicht mit psychohistorischen Arbeiten befasst hat. Das ist für mich insofern verständlich, weil die Psychohistorie einen sehr wahrten Kern erforscht und beschrieben hat, der menschliche Destruktivität von Grund auf erklärt. Das andere Forschende auf den selben Kern stoßen, ist nur logisch.
Ich werde nachfolgend versuchen, die Überschneidungen von Marks und der Psychohistorie nach Lloyd deMause (2005: "Das emotionale Leben der Nationen") darzustellen, ebenso werde ich zentrale Textstellen bzgl. der Kindheit in dem Buch von Stephan Marks zitieren.
DeMause stellt fest, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen traumatischer Kindheit und der Fähigkeit, in soziale Trance zu verfallen gibt. (deMause 2005, S. 85-86) Wenn Menschen an der „Traumwelt der Gruppentrance“ teilnehmen, befinden sie sich in einem Zustand der Dissoziation bzw. wechseln in ihr „soziales Alter Ego“, so deMause (2005, S. 86) Alter Egos (abgespaltene Persönlichkeitsteile) entstehen vor allem auf Grund traumatischer Kindheitserlebnisse. DeMause beschreibt in seinem Buch, wie politische Führer durch ihre Reden und Gesten Gruppen in „soziale Trance“ versetzten können. Marks spricht von „ hypnotischer Trance“, von „Regression“ (in frühkindliche Stufen) und Eintauchen in „magische Welten“, was bei seinen Gesprächspartnern auch Jahrzehnte nach der NS-Zeit noch spürbar war, wenn sie über diese Zeit sprachen.
Die deutlichsten Überschneidungen mit der Psychohistorie finden sich bei Marks in seinen Ausführungen über Schamgefühle. (Hinweis: Der Gefängnispsychiater James Gilligan - siehe hier - hat Schamgefühle von Mördern in den Mittelpunkt seiner Analyse gestellt. Diese wurden durch massive Gewalterfahrungen in der Kindheit der Mörder ausgelöst.) Er schreibt. „Traumatische oder pathologische Scham (…) taucht besonders in solchen Familienbeziehungen auf, deren Mitglieder verstrickt sind in gegenseitige Entwertungen, Verheimlichungen oder ein Überwältigen des anderen, das heißt, wenn die persönliche Grenze oder Integrität des Einzelnen nicht respektiert wird.“ (Marks 2014, S. 76)
Die Grundlage für traumatische Scham wird nach Marks gelegt wenn Eltern zudringlich sind und die Grenzen des Kindes nicht achten, wenn Eltern unberechenbar, depressiv oder suchtkrank sind, wenn Blickkontakt kultur- oder persönlichkeitsbedingt zwischen Mutter und Säugling verhindert wird (er erwähnt dabei den Erziehungsratgeber der damaligen Zeit „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, in dem empfohlen wurde, dass Mutter und Säugling weitgehend zu trennen sind), wenn Eltern selbst traumatisiert sind und dieses Trauma an ihre Kinder weitergeben oder wenn eine Kultur an sich sehr schamerfüllt ist und Kinder dies in sich aufnehmen. Er schreibt bzgl. dieses Themas zusammenfassend:
„Pathologische Scham entsteht also dann, wenn die Eltern die Suche des Kindes nach Liebe und Anerkennung, nach dem antwortenden Glanz im Auge der Mutter (…) nicht befriedigen. Das kleine Kind empfindet dies als existenzielle Bedrohung, es fühlt sich liebensunwert, wirkungslos, nichtig. (…) Traumatische Scham bedeutet z.B., dass das eigene Verhalten erlebt wird als: ´Ich bin ein Fehler`, statt: ´Ich habe einen Fehler gemacht.` (…) Scham bedeutet Angst vor totaler Verlassenheit (...) vor psychischer Vernichtung“ (Marks 2014, S. 77+78)
Traumatische Schamgefühle wären, so Marks, schmerzhaft und kaum zu ertragen, sie müssen entsprechend abgewehrt werden. „Weil Scham eine so peinigende, kaum auszuhaltende Emotion ist, `schrie´ sie geradezu nach Abwehr, die durch den Nationalsozialismus geboten und legitimiert wurde: (…) durch Idealisierung Hitlers und der Deutschen (…), durch größenphantastische Ansprüche auf Weltherrschaft; durch Versprechungen, die Ehre Deutschlands wiederherzustellen; durch ein heroisierendes und zynisches Weltbild der Härte und damit die Abwehr weicher (´schwächlicher`) Gefühle und humanistischer Werte; durch Verachtung und Vernichtung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, aber auch von Non-Konformisten (…).“ (S. 84)
Diesem letzt zitierten Abschnitt geht ein Hinweis bzgl. der Niederlage im Ersten Weltkrieg und entsprechender Schamgefühle voraus. Marks verliert hier den Faden zur Kindheit, den er auch auf den nachfolgenden Seiten über die Scham nicht wieder aufnimmt. Allerdings findet er ihn im darauffolgenden Kapitel 4 „Narzissmus und narzisstische Kollusion“ insofern etwas wieder, weil er noch einmal explizit auf Kindheitserfahrungen eingeht.
Der Autor zitiert die Arbeit des Psychoanalytikers Neville Symington, der pathologischen Narzissmus als Abwehrstrategie sieht, „mit der sich Menschen vor unerträglichen psychischen Schmerzen schützen, die auf traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit verweigerter Anerkennung zurückgehen (z.B. auf das Trauma, als Kind missachtet worden zu sein). Wenn diese Traumata nicht durchgearbeitet werden konnten, schlagen sie laut Symington häufig um in Hass gegen die Grundtatsache der menschlichen Existenz: dass nämlich das Selbst des Menschen immer in Beziehung zu anderen Menschen steht.“ (Marks 2014, S. 105)
Auf der nachfolgenden zwei Seiten geht Marks auf den „narzisstischen Missbrauch“ von Kindern durch Elternfiguren ein. Seine Schlussfolgerung ist, dass der Nationalsozialismus „wie eine kollektive narzisstische Kollusion funktionierte. Aus der Perspektive der Anhänger des Nationalsozialismus: Durch ihre Beteiligung am `Dritten Reich` wurde das Loch in ihrem Selbstwertgefühl wie mit einer Plombe gestopft. Aus der Perspektive des Nationalsozialismus: Durch sein Propagandaprogramm vermochte er, die narzisstische Bedürftigkeit seiner Anhänger für seine Zwecke zu instrumentalisieren. (….) Die Wirkung von Bewunderung auf narzisstisch bedürftige Menschen stelle ich mir vor wie einen Tropfen Wasser, der von einem trockenen Löschblatt sofort `gierig` aufgesaugt wird. Die emotionalen Beziehungen innerhalb der NS-Gesellschaft waren demnach ein vielfältiges Geflecht von Bewundern und Bewundert-Werden.“ (Marks 2014, S. 108) Marks zitiert in diesem Kapitel einen Befragten, der bzgl. seiner Zeit bei der SS berichtet: „Ich war stolz, etwas zu sein. (….) Die Minderwertigkeitskomplexe, die ich immer gehabt habe, die waren dann plötzlich verschwunden. Plötzlich war ich wer.“ (Marks 2014, S. 107+108)
Was Marks an dieser Stelle wie auch in vielen anderen Zitaten bzgl. seiner Interviewpartner verpasst hat (oder evtl. keine konkreten Antworten bekam) ist die gezielte Frage nach der Kindheit. Wie war die Kindheit dieses ehemaligen SS-Mannes, wie die der anderen ehemaligen Nazis, die für diese Studie befragt wurden? Der Studie hätte es gut getan, wenn z.B. am Ende der Interviews ein schriftlicher Fragebogen mit konkreten Fragen wie sie bzgl. Gewaltstudien beim Thema Kindesmisshandlung standardisiert üblich sind von den Befragten ausgefüllt worden wäre. So bleibt es bei leichten Andeutungen wie z.B. bzgl. des Befragten Herrn Plessner (Marks 2014, S. 110), der als Kind oft alleine gelassen wurde und nur eine schriftliche Arbeitsanweisung auf dem Tisch zu Hause vorfand. Seine Ausführungen machen deutlich, wie er sich nach einem anerkennenden Blick sehnte, den er bei den Nazis fand. An anderer Stelle im Buch wird ein Interviewauszug mit Frau Groeder beschrieben, die harte selbst erlebte Erziehungsmethoden und ihre Abschiebung in ein Internat komplett unkritisch und idealisierend gegenüberstand. Es habe ihr nicht geschadet. Marks kommentiert das Prinzip, dem die Befragten folgt so: „Verachte deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Marks 2014, S. 127) Entsprechend ginge diese Verachtung einher mit Bewunderung von strenger Erziehung und Idealen des Nationalsozialismus (bei gleichzeitiger Verachtung der „heutigen Jugend“). Dies sind – zumindest nach meiner Durchsicht – die beiden einzigen Textstellen im Buch, wo ansatzweise deutliche Hinweise auf die Kindheit der Befragten zu finden sind.
Die beiden letzten Kapitel möchte ich nicht zu ausführlich besprechen. Marks geht im Kapitel 5 ausführlich auf die transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen im Ersten Weltkrieg ein. Er weist darauf hin, das 11 Millionen Veteranen nach Hause zurückkehrten und psychische Wunden mitbrachten. (Marks 2014, S. 133) „Die transgenrationale Weitergabe geschieht nicht nur durch das, was die traumatisierten Väter bzw. Eltern ihren Kindern sagen, sondern vor allem durch das, was sie sind. Wie sie ihre Töchter und Söhne anschauen, behandeln oder bewerten, wie sie sich auf sie beziehen. Die Veteranen selbst, mit all ihren psychischen Deformierungen, sind die Botschaft: Ihre Derealisierung, Gefühls- und Empathielosigkeit, Idealisierung und Heroisierung wird an die Kinder weitergereicht.“ (Marks 2014, S. 137+138)
Im letzten Kapitel (Nr. 6) vergleicht er das NS-System mit Sucht/Abhängigkeit. Er geht auf das rauschhafte Erleben ein, von dem die Befragten berichten, auf ihre Abhängigkeit und dem Loch in das Viele mit Ende des Krieges („Stunde Null“) vielen.
Im Schlussteil des Buches streift Stephan Marks nur noch in einem Absatz das Thema Kindheit, in dem er auf eine Studie hinweist, die nachwies, das Rechtsextremisten systematische Kränkungen und Misshandlungen im Elternhaus erlebten. Auf den letzten Seiten gibt es eher allgemein präventive Hinweise, einige Schlussgedanken und ein Plädoyer für wertschätzende, freundliche Formen des Umgangs miteinander.
Zusammenfassende Kritik
Außerhalb der Psychohistorie ist das hier besprochene Buch eines der erkenntnisreichsten, das ich bzgl. der Ursachen und der Dynamik der NS-Zeit gelesen habe. Es ist sehr nah dran an meinem Ursachen-Verständnis von gesellschaftlicher Destruktivität wie sie sich z.B. in der NS-Zeit zeigte. Die große und wahre Botschaft des Buches lautet, dass es keinen Sinn macht, den Nationalsozialismus irgendwie rational oder geschichtswissenschaftlich nachvollziehen oder erklären zu wollen. Es geht um die emotionale Welt. Es geht darum, wie die Emotionen der Menschen angesprochen wurden, wie sie gefühlsmäßig an und in das System eingebunden wurden und sich dadurch letztlich einfach gut oder "gesehen" fühlten. Das besonders Wertvolle an der Studie ist, dass mit ehemaligen Nazis direkt ausführlich gesprochen wurde und der emotionale Gehalt der Gespräche analysiert wurde. Eine ähnliche Arbeit ist mir bisher nicht bekannt, obwohl eine solche Herangehensweise doch eigentlich nahe liegt.
Meine Hauptkritik an dem Buch habe ich oben bereits angedeutet. Obwohl der Autor den wichtigen Einfluss von destruktiven Kindheitserfahrungen gesehen und beschrieben hat, hat er diesem Einfluss kein entsprechendes Gewicht im Buch verliehen. Er geht im Grunde nicht auf die allgemein übliche extrem destruktive Erziehungspraxis um 1900 ein (die z.B. deMause beschrieben hat), was seine Thesen vom pathologischem Schamgefühl und narzisstischer Bedürftigkeit der Menschen in der damaligen Zeit untermauert hätte. Man findet entsprechend auch im Schlussteil keine Forderung für verbesserten Kinderschutz und Elternschulungen. Im Schlussteil bleibt der Autor auch ein bisschen pessimistisch. Im Klapptext des Buches wird es vom Verlag noch deutlicher formuliert: Das Beunruhigende an den Erkenntnissen im Buch sei, „all dies kann auch heute noch instrumentalisiert werden.“ Ich sehe dies nur bezogen auf einzelne Personen und kleiner Milieus/Subkulturen so. Die Kindheit und Fürsorge in Deutschland hat sich enorm entwickelt und elterliche Gewalt gegen Kinder ist stark rückläufig. Entsprechend müssen pathologische Schamgefühle und narzisstische Bedürftigkeit deutlich zurückgegangen sein. Die Menschen werden demnach auch im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte immer selbstbewusster, immer weniger anfällig für „falsche Götter“ (wie der Psychoanalytiker Arno Gruen eines seiner Bücher betitelt hat) oder schlicht weg einfach immer empathischer.
Auf der anderen Seite sehen wir weiterhin, dass in den Regionen auf der Welt, die keine Demokratie hinbekommen, wo Krisen, Krieg und/oder Terror herrscht, die weltweit verglichen gewaltvollsten Kindheiten zu finden sind. Die Lehren, die wir Deutschen aus unserer Nazi-Geschichte ziehen sollten, sind: Wir müssen den Kindern in der Welt helfen, wir müssen Kinderschutzbemühungen weltweit vorantreiben, wir müssen verhindern, dass Menschen mit einem „emotionalen Loch“ heranwachsen. Aber vor dem müssen wir erst einmal die eigentlichen Ursachen von destruktiven gesellschaftlichen Entwicklungen gesamtgesellschaftlich besprechen und natürlich auch anerkennen. Das Buch von Stephan Marks ist 2014 in der 3. Auflage erschienen. Das an sich spricht für ein größeres Interesse an emotionalen Ursachen der NS-Zeit. Online habe ich allerdings nicht viele Buchbesprechungen gefunden, vor allem auch nicht in den großen Medien. Dies zeigt wiederum, dass es leider noch etwas Zeit brauchen wird, bis die Botschaft des Buches und erst Recht die Botschaften der Psychohistorie breitflächig ankommen.
Für das Forschungsprojekt (das Forschungsteam bestand aus 10 Personen der ersten Nachkriegsgeneration und unterschiedlicher meist aber psychologisch-pädagogischer Berufsfelder, ergänzend wurden auch durch 11 junge Studierende Interviews mit NS-Anhängern geführt, um zu vergleichen, wie sich der Generationsabstand auf die Interviews auswirkt) wurden 19 Frauen und 24 Männer (Geburtsjahrgänge zwischen 1906 und 1926), die NS-Anhänger waren, ausführlich im Rahmen von Interviews im Zeitraum zwischen 19998 und 2001 befragt. Ergänzend wurden zu Vergleichszwecken 11 Gruppengespräche, an denen jeweils 25 Personen aus verschiedenen Generationen teilnahmen, durchgeführt. Das Projekt wurde durch ständige Supervision begleitet.
Es wurde also viel Aufwand betrieben, um den tieferen Ursachen der NS-Zeit auf den Grund zu gehen.
Sehr beeindruckt haben mich die Schilderungen über die Ergebnisse der Supervision. Ich möchte diese hier gleich zu Beginn der Besprechung etwas ausführlicher wiedergeben:
„Eine eindrückliche Erfahrung bestand darin, dass viele der Interview-Transkripte zunächst wenig informativ zu sein schienen – verglichen mit den emotionalen Botschaften zwischen den Zeilen und den Gefühlen, die wir während und nach den Interviews erlebten. Diese Reaktionen, die wir in dieser Wucht nicht erwartet hatten, werden in der Psychoanalyse als Gegenübertragungen bezeichnet. Oft fühlten wir, die Interviewer, uns im Laufe eines Gespräches wie totgeredet, überrollt oder mundtot gemacht. Verwirrt, müde, passiv, dumm, unklar, wie hypnotisiert oder ´besoffen geredet`. Oder wir spürten nach einem Interview ein merkwürdiges, starkes Verlangen nach Zucker. Oft konnten wir mit `dem Thema` nicht aufhören. Oder wir empfanden Scham, etwa darüber, von dem jeweiligen Interviewten manipuliert, `über den Tisch gezogen`, `eingewickelt`, benutzt, überrannt, plattgemacht oder emotional missbraucht worden zu sein (und die Scham darüber, dies zugelassen zu haben). Auch Scham darüber, es nicht geschafft zu haben, dem Interviewten gegenüber authentisch, `männlich`, `stark`, `standhaft`, geblieben zu sein; oder zu leichtgläubig, naiv, unaufmerksam, `feige`, unterlegen, `minderwertig`, `zu intellektuell`, ungenügend `gewappnet`´ oder `zu schwach` gewesen zu sein. Wir fühlten uns häufig, wie wenn etwas Fremdes, Bösartiges in uns hineingestopft worden wäre, etwas, das mit unserem Anliegen als Interviewer nichts zu tun hatte. In der Nacht nach den Interviews tauchten nicht selten Alpträume auf, z.B. dass jemand in die eigene Wohnung eindringt und sie mit Blut besudelt. Ich träumte einmal nach einem Interview, dass ich Massengräber zu öffnen und die halbverwesten Leichen umzubetten hatte.“ (Marks 2014, S. 182)
Dieser Auszug zeigt schon einmal deutlich, in welche Richtung das Buch geht: Es geht um die emotionale Welt und entsprechend um emotionale Erklärungsansätze bzgl. der NS-Zeit. In dem Buch werden sechs Kernthesen durchgearbeitet und durch die qualitativen Interviews empirisch nachgewiesen. Die Befunde (Marks 2014, S. 20+21,52+53, 167+168):
1. Das nationalsozialistische Bewusstsein war regressiv und magisch, das heißt als ein Zustand, der entwicklungspsychologisch einer frühen Phase entspricht. Entsprechend ergaben sich Vorstellungen von einem gottähnlichem Führer, vom heiligen Reich, Zauberkräften usw.
2. Der nationalsozialistische Bewusstseinszustand lässt sich als hypnotische Trance verstehen. Demzufolge war der Fokus der Aufmerksamkeit eingeengt und gefesselt von einer Person (Adolf Hitler) bzw. einer Sache (Dritte Reich), unter Ausblendung großer Teile der Wirklichkeit. Dieser Zustand ist auch mit Regression (siehe Punkt 1.) verbunden.
3. Der Nationalsozialismus bezog seine psychosoziale Dynamik u.a. aus Schamgefühlen, deren Abwehr er anbot und legitimierte.
4. Der Nationalsozialismus speiste sich auch aus den narzisstischen Defiziten seiner Anhänger, die er auszufüllen versprach.
5. Der Nationalsozialismus erwuchs aus der Abwehr der Traumata des Ersten Weltkrieges; die Abwehrmechanismen Derealisierung, Gefühlskälte, Heroismus und Idealisierung wurden zum politischen Programm gemacht.
6. Der Nationalsozialismus nutzte die Suchtdynamik der deutschen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Die Beziehung zwischen dem Nationalsozialismus und seinen Anhängern hatte den Charakter von Suchmittelabhängigkeit, wobei Adolf Hitler und das `Dritte Reich` das stoffgebundene Suchtmittel waren. Diese Abhängigkeit bedeutete ein unabweichbares Verlangen nach einem bestimmten Gefühls-, Erlebens und Bewusstseinszustandes, den das NS-Programm beschaffte. Gemäß der Suchtdynamik wurde die sogenannte „Stunde Null“ wie ein Entzug erlebt.
Den gemeinsamen Nenner dieser sechs Befunde beschreibt Stephan Marks wie folgt:
„Der Nationalsozialismus zielte nicht darauf, die Menschen kognitiv zu überzeugen, sondern sie emotional einzubinden: Er lebte von der narzisstischen Bedürftigkeit und Abhängigkeit seiner Anhänger, von ihren Schamgefühlen, Kriegstraumata und frühkindlichen Erlösungsphantasien.“ (Marks 2014, S. 168) An anderer Stelle des Buches formuliert er ebenso zusammenfassend:
„Meine These ist, dass das intellektuelle Niveau des NSDAP-Programms und der nationalsozialistischen Schriften, Reden, Filme usw. völlig unerheblich ist – wenn es darum geht, ihren Erfolg bei ihren Anhängern zu erklären. Denn die Nazi-Propaganda zielte von vornherein gar nicht darauf ab, die Menschen kognitiv zu überzeugen, sondern darauf, sie in ganz anderen psychischen Schichten anzusprechen. Sie suchte nicht primär das (entwicklungspsychologisch betrachtet) reife, erwachsene, verantwortungsbewusste und rationale Ich-Bewusstsein des modernen, mentalen Menschen anzusprechen, sondern frühe Erfahrungen und Schichten in der Psyche der Menschen.“ (Marks 2014, S. 42+43)
Ich muss an dieser Stelle gleich erwähnen, dass mich die Arbeit von Stephan Marks stark an das Buch „Schmerzgrenze“ von Joachim Bauer und meine entsprechende Kritik erinnert. Marks hat wie Bauer sehr konkret leidvolle Kindheitserfahrungen als Ursache für Gewalt und Extremismus erkannt und benannt (darauf gehe ich gleich ein). Er hat dieses Themenfeld aber nicht ins Rampenlicht geholt, hat es nicht entsprechend gewichtet. Das Thema Kindheit geht im Verlauf des Buches entsprechend unter. Dies verwundert.
Das Buch von Stephan Marks ist ganz dicht an der Psychohistorie dran (so dicht wie kaum ein anderes Buch außerhalb der Psychohistorie), obwohl er sich offensichtlich nicht mit psychohistorischen Arbeiten befasst hat. Das ist für mich insofern verständlich, weil die Psychohistorie einen sehr wahrten Kern erforscht und beschrieben hat, der menschliche Destruktivität von Grund auf erklärt. Das andere Forschende auf den selben Kern stoßen, ist nur logisch.
Ich werde nachfolgend versuchen, die Überschneidungen von Marks und der Psychohistorie nach Lloyd deMause (2005: "Das emotionale Leben der Nationen") darzustellen, ebenso werde ich zentrale Textstellen bzgl. der Kindheit in dem Buch von Stephan Marks zitieren.
DeMause stellt fest, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen traumatischer Kindheit und der Fähigkeit, in soziale Trance zu verfallen gibt. (deMause 2005, S. 85-86) Wenn Menschen an der „Traumwelt der Gruppentrance“ teilnehmen, befinden sie sich in einem Zustand der Dissoziation bzw. wechseln in ihr „soziales Alter Ego“, so deMause (2005, S. 86) Alter Egos (abgespaltene Persönlichkeitsteile) entstehen vor allem auf Grund traumatischer Kindheitserlebnisse. DeMause beschreibt in seinem Buch, wie politische Führer durch ihre Reden und Gesten Gruppen in „soziale Trance“ versetzten können. Marks spricht von „ hypnotischer Trance“, von „Regression“ (in frühkindliche Stufen) und Eintauchen in „magische Welten“, was bei seinen Gesprächspartnern auch Jahrzehnte nach der NS-Zeit noch spürbar war, wenn sie über diese Zeit sprachen.
Die deutlichsten Überschneidungen mit der Psychohistorie finden sich bei Marks in seinen Ausführungen über Schamgefühle. (Hinweis: Der Gefängnispsychiater James Gilligan - siehe hier - hat Schamgefühle von Mördern in den Mittelpunkt seiner Analyse gestellt. Diese wurden durch massive Gewalterfahrungen in der Kindheit der Mörder ausgelöst.) Er schreibt. „Traumatische oder pathologische Scham (…) taucht besonders in solchen Familienbeziehungen auf, deren Mitglieder verstrickt sind in gegenseitige Entwertungen, Verheimlichungen oder ein Überwältigen des anderen, das heißt, wenn die persönliche Grenze oder Integrität des Einzelnen nicht respektiert wird.“ (Marks 2014, S. 76)
Die Grundlage für traumatische Scham wird nach Marks gelegt wenn Eltern zudringlich sind und die Grenzen des Kindes nicht achten, wenn Eltern unberechenbar, depressiv oder suchtkrank sind, wenn Blickkontakt kultur- oder persönlichkeitsbedingt zwischen Mutter und Säugling verhindert wird (er erwähnt dabei den Erziehungsratgeber der damaligen Zeit „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, in dem empfohlen wurde, dass Mutter und Säugling weitgehend zu trennen sind), wenn Eltern selbst traumatisiert sind und dieses Trauma an ihre Kinder weitergeben oder wenn eine Kultur an sich sehr schamerfüllt ist und Kinder dies in sich aufnehmen. Er schreibt bzgl. dieses Themas zusammenfassend:
„Pathologische Scham entsteht also dann, wenn die Eltern die Suche des Kindes nach Liebe und Anerkennung, nach dem antwortenden Glanz im Auge der Mutter (…) nicht befriedigen. Das kleine Kind empfindet dies als existenzielle Bedrohung, es fühlt sich liebensunwert, wirkungslos, nichtig. (…) Traumatische Scham bedeutet z.B., dass das eigene Verhalten erlebt wird als: ´Ich bin ein Fehler`, statt: ´Ich habe einen Fehler gemacht.` (…) Scham bedeutet Angst vor totaler Verlassenheit (...) vor psychischer Vernichtung“ (Marks 2014, S. 77+78)
Traumatische Schamgefühle wären, so Marks, schmerzhaft und kaum zu ertragen, sie müssen entsprechend abgewehrt werden. „Weil Scham eine so peinigende, kaum auszuhaltende Emotion ist, `schrie´ sie geradezu nach Abwehr, die durch den Nationalsozialismus geboten und legitimiert wurde: (…) durch Idealisierung Hitlers und der Deutschen (…), durch größenphantastische Ansprüche auf Weltherrschaft; durch Versprechungen, die Ehre Deutschlands wiederherzustellen; durch ein heroisierendes und zynisches Weltbild der Härte und damit die Abwehr weicher (´schwächlicher`) Gefühle und humanistischer Werte; durch Verachtung und Vernichtung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, aber auch von Non-Konformisten (…).“ (S. 84)
Diesem letzt zitierten Abschnitt geht ein Hinweis bzgl. der Niederlage im Ersten Weltkrieg und entsprechender Schamgefühle voraus. Marks verliert hier den Faden zur Kindheit, den er auch auf den nachfolgenden Seiten über die Scham nicht wieder aufnimmt. Allerdings findet er ihn im darauffolgenden Kapitel 4 „Narzissmus und narzisstische Kollusion“ insofern etwas wieder, weil er noch einmal explizit auf Kindheitserfahrungen eingeht.
Der Autor zitiert die Arbeit des Psychoanalytikers Neville Symington, der pathologischen Narzissmus als Abwehrstrategie sieht, „mit der sich Menschen vor unerträglichen psychischen Schmerzen schützen, die auf traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit verweigerter Anerkennung zurückgehen (z.B. auf das Trauma, als Kind missachtet worden zu sein). Wenn diese Traumata nicht durchgearbeitet werden konnten, schlagen sie laut Symington häufig um in Hass gegen die Grundtatsache der menschlichen Existenz: dass nämlich das Selbst des Menschen immer in Beziehung zu anderen Menschen steht.“ (Marks 2014, S. 105)
Auf der nachfolgenden zwei Seiten geht Marks auf den „narzisstischen Missbrauch“ von Kindern durch Elternfiguren ein. Seine Schlussfolgerung ist, dass der Nationalsozialismus „wie eine kollektive narzisstische Kollusion funktionierte. Aus der Perspektive der Anhänger des Nationalsozialismus: Durch ihre Beteiligung am `Dritten Reich` wurde das Loch in ihrem Selbstwertgefühl wie mit einer Plombe gestopft. Aus der Perspektive des Nationalsozialismus: Durch sein Propagandaprogramm vermochte er, die narzisstische Bedürftigkeit seiner Anhänger für seine Zwecke zu instrumentalisieren. (….) Die Wirkung von Bewunderung auf narzisstisch bedürftige Menschen stelle ich mir vor wie einen Tropfen Wasser, der von einem trockenen Löschblatt sofort `gierig` aufgesaugt wird. Die emotionalen Beziehungen innerhalb der NS-Gesellschaft waren demnach ein vielfältiges Geflecht von Bewundern und Bewundert-Werden.“ (Marks 2014, S. 108) Marks zitiert in diesem Kapitel einen Befragten, der bzgl. seiner Zeit bei der SS berichtet: „Ich war stolz, etwas zu sein. (….) Die Minderwertigkeitskomplexe, die ich immer gehabt habe, die waren dann plötzlich verschwunden. Plötzlich war ich wer.“ (Marks 2014, S. 107+108)
Was Marks an dieser Stelle wie auch in vielen anderen Zitaten bzgl. seiner Interviewpartner verpasst hat (oder evtl. keine konkreten Antworten bekam) ist die gezielte Frage nach der Kindheit. Wie war die Kindheit dieses ehemaligen SS-Mannes, wie die der anderen ehemaligen Nazis, die für diese Studie befragt wurden? Der Studie hätte es gut getan, wenn z.B. am Ende der Interviews ein schriftlicher Fragebogen mit konkreten Fragen wie sie bzgl. Gewaltstudien beim Thema Kindesmisshandlung standardisiert üblich sind von den Befragten ausgefüllt worden wäre. So bleibt es bei leichten Andeutungen wie z.B. bzgl. des Befragten Herrn Plessner (Marks 2014, S. 110), der als Kind oft alleine gelassen wurde und nur eine schriftliche Arbeitsanweisung auf dem Tisch zu Hause vorfand. Seine Ausführungen machen deutlich, wie er sich nach einem anerkennenden Blick sehnte, den er bei den Nazis fand. An anderer Stelle im Buch wird ein Interviewauszug mit Frau Groeder beschrieben, die harte selbst erlebte Erziehungsmethoden und ihre Abschiebung in ein Internat komplett unkritisch und idealisierend gegenüberstand. Es habe ihr nicht geschadet. Marks kommentiert das Prinzip, dem die Befragten folgt so: „Verachte deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Marks 2014, S. 127) Entsprechend ginge diese Verachtung einher mit Bewunderung von strenger Erziehung und Idealen des Nationalsozialismus (bei gleichzeitiger Verachtung der „heutigen Jugend“). Dies sind – zumindest nach meiner Durchsicht – die beiden einzigen Textstellen im Buch, wo ansatzweise deutliche Hinweise auf die Kindheit der Befragten zu finden sind.
Die beiden letzten Kapitel möchte ich nicht zu ausführlich besprechen. Marks geht im Kapitel 5 ausführlich auf die transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen im Ersten Weltkrieg ein. Er weist darauf hin, das 11 Millionen Veteranen nach Hause zurückkehrten und psychische Wunden mitbrachten. (Marks 2014, S. 133) „Die transgenrationale Weitergabe geschieht nicht nur durch das, was die traumatisierten Väter bzw. Eltern ihren Kindern sagen, sondern vor allem durch das, was sie sind. Wie sie ihre Töchter und Söhne anschauen, behandeln oder bewerten, wie sie sich auf sie beziehen. Die Veteranen selbst, mit all ihren psychischen Deformierungen, sind die Botschaft: Ihre Derealisierung, Gefühls- und Empathielosigkeit, Idealisierung und Heroisierung wird an die Kinder weitergereicht.“ (Marks 2014, S. 137+138)
Im letzten Kapitel (Nr. 6) vergleicht er das NS-System mit Sucht/Abhängigkeit. Er geht auf das rauschhafte Erleben ein, von dem die Befragten berichten, auf ihre Abhängigkeit und dem Loch in das Viele mit Ende des Krieges („Stunde Null“) vielen.
Im Schlussteil des Buches streift Stephan Marks nur noch in einem Absatz das Thema Kindheit, in dem er auf eine Studie hinweist, die nachwies, das Rechtsextremisten systematische Kränkungen und Misshandlungen im Elternhaus erlebten. Auf den letzten Seiten gibt es eher allgemein präventive Hinweise, einige Schlussgedanken und ein Plädoyer für wertschätzende, freundliche Formen des Umgangs miteinander.
Zusammenfassende Kritik
Außerhalb der Psychohistorie ist das hier besprochene Buch eines der erkenntnisreichsten, das ich bzgl. der Ursachen und der Dynamik der NS-Zeit gelesen habe. Es ist sehr nah dran an meinem Ursachen-Verständnis von gesellschaftlicher Destruktivität wie sie sich z.B. in der NS-Zeit zeigte. Die große und wahre Botschaft des Buches lautet, dass es keinen Sinn macht, den Nationalsozialismus irgendwie rational oder geschichtswissenschaftlich nachvollziehen oder erklären zu wollen. Es geht um die emotionale Welt. Es geht darum, wie die Emotionen der Menschen angesprochen wurden, wie sie gefühlsmäßig an und in das System eingebunden wurden und sich dadurch letztlich einfach gut oder "gesehen" fühlten. Das besonders Wertvolle an der Studie ist, dass mit ehemaligen Nazis direkt ausführlich gesprochen wurde und der emotionale Gehalt der Gespräche analysiert wurde. Eine ähnliche Arbeit ist mir bisher nicht bekannt, obwohl eine solche Herangehensweise doch eigentlich nahe liegt.
Meine Hauptkritik an dem Buch habe ich oben bereits angedeutet. Obwohl der Autor den wichtigen Einfluss von destruktiven Kindheitserfahrungen gesehen und beschrieben hat, hat er diesem Einfluss kein entsprechendes Gewicht im Buch verliehen. Er geht im Grunde nicht auf die allgemein übliche extrem destruktive Erziehungspraxis um 1900 ein (die z.B. deMause beschrieben hat), was seine Thesen vom pathologischem Schamgefühl und narzisstischer Bedürftigkeit der Menschen in der damaligen Zeit untermauert hätte. Man findet entsprechend auch im Schlussteil keine Forderung für verbesserten Kinderschutz und Elternschulungen. Im Schlussteil bleibt der Autor auch ein bisschen pessimistisch. Im Klapptext des Buches wird es vom Verlag noch deutlicher formuliert: Das Beunruhigende an den Erkenntnissen im Buch sei, „all dies kann auch heute noch instrumentalisiert werden.“ Ich sehe dies nur bezogen auf einzelne Personen und kleiner Milieus/Subkulturen so. Die Kindheit und Fürsorge in Deutschland hat sich enorm entwickelt und elterliche Gewalt gegen Kinder ist stark rückläufig. Entsprechend müssen pathologische Schamgefühle und narzisstische Bedürftigkeit deutlich zurückgegangen sein. Die Menschen werden demnach auch im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte immer selbstbewusster, immer weniger anfällig für „falsche Götter“ (wie der Psychoanalytiker Arno Gruen eines seiner Bücher betitelt hat) oder schlicht weg einfach immer empathischer.
Auf der anderen Seite sehen wir weiterhin, dass in den Regionen auf der Welt, die keine Demokratie hinbekommen, wo Krisen, Krieg und/oder Terror herrscht, die weltweit verglichen gewaltvollsten Kindheiten zu finden sind. Die Lehren, die wir Deutschen aus unserer Nazi-Geschichte ziehen sollten, sind: Wir müssen den Kindern in der Welt helfen, wir müssen Kinderschutzbemühungen weltweit vorantreiben, wir müssen verhindern, dass Menschen mit einem „emotionalen Loch“ heranwachsen. Aber vor dem müssen wir erst einmal die eigentlichen Ursachen von destruktiven gesellschaftlichen Entwicklungen gesamtgesellschaftlich besprechen und natürlich auch anerkennen. Das Buch von Stephan Marks ist 2014 in der 3. Auflage erschienen. Das an sich spricht für ein größeres Interesse an emotionalen Ursachen der NS-Zeit. Online habe ich allerdings nicht viele Buchbesprechungen gefunden, vor allem auch nicht in den großen Medien. Dies zeigt wiederum, dass es leider noch etwas Zeit brauchen wird, bis die Botschaft des Buches und erst Recht die Botschaften der Psychohistorie breitflächig ankommen.
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