Timothy McVeigh verübte (zusammen mit zwei Mittätern) im Jahr 1995 den bis dahin schwersten Bombenanschlag in den USA (auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City). 168 Menschen starben. Mehrere hundert Menschen wurden verletzt.
Timothys Geburt verlief offensichtlich nicht einfach und dauerte über 8 Stunden. Es war eine Verschluss-Geburt, das bedeutet: Der Fötus lag falsch. Seine Mutter Mickey führte eine Art Tagebuch über die Kleinkindjahre ihres Sohnes. Daraus geht hervor, dass Timothy bereits im Säuglingsalter von 7 Monaten von seiner Mutter geschlagen wurde: „At seven month old, Tim suffered his first spanking, thought there was no reason listed for it“ (Michel & Herbeck 2015, Kapitel: One – The boy next door). Ich fand keine weiteren Berichte über körperliche Gewalt, aber auch keine über Gewaltfreiheit. Allerdings ist körperliche Gewalt gegen einen Säugling auch in den USA nicht die Regel (wohingegen Körperstrafen an sich die Mehrheit aller Kinder in den USA erleidet). Ich halte es entsprechend für sehr wahrscheinlich, dass seine Mutter auch in anderen Situationen und Lebenslagen Gewalt gegen ihren Sohn anwendete. Dass sie die Körperstrafe gegen den Säugling schriftlich festhielt, spricht auch nicht gerade für ein Problembewusstsein und Scham gegenüber ihrem Verhalten, sondern für verinnerlichte Erziehungsroutine.
Als Schulkind wurde er einmal fast von einem Lastwagen getötet und stand unter Schock. Der Fahrer verfehlte den Jungen nur um drei Fuß (Michel & Herbeck 2015, Kapitel: One – The boy next door). Den weiteren Ausführungen folgend waren Unfälle, Verletzungen und auch Krankheiten (wie z.B. eine Lungenentzündung im Alter von 4 Jahren, inkl. einer Woche Krankenhaus) keine Seltenheit in der Kindheit von Timothy.
Im Alter von 10 Jahren wurde Timothy zum ersten Mal gemobbt. Ein Ereignis, das er nie vergessen konnte. Beim Baseball Training schaute sein sportbegeisteter Vater und dessen bester Freund zu. Timothy war damals ein kleiner und dürrer Junge. Ein größerer Junge nahm Timothy Baseball-Cap. Timothy versuchte, sich die Mütze wiederzuholen und wurde dann von dem größeren Jungen vor aller Augen verprügelt. Timothy floh schließlich in den Wagen seines Vaters und fühlte sich sehr gedemütigt vor seinem Team und insbesondere vor seinem Vater und dessen Begleiter. „He was scared and embarrassed: the men of the McVeigh family were not supposed to cry“ (Michel & Herbeck 2015, Kapitel: One – The boy next door). Timothy aber weinte sich im Wagen des Vaters aus. An sich fühlte er sich vor seinem sportlichen Vater auch als Versager. Der schmächtige Junge wurde oft auch „Noodle McVeigh“ gerufen, berichten Michel & Herbeck (2015). In einer anderen Quelle wird erwähnt, dass manche Mitschüler Timothy „Chicken McVeigh“ nannten (Stickney 1996, Chapter 4 – Changes).
Mobbingerfahrungen prägten also auch sein weiteres Leben. Ein anderes Mal ging er als Schüler auf Toilette, dort rauchten zwei ältere Schüler einen Joint und fühlten sich gestört. Die beiden nahmen Timothy hoch und versuchten, seinen Kopf in eine Toilette zu tauchen. Timothy konnte sich aber irgendwie befreien (Michel & Herbeck 2015, Kapitel: One – The boy next door).
Die Ehe seiner Eltern begann früh zu kriseln. Seine Mutter fühlte sich von ihrem Mann gelangweilt. Außerdem sei ihr temperamentvoller Ehemann manchmal vor Wut explodiert, oft wegen Kleinigkeiten wie z.B. ein verlegter Autoschlüssel (ob dieser Vater auch gegenüber den Kindern "explodieren" konnte, wird nicht beschrieben). 1979 (Timothy war 11 Jahre alt) gestand sie ihrem Ehemann, dass sie ihn nicht mehr liebte. Die Kinder sollten entscheiden, bei welchem Elternteil sie bleiben wollten. Die beiden Schwestern zogen zur Mutter, Timothy blieb bei seinem Vater, den er nicht alleine lassen wollte. Später sagte Timothy, dass der Auszug seiner Mutter ihn nicht gestört habe. „The real problem, he said, was that he never really felt that close to his parents in the first place. He wished they spent less time at work and more time with him and his sisters. With both his mother and father worked full time, he felt like he never had a parent to talk with when he came home from school in the afternoon“ (Michel & Herbeck 2015, Kapitel: One – The boy next door).
Hier deuten sich auch Vernachlässigungserfahrungen an.
Timothy wurde nach dem Wegzug seiner Mutter sehr krank und einige Wochen später kehrte sie daraufhin zurück. Seine Eltern versuchten irgendwie ihre Ehe zu retten, aber immer wieder gab es Probleme. 1984 trennten sie sich endgültig. Erneut zog die Mutter mir ihren Töchtern weg und Timothy blieb beim Vater. Timothy hatte damals eine Freundin. Sie sagte, dass sich Timothy nach der Scheidung seiner Eltern verloren gefühlt habe. Er sei oft die einzige Person zu Hause gewesen und es wirkte auf sie so, als ob er sich selbst großziehen würde (Michel & Herbeck 2015, Kapitel: One – The boy next door).
Später ging Timothy McVeigh zum Militär. Er wurde auch im Zweiten Golfkrieg eingesetzt. Die Kriegsbelastungen (und mögliche Traumatisierungen) müssen sicher auch mit in die Analyse seiner Person mit einbezogen werden. Anderseits zeigen Studien, dass das Militär vor allem auch als Kind belastete Menschen anzieht. Seine Berufswahl war vor seinen Kindheitshintergründen also sehr wahrscheinlich kein reiner Zufall.
Insgesamt betrachtet zeigt sich wie in so vielen ähnlichen Fällen auch, dass man bei Massenmördern i.d.R. keine glückliche und unbelastete Kindheit findet, sondern eher das genaue Gegenteil davon.
Quellen:
Michel, L. & Herbeck, D. (2015): American Terrorist: Timothy McVeigh and the Oklahoma City Bombing. HarperCollins, New York (aktualisierte Auflage, Kindle Ausgabe).
Stickney, B. M. (1996): All-American Monster: The Unauthorized Biography of Timothy McVeigh. Prometheus Books, New York (Kindle Ausgabe).
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