Je weiter die Zeit voranschreitet, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir hier in Deutschland und/oder anderen europäischen Ländern oder auch in den USA einen Terroranschlag erleben werden, der vor einem islamistisch-fundamentalistischen Hintergrund geschieht und bei dem Menschen sterben. Solange die Welt also noch im Hier und Jetzt rational denken kann und nicht Bilder von Opfern vor Augen hat, sollte so viel wie möglich darüber geschrieben werden, wie wir denn eigentlich mit diesen Anschlägen umgehen wollen.
Ich bin sicher nicht der Einzige, der mit Anschlägen rechnet. Zu sehr wurde der Hass seit 1990 geschürt. Neue Feindbilder mussten her, da der („böse“) Ostblock nicht mehr zur Verfügung stand. Die Globalisierung begünstigte zudem die Globalisierung des Terrors.
Die Ereignisse nach dem 11. September 2001 haben bei mir eine ganze neue Sorge ausgelöst. Diese Sorge habe ich am 05.10.2010 bereits formuliert und mir fällt keine bessere ein:
„Wenn man sich vor Augen führt, dass durch die Anschlagsserie vom 11. September ca. 3000 Menschen auf amerikanischem Boden starben, durch die kriegerische Reaktion der USA allerdings mehrere hunderttausend Menschen außerhalb der USA ihr Leben verloren, dann habe ich erlichgesagt mehr Angst vor eben dieser möglichen Reaktion auf zukünftige Terroranschläge.“
Wenn es um Wahrscheinlichkeitsrechnung geht, dann muss ich mir als in Deutschland lebender Mensch wenig Sorgen machen, Opfer eines Terroranschlages zu werden. Ein Verkehrsunfall und andere Risiken des (lebensgefährlichen) Lebens sind weitaus wahrscheinlicher. Das gilt auch für die USA. Es muss hier auch erlaubt sein, einfach mal 3.000 Opfer des 11. September den ca. 311 Millionen Einwohnern der USA gegenüberzustellen. Diese Zahlen zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Terror zu werden, ist sehr sehr gering, zumindest im Westen.
Nun will ich nicht sagen, dass ich den Schock, die Wut und die Angst, die die damalige Anschlagsserie auslöste, nicht nachvollziehen kann. Ich selbst war auch schockiert und traurig. Ich selbst stand ca. ein Jahr vorher noch als Tourist auf dem World Trade Center und bereiste damals die USA zusammen mit zwei Freunden drei Monate von Ost nach Süd, von Süd nach West und von West nach Ost. Nur den Hass, die Rache und den Krieg, kurz die Reaktionen der USA (und ihrer Verbündeten inkl. Deutschland) auf diese Anschläge bleiben für mich unverständlich und irrational. Damals flogen die Herzen und das Mitgefühl den USA zunächst noch zu. Wenn diese Nation fähig gewesen wäre, mit echter öffentlicher Trauer auf die Anschläge zu reagieren, statt mit Krieg und Gewalt, sie hätten die Welt verändert, zum Guten.
Ach ja… sage ich nur, was soll ich noch weiter dazu schreiben…
Also kommen wir zu dem eigentlichen Punkt, auf den ich durch diesen Beitrag hinweisen möchte:
Nach der UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ aus dem Jahr 2003 sterben in den USA jede Woche 27 Kinder auf Grund von Misshandlung und Vernachlässigung. In Deutschland sterben 2 Kinder die Woche. (Dazu muss erwähnt werden, dass sicher nicht alle Todesfälle von Kindern entsprechend gründlich untersucht werden und diese Zahlen real sicher noch etwas höher liegen.) Da die Gewalt gegen Kinder stetig aber sehr langsam abnimmt, könnten in den Folgejahren diese Zahlen etwas nach unten gegangen sein. Nehmen wir sie trotzdem zur Grundlage. Demnach sterben in den USA jedes Jahr ca. 1.296 Kinder auf Grund von (meist elterlicher) Misshandlung und Vernachlässigung (und das ist nur die Spitze des Eisberges an Terror in Form von Misshandlungen, Missbrauch und Vernachlässigung). Das sind seit dem 11. September (also einfach gerechnet runde 9 Jahre) 11.664 durch meist elterlichen Terror umgebrachte Kinder! Fast vier mal so viele Menschen, wie am 11. September umkamen. In Deutschland kamen demnach im gleichen Zeitraum ca. 864 Kinder um. Diese traurigen Ereignisse führten allerdings nicht dazu, dass die "Special Forces" sich von Kampfhubschraubern aus in die gepflegten Vorstadtgärten der USA abseilten, um Razzien durchzuführen und Geständnisse zu erpressen. Auch wurden keine Bomben über möglicherweise besonders verdächtige (sehr familienreiche) Orte abgeworfen. Letztendlich wurde noch nicht einmal viel über diese Zahlen berichtet und geredet.
Die Ereignisse vom 11. September waren ein Schock. Und die Bilder unglaublich. Einige Billionen Dollar wurden in der Folge für unnütze und brutale Kriege ausgegeben. Tausende Menschen starben. Ist das zu verstehen? Rational nicht. Emotional schon, wenn die tausenden Opfer als "Giftcontainer" für die emotionalen Probleme (abgespaltene traumatische Erfahrungen in der Kindheit) der USA und auch Europa gesehen werden. Die Opfer erfüllten also einen emotionalen Sinn. Keiner gibt dagegen Billionen dafür aus, dass Kinder im eigenen Land geschützt werden, obwohl diese Aktion sehr viel mehr Sinn machen würde und die Bedrohung sehr real und weitaus größer ist. Man hätte dann allerdings auch keinen bösen Feind und keine Opfer und keine Reinszenierung traumatischer Erlebnisse und würde sich nicht selbst zerstören... Die o.g. Zahlen über die unzähligen Terroropfer von (meist) Eltern sollten diese abgehobene und irrationale Reaktion noch einmal etwas in ein anderes Licht rücken. Ich weiß nicht, ob klar wird, um was es mir geht. Ich ahne allerdings, dass ich in Zukunft auf diesen Text verweisen werde müssen, leider.
Ich habe natürlich eine viel bessere Idee, aber auf mich hört ja keiner. Warum nicht einfach Milliarden Dollar in den Kinderschutz (auch international) investieren (und auf Terroranschläge mit Trauer, statt mit Militäraktionen reagieren!)? Das wäre sinnvoll, besser heute als Morgen.
Nochmal mein Fazit in deutlichen Worten: Zukünftig werden bei uns Menschen durch Terroranschläge sterben. Wir sollten unsere Ängste in der Folge relativieren und nicht mit dem Töten anderen Menschen oder dem weiteren Abbau demokratischer Strukturen darauf reagieren.
(Übrigens wurden zwischen 1990 und 2010 in Deutschland 137 Todesopfer rechter Gewalt registriert. Auch dies führte nicht zu abgehobenen Reaktionen und millionenschweren Militäreinsätzen mit unzähligen wahllosen Opfern.)
Freitag, 21. Januar 2011
Sonntag, 16. Januar 2011
Offener und verdeckter Wahn. Oder: Warum Jared Lee Loughner nicht psychisch krank wäre, wenn er doch Soldat geworden wäre
In der ZEIT ist aktuell der Artikel „Loughners Abstieg in den Wahn“ erschienen. Der Autor fasst seine Ansicht zusammen: „Wer die lange Liste durchgeht – in Amerika und Deutschland, in Finnland, Großbritannien und Japan – stößt stets auf das gleiche Muster. Das Verbrechen war nicht dem politischen Klima, der Ideologie oder den Gewaltvideos geschuldet, sondern der gestörten Psyche und entrückten Existenz des Täters.“ (Klassisch ist in dem Artikel, dass der Autor nicht fragt, wie psychische Störungen denn eigentlich entstehen. Aber das nur nebenbei.)
Dem gebe ich grundsätzlich Recht. I.d.R. gilt: Ohne Psychopathologie kein Mord und erst recht kein Amoklauf. Letzeres war die Tat letztlich, da sie sich wahllos gegen Menschen richtete, nachdem die demokratische Abgeordnete getroffen war. Ich glaube auch nicht, dass man führende Köpfe wie Sarah Palin hauptsächlich für die Tat mit in die Verantwortung nehmen kann. Geschossen hat natürlich nur der Täter. Trotzdem muss man auch weiter in die Tiefe gehen und dort Fragen stellen dürfen. Auch ein „Klima des Hasses“ wurde in den USA meiner Meinung nach letztlich nicht von Einzelnen geschaffen. Die Wurzeln des Hasses liegen tief in der amerikanischen Gesellschaft. Politische (emotionale) Delegierte vermögen den Hass – im „heimlichen Auftrag“ des Volkes - durch Reden etwas weiter an die Oberfläche zu spülen. Das Hauptproblem sind aber nicht diese wenigen Köpfe, sondern die vielen „ganz normalen“ Bürger und Bürgerinnen und deren gestörte Emotionen. (siehe auch: "Kindheit in den USA. God save America's children!") Nur diese Vielen erklären, warum der (mediale) Hass so offen in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgetragen werden kann. Dieser allgemeine und tief verwurzelte Hass lenkt wiederum – sofern er deutlich in den Medien und der Öffentlichkeit aufgeführt wird - schwer gestörte Psychopathen und verleitet diese ggf. zu Anschlägen. Diesen Zusammenhang sollte man nicht ausblenden, auch wenn Loughner ein Fall für die Psychiatrie ist oder besser ein Fall für ein (therapeutisch begleitendes) Gefängnis.
Für mich stellt dieser Fall mal wieder eine schwierige Frage auf: Wie unterscheiden sich die „offen emotional Gestörten“ von den „verdeckt emotional Gestörten“? Oder besser: Wie geht die Gesellschaft mit den offen Wahnsinnigen um, wie mit den verdeckt Wahnsinnigen? Warum haben wir kein Problem damit, Einzeltäter, die einfache Menschen sind, als psychisch gestört anzusehen, während wir ganze Gruppen oder Gesellschaften oder Eliten, die destruktiv handeln, nicht als gestört ansehen?
Im Grundlagentext zitierte ich deMause. DeMause spricht in Folge kindlicher Gewalterfahrungen von abgespaltenen „Alter Egos“ (mehrere andere Ichs), diese sind letztlich wie (explosive) Koffer, in die die Menschen ihre traumatischen, abgespaltenen und urerträglichen Ängste und ihren Ärger packen. Diese Textstelle fällt mir hier wieder ein: „Mit Ausnahme einiger Psychopathen und Psychotiker bewahren die meisten von uns ihre Koffer im Schrank hinter verschlossener Tür auf, scheinbar abseits unseres täglichen Lebens – aber dann verleihen wir die Schlüssel an emotional Delegierte, von denen wir abhängig sind, um die Inhalte ausagieren zu können und die es uns möglich machen, die Identifikation mit den Handlungen zu verleugnen.“ DeMause bezieht dies vor allem auf die Entstehung von Kriegen.
Das Bild der Koffer bringt es wohl auf den Punkt. Vielleicht könnte man das Bild hier etwas weiter stricken. Menschen wie Loughner packen ihre Koffer aus, dabei achten sie allerdings nicht darauf, wie die Werte- und Normenvorstellungen der Gesellschaft aussehen, was „das Kofferauspacken“ angeht. Deshalb werden sie weggesperrt und als psychisch Kranke behandelt. Andere drücken ihre Koffer zu, sperren sie in den Schrank. Das mag dann ggf. sehr eigenverantwortliches Handeln sein oder auch andere Gründe haben. Aber eigentlich glaube ich, dass die Koffer nie wirklich zu verschließen sind (solange sie nicht therapeutisch entschärft wurden) und sich stets Destruktivität in den normalen Alltag mischt.
Viel wichtiger ist allerdings, dass es viele Menschen gibt, die ihre Koffer ebenfalls auspacken, genau wie Loughner. Sie gehen dabei nur geschickter vor, passen sich dem Werte- und Normenvorstellungen an und wissen sich gut zu verstellen. Z.B. indem sie einfach Soldat werden und legal Gewalt ausüben können. Da kann mensch dann z.B. über 80 Menschen töten und keiner würde einen später wegsperren oder als psychisch krank ansehen, sondern eher als „Opfer“ der Umstände Krieg. Wobei der Fall nicht so einfach ist, denn Loughner wollte ja Soldat werden und wäre heute wahrscheinlich in Afghanistan oder im Irak. Vielleicht wäre er sogar ein besonders guter Soldat geworden. Dass er polizeilich registriert war, brachte ihm eine Ablehnung beim Militär ein. Er wollte also ursprünglich die Spielregeln der legalen Gewalt akzeptieren. Nun steht er als psychisch Kranker da, da er die Regeln gebrochen hat.
Andere handeln destruktiv in der Wirtschaft, unterstützen dabei Prozesse, die etlichen Menschen das Leben kosten (manchmal mehr, als durch Krieg). Das sind dann rationale „Fehlentscheidungen“ usw. usf. Ich denke, man versteht, um was es mir hier geht.
Dazu kommt, dass der Faktor Macht ein guter Schutzschirm ist. Jemand der hoch angesehen ist und/oder über viel Macht verfügt, der kann schon mal seine Koffer auspacken, ohne gleich weggesperrt zu werden. George W. Bush ist da vielleicht ein klassisches Beispiel. Als demokratisch gewählter US-Präsident ist man vielleicht geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie man tausende Menschen umbringen kann, ohne jemals bestraft oder als psychisch Kranker weggesperrt zu werden.
Viele Gesellschaften sind psychisch krank. Die US-Gesellschaft nach meinem Empfinden wesentlich mehr als die deutsche, die afghanische erheblich mehr als die us-amerikanische usw. Heilung kann aber nur wirklich beginnen, wenn sich die Gesellschaft ihr Kranksein überhaupt eingesteht. Ansonsten ist der Weg ein Langsamer, dadurch dass sich die Kindererziehung stetig verbessert und Erwachsene Psychotherapie machen. Ja, ein schwieriges Thema.
Abschließend noch ein Zitat aus o.g. ZEIT Artikel: „Dann ein wütender Streit mit seinem Vater, nach dem der Sohn davon stürmt. Der Rest ist Geschichte, die Amerika noch lange quälen wird.“ Über Loughner hatte ich ja bereits einen Beitrag geschrieben. Es passt ins Bild und hat eine erhebliche Symbolik, dass er direkt nach einem großen Streit mit seinem Vater den Amoklauf begann. „Aber sie wird nicht von politischen Meteorologen geschrieben, sondern von Psychiatern und sorgfältig recherchierenden Reportern. Das "Klima des Hasses" ist eine andere Story, so real sie auch ist.“, schreibt der ZEIT-Autor im nächsten Satz weiter. Letztlich ist es das familiäre Klima des Hasses, das uns bzgl. Loughner und den DurschnittsamerikanerInnen interessieren sollte und das sehr wohl zur selben Story gehört.
Dem gebe ich grundsätzlich Recht. I.d.R. gilt: Ohne Psychopathologie kein Mord und erst recht kein Amoklauf. Letzeres war die Tat letztlich, da sie sich wahllos gegen Menschen richtete, nachdem die demokratische Abgeordnete getroffen war. Ich glaube auch nicht, dass man führende Köpfe wie Sarah Palin hauptsächlich für die Tat mit in die Verantwortung nehmen kann. Geschossen hat natürlich nur der Täter. Trotzdem muss man auch weiter in die Tiefe gehen und dort Fragen stellen dürfen. Auch ein „Klima des Hasses“ wurde in den USA meiner Meinung nach letztlich nicht von Einzelnen geschaffen. Die Wurzeln des Hasses liegen tief in der amerikanischen Gesellschaft. Politische (emotionale) Delegierte vermögen den Hass – im „heimlichen Auftrag“ des Volkes - durch Reden etwas weiter an die Oberfläche zu spülen. Das Hauptproblem sind aber nicht diese wenigen Köpfe, sondern die vielen „ganz normalen“ Bürger und Bürgerinnen und deren gestörte Emotionen. (siehe auch: "Kindheit in den USA. God save America's children!") Nur diese Vielen erklären, warum der (mediale) Hass so offen in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgetragen werden kann. Dieser allgemeine und tief verwurzelte Hass lenkt wiederum – sofern er deutlich in den Medien und der Öffentlichkeit aufgeführt wird - schwer gestörte Psychopathen und verleitet diese ggf. zu Anschlägen. Diesen Zusammenhang sollte man nicht ausblenden, auch wenn Loughner ein Fall für die Psychiatrie ist oder besser ein Fall für ein (therapeutisch begleitendes) Gefängnis.
Für mich stellt dieser Fall mal wieder eine schwierige Frage auf: Wie unterscheiden sich die „offen emotional Gestörten“ von den „verdeckt emotional Gestörten“? Oder besser: Wie geht die Gesellschaft mit den offen Wahnsinnigen um, wie mit den verdeckt Wahnsinnigen? Warum haben wir kein Problem damit, Einzeltäter, die einfache Menschen sind, als psychisch gestört anzusehen, während wir ganze Gruppen oder Gesellschaften oder Eliten, die destruktiv handeln, nicht als gestört ansehen?
Im Grundlagentext zitierte ich deMause. DeMause spricht in Folge kindlicher Gewalterfahrungen von abgespaltenen „Alter Egos“ (mehrere andere Ichs), diese sind letztlich wie (explosive) Koffer, in die die Menschen ihre traumatischen, abgespaltenen und urerträglichen Ängste und ihren Ärger packen. Diese Textstelle fällt mir hier wieder ein: „Mit Ausnahme einiger Psychopathen und Psychotiker bewahren die meisten von uns ihre Koffer im Schrank hinter verschlossener Tür auf, scheinbar abseits unseres täglichen Lebens – aber dann verleihen wir die Schlüssel an emotional Delegierte, von denen wir abhängig sind, um die Inhalte ausagieren zu können und die es uns möglich machen, die Identifikation mit den Handlungen zu verleugnen.“ DeMause bezieht dies vor allem auf die Entstehung von Kriegen.
Das Bild der Koffer bringt es wohl auf den Punkt. Vielleicht könnte man das Bild hier etwas weiter stricken. Menschen wie Loughner packen ihre Koffer aus, dabei achten sie allerdings nicht darauf, wie die Werte- und Normenvorstellungen der Gesellschaft aussehen, was „das Kofferauspacken“ angeht. Deshalb werden sie weggesperrt und als psychisch Kranke behandelt. Andere drücken ihre Koffer zu, sperren sie in den Schrank. Das mag dann ggf. sehr eigenverantwortliches Handeln sein oder auch andere Gründe haben. Aber eigentlich glaube ich, dass die Koffer nie wirklich zu verschließen sind (solange sie nicht therapeutisch entschärft wurden) und sich stets Destruktivität in den normalen Alltag mischt.
Viel wichtiger ist allerdings, dass es viele Menschen gibt, die ihre Koffer ebenfalls auspacken, genau wie Loughner. Sie gehen dabei nur geschickter vor, passen sich dem Werte- und Normenvorstellungen an und wissen sich gut zu verstellen. Z.B. indem sie einfach Soldat werden und legal Gewalt ausüben können. Da kann mensch dann z.B. über 80 Menschen töten und keiner würde einen später wegsperren oder als psychisch krank ansehen, sondern eher als „Opfer“ der Umstände Krieg. Wobei der Fall nicht so einfach ist, denn Loughner wollte ja Soldat werden und wäre heute wahrscheinlich in Afghanistan oder im Irak. Vielleicht wäre er sogar ein besonders guter Soldat geworden. Dass er polizeilich registriert war, brachte ihm eine Ablehnung beim Militär ein. Er wollte also ursprünglich die Spielregeln der legalen Gewalt akzeptieren. Nun steht er als psychisch Kranker da, da er die Regeln gebrochen hat.
Andere handeln destruktiv in der Wirtschaft, unterstützen dabei Prozesse, die etlichen Menschen das Leben kosten (manchmal mehr, als durch Krieg). Das sind dann rationale „Fehlentscheidungen“ usw. usf. Ich denke, man versteht, um was es mir hier geht.
Dazu kommt, dass der Faktor Macht ein guter Schutzschirm ist. Jemand der hoch angesehen ist und/oder über viel Macht verfügt, der kann schon mal seine Koffer auspacken, ohne gleich weggesperrt zu werden. George W. Bush ist da vielleicht ein klassisches Beispiel. Als demokratisch gewählter US-Präsident ist man vielleicht geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie man tausende Menschen umbringen kann, ohne jemals bestraft oder als psychisch Kranker weggesperrt zu werden.
Viele Gesellschaften sind psychisch krank. Die US-Gesellschaft nach meinem Empfinden wesentlich mehr als die deutsche, die afghanische erheblich mehr als die us-amerikanische usw. Heilung kann aber nur wirklich beginnen, wenn sich die Gesellschaft ihr Kranksein überhaupt eingesteht. Ansonsten ist der Weg ein Langsamer, dadurch dass sich die Kindererziehung stetig verbessert und Erwachsene Psychotherapie machen. Ja, ein schwieriges Thema.
Abschließend noch ein Zitat aus o.g. ZEIT Artikel: „Dann ein wütender Streit mit seinem Vater, nach dem der Sohn davon stürmt. Der Rest ist Geschichte, die Amerika noch lange quälen wird.“ Über Loughner hatte ich ja bereits einen Beitrag geschrieben. Es passt ins Bild und hat eine erhebliche Symbolik, dass er direkt nach einem großen Streit mit seinem Vater den Amoklauf begann. „Aber sie wird nicht von politischen Meteorologen geschrieben, sondern von Psychiatern und sorgfältig recherchierenden Reportern. Das "Klima des Hasses" ist eine andere Story, so real sie auch ist.“, schreibt der ZEIT-Autor im nächsten Satz weiter. Letztlich ist es das familiäre Klima des Hasses, das uns bzgl. Loughner und den DurschnittsamerikanerInnen interessieren sollte und das sehr wohl zur selben Story gehört.
Dienstag, 11. Januar 2011
Attentat und die mögliche Geschichte dahinter
Jared Lee Loughner, der Attentäter von Arizona, erwähnte in seinem YouTube-Profil nach verschiedenen Medienberichten als seine Lieblingsbücher u.a. Hitlers „Mein Kampf“, "Fahrenheit 451", "Das kommunistische Manifest" und "Peter Pan". Die Zeit berichtet zudem, dass er auch „Alice im Wunderland“ gerne las.
Dies ist erst mal auf den ersten Blick eine verwirrende Auswahl an Büchern und – wäre da nicht „Mein Kampf“ dazwischen – sicherlich auch nichts, was besonderer Erwähnung bedürfte. Ich denke, dass jemand, der „Mein Kampf“ als Lieblingsbuch aufzählt, schon sehr viel über sich und seine Persönlichkeitsstruktur sagt. Allerdings verbinden sich diese Bücher auch. Hitlers Hassbuch, Marx radikale Gesellschaftstheorie, das Bücherhassbuch "Fahrenheit 451" und – für die meisten vielleicht besonders irritierend - die Kinderbücher Peter Pan und Alice im Wunderland, letztere sind die Auslöser für diesen Beitrag hier.
Viele Menschen werden diese beiden Kinderbücher lieben und das sei ihnen auch gelassen. Wenn jemand wie Jared Lee Loughner diese als Lieblingsbücher aufzählt, werde ich allerdings hellhörig. Der Hamburger Sexualwissenschaftler Professor Wolfgang Berner berichtete in einem Interview einmal: „Lewis Carrol, der "Alice im Wunderland" schrieb, war wohl ein Pädophiler. Ebenso James M. Barrie, der Autor von "Peter Pan" - dem Jungen, der nie erwachsen wurde.“ (Michael Jackson war ja auch nicht ohne Grund ein Peter Pan Fan und nannte seine Ranch „Neverland“.) Damit will ich nicht sagen, dass Loughner „pädophil“ ist. Nein, hier geht es um die Faszination, die diese beiden Bücher bei ihm auslösten. In beiden Geschichten finden sich symbolisch und in der Handlung viele Botschaften, die auf destruktive Elternfiguren und leidgeprüfte Kinder hinweisen. „Pädophile“ sind keine Kinderliebhaber, wie das Wort nahe legt, viel mehr sind sie Hasser. Ihren Hass haben sie nur sexualisiert. Hass und Gewalt tauchen hier deutlich auch in beiden Kinderbüchern auf. Dass Loughner beide Bücher liebte, verwundert vor den o.g. Hintergründen insofern nicht. Und natürlich vermute ich auch eine sehr leidvolle Kindheitsgeschichte bei diesem Attentäter, ohne seine Tat entschuldigen zu wollen. (Psychohistorisch wäre es interessant, wie sich dieses Attentat vorher möglicherweise in Bildern und Symbolen in den US-Medien aufbaute.) Der SPIEGEL berichtet: "Über Loughners eher bürgerliches Familienleben mit den Eltern Amy und Randy ist wenig bekannt. Nachbarn bezeichneten die Beziehungen der drei zueinander als "undurchschaubar", das Verhalten des Vaters als bisweilen "unangenehm" oder angriffslustig." Mehr ist wohl bisher nicht bekannt.
Bilder und Geschichten haben oft eine Bedeutung, werden aber von der Öffentlichkeit meist kaum wahrgenommen oder gedeutet. Dies wird auch an Hand eines anderern blutigen Falls deutlich. Der Schauspieler Michael Brea hat kürzlich seiner Mutter mit einem Samurai-Schwert den Kopf abgeschlagen. Er rechtfertigte die Tat so: "Ich habe sie nicht getötet. Ich tötete nur den Dämon in ihr. Es war der Wille Gottes. Gott erschien mir eines nachts über meinem Bett. Ich fühlte mich wie Neo im Film Matrix. Ich hörte Stimmen und fühlte mich stark."
Ludwig Janus hat einen Beitrag zum Film Matrix geschrieben: „Überlegungen zum Film »Matrix« Ich kenne den Beitrag noch nicht, kann mir den Inhalt allerdings gut vorstellen. Der Film ist voll von Verbindungen zu verdrängten/abgespaltenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Dies kann ich hier jetzt nicht alles besprechen. Ein Hinweis sagt allerdings schon viel aus. Morpheus sagt im Film zu Neo: „Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.“
Am besten hat vielleicht Alice Miller in ihren Büchern beschrieben, was hier im Film bildlich ausgedrückt wird. Das verbannte Wissen um den Selbstverrat des Kindes, das sich mit seinen gewalttätigen Eltern identifizieren muss, um zu überleben und später immer mit dem Gefühl durchs Leben geht, dass da "etwas" ist, was sich aber nicht erklären lässt.
Die wenigsten misshandelten Kinder rächen sich allerdings direkt bei ihren Peinigern, so wie Michael Brea dies wohl tat. Sondern sie agieren ihre Rache an anderen Stellen aus, suchen stellvertretende Opfer oder tun sich selbst Gewalt an.
Nochmal zum Abschluss: Bilder und Geschichten haben eine Bedeutung, dies gilt vor allem, wenn es um Attentäter und ähnliche Menschen geht. Wir sollten genauer hinschauen, was diese Bilder uns erzählen.
Dies ist erst mal auf den ersten Blick eine verwirrende Auswahl an Büchern und – wäre da nicht „Mein Kampf“ dazwischen – sicherlich auch nichts, was besonderer Erwähnung bedürfte. Ich denke, dass jemand, der „Mein Kampf“ als Lieblingsbuch aufzählt, schon sehr viel über sich und seine Persönlichkeitsstruktur sagt. Allerdings verbinden sich diese Bücher auch. Hitlers Hassbuch, Marx radikale Gesellschaftstheorie, das Bücherhassbuch "Fahrenheit 451" und – für die meisten vielleicht besonders irritierend - die Kinderbücher Peter Pan und Alice im Wunderland, letztere sind die Auslöser für diesen Beitrag hier.
Viele Menschen werden diese beiden Kinderbücher lieben und das sei ihnen auch gelassen. Wenn jemand wie Jared Lee Loughner diese als Lieblingsbücher aufzählt, werde ich allerdings hellhörig. Der Hamburger Sexualwissenschaftler Professor Wolfgang Berner berichtete in einem Interview einmal: „Lewis Carrol, der "Alice im Wunderland" schrieb, war wohl ein Pädophiler. Ebenso James M. Barrie, der Autor von "Peter Pan" - dem Jungen, der nie erwachsen wurde.“ (Michael Jackson war ja auch nicht ohne Grund ein Peter Pan Fan und nannte seine Ranch „Neverland“.) Damit will ich nicht sagen, dass Loughner „pädophil“ ist. Nein, hier geht es um die Faszination, die diese beiden Bücher bei ihm auslösten. In beiden Geschichten finden sich symbolisch und in der Handlung viele Botschaften, die auf destruktive Elternfiguren und leidgeprüfte Kinder hinweisen. „Pädophile“ sind keine Kinderliebhaber, wie das Wort nahe legt, viel mehr sind sie Hasser. Ihren Hass haben sie nur sexualisiert. Hass und Gewalt tauchen hier deutlich auch in beiden Kinderbüchern auf. Dass Loughner beide Bücher liebte, verwundert vor den o.g. Hintergründen insofern nicht. Und natürlich vermute ich auch eine sehr leidvolle Kindheitsgeschichte bei diesem Attentäter, ohne seine Tat entschuldigen zu wollen. (Psychohistorisch wäre es interessant, wie sich dieses Attentat vorher möglicherweise in Bildern und Symbolen in den US-Medien aufbaute.) Der SPIEGEL berichtet: "Über Loughners eher bürgerliches Familienleben mit den Eltern Amy und Randy ist wenig bekannt. Nachbarn bezeichneten die Beziehungen der drei zueinander als "undurchschaubar", das Verhalten des Vaters als bisweilen "unangenehm" oder angriffslustig." Mehr ist wohl bisher nicht bekannt.
Bilder und Geschichten haben oft eine Bedeutung, werden aber von der Öffentlichkeit meist kaum wahrgenommen oder gedeutet. Dies wird auch an Hand eines anderern blutigen Falls deutlich. Der Schauspieler Michael Brea hat kürzlich seiner Mutter mit einem Samurai-Schwert den Kopf abgeschlagen. Er rechtfertigte die Tat so: "Ich habe sie nicht getötet. Ich tötete nur den Dämon in ihr. Es war der Wille Gottes. Gott erschien mir eines nachts über meinem Bett. Ich fühlte mich wie Neo im Film Matrix. Ich hörte Stimmen und fühlte mich stark."
Ludwig Janus hat einen Beitrag zum Film Matrix geschrieben: „Überlegungen zum Film »Matrix« Ich kenne den Beitrag noch nicht, kann mir den Inhalt allerdings gut vorstellen. Der Film ist voll von Verbindungen zu verdrängten/abgespaltenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Dies kann ich hier jetzt nicht alles besprechen. Ein Hinweis sagt allerdings schon viel aus. Morpheus sagt im Film zu Neo: „Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.“
Am besten hat vielleicht Alice Miller in ihren Büchern beschrieben, was hier im Film bildlich ausgedrückt wird. Das verbannte Wissen um den Selbstverrat des Kindes, das sich mit seinen gewalttätigen Eltern identifizieren muss, um zu überleben und später immer mit dem Gefühl durchs Leben geht, dass da "etwas" ist, was sich aber nicht erklären lässt.
Die wenigsten misshandelten Kinder rächen sich allerdings direkt bei ihren Peinigern, so wie Michael Brea dies wohl tat. Sondern sie agieren ihre Rache an anderen Stellen aus, suchen stellvertretende Opfer oder tun sich selbst Gewalt an.
Nochmal zum Abschluss: Bilder und Geschichten haben eine Bedeutung, dies gilt vor allem, wenn es um Attentäter und ähnliche Menschen geht. Wir sollten genauer hinschauen, was diese Bilder uns erzählen.
Sonntag, 9. Januar 2011
Vergiftete Politikdebatte in Amerika
Der Hass in den USA wächst offensichtlich weiter. Am 05.11.2010 schrieb ich einen Beitrag unter dem Titel: „Barack Obama - Abbruchstimmung und Hass wächst. Wer wird der neue Feind der USA?„
Die emotionale Lage in den USA wird stetig schwieriger. Aktuelle, anschaubare (medienwirksame) äußere Feinde fehlen. Saddam Hussein ist tot. Afghanistan ist weit weg und bringt keine neuen Ängste und Feindbilder mehr auf. Mit Russland und China ist man wirtschaftlich und politisch relativ eng verbandelt. Doch irgendwo müssen die Ängste ausagiert werden. Neue Feinde müssen her. Da Außen nicht auffindbar, richtet sich der Hass jetzt ins Innere, ins eigene Land, sowohl ökonomisch, als auch politisch.
„Vergiftete Politikdebatte in Amerika?“ betitelt SPIEGEL-Online derzeit seine Diskussion im Forum zum Attentat im US-amerikanischen Arizona, das vor allem der demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords galt. "In diesem "Klima des Gifts" werde bald kaum noch jemand für öffentliche Ämter kandidieren." zitiert die ZEIT einen Sheriff aus Arizona. Parallel erschüttert derzeit Deutschland ein großer Dioxin-Skandal (wieder Gift). Zum Thema Gift hatte ich ja kürzlich schon etwas zur EURO-Krise geschrieben. Hier verbindet sich offensichtlich einiges. Die Zeitpunkte der Geschehnisse könnten merkwürdiger nicht sein. Hier bei uns reales Gift, nachdem im Vorfeld Fantasien über die "vergifteten Staaten von Europa" kursierten. Drüben, in den USA, "politisches Gift".
Die Welt hat offensichtlich ein Problem damit, wenn keine offenen Feinde bereit stehen. Selbstzerstörung scheint die einzige Antwort darauf zu sein.
Die emotionale Lage in den USA wird stetig schwieriger. Aktuelle, anschaubare (medienwirksame) äußere Feinde fehlen. Saddam Hussein ist tot. Afghanistan ist weit weg und bringt keine neuen Ängste und Feindbilder mehr auf. Mit Russland und China ist man wirtschaftlich und politisch relativ eng verbandelt. Doch irgendwo müssen die Ängste ausagiert werden. Neue Feinde müssen her. Da Außen nicht auffindbar, richtet sich der Hass jetzt ins Innere, ins eigene Land, sowohl ökonomisch, als auch politisch.
„Vergiftete Politikdebatte in Amerika?“ betitelt SPIEGEL-Online derzeit seine Diskussion im Forum zum Attentat im US-amerikanischen Arizona, das vor allem der demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords galt. "In diesem "Klima des Gifts" werde bald kaum noch jemand für öffentliche Ämter kandidieren." zitiert die ZEIT einen Sheriff aus Arizona. Parallel erschüttert derzeit Deutschland ein großer Dioxin-Skandal (wieder Gift). Zum Thema Gift hatte ich ja kürzlich schon etwas zur EURO-Krise geschrieben. Hier verbindet sich offensichtlich einiges. Die Zeitpunkte der Geschehnisse könnten merkwürdiger nicht sein. Hier bei uns reales Gift, nachdem im Vorfeld Fantasien über die "vergifteten Staaten von Europa" kursierten. Drüben, in den USA, "politisches Gift".
Die Welt hat offensichtlich ein Problem damit, wenn keine offenen Feinde bereit stehen. Selbstzerstörung scheint die einzige Antwort darauf zu sein.
Dienstag, 4. Januar 2011
Exkurs: Falschbeschuldigungen bei sexellen Missbrauch und falsche Informationen
Wikipedia ist gut und schön, hat aber auch Schwächen, wie jedem klar sein dürfte. Aktuell wurde ich auf den wikipedia Beitrag „Missbrauch mit dem Missbrauch“ aufmerksam. Dort steht: „Laut Angaben des Präsidenten des Deutschen Familiengerichtstages, Siegfried Willutzki, wird in ca. 40 % aller streitigen Sorgerechtsverfahren durch die um das Sorgerecht kämpfende Mutter ein Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den Vater erhoben.“ Diese Angabe basiert auf einen Artikel in der Rheinische Post vom 26.3.1994, es gibt im Internet etliche Verweise auf diese Textstelle. Vor allem „Väterrechtler“ wie z.B. die paPPas, „Väter für Kinder“, „Väteraufbruch für Kinder“ aber auch Homepages der Maskulistenbewegung etc. verweisen immer wieder auf diese Quelle. Sogar der Focus (Heft Nr. 23) zitiert diese Zahl 1996 wie folgt: "In rund 40 Prozent aller Sorge- und Umgangsrechtsverfahren wird Schätzungen zufolge mittlerweile der Vorwurf des Sexmißbrauchs erhoben (meist von Müttern gegen Väter), oft unterstützt von Gutachtern der „Aufdeckungs“-Fraktion." (dieser Artikel ist immer noch online!)Diese belege das hohe Ausmass von willentlichen Falschbeschuldigungen gegen Väter, um diese zu zerstören und um vor allem den Kontakt zum Kind zu unterbinden, so der Tenor dieser “Männeraktivisten“. Da die Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs im Folgejahr nach 1994 zugenommen hätten, schreiben z.B. die paPPas auf ihrer Homepage: "In der Konsequenz hat also ein Vater, der gerichtlich um Sorge oder Umgang streitet, eine 1:1-Chance, sich den Vorwurf einzuhandeln."
Zu dem Thema an sich lässt sich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben, so viel haarsträubendes und richtigzustellendes Material (u.a. auch erzeugt durch seriöse Medien wie den SPIEGEL – durch Gisela Friedrichsen - und die ZEIT – durch Sabine Rückert) liegt da mittlerweile vor. Da mein Blog eine sehr gute Googel Positionierung hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, in meinem bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten zu der o.g. Zahl etwas zu schreiben.
Wenn man sich klar macht, dass z.B. 1996 in über 150.000 Fällen in entsprechenden Verfahren über die elterliche Sorge und in über 20.000 Fällen über die Regelung des Umgangs entschieden wurde (vgl. Ruhl, R. 2000: Väter - Opfer bei Trennung und Scheidung? In: Lenz, H.-J. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung. Juventa, Weinheim. , S. 150) dann wären das bei 40 % 60.000 angezeigte Fälle sexuellen Missbrauch innerhalb von Sorgerechtstreitigkeiten und 8.000 angezeigte Fälle während Umgangsrechtstreitigkeiten. 1996 wurden aber nur 19.522 Fälle von sexuellem Missbrauch polizeilich registriert und diese Fälle beziehen sich wohlgemerkt auf eine Vielzahl von TäterInnengruppen, also nicht nur auf Väter. Die Zahl von 40 % lässt sich also alleine durch diese kleine Rechnung sehr leicht widerlegen. Aber ergänzen wir dies doch noch um eine Studie:
Busse / Steller / Volbert (2000) haben 1.394 Akten Berliner Familiengerichte zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 wissenschaftlich ausgewertet. In nur 45 Fällen (ca. 3,3 %) kam ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache. Eine Auswertung von 1.500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls nur 45 Fälle ( 3,0 %), die einen Missbrauchsverdacht beinhalten. (vgl. Bange, D. / Körner, W. 2002: Handwörterbuch Sexueller Mißbrauch. Hogrefe-Verlag, S. 94)
Ein weiteres Rechenbeispiel bringt uns der Realität noch mal näher:
1996 waren nur 1.543 von den 19.526 (mutmaßlichen) Opfern mit dem Täter/der Täterin verwandt. Das entspricht 7,90 % der Fälle. (vgl. Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz, 2006: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. S. 101) Ca. 3,5 % der Tatverdächtigen sind zudem weiblich, das zeigen die Statistiken (Dunkelfeldstudien zeigen da etwas anderes, aber das nur nebenbei). Da sich dieser Text auf die (angeblich massenhaften) Falschbeschuldigungsvorwürfe gegen Männer bzw. speziell Väter bezieht, können wir also nochmal 3,5 % von den 1.543 „Verwandtschaftsfällen“ abziehen, das wären Minus 54. Bleiben 1.489 Anzeigen gegen Männer, die mit dem (mutmaßlichen) Opfer verwandt sind. Nun muss mann auch noch wissen, dass z.B. im Jahr 1999 24,5 % aller Tatverdächtigen zwischen 8 und 21 Jahren alt waren, i.d.R. also gar keine eigenen Kinder haben. Und 8,1 % der Tatverdächtigen waren über 60 Jahre alt und fallen somit bzgl. Sorgerechtsstreitigkeiten auch raus. Ich vermute allerdings, dass innerhalb der „Verwandtschaftsfälle“ eher Tatverdächtige über 21 Jahre auftauchen. Insofern ziehe ich nochmal vorsichtige 10 % von den 1.489 Anzeigen gegen männliche Verwandte ab. Übrig bleiben dann noch 1340 Fälle. Innerhalb dieser verbleibenden Fälle werden jetzt nicht nur Väter stecken, sondern auch Onkel, evtl. der Cousin oder auch der angeheiratete Stiefvater, vielleicht auch noch ein paar junge Großväter, die über 60 Jahre alten Tatverdächtigen haben wir oben ja schon etwas rausgerechnet. Wieviele leibliche Väter angezeigt wurden, bleibt also Spekulation. Um eine gerade Zahl zu bekommen, rechne ich einfach mal mit hohen 1.000. Ich glaube dabei ehrlich gesagt, dass es weit weniger sind. Aber bleiben wir einfach bei dieser Zahl.
Kommen wir also zurück zu den 150.000 Sorgerechtsfällen aus dem Jahr 1996 und stellen diesen Fällen einfach alle 1.000 mögliche Anzeigen gegen Väter gegenüber (obwohl Anzeigen gegen Väter ja auch außerhalb von Sorgerechtsstreitigkeiten erfolgen). Das würde dann bedeuten, dass in nur 0,66 % der Sorgerechtsfälle ein Missbrauchsverdacht gegen Väter ausgesprochen wird!
(Die Berliner Studie von Busse / Steller / Volbert (2000) hatte um die 3 % ergeben. Dies legt den Schluss nahe, dass es regional ein unterschiedliches Anzeigeverhalten gibt und vor allem in Großstädten verhältnismäßig viel angezeigt wird.)
Die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt außerdem, dass von den angezeigten Fällen nur ca. 10 % zu einer Verurteilung führen. Von den oben berechneten fiktiven 1000 Vätern werden also nur 100 verurteilt (die meisten davon auf Bewährung oder mit einer Geldstrafe, auch das zeigt die Statistik). Die Gerichte agieren hier also sehr sehr vorsichtig und schicken nicht massenhaft Väter in die Gefängnisse, weil ihre durchgeknallten (unter feministischer Hypnose stehenden) EX-Ehefrauen mal „einfach so“ einen Missbrauchsverdacht aussprechen, um sich das Sorgerecht zu sichern.
Trotz dieser leicht herauszufindenden Daten spukt die Zahl von 40 % Anschuldigungen gegen Väter im Internet weiter herum, sogar auf wikipedia. Die entsprechenden (Internet-)Akteure müssen sich meines Erachtens nach fragen lassen, welche Motivation sie haben, eine solche falsche Zahl zu verbreiten? (Eigentlich müsste die Aufklärung über die wahren Zahlenverhältnisse sogar im Interesse der Väteraktivisten sein, alleine schon um ihre eigenen Nerven zu beruhigen.)
Dieses ganze Thema um angeblich massenhafte Falschbeschuldigungen und unzählige „böse Mütter“ und „rachsüchtige Feministinnen“ ist ein Thema mit unzähligen Abgründen. Hier wird all zu oft Realität gemacht, nicht gesehen. (Und ja, es gibt auch Väter, die real Opfer von Falschbeschuldigungen wurden. Aber nicht in dem Ausmass, wie das verbreitet wird.)
Ich möchte alle, die von dem Thema vielleicht das erste mal hören, dazu aufrufen, sehr vorsichtig und sehr kritisch zu sein, was das Thema Falschbeschuldigungen in Missbrauchsfällen angeht. Leider entpuppen sich all zu oft auch gerade angebliche Arbeiter für die Rechte von Vätern und Kinder als sehr destruktive Akteure, die allerleih Unsinn in die Welt setzen. Dem Schutz der Kinder dient es nicht, eine Zahl wie die o.g. von 40 % in der Welt zu verbreiten, sie dient dem Schutz der realen TäterInnen.
(Anmerkung: Dieser Text wurde am 07.01.2011 noch mal um einige Zeilen und Daten ergänzt - vor allem um die Berliner Studie und das anschließende Rechenbeispiel -, insofern beziehen sich die Kommentare unten noch auf die alte Textversion)
Weiterführende Links:
Gibt es einen »Missbrauch mit dem Missbrauch«?
Helfermafia" und "Fürsorgestasi" - Über den Missbrauch mit dem Missbrauch
Zu dem Thema an sich lässt sich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben, so viel haarsträubendes und richtigzustellendes Material (u.a. auch erzeugt durch seriöse Medien wie den SPIEGEL – durch Gisela Friedrichsen - und die ZEIT – durch Sabine Rückert) liegt da mittlerweile vor. Da mein Blog eine sehr gute Googel Positionierung hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, in meinem bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten zu der o.g. Zahl etwas zu schreiben.
Wenn man sich klar macht, dass z.B. 1996 in über 150.000 Fällen in entsprechenden Verfahren über die elterliche Sorge und in über 20.000 Fällen über die Regelung des Umgangs entschieden wurde (vgl. Ruhl, R. 2000: Väter - Opfer bei Trennung und Scheidung? In: Lenz, H.-J. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung. Juventa, Weinheim. , S. 150) dann wären das bei 40 % 60.000 angezeigte Fälle sexuellen Missbrauch innerhalb von Sorgerechtstreitigkeiten und 8.000 angezeigte Fälle während Umgangsrechtstreitigkeiten. 1996 wurden aber nur 19.522 Fälle von sexuellem Missbrauch polizeilich registriert und diese Fälle beziehen sich wohlgemerkt auf eine Vielzahl von TäterInnengruppen, also nicht nur auf Väter. Die Zahl von 40 % lässt sich also alleine durch diese kleine Rechnung sehr leicht widerlegen. Aber ergänzen wir dies doch noch um eine Studie:
Busse / Steller / Volbert (2000) haben 1.394 Akten Berliner Familiengerichte zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 wissenschaftlich ausgewertet. In nur 45 Fällen (ca. 3,3 %) kam ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache. Eine Auswertung von 1.500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls nur 45 Fälle ( 3,0 %), die einen Missbrauchsverdacht beinhalten. (vgl. Bange, D. / Körner, W. 2002: Handwörterbuch Sexueller Mißbrauch. Hogrefe-Verlag, S. 94)
Ein weiteres Rechenbeispiel bringt uns der Realität noch mal näher:
1996 waren nur 1.543 von den 19.526 (mutmaßlichen) Opfern mit dem Täter/der Täterin verwandt. Das entspricht 7,90 % der Fälle. (vgl. Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz, 2006: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. S. 101) Ca. 3,5 % der Tatverdächtigen sind zudem weiblich, das zeigen die Statistiken (Dunkelfeldstudien zeigen da etwas anderes, aber das nur nebenbei). Da sich dieser Text auf die (angeblich massenhaften) Falschbeschuldigungsvorwürfe gegen Männer bzw. speziell Väter bezieht, können wir also nochmal 3,5 % von den 1.543 „Verwandtschaftsfällen“ abziehen, das wären Minus 54. Bleiben 1.489 Anzeigen gegen Männer, die mit dem (mutmaßlichen) Opfer verwandt sind. Nun muss mann auch noch wissen, dass z.B. im Jahr 1999 24,5 % aller Tatverdächtigen zwischen 8 und 21 Jahren alt waren, i.d.R. also gar keine eigenen Kinder haben. Und 8,1 % der Tatverdächtigen waren über 60 Jahre alt und fallen somit bzgl. Sorgerechtsstreitigkeiten auch raus. Ich vermute allerdings, dass innerhalb der „Verwandtschaftsfälle“ eher Tatverdächtige über 21 Jahre auftauchen. Insofern ziehe ich nochmal vorsichtige 10 % von den 1.489 Anzeigen gegen männliche Verwandte ab. Übrig bleiben dann noch 1340 Fälle. Innerhalb dieser verbleibenden Fälle werden jetzt nicht nur Väter stecken, sondern auch Onkel, evtl. der Cousin oder auch der angeheiratete Stiefvater, vielleicht auch noch ein paar junge Großväter, die über 60 Jahre alten Tatverdächtigen haben wir oben ja schon etwas rausgerechnet. Wieviele leibliche Väter angezeigt wurden, bleibt also Spekulation. Um eine gerade Zahl zu bekommen, rechne ich einfach mal mit hohen 1.000. Ich glaube dabei ehrlich gesagt, dass es weit weniger sind. Aber bleiben wir einfach bei dieser Zahl.
Kommen wir also zurück zu den 150.000 Sorgerechtsfällen aus dem Jahr 1996 und stellen diesen Fällen einfach alle 1.000 mögliche Anzeigen gegen Väter gegenüber (obwohl Anzeigen gegen Väter ja auch außerhalb von Sorgerechtsstreitigkeiten erfolgen). Das würde dann bedeuten, dass in nur 0,66 % der Sorgerechtsfälle ein Missbrauchsverdacht gegen Väter ausgesprochen wird!
(Die Berliner Studie von Busse / Steller / Volbert (2000) hatte um die 3 % ergeben. Dies legt den Schluss nahe, dass es regional ein unterschiedliches Anzeigeverhalten gibt und vor allem in Großstädten verhältnismäßig viel angezeigt wird.)
Die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt außerdem, dass von den angezeigten Fällen nur ca. 10 % zu einer Verurteilung führen. Von den oben berechneten fiktiven 1000 Vätern werden also nur 100 verurteilt (die meisten davon auf Bewährung oder mit einer Geldstrafe, auch das zeigt die Statistik). Die Gerichte agieren hier also sehr sehr vorsichtig und schicken nicht massenhaft Väter in die Gefängnisse, weil ihre durchgeknallten (unter feministischer Hypnose stehenden) EX-Ehefrauen mal „einfach so“ einen Missbrauchsverdacht aussprechen, um sich das Sorgerecht zu sichern.
Trotz dieser leicht herauszufindenden Daten spukt die Zahl von 40 % Anschuldigungen gegen Väter im Internet weiter herum, sogar auf wikipedia. Die entsprechenden (Internet-)Akteure müssen sich meines Erachtens nach fragen lassen, welche Motivation sie haben, eine solche falsche Zahl zu verbreiten? (Eigentlich müsste die Aufklärung über die wahren Zahlenverhältnisse sogar im Interesse der Väteraktivisten sein, alleine schon um ihre eigenen Nerven zu beruhigen.)
Dieses ganze Thema um angeblich massenhafte Falschbeschuldigungen und unzählige „böse Mütter“ und „rachsüchtige Feministinnen“ ist ein Thema mit unzähligen Abgründen. Hier wird all zu oft Realität gemacht, nicht gesehen. (Und ja, es gibt auch Väter, die real Opfer von Falschbeschuldigungen wurden. Aber nicht in dem Ausmass, wie das verbreitet wird.)
Ich möchte alle, die von dem Thema vielleicht das erste mal hören, dazu aufrufen, sehr vorsichtig und sehr kritisch zu sein, was das Thema Falschbeschuldigungen in Missbrauchsfällen angeht. Leider entpuppen sich all zu oft auch gerade angebliche Arbeiter für die Rechte von Vätern und Kinder als sehr destruktive Akteure, die allerleih Unsinn in die Welt setzen. Dem Schutz der Kinder dient es nicht, eine Zahl wie die o.g. von 40 % in der Welt zu verbreiten, sie dient dem Schutz der realen TäterInnen.
(Anmerkung: Dieser Text wurde am 07.01.2011 noch mal um einige Zeilen und Daten ergänzt - vor allem um die Berliner Studie und das anschließende Rechenbeispiel -, insofern beziehen sich die Kommentare unten noch auf die alte Textversion)
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