Dienstag, 13. Dezember 2011

Der große SPIEGEL Krisenrückblick

Ohne Zweifel müssen Medien auch Geld verdienen, um ihre Existenz zu sichern. „Only bad news are good news.“ heißt es bei JournalistInnen. Sprich Katastrophen, Ängste und schlechte Nachrichten verkaufen sich besser. Dies ist, so man will, das Rationale daran, das ist die Logik der Medienpsychologie. Doch war es das? Ist also alles, was in den Medien passiert und inszeniert wird nur rational? Natürlich nicht. JournalistInnen sind Menschen und bringen immer auch ihre Gefühle und ggf. auch gestörte Emotionen mit ein. Zudem müssen JournalistInnen geradezu Seismographen für die emotionale Lage der Nation sein, denn das, was sie schreiben, soll ja auch begehrlich gelesen werden und die Leute ansprechen.

DER SPIEGEL ist eine der Leitmedien im Lande. DER SPIEGEL macht Meinungen und Emotionen, aber er spielgelt immer auch die Meinungen und Emotionen der Nation wider, greift diese auf, formt sie, leitet sie und gibt sie wieder zurück. Insofern bietet sich dieses Wochenmagazin dafür an, Ende des Jahres 2011 nicht nur einen klassischen Jahresrückblick, sondern gleich einen Rückblick auf die Titelstorys zwischen 2008 und 2011 (den Krisenjahren)zu machen. Wer Lust hat, möge sich einmal die Titelbilder dieser Zeit der Reihenfolge nach anschauen. Alleine dieses Durschauen hinterlässt – so ging es mir – bereits den Eindruck, dass da gewaltige Emotionen ausgedrückt werden, bildlich und sprachlich, und dass neutralere/sachlichere, gar positive Nachrichten die Ausnahme darstellen.

Wenn ich mich diesem Rückblick annähere, dann fällt mir zunächst auf, dass DER SPIEGEL in den letzten zwei Jahren den EURO in seinen Titelbildern hat schmelzen lassen ( 10 / 2010), der Euro wurde zerschossen (49 / 2010), er wurde zu Grabe getragen (25 / 2011), mit Dynamit und Zeitzünder versehen, um ihn in die Luft zu sprengen (39 /2011) und kürzlich noch in zwei Teile zerbrochen (48 / 2011). Schaut man sich nur die Bilder an, dann könnte man glatt zu dem Schluss kommen, dass ein Scheitern der Währung geradezu herbeigesehnt wurde, quasi als selbstzerstörerischer Akt. Dazu kommt, dass in den 206 SPIEGEL Ausgaben seit Anfang 2008 bis zum 10.12.2011 24 mal die Wirschafts- und Finanzkrise Titelthema war, was einem Anteil von ca. 11,6 % ausmacht. Wohlgemerkt, das waren nur die Titelthemen, auch in den anderen Ausgaben war „die Krise“ stets Thema, teils auch mit in den Titel integriert (z.B. Ausgabe 45 /2011, die sich im Titel mit Friedrich dem Großen befasste, aber unten rechts stand in blau/weißer Schrift „Euro-Krise. Italien, das nächste Griechenland?“)

Auffällig bei den Krisen-Titeln ist, dass hier nicht nur die „bad news“ überwiegen, sondern diese oftmals auch sehr emotional sind, mit Angst untermauert werden oder teils mit Gewaltbildern (z.B. Kopfschuss, Bomben, Dynamit, Einschusslöcher), daherkommen . Hier die Liste der entsprechenden Titel:

05 / 2008 Casino Global. Was ist der Einbruch in eine Bank gegen das Verspielen einer Bank?
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-05

24 / 2008 Angriff auf den Wohlstand. Wie Spekulanten das Leben immer teurer machen
Bild Anmerkung: Eine Familie mit zwei Kindern steht zwischen den Beinen eines riesigen Geschäftsmannes, das Wort „Angriff“ nimmt fast 1/3 des Titelbildes ein.
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-24

41 / 2008 Angst vor der Angst. Die gefährliche Psychologie der Finanzkrise
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-41

42 / 2008 Not! Halt! Wer stoppt den freien Fall des freien Marktes?
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-42

43 /2008 Das Ende der Gemütlichkeit. Was auf die Deutschen (noch) zukommt
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-43

47 / 2008 Das Kapital-Verbrechen. Anatomie einer Weltkrise, die gerade erst begonnen hat
Bild Anmerkung: Zu sehen ist eine Dollarnote mit Kopfschuss
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-47

05 /2009 Wann ist der Staat eigentlich pleite? Konjunkturpakete, Staatsbürgschaften, Abwrackprämien, Rettungsfonds...
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-05

11 / 2009 Der Jahrhundert-Fehler. Wie die Pleite einer einzigen Bank die Weltkrise auslöste
Bild Anmerkung: Zu sehen ist eine Bank als Streichholschachtel. Das erste Zündholz ist bereits entzündet und droht den Rest abzubrennen.
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-11

14 /2009 Rette, wer kann! Wie der Untergang der Weltwirtschaft verhindert werden soll
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-14

18 / 2009 Wiederholt sich die Geschichte doch? Weltkrisen 1929/2009
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-18

29 / 2009 Die gefährlichste Firma der Welt. Wie ein Versicherungskonzern zum größten Risiko für die Weltwirtschaft wurde
Bild Anmerkung: In einer Metropole ist der entsprechende Konzern als große Dynamitstange zu sehen, die Lunte brennt bereits.
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-29

38 / 2009 Ein Jahr danach. Warum die Welt durch die Finanzkrise ärmer, aber nicht klüger wurde
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-38

48 / 2009 Die Billionen-Bombe. Warum nach der Jahrhundertkrise schon die nächste droht
Bild Anmerkung: Eine Geldbombe explodiert.
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-48

05 /2010 Die Abrechnung. Finanzkrise: Jagd auf die Kapital-Verbrecher
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2010-05

10 / 2010 DIE EURO-LÜGE
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2010-10

18 / 2010 Euroland, abgebrannt. Ein Kontinent auf dem Weg in die Pleite
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2010-18

19 / 2010 Die Schulden Falle. Wie viel Griechenland können wir uns noch leisten?
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2010-19

44 / 2010 Die verzweifelten Staaten von Amerika. Eine Nation verliert ihren Optimismus
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2010-44

49 /2010 DAS LETZTE GEFECHT. Wie Europa seine Währung ruiniert http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2010-49

25 / 2011 Plötzlich und erwartet. Nachruf auf eine gemeinsame Währung
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2011-25

32 / 2011 Geht die Welt bankrott? US-Verschuldung, Euro-Krise, Börsenchaos
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2011-32

34 / 2011 Gelduntergang. Die zerstörerische Macht der Finanzmärkte
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2011-34

39 / 2011 DIE GELDBOMBE. Wie aus einer großen Idee eine Gefahr für Europa werden konnte
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2011-39

48 / 2011 Und jetzt?
Bild Anmerkungen: Zu sehen ist ein zerbrochener Euro
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2011-48


Zwischen diesen Krisennachrichten tauchten in bestimmten Abständen Titelthemen auf, die mit Ängsten vor und um Kinder und Jugendlichen zu tun haben. Dies ist interessant, wenn man sich etwas mit den psychohistorischen Thesen von deMause befasst hat.

02 / 2008 Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-02

09 / 2008 Wie viel Mutter braucht das Kind? Krippe oder Kinderzimmer
Bild Anmerkung: Im Titelbild hält ein übergroßes Kleinkind seine Miniaturmutter fest im Griff. Das Wort „Mutter“ ist rot abgedruckt, um es hervorzuheben.
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-09

22 / 2008 Tausendmal probiert... und nie ist was passiert. Das Geschäft mit der Sehnsucht nach dem Kind
Bild Anmerkung: Zu sehen ist ein übergroßes Baby, die zwei wesentlich kleineren, nackten Eltern sind getrennt jeweils links unten und rechts oben im Bild, wenden sich den Rücken zu und schauen deprimiert zu Boden.
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2008-22

12 / 2009 Wenn Kinder zu Killern werden. Der Amoklauf des Tim K.
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-12

15 / 2009 Das starke Ich. Wie Kindern das Leben gelingt
Bild Anmerkung: Ein Kind schultert einen gigantischen Baum, dessen Wurzel/stamm eine Hand bildet
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-15

25 / 2009 Wir Krisenkinder. Wie junge Deutsche Ihre Zukunft sehen
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-25

32 / 2009 Die große Sorge um die lieben Kleinen. Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit in der Erziehung
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2009-32

15 / 2010 Hilfe! Pubertät! Ein kleiner Ratgeber zum Großwerden
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2010-15

18 /2011 Mordswut. Die unheimliche Eskalation der Jugendgewalt
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2011-18

42 / 2011 Das überförderte Kind. Wie viel Ehrgeiz verträgt gute Erziehung?
Bild Anmerkung: Zu sehen ist ein unter der Last der Anforderungen zusammengebrochenes Kind
http://microshop.spiegel.de/einzelhefte/spiegel-2011-42


Mir sind in anderen Titeln weitere starke Emotionen aufgefallen, die ich hier nicht weiter zusammenfassen und alle besprechen kann. Ausschnittweise möchte ich auf Titel wie z.B. 26 / 2008 „Fünfzig Jahre Emanzipation. Was vom Mann noch übrig ist“ hinweisen. Zu sehen ist dort ein kleiner nackter Mann. Die Angst vor dem Verlust der Männlichkeit und Identität (auf Grund des Fortschritts der Emanzipation) ist hier offensichtlich. Andere Titel wie 23 / 2011 „Der Feind im Essen. Ehec: Die Geburt einer neuen Seuche“ habe ich hier im Blog bereits ausführlich besprochen. Dazu kommen z.B. Titel die eine große Giftschlange enthalten (17 / 2009) und Ängste vor einem Welt-Virus (19 / 2009). Zwischendrin habe ich acht mal Titel gezählt, die die NS Zeit besprechen, oftmals mit dem Abbild von Adolf Hitler. Hier tauchen quasi die kollektiven Erinnerungen an dieses Trauma immer wieder auf bzw. werden wieder durchgearbeitet (was ja nicht schlecht sein muss).

Ich habe zusätzlich der Reihenfolge nach Titel-Stichwörter, die starke Emotionen ausdrücken, die mit Krieg und Kampf und Familie und Kindern/Jugendlichen zu tun haben herausgesucht. Ein Schrägstrich trennt dabei jeweils eine Wochenausgabe von der anderen. Zwischendrin waren auch manchmal 3 oder 4 Ausgaben hintereinander dabei, die keine „Kraftwörter“ enthielten, manchmal folgten diese Wörter aber auch jeweils einige Wochen hintereinander weg. Hier das Ergebnis:

ALARMSTUFE, Kampf, Attentat, Bombe / Junge Männer, gefährlichste / Anfang vom Untergang / Der Messias, Sehnsucht / Steuersünder, Staatsfeind / Mutter, Kind, Krippe, Kinderzimmer / Täter, Mörder / mörderische / Reformchaos / Das Böse, monströse Doppelleben / Kind / unheimliche / Angriff / Krieg, gefährlichste / unheimliche / Gier und Größenwahn / Angst / gefährliche Nachbar / Krieger, schlagen / Schmerz, Seele / Todeskommando, zerstört / Angst vor der Angst / freien Fall / Ende / Krieger / Vollstrecker, Massenmörder / Verbrechen, Weltkrise / Stress / mutlos, gefährliche, Wirtschaftskrise / Geburt / Urvater / Ende / Geheimnis / Pleite, Weltkrise / Kinder, Killer / lebensgefährlichen / Untergang / Kindern / Verräter / Risiko / gefährlich, Weltvirus / Gier / Judenmord / Tod / geplünderte / Krisenkinder / Rebellion / Einsam, Tragödie / Weltkrieg / gefährlichste , Risiko / Psychogramm, Familien / Ohnmacht, Risiko / große Sorge, Kleinen, Erziehung / Orgie / Krieg / "Gestern wollte ich wieder sterben" / Finanzkrise / Wer erlöst / „Die Angst vor dem Leben“ / Billionen-Bombe, Jahrhundertkrise / töten, Krieg / „Hurra, wir leben noch...“ / „Ein Land stirbt“ / Friedhof / Finanzkrise, Verbrecher/ Triumph der Sünde, Wollust, Habgier/ Schuld / Lüge / deutsche Familie / Krieg, Kampf / Krieg, Töten, Sterben / verführt / abgebrannt, Pleite / Falle / Schutt und Schuld / "Der Druck ist gnadenlos" / Krieg / Katastrophe, tödliche / Kampf / Bürgeraufstand / „Ich wünschte, ich wäre tot" / „Macht der Angst“ / 100.000 Tote / verzweifelten Staaten / Gefecht / Kampf, Streit, Krieg / Rächer, Killer / „DAS ÜBERFORDERTE ICH“ / zerbrechliche Traum, Kampf / Risiko / Eltern, Kinder / Wahnsinn / Mordswut, Jugendgewalt / Feind, Geburt, Seuche / Bruder Todfeind / Familie / Niedergang / Burnout /

Alles in Allem zeigt sich auf den ersten, wie auch auf den zweiten und dritten Blick, dass DER SPIEGEL die hohe Kunst der Medienpsychologie sehr gut beherrscht. Die Titel sprechen die Emotionen der Menschen an, dies beschert dem SPIEGEL sicherlich entsprechend Stammleser. Neben diesem rationalen Handeln transportiert der SPIEGEL aber auch Ängste und andere Emotionen bzw. drückt die emotionale Lage der Nation aus. Er spiegelt Realität ab, aber er erzeugt auch wiederum Realitäten. Ich frage mich, ob es wirklich rational ist, wenn ein solch einflussreiches Blatt derartige Angstbilder dauerhaft verbreitet?

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