„Das Familienklima von heute ist das politische Klima von morgen“, hat der Kösel-Verlag in großen roten Buchstaben auf die Rückseite des Buches „Erziehung prägt Gesinnung: Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte - und wie wir ihn aufhalten können“ (2019) von Herbert Renz-Polster geschrieben. Besser kann man den Inhalt und die Kernaussage des Buches im Grunde nicht beschreiben.
Es sind nicht die (ökonomisch) Abgehängten, die z.B. Trump oder die AFD wählten, analysiert der Autor. Es ist der Hang zum Autoritarismus, der diese Menschen antreibt. Und der Autoritarismus hat wiederum viel mit dem zu tun, wie Kindheit war.
Kinder, die ihre Kindheit innerlich unverletzt, mit Selbstvertrauen, wachen Augen, Einfühlungsvermögen und Mut unter dem Herzen verlassen, seien dagegen später als Erwachsene widerstandsfähig, gerade auch gegen die Verlockungen des Rechtspopulismus.
„Je härter die Kindheit, desto härter die Politik. Landkarten der kindlichen Not", so lautet ein Kapiteltitel. Der Grundgedanke dabei ist, dass man aus Informationen über kindliche Not „politische Landkarten“ erstellen könne. Zustimmungsraten zu Körperstrafen gegen Kinder in den USA z.B. stehen in Zusammenhang zu konservativen Wahlverhalten. Ähnlich geht der Autor mit Blick auf Ostdeutschland vor und analysiert das (autoritäre) Erziehungssystem (inkl. langer Krippenbetreuung) in der ehemaligen DDR, um in der Tiefe zu erklären, warum im Osten deutlich rechtspopulistischer gewählt wird.
Mein Lieblingskapitel handelt vom Lachen oder besser gesagt dem Nicht-Lachen-Können von Rechtspopulisten und radikalen Politikern: „In der rechtsautoritären Bewegung scheint man schlichtweg kein echtes Lachen zu kennen! Man bringt es allenfalls zu einem frösteligen, selbstgefälligen Grinsen, aber eben nicht zu einem geselligen, freudvollen Lachen. (…) Wann lacht Erdogan? Wann ein Geert Wilders? Herr Kaczyński, Frau von Storch, was bringt Sie zum Lachen? Sie können das schlicht und einfach nicht. Denn Lachen, so berichtet die Psychologie, hat nicht nur etwas mit emotionalem Wohlbefinden zu tun. Vor allem braucht es zum echten, resonanten Lachen die entsprechende innere Software – nämlich die Fähigkeit, mit anderen mitzuschwingen, ihre Gefühlswelt zu erspüren – und für einen Moment angstfrei zu teilen. Diese Fähigkeit entwickelt sich in der Kindheit – oder eben nicht. Ja, vielleicht hat jemand, der sich in seinem Leben von Anfang an unterwerfen musste, nie einen wirklichen Grund gehabt, das Lachen zu erlernen.“ (S. 117)
Das Buch ist mit rund 270 Seiten reinem Inhalt (320 Seiten inkl. Quellenverzeichnis etc.) mit großzügiger Schrift und etlichen Zwischentiteln schnell und verständlich zu lesen. Für Menschen, die sich schon ausgiebig mit den möglichen politischen und gesellschaftlichen Folgen von belastenden Kindheitserfahrungen befasst haben, bietet es nicht zu viel Neues. Aber um diesen Personenkreis geht es auch gar nicht. Herbert Renz-Polster ist Kinderarzt und Bestsellerautor von mehreren Erziehungsratgebern. Er erreicht ein großes Publikum und hat sich jetzt auch in den politischen Raum gewagt. In den letzten zwei Wochen haben einige große Medien das Buch besprochen oder den Autor interviewt. Der große Verdienst des Autors ist, dass er das Thema „Kindheit und Politik“ in die Öffentlichkeit treibt. Das wurde auch so was von Zeit! Zu hoffen ist, dass andere Autoren aufspringen und eine wirkliche Debatte beginnt, die immer wieder den Satz vor sich hertragen sollte: „Das Familienklima von heute ist das politische Klima von morgen“. Oder wie ich es kurz zusammenfassen würde: „Die Kindheit ist politisch!“